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Beratung

Eine Frage der Haltung

Verspannungen sind häufig die Folge von überforderten Muskeln

Die moderne Zivilisation hat viele Vorteile, doch für den menschlichen Körper stellt sie eine Belastung dar. Immer mehr Menschen verbringen einen Großteil des Tages im Sitzen – auf dem Bürostuhl, der Couch oder im Auto. Viele beanspruchen durch monotone Bewegungen nur einzelne Muskelpartien. Die Folge sind Fehlhaltungen, die häufig zu Verspannungen führen. Die Lösung des Problems liegt auf der Hand – dennoch sind verspannungsbedingte Schmerzen ein weit verbreitetes Problem. | Von Martina Schiffter-Weinle

Muskelverspannungen sind die mit Abstand häufigste Ursache von Nackenschmerzen. Circa 85 bis 90% der unspezifischen Rückenschmerzen sind durch Fehlfunktionen und Verspannungen der Muskulatur bedingt. Von Muskelverspannungen spricht man, wenn die Grundspannung der Muskulatur, der Muskeltonus, infolge einer dauerhaften Anspannung erhöht ist. Die häufigsten Auslöser sind eine falsche Körperhaltung bzw. Fehlbelastung, zu wenig Bewegung oder Stress (siehe Kasten „Häufige Ursachen von Muskelverspannungen“).

Häufige Ursachen

  • Fehlhaltungen: Wer am Schreibtisch ständig vorgebeugt arbeitet oder auf einem zu niedrigen Stuhl sitzt, leidet besonders häufig unter schmerzhaften Muskelverspannungen. Auch eine gebeugte Haltung und hängende Schultern beim Stehen oder eine ungünstige Schlafposition können die Ursache sein. Solche unphysiologischen Gewohnheitshaltungen werden unbewusst eingenommen und führen zu Fehlbelastungen.
  • Eine Fehlbelastung durch ungünstige und immer wiederkehrende Bewegungen oder körperlich schwere Arbeit verursacht mit der Zeit Muskelverspannungen. Das betrifft z. B. Berufe mit einseitigen Bewegungsabläufen wie Maler oder die Arbeit mit schweren Lasten. Sportarten mit ruckartigen Bewegungsabläufen und falsch ausgeführte Sportübungen führen ebenfalls zu Fehlbelastungen.
  • Bewegungsmangel bringt die Muskulatur aus dem Gleichgewicht (muskuläre Dysbalance) und kann zu Muskelverkürzungen führen. Untrainierte Muskeln reagieren bereits auf leichte, ungewohnte Belastungen empfindlich.
  • Bei Verletzungen hilft sich der Körper, indem gesunde Muskelregionen die geschädigten Bereiche entlasten. Geschieht dies über einen längeren Zeitraum, werden die dauerhaft angespannten, ausgleichenden Muskeln überlastet und es kommt zu Verspannungen.
  • Psychische Belastungen wie Stress oder Angst wirken sich negativ auf unsere Haltung aus und können Verspannungen hervorrufen. Bei Angst „erstarren“ die Muskeln im wahrsten Sinne des Wortes. Stress oder unangenehme Situationen lassen die Betroffenen „den Kopf einziehen“. Starker Druck „lastet auf den Schultern“ und bei großem Kummer gehen wir „von Gram gebeugt“. Ist die Belastung dauerhaft, sind schmerzhafte Verspannungen, Verhärtungen und Fehlhaltungen die Folge.

Teufelskreis aus Schmerz und Verspannung

Oft beginnt alles mit einer Fehlhaltung bei langem Sitzen, zum Beispiel am Schreibtisch oder Computer. Es entsteht eine Dauerbelastung einzelner Muskelgruppen, sie werden nicht mehr ausreichend durchblutet und deshalb unzureichend mit Sauerstoff versorgt. Der Sauerstoffmangel stört die Stoffwechselprozesse im Muskel, was dazu führt, dass er sich zusammenzieht und sich die betroffenen Bereiche schmerzhaft verhärten. Infolgedessen nehmen die Betroffenen häufig – bewusst oder unbewusst – dauerhaft eine Schonhaltung ein, um die Schmerzen erträglich zu halten. Die Arbeit der von der Verspannung betroffenen Muskelpartien wird nun von anderen Muskeln übernommen, wodurch sich die Beschwerden ausbreiten oder verlagern können. Ein Teufelskreis aus Verspannungen und Schmerzen entsteht.

Leitsymptom Schmerz

Muskelverspannungen werden vor allem aufgrund der damit verbundenen Schmerzen wahrgenommen, die sich meist ziehend und dumpf anfühlen. Sie treten besonders in den Schultern, im Nacken oder Rücken auf, können aber auch über die Schultern bis in die Arme bzw. über das Gesäß in die Beine ausstrahlen. Die verspannte Muskulatur fühlt sich hart an. Es kann zu einer Einschränkung der Beweglichkeit kommen (z. B. steifer Nacken, steifer Hals). Angespannte einzelne Muskelbereiche sind manchmal als kleine Knoten (Myogelosen) in der Muskulatur zu tasten. Größere verspannte Muskelflächen werden Hartspann genannt.

Als Begleiterscheinung muskulärer Verspannungen können Spannungskopfschmerzen auftreten, also leichte bis mittelschwere, beidseitige Kopfