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Arzneimittel und Therapie
Wann ASS für Senioren gefährlich wird
Low-Dose-Risiko für gastrointestinale Blutungen quantifiziert
Acetylsalicylsäure ist ein verbreitetes Schmerzmittel und wird standardmäßig in der Sekundärprävention kardiovaskulärer Erkrankungen verwendet. Es wird dementsprechend oft in der Apotheke abgegeben. Die Beratung ist allerdings nicht immer trivial. ASS wirkt, indem es irreversibel die Cyclooxygenasen 1 und 2 inhibiert und die Thrombozytenaggregation hemmt. Eine häufig auftretende Nebenwirkung der Einnahme stellen gastrointestinale Blutungen dar. Besonders Ältere sind davon betroffen. Aber gerade in dieser Bevölkerungsgruppe ist die Datenlage nicht ausreichend. Dies erschwert es, allgemeine Empfehlungen auszusprechen.
Die 2018 veröffentlichte ASPREE-Studie (Aspirin in Reducing Events in the Elderly) testete, ob gesunde Ältere von der ASS-Einnahme in der Primärprävention im Hinblick auf Mortalität, Demenz und dauerhafte körperliche Einschränkungen profitierten [1]. Die Untersuchung wurde allerdings nach fast 5 Jahren abgebrochen, da sich kein Nutzen feststellen ließ. Jedoch bestätigte sich das allseits bekannte Blutungsrisiko. In einer neuen Untersuchung wurden nun die gewonnenen Daten zu gastrointestinalen Blutungen genauer unter die Lupe genommen [2].
Alte Daten neu bewertet
Die ASPREE-Studie verfügte über ein großes Kollektiv von 19.114 Teilnehmern in den USA und Australien. Alle Probanden waren älter als 70 Jahre. Senioren mit erhöhtem Blutungsrisiko wurden ausgeschlossen. Hierzu zählten unter anderem Patienten mit hämorrhagischer Diathese, Aneurysmen, Ösophagusvarizen oder therapeutischer Antikoagulation. Im Rahmen der Studie erhielt die eine Hälfte der Teilnehmer randomisiert 100 mg ASS pro Tag in magensaftresistenter Formulierung und die andere Placebo. Es war den Probanden gestattet, bei Bedarf kurzzeitig weitere nichtsteroidale Antirheumatika (NSAIDs) einzunehmen. Für die Auswertung des Blutungsrisikos berücksichtigten die Autoren nur schwerwiegende gastrointestinale Blutungen. Das heißt, eine Blutung musste nachweislich medizinisch dokumentiert worden sein und zur Hospitalisation des Teilnehmers geführt haben. Anhand der vorliegenden Befunde differenzierten die Forscher dann in Blutungen des oberen und unteren Gastrointestinaltraktes.
60% mehr Blutungen unter ASS
Insgesamt wurden so 264 Blutungsereignisse bei 257 Teilnehmern registriert. Zwei Blutungen in der Placebogruppe verliefen tödlich. Teilnehmer der ASS-Gruppe erlitten deutlich mehr Blutungen als Placebo-Probanden (ASS: 162, Placebo: 101). Insbesondere verursachte ASS mehr Blutungen im oberen Gastrointestinaltrakt als im unteren (oberer GI-Trakt: ASS: 89, Placebo: 48; unterer GI-Trakt: ASS: 73, Placebo: 54). Das Blutungsrisiko sank auch nicht, je länger die Probanden ASS einnahmen. Die Gefahr, dass Teilnehmer der ASS-Gruppe eine Blutung erlebten, war allgemein um 60% erhöht (oberer GI-Trakt: 87%; unterer GI-Trakt: 36%). Dass ASS-induzierte Blutungen im oberen Magen-Darm-Trakt häufiger auftraten, lässt sich den Autoren zufolge mechanistisch erklären. ASS beeinträchtigt dort einerseits direkt die Schleimhäute, indem es die Mucus- und Bicarbonatproduktion im Magen herabsetzt. Zudem erhöht sie synergistisch durch die induzierte Plättchenaggregationshemmung die Blutungsneigung. Blutungen im unteren Gastrointestinaltrakt sind eher mit vorhandenen Divertikeln oder Hämorrhoiden assoziiert, sodass ASS dort eher durch die verminderte Blutgerinnung ungünstig wirkt [3].
