Praxis

Die Sonderkennziffern einer Pandemie

Welche Neuerungen das Jahr 2020 für das Arzneimittelrezept brachte

mp | Weil das Papierrezept für Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) „eher so 80er-Jahre“ ist, muss es schon bald der digitalen Variante weichen. Daher dreht das Muster-16-­Verordnungsblatt 2021 noch eine Ehrenrunde. BtM- und T-Rezepte dürfen noch etwas länger bleiben, auch wenn die altbekannte Form gehen wird: In jedem Jahr kommen viele Neuerungen hinzu, die Apothekerinnen und Apotheker beim korrekten Umgang mit Arzneimittelverordnungen berücksichtigen müssen. Die DAZ behielt auch im Jahr 2020 das Rezept im Auge und gab alle relevanten Änderungen zu Protokoll.
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Von einer der am sehnlichsten erwarteten Änderungen hinsichtlich Rezepte in der Apotheke konnte die DAZ 2020 leider nicht berichten: Das Wiederholungsrezept, dass bereits mit dem Inkrafttreten des Masernschutzgesetzes zum 1. März 2020 rechtlich möglich wurde, konnten Ärzte, Apotheker und Kassen im Jahr 2020 noch nicht realisieren. Aber zahlreiche andere Anpassungen prägten die Verordnungspraxis.

Am 1. Januar 2020 wuchs der Zuschlag für den Notdienst von 16 auf 21 Cent, der für BtM- und T-Rezepte von 2,91 auf 4,26 Euro an (DAZ 1/2, S. 9).

Seit dem 1. März 2020 trat neben dem Masernschutzgesetz auch die neue Anlage 3 zur Hilfstaxe für die Abrechnung parenteraler Lösungen in Kraft. Eine Übersicht aller Neuerungen der Anlage 3 finden Sie in DAZ 10 auf Seite 18.

Eine neue Anlage zur Hilfstaxe gab es auch für Cannabispreise. Die neueingeführte Anlage 10 regelt die Preisbildung für gesetzlich Krankenver­sicherte Patienten. Obwohl sich der GKV-Spitzenverband erst am 1. April einigen konnte, wurde die Anlage rückwirkend ab dem 1. März für gültig erklärt. Für die ersten 15 Gramm können Apotheken pro Gramm 9,52 abrechnen – unabhängig von der Sorte. In DAZ 27, S. 77, ordnete DAZ-Redakteur Dr. Thomas Müller-Bohn die Änderungen wirtschaftlich und perspektivisch ein.

OTC-Switches und Hämophilie-Präparate

Zur Behandlung akuter Migräneattacken entließ der Gesetzgeber neben Almo- und Naratriptan 2020 auch den selektiven Serotoninrezeptor-Agonisten Sumatriptan aus der Rezeptpflicht (DAZ 39, S. 42). Während die zentralwirksamen Antihistaminika aufgrund der anticholinergen Wirkungen für Patienten ab dem 65. Lebensjahr rezeptpflichtig wurden (DAZ 5, S. 13), entfiel diese für den Histaminrezeptor-Antagonist der dritten Generation Desloratadin (DAZ 8, S. 12).

Eine kleine Änderung erfuhren T-Rezepte: Die nach dem 15. April vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ausgege­benen T-Rezeptvordrucke haben neuerdings ein Feld für den Apothekenstempel. Außerdem wurde die T-Rezeptnummer um sieben Ziffern erweitert (DAZ 17, S. 10).

Eine weitere Rezept-Neuheit ging 2020 in die Apothekenbetriebsräume: Hämophilie-Präparate, die Händler durch die bisherige Sonderregelung direkt an Ärzte lieferten, unterliegen nun der Apotheken- und Verordnungspflicht (DAZ 36, S. 9). Mit der Neuerung im Arzneimittelgesetz, die am 1. September wirksam wurde, geht auch viel Arbeit einher: Neben der besonderen Kühlpflicht unterliegen Hämophilie-Produkte der Dokumentationspflicht gemäß Transfusionsgesetz sowie der (überschießenden) Meldepflicht an den verordnenden Arzt und der anschließenden Weiterleitung an das Deutsche Hämophilieregister (DAZ 5, S. 13). Lesen Sie dazu in DAZ 44 ab Seite 62 zwei Analysen über die ersten Monate mit Blutprodukten in der Apothekenpraxis.

Rücksprachen vorprogrammiert

Möchte der Apotheker bei einer Verordnung ein Arzneimittel oberhalb des gesetzten Preisankers abgeben und macht dabei als Begründung pharmazeutische Bedenken geltend, fordert der GKV-Spitzenverband die Rücksprache mit dem verschreibenden Arzt. In DAZ Nr. 3 erstellte Autor ­Thomas Noll ab der Seite 46 eine Übersicht, was bei pharmazeutischen Bedenken fachlich und nach Vorgaben des Rahmenvertrages beachtet werden muss.

