Aus den Ländern

Graue setzt bei Rechenzentren auf vielfältige Kontrollen

Kritische Töne zum Eingreifen des Staates im Fall der AvP-Insolvenz

HAMBURG (tmb) | Dr. Jörn Graue, der Vorsitzende des Hamburger Apo­thekervereins (Hamburger AV), betrachtet gesetzlich vorgeschriebene zeitnahe Kontrollen der Verwaltungskonten und der offenen Treuhandkonten als das probateste Mittel, um die Rezeptabrechnung sicher zu gestalten. Bei der Online-Mitgliederversammlung des Vereins am 4. November äußerte er zudem Zweifel, ob das VOASG der große Wurf sei, mit dem ein EU-Vertragsverletzungsverfahren vermieden werde.
Foto: Archivbild DAZ/tmb

Dr. Jörn Graue hat Zweifel, ob das VOASG wirklich ein großer Wurf ist.

Graue berichtete zunächst über den Umgang mit Pandemien in der Geschichte. Bei der Pest und der Cholera seien dies lückenlose Kontrolle und rigorose Kasernierung gewesen. Doch in der Erkenntnis des sich seiner Freiheit bewusster werdenden Bürgers habe sich der Staat später bei den Pocken vorsichtiger verhalten, sich zunächst auf statistische Beobachtungen beschränkt und später mit Impfungen reagiert. Graue mahnte, jetzt dürften sich die Regierenden keinesfalls verleiten lassen, „vom Pockenmodell zum Pestmodell zurückzukehren“. Denn dann würde die Macht, die das Volk dem Staat geliehen hat, totalitär.

Erfolgreiche Gespräche mit den Krankenkassen

Graue sprach sich generell gegen den Ruf nach dem Staat aus – auch mit Blick auf die Apotheken. Denn „wenn der Staat gerufen wird, kommt er in der Regel, um zu bleiben“, erklärte Graue und erläuterte: „Mit jeder Stützungsmaßnahme steigt der staatliche Einfluss weiter. Der Staat gewinnt an Macht auf Kosten des Individuums und der Eigenverantwortung. Dadurch wird das Fundament einer freiheit­lichen, sozialmarktwirtschaftlichen Ordnung unterhöhlt.“ Letztlich gehe es um das Prinzip des eigenverantwortlich tätigen Heilberuflers in der eigenen Apotheke. Auch im Fall der AvP-Insolvenz verfolgt Graue daher einen anderen Weg. Er berichtete über mühsame und letztlich erfolgreiche Gespräche mit den Krankenkassen, um dort die Folgen der AvP-Insolvenz für die Apotheken deutlich zu machen. Dabei sei es insbesondere um schnelle Zahlungen für die September-Rezepte an die Apotheken nach dem Wechsel des Rechenzentrums und die Verar­beitung der Identitätskennzeichen der Apotheken gegangen.

Vielfältige Kontrolle als Schutz

Zur Aufarbeitung der AvP-Insolvenz verwies Graue auf die Historie. Diese zeige, dass die Kontrolle durch Standesgremien fast ausnahmslos wirksam sei und die Apotheken hinlänglich vor Schäden bewahre. Doch inzwischen gebe es Standesrechenzentren, standesnahe Rechenzentren und andere An­bieter, also auch Rechenzentren ohne diese Kontrolle. Weiter erklärte Graue, nachdem „ein unendlicher Wettbewerb vom Zaune gebrochen wurde, dem sich kaum ein Rechenzentrum entziehen kann, wird die Kostendeckung infrage gestellt.“ Die Rechenzentren müssten sich weiterer artfremder Einnahmequellen versichern, um nicht in Schieflage zu geraten. Zu den Konsequenzen erklärte Graue, es reiche sicherlich nicht aus, die Nutzung von Rechenzentren vorzuschreiben. Daraus ergebe sich keine staatliche Verpflichtung, einen Schaden zu ersetzen, schon gar nicht bei kriminellen Handlungen. Dass auch die BaFin Fehlverhalten nur begrenzt im Vorhinein sehen könne, würden die Vorgänge um Wirecard und AvP zeigen. Ein Abtretungs- und Fakturierungsverbot wie für soziale Sachleistungen lasse sich nur schwierig im § 300 Abs. 2 SGB V unterbringen, aber unmöglich sei es nicht. Doch das schütze nur bedingt vor krimineller Energie, könnte die Rechenzentren aber zu sehr ein­engen. Ein probateres Mittel seien ­gesetzlich vorgeschriebene zeitnahe Kontrollen der Verwaltungskonten und der offenen Treuhandkonten.

Zweifel am VOASG

Ein weiteres zentrales Thema in Graues Bericht war das Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetz (VOASG). Offenbar mit Blick auf die Aktivität des CSU-Abgeordneten Stephan Pilsinger erklärte Graue, auch gut gemeinte und angenommene Änderungsanträge würden ausländische Versender nicht binden, solange die Exekutive handlungsunfähig bleibe und der Judikative der Zugang verwehrt werde. Außerdem habe Graue erheb­liche Zweifel, ob es sich beim VOASG wirklich um einen großen Wurf handele, mit dem ein EU-Vertragsverletzungsverfahren vermieden werde. Die zu spät erhobene Forderung, die Streichung von § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG zu unterlassen, sei untergegangen. Zur Bedeutung dieser Regelung verwies Graue auf die „glänzende Argumentation“ der Juristen Elmar Mand und Hilko Meyer in ihrer Analyse „Arzneimittelpreisrecht auf dem Prüfstand“ in der Zeitschrift „Arzneimittel & Recht“. Doch solange die Regierung das Arzneimittelpreisrecht nicht als integralen Bestandteil des deutschen Gesundheitswesens ein­stufe, würden die Gerichte immer wieder zu dem Schluss kommen, dass höherrangiges Recht dem nationalen Interesse vorgehe. Doch ganz hat Graue die Hoffnung auf weitere gesetzgeberische Maßnahmen offenbar nicht aufgegeben. Denn er deutete mögliche Ergänzungen in künftigen Ge­setz­gebungsverfahren an, da der Bundestag das VOASG bereits verabschiedet hat. Als weiteres Pro­blem sprach Graue die auch von Mand und Meyer erwähnte Lücke im Makel- und Zuweisungsverbot für E-Rezepte an. Das Verbot müsse nicht nur für das Rezept, sondern auch für den Zugriffscode gelten. Über die Diskussion bei der Mitgliederversammlung zu weiteren Themen hat die AZ bereits berichtet (siehe AZ 46). |

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