Feuilleton

Eine wichtige Zäsur

60 Jahre Apothekengesetz – ein „bedeutsamer Tag“ in der Pharmaziegeschichte

1960 trat das erste Apothekengesetz auf Bundesebene in Kraft. Im Kern gilt es bis heute, ungeachtet aller Novellierungen im Detail. Es markiert eine wichtige Zäsur in der Entwicklung des Apothekenwesens, indem es das einstige Gewirr verschiedenster Rechtsquellen durch ein einheitliches Regelwerk ersetzte und dabei die gesetzliche Grundlage für die Niederlassungsfreiheit schuf. Doch der Weg dorthin war lang und steinig.

Die Apotheke zählt zu den Bereichen des Gesundheitswesens, die relativ früh rechtlichen Regelungen unterworfen wurden. Um die Bevölkerung vor den Risiken des Arzneimittelverkehrs zu schützen, hatten bis ins Jahr 1700 über 200 Städte eigene Apothekenordnungen geschaffen, die nun zunehmend durch staatliche Vorschriften ersetzt wurden. All diesen Regelungen war gemein, dass sie den Apothekenbetrieb an eine Genehmigung banden und der Staat die Zahl der öffentlichen Apotheken beschränkte. Das sollte die Apotheken rentabel halten, um deren sachgemäßen Betrieb zu gewährleisten. Da die Genehmigung aber regional höchst unterschiedlich erfolgte, hatte sich ein historisch gewachsenes und durchaus verworrenes Rechtsgeflecht über Deutschland gelegt. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts ergingen neue Genehmigungen fast ausschließlich in Form der Personalkonzession, die beim Tod des Apothekers an den Staat zurückfiel, der über ihre erneute Vergabe entschied. Daneben bestanden aber auch noch alte und vererbbare Realkonzessionen und -rechte.

Foto: picture-alliance/ZB

Seit der Reichsgründung 1871 kamen wiederholt Forderungen auf, die diffuse Rechtslage durch ein Reichsapothekengesetz zu bereinigen. Verschiedene Vorstöße scheiterten jedoch. Sowohl in der Weimarer Republik als auch in der NS-Zeit wurden die Gesetzespläne wieder aufgegriffen, doch auch diesmal ohne Erfolg. Grund dafür waren zwei unvereinbare Positionen: Einerseits wurde ein Betriebsrechtssystem auf Basis der Personalkonzession gefordert, vor allem in der Verwaltung. Andererseits wünschte die Mehrheit der Apothekenbesitzer ein Betriebsrecht, das veräußerlich und vererbbar sein sollte.

1949 – ein apothekenrechtlicher Neubeginn?

Das bestehende System kam 1949 ins Wanken, als die US-Militärregierung in ihrer Zone die Niederlassungsfreiheit einführte. Da jeder approbierte Apotheker nun eine Apotheke eröffnen durfte, nahm deren Anzahl sprunghaft zu. Damit wuchs aber der Druck, diesen Gegenstand durch ein Bundesgesetz zu regeln. Neben Plänen, das Apothekenwesen in ein umfassendes Arzneimittelgesetz zu inte­grieren, wurden seit den frühen 1950er-Jahren die Bemühungen forciert, ein genuines Apothekengesetz zu schaffen, dass die Errichtung und den Betrieb von Apotheken regeln sollte.

Ein rechtlicher Dschungel

Wie sich bald zeigte, war die rasche Verabschiedung eines Apothekengesetzes nicht zu verwirklichen. Zu groß war die Anzahl der beteiligten Akteure, zu unterschiedlich deren Interessen – und so wurden die Entwürfe im Bundestag nicht abschließend beraten. Um aber den ungebremsten Zuwachs an Apotheken in der US-Zone zu stoppen, verabschiedete der Bund ab Anfang 1953 das sog. Apothekenstoppgesetz, das für die Apothekengenehmigung den Rechtszustand von Oktober 1945 wiederherstellte und bis zum Inkrafttreten eines Bundesapotheken­gesetzes gelten sollte.

Das Stoppgesetz war aber bloß eine Interimslösung und rechtlich stark umstritten. Vor allem ein Punkt gab immer wieder Anlass zu Klage: das indirekt wiedereingeführte Konzessionssystem, in dem viele Betroffene eine Verletzung ihres Grundrechts auf Berufsfreiheit sahen, verbrieft durch Artikel 12 des Grundgesetzes. Noch bevor dazu eine Entscheidung fiel, kassierte das Bundesverfassungsgericht am 30. Mai 1956 das Stoppgesetz, weil nicht mehr zweifelsfrei feststellbar war, welches Recht im Oktober 1945 noch galt. Wie die Richter ausführten, zählte das Apotheken­wesen zu den „unübersichtlichsten Rechtsmaterien“ – drastischer konnte das Gericht den Bedarf nach einem bereinigenden Gesetz kaum aufzeigen.

Unterdessen hatte die Bundesregierung einen Entwurf erarbeitet, den sie Anfang März 1955 dem Bundestag vorlegte. Dieser Entwurf folgte dem „gemischten System“ aus Realrechten, Realkonzessionen und Personalkonzessionen, wobei neue Berechtigungen nur noch in Form der Personalkonzession erteilt werden durften. Eine Einigung erfolgte im Bundestag aber nicht mehr. Zwar schloss sich der federführende Gesundheitsausschuss der Regierungsvorlage im Kern an, doch bewirkte dies einen energischen Widerstand des mitberatenden Wirtschaftsausschusses. Die Bundesregierung brachte ihren Entwurf zu Beginn der neuen Legislaturperiode 1957 erneut ein, doch erwies sich dieser Schritt bald als überholt.