Diese Neuerung dürfte 2020 zum größten Mehraufwand in der Rezeptbearbeitung und zu den meisten Stunden ärztlicher Rücksprachen geführt haben: Die verpflichtende Dosierungsangabe oder der Verweis auf eine schriftliche Dosieranweisung beim Patienten auf dem Rezept seit dem 1. November. Noch immer landen in der Apotheke viele fehlerhaft ausgestellte Rezepte. Die DAZ berichtete, welche Heilungsmöglichkeiten die Retaxgefahr umschiffen und wann Rücksprache mit dem Arzt gehalten werden muss – und wann nicht (DAZ 46, S. 10; DAZ 48, S. 9). In DAZ 39, S. 50, ­beleuchtete Apothekerin und DAZ-­Autorin Inken Rutz die schwierige Problematik der Arztkontaktauf­nahme, wenn die Verordnenden am schwierigsten zu erreichen sind – im Notdienst.

Die Pandemie prägt das Rezept

Im März sorgte die Corona-Pandemie, die gerade begann Deutschland zu überfluten, für erste Auswirkungen auf das Arzneimittelrezept. Mittlerweile dürften einige Apotheker die im Zuge der Pandemie eingeführten Sonderkennziffern auswendig kennen.

Bei Nichtlieferfähigkeit von Rabattarzneimitteln führte die AOK Rheinland/Hamburg ein Corona-Sonderkennzeichen ein (02567024), sodass Apotheker bei Engpässen von Rabattarzneimitteln auch ohne Retaxgefahr ein anderes Präparat abgeben können (DAZ 12, S. 9). Bei Nichtverfügbarkeit von Arzneimitteln darf nach dem zum 1. August 2020 erneuerten Rahmenvertrag auch ein Arzneimittel über dem Preisanker abgegeben werden – Voraussetzung ist dabei die Dokumentation mit der Sonder-PZN 02567024. Die Mehrkosten übernimmt dabei die Krankenkasse. Auch ab dem 1. Juli änderte sich zudem einiges zur Arzneimittelversorgung: Die Mehrwertsteuer für Arzneimittel wurde gesenkt, Festbeträge angepasst und bei manchen Krankenkassen neue Rabattverträge wirksam (DAZ 27, S. 16).

Not und Tugend: Botendienst und Aut-simile

Am 22. April 2020 trat die SARS-CoV-2-Arzneimittelversorgungsverordnung in Kraft (DAZ 18, S. 9). Weil sich zu dieser Zeit die dramatischen Folgen von Lieferengpässen abzeichneten, ermöglichte die Verordnung für Apotheker weitreichende Austauschmöglichkeiten bei Arzneimitteln. Durch die Änderungen im fünften Sozialgesetzbuch können Apotheker nach Rücksprache mit dem Arzt bei Nichtlieferfähigkeit eines Arzneimittels oder Wirkstoffs auch vergleichbare Arzneimittel abgeben, ohne dass Retaxierungen vorgenommen werden dürfen, also aut simile substituieren. Die AMK erarbeitete zur Arbeitshilfe Äquivalenzdosistabellen für verschiedene Wirkstoffklassen. Auch die Substitutionsausschlussliste kann bei Ersatzkassen seither umgangen werden (DAZ 21, S. 14).

In der Pandemie wurde der Botendienst für Risikopatienten, die Kontakte meiden müssen, aber trotzdem dringend ihr Arzneimittel brauchen, zum Rettungsanker. Mit Inkrafttreten der SARS-CoV-2-Arzneimittelversorgungsverordnung konnte dieser bis zum 30. September mit je 5 Euro durch private und gesetzliche Krankenversicherungen erstattet werden, danach wurde die Vergütung mit 2,50 Euro verstetigt (DAZ 33, S. 8). Ab dem 1. Januar 2021 wird der Fixzuschlag zudem im fünften Sozialgesetzbuch verankert sein.

Sonder-PZN: 06461110

Weitere Sonderkennziffern entstanden, um die Abgabe und Abrechnung von Teilmengen (02567024 sowie Faktor 5 oder 6) sowie die Abgabe nach der sonst bekannten Abgabe­reihenfolge (02567024) zu kennzeichnen (DAZ 20, S. 9; DAZ 37, S. 18).

Bei Entlassrezepten führte der GKV-Spitzenverband Ausnahmeregelung für eine kleine Erleichterung in der Pandemie ein. Seit diesem Datum konnte auf Entlassrezepten, die zeitgleich BtM- bzw. T-Rezepte sind, die Pseudoarztnummer „4444444“ plus Fachgruppencode abgedruckt werden, ohne das Apotheker eine Prüfpflicht trifft. Erst sollte diese Ausnahme nur bis zum 1. Juli gültig sein, dann verlängerte sie der GKV-Spitzenverband bis zum 31. März 2021 (AZ 43, S. 2). |

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