Arzneimittel und Therapie

Keine Reparatur mehr möglich

ATR-Inhibitor Berzosertib verspricht neues onkologisches Wirkprinzip

Eine Tumortherapie zielt darauf ab, die Krebszellen dauerhaft zu schädigen. Die ATR-Inhibitoren, eine neue Gruppe von Onkologika, verhindern die Reparatur von DNA-Schäden. Ein Vertreter dieser Wirkstoffgruppe ist Berzosertib, der bereits in ersten klinischen Studien mit Erfolg eingesetzt wurde.

Zellen besitzen mehrere Möglichkeiten, DNA-Schäden zu reparieren. Diese Reparaturmöglichkeiten werden als DNA Damage Response (DDR) bezeichnet. Krebszellen sind in einem stärkeren Ausmaß als gesunde Zellen auf diese Reparaturmechanismen angewiesen, ohne die es zu einem raschen Absterben kommen kann. Die Antwort der geschädigten Zelle – mit dem Ziel einer Reparatur – wird unter anderem durch die beiden Kinasen ATM (ataxia-telangiectasia mutated) und ATR (ATM and Rad3 related) reguliert. Die Aufgaben von ATM und ATR ergänzen und überlappen sich. Sie aktivieren verschiedene Zellzyklus-Kontrollpunkte (G1, S und G2) und führen die geschädigte Zelle in den Zellzyklus-Arrest, um ihr Zeit zur DNA-Reparatur zu geben. Werden diese Möglichkeiten inhibiert, kann der Reparaturmechanismus nicht eingeleitet werden. Dieses Wirkprinzip liegt den ATR-Inhibitoren zugrunde, die bereits in präklinischen und frühen klinischen Studien eingesetzt werden. Dabei werden mehrere Möglichkeiten untersucht: Zum einen werden die ATR-Inhibitoren mit klassischen Zytostatika, Bestrahlungen, Checkpoint- oder PARP(Poly-ADP-Ribose-Polymerasen)-Inhibitoren kombiniert. Durch die Kombination kann die DNA-schädigende Wirkung dieser Therapien verstärkt werden. Zum anderen kommen die neuen Onkologika auch als Monotherapie bei Tumoren mit hohem Maß von Replikationsstress (Störung der DNA-Replikation) zum Einsatz.

Die Indikationen für die Gabe von ATR-Inhibitoren sind sowohl solide Tumoren wie auch hämatologische Neoplasien. Im Studienregister ClinicalTrials.gov der U.S. National Library of Medicine sind derzeit 27 Studien mit ATR-Hemmern aufgeführt (Stand 28. August 2020), meist wird der ATR-Inhibitor in einer Kombinationstherapie eingesetzt. Es handelt sich mehrheitlich um Phase-I/II-Studien mit acht unterschiedlichen Wirkstoffen. Einer von ihnen ist Berzosertib.

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Irreparabler Schaden: ATR-Inhibitoren verhindern die Reparaturmechanismen der Tumorzellen.

VielversprechendeStudienergebnisse

In einer Phase-I-Studie wurde Berzosertib (M6620) bei 40 mehrfach vorbehandelten Patienten mit unterschiedlichen soliden Tumoren eingesetzt. 17 Patienten erhielten eine Monotherapie, bei den übrigen 23 Patienten wurde Berzosertib mit dem Zytostatikum Carboplatin kombiniert. Diese Kombination bietet sich an, da Carboplatin seine Wirkung über eine Schädigung der DNA erzielt. Etwa bei der Hälfte der Patienten konnte das Tumorwachstum zunächst gestoppt werden. Zwei Ergebnisse werden besonders hervorgehoben: Bei einem Patienten mit Darmkrebs kam es unter der Monotherapie zu einer kompletten Remission und zu einem anhaltenden progressionsfreien Überleben (derzeit von 29 Monaten; Zeitpunkt der letzten Kontrolle). Bei einer Frau mit fortgeschrittenem, mehrfach vorbehandeltem Ovarialkarzinom kam es unter der Kombinationstherapie zu einer partiellen Response.

An einer Phase-II-Studie (NCT02595892) nahmen 70 Frauen mit einem weit fortgeschrittenen, rezidivierten Ovarialkarzinom teil. Die Patientinnen erhielten entweder eine Chemotherapie mit Gemcitabin oder Gemcitabin plus Berzosertib. Nach rund einem Jahr war das progressionsfreie Überleben bei den Patientinnen unter der Kombinationstherapie deutlich verlängert (22,9 Monate vs. 14,7 Monate). Auch beim Gesamtüberleben deutete sich ein Vorteil der Kombinationstherapie an (59 Wochen vs. 43 Wochen). Was unerwünschte Wirkungen anbelangt, so kam es unter der Monotherapie vor allem zu Rötungen, Nausea, Pruritus und Kopfschmerzen. Unter der Kombinationstherapie traten typische Zytostatika-Nebenwirkungen wie Neutropenie, Thrombozytopenie und Anämie auf. Eine derzeitige Einschätzung ist angesichts der vorliegenden Daten schwierig. Ob sich die Therapie mit ATR-Inhibitoren in der Praxis bewährt und welche Kombinationspartner geeignet sind, müssen weitere Studien klären. |
 

Literatur

Mei L et al. Ataxia telangiectasia and Rad3-related inhibitors and cancer therapy: where we stand. J Hematol Oncol. 2019;12(1):43. Published 2019 Apr 24. doi:10.1186/s13045-019-0733-6

Yap T et al. Phase I Trial of First-in-Class ATR Inhibitor M6620 (VX-970) as Monotherapy or in Combination With Carboplatin in Patients With Advanced Solid Tumors. doi: 10.1200/JCO.19.02404 Journal of Clinical Oncology. Published online June 22, 2020

Konstantinopoulos PA. Berzosertib plus gemcitabine versus gemcitabine alone in platinum-resistant high-grade serous ovarian cancer: a multicentre, open-label, randomised, phase 2 trial. Lancet Oncol 2020; doi:10.1016/S1470-2045(20)30180-7

Apothekerin Dr. Petra Jungmayr

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