Risikofaktoren | 70 Jahre | 80 Jahre | ||
---|---|---|---|---|
Placebo | ASS | Placebo | ASS | |
Einzelne Risikofaktoren | ||||
keine | 0,25% | 0,40% | 0,60% | 0,96% |
Rauchen | 0,52% | 0,58% | 1,21% | 1,91% |
chronische Niereninsuffizienz | 0,35% | 0,57% | 0,85% | 1,36% |
Bluthochdruck | 0,36% | 0,58% | 0,88% | 1,41% |
erhöhter Bauchumfang (≥ 88 cm für Frauen und 102 cm für Männer) | 0,32% | 0,52% | 0,78% | 1,25% |
Mehrere Risikofaktoren | ||||
Bluthochdruck und erhöhter Bauchumfang | 0,48% | 0,76% | 1,15% | 1,84% |
Rauchen und erhöhter Bauchumfang | 0,68% | 1,09% | 1,59% | 2,51% |
Rauchen und Bluthochdruck und erhöhter Bauchumfang | 1,0% | 1,60% | 2,33% | 3,67% |
Rauchen und chronische Niereninsuffizienz und erhöhter Bauchumfang | 0,97% | 1,54% | 2,2% | 3,45% |
chronische Niereninsuffizienzund erhöhter Bauchumfang und Bluthochdruck | 0,68% | 1,09% | 1,64% | 2,61% |
alle Risikofaktoren zusammen | 1,42% | 2,26% | 3,22% | 5,03% |
Auch PPI sind keine Option
Schaut man nun genauer auf die einzelnen Risikofaktoren, kam es häufiger zu Blutungen, wenn die Teilnehmer älter waren (dreifach erhöhtes Risiko bei ≥ 80-Jährigen, p < 0,001), rauchten (um 112%, p = 0,02), übergewichtig waren (um 36%, p = 0,03) oder eine chronische Niereninsuffizienz aufwiesen (um 46%, p = 0,006). Tranken sie regelmäßig Alkohol oder nahmen SSRI ein, beeinflussten sie ihr Risiko hingegen kaum. Blutungen des oberen Magen-Darm-Traktes waren zusätzlich erhöht, wenn die Probanden weitere NSAIDs verwendeten (um 70%, p = 0,01). Die Autoren analysierten in diesem Kontext, ob Probanden ihr Risiko für Hämorrhagien des oberen Magen-Darm-Traktes senken konnten, wenn sie zusätzlich Protonenpumpenhemmer einnahmen. Obwohl diese oftmals protektiv verordnet werden, schützten sie in dieser Studie nicht. Man könnte nun einwenden, dass dies eine reine Beobachtung ist und in einer Interventionsstudie überprüft werden sollte. Allerdings kam eine solche im letzten Jahr zu einem ähnlichen Ergebnis und identifizierte einen Benefit nur bei bekannten gastrointestinalen Läsionen [4]. Insgesamt ist die Datenlage jedoch widersprüchlich [5]. Es bedarf weiterer aufklärender Studien, um Nutzen und Risiken der Protonenpumpenhemmer bei Einnahme von 100 mg ASS besser gegeneinander abwägen zu können.
Risikofaktoren erhöhendas Blutungsrisiko
Es lässt sich zusammenfassen, dass das absolute 5-jährige Blutungsrisiko in der untersuchten Alterskohorte ohne ASS-Einnahme mit 0,25% relativ gering war. Nahmen Senioren zusätzlich 100 mg ASS ein, so lagen sie bei einem immer noch überschaubaren Risiko von 0,4%. Wenn gleichzeitig andere Risikofaktoren wie Übergewicht, Bluthochdruck, Niereninsuffizienz und Rauchen vorhanden waren, dann konnte sich das absolute Risiko eines 80-Jährigen schnell bis auf über fünf Prozent addieren. Die Erstautorin der Studie, Dr. Suzanna Mahady, hebt hervor: „Wir haben nun ein viel klareres Bild über das zusätzliche Blutungsrisiko von ASS und dass die Einnahme von ASS, wenn man zusätzliche Risikofaktoren aufweist […], ziemlich gefährlich sein kann“ [6]. Es muss jedoch berücksichtigt werden, dass die Ergebnisse nicht für Risikopatienten gelten. Ihnen wird bei fehlender kardiovaskulärer Grunderkrankung davon abgeraten, ASS einzunehmen [7]. |
Literatur
[1] McNeil JJ et al. Effect of Aspirin on All-Cause Mortality in the Healthy Elderly. N Engl J Med 2018;379:1519-1528
[2] Mahady SE et al. Major GI bleeding in older persons using aspirin: incidence and risk factors in the ASPREE randomised controlled trial. Gut 2020; Aug 3 epub ahead of print
[3] Lanas A et al. Risk of upper and lower gastrointestinal bleeding in patients taking nonsteroidal anti-inflammatory drugs, antiplatelet agents, or anticoagulants. Clin Gastroenterol Hepatol 2015;13:906-912
[4] Moayyedi P et al. Pantoprazole to prevent gastroduodenal events in patients receiving rivaroxaban and/or aspirin in a randomized, double-blind, placebo-controlled trial. Gastroenterology 2019;157:403-412
[5] Tran-Duy A et al. Should patients prescribed long‐term low‐dose aspirin receive proton pump inhibitors? A systematic review and meta‐analysis. Int J Clin Pract 2015;69:1088-1111
[6] Pressemitteilung der Monash University vom 12. August 2020. Aspirin use linked to gastrointestinal bleeding in elderly
[7] Piepoli MF et al. 2016 European Guidelines on cardiovascular disease prevention in clinical practice: The Sixth Joint Task Force of the European Society of Cardiology and Other Societies on Cardiovascular Disease Prevention in Clinical Practice (constituted by representatives of 10 societies and by invited experts) Developed with the special contribution of the European Association for Cardiovascular Prevention & Rehabilitation (EACPR). European Heart Journal 2016;37:2315-2381
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