Gerichte ebnen den Weg zum Gesetz

Es waren die Gerichte, die die Kardinalfrage lösten: die Frage, inwieweit der Staat befugt ist, den Apotheken­betrieb einzuschränken, ohne gegen Artikel 12 des Grundgesetzes zu verstoßen. Nachdem das Bundesverwaltungsgericht 1956 bereits in einem Einzelfall ähnlich entschieden hatte, fällte das Bundesverfassungsgericht am 11. Juni 1958 das wegweisende „Apotheken-Urteil“ (siehe DAZ 2018, Nr. 19, S. 42). Laut den Karlsruher Richtern stellte es einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Berufsfreiheit dar, die Zahl der Apotheken allgemein zu beschränken. Damit war die Entscheidung zugunsten der Niederlassungsfreiheit gefallen.

Das Apothekengesetz von 1960

Mit dem Apotheken-Urteil war die entscheidende Blockade beseitigt. Der Bund war nunmehr gehalten, das Urteil in eine gesetzliche Regelung zu überführen. Noch im Juni nahm eine Kommission der wichtigsten Apothekerverbände die Arbeit auf und erstellte bis September 1958 einen Grundsatzkatalog. Dieser bildete die Basis für einen Gesetzentwurf, der im Oktober 1958 durch Initiativantrag in den Bundestag eingebracht wurde. Der Entwurf wurde an den Gesundheitsausschuss überwiesen, der Anfang Dezember 1958 beschloss, das Apotheken- vor dem Arzneimittelgesetz zu beraten. Die Bundesregierung dagegen ließ ihren Entwurf fallen.

Die Beratungen zogen sich bis April 1960 hin. Am Ende stand eine Fassung, die der Bundestag am 6. Mai 1960 nach einigen Änderungen ohne Gegenstimme annahm. Bereits die Abstimmung wurde in der pharmazeutischen Fachpresse als „bedeutsamer Tag“ in der „Geschichte des Apothekenwesens“ gewürdigt, war doch ein fast 90-jähriges Streben nach einem Gesetz nun an ein Ziel gelangt. Nachdem auch die Wünsche des Bundesrates berücksichtigt worden waren, wurde das „Gesetz über das Apothekenwesen“ am 20. August 1960 ausgefertigt. Es trat Anfang Oktober 1960 in Kraft und ist in seinem wesentlichen Regelungsgehalt bis heute gültig.

Die Erlaubnis – zugleich auch eine Verpflichtung

Das Gesetz war ein Meilenstein in der Entwicklung des Apothekenrechts, schuf es doch die neue Rechtsgrund­lage für die Niederlassungsfreiheit. Nach dem Gesetz war zum Betrieb einer Apotheke zwar eine behördliche Erlaubnis erforderlich. Ein Antragsteller hatte jedoch Anspruch auf dieselbe, sofern er bestimmte subjektive Kriterien erfüllte. So musste er etwa deutscher Staatsangehörigkeit und voll geschäftsfähig sein, aber auch eine deutsche Approbation zum Apotheker und die notwendige Zuverlässigkeit besitzen. Für das deutsche Apothekenwesen bedeutete dies eine gewichtige Verlagerung der Verantwortlichkeit. Lastete diese zunächst sowohl auf dem Apotheker als auch auf der öffentlichen Verwaltung, so verschob sie sich nun zusehends zum Apotheker. Er trug das wirtschaftliche Risiko, während der Staat nur noch die allgemeinen Regelungen für den Apothekenbetrieb vorgab. Diese Liberalisierung entsprach den gesundheitspolitischen wie gesamtgesellschaftlichen Tendenzen der Zeit.

Das Gesetz beschränkte sich im Kern auf die Voraussetzung für den Apothekenbetrieb, während der Betrieb selbst in der Apothekenbetriebsordnung reguliert war. Auch andere verwandte Materien wurden durch separate Rechtsnormen geordnet, etwa durch das Arzneimittelgesetz von 1961. Der erste Abschnitt des Apothekengesetzes regelte die Betriebserlaubnis und legte dabei fest, dass den Apotheken die ordnungsgemäße Arzneimittelversorgung obliegt – insoweit ging mit der Erlaubnis auch eine Verpflichtung einher. Der zweite Abschnitt widmete sich Sonderformen, etwa Krankenhausapotheken, der dritte Aufsichts- und Ermächtigungsfragen. Während im vierten Abschnitt Strafvorschriften festgehalten waren, ließ der fünfte Abschnitt noch einmal die epochale und rechtsbereinigende Bedeutung des Apothekengesetzes in aller Deutlichkeit erkennen. Da sich der Gesetzgeber bei Inkrafttreten gar nicht mehr sicher war, welche Rechtsquellen überhaupt noch galten, wurden vorsorglich über 50 Rechtsnormen für unwirksam erklärt. |

Dr. Niklas Lenhard-Schramm, Universität Hamburg, Fakultät für Geistes­wissenschaften, Fachbereich Geschichte, autor@deutsche-apotheker-zeitung.de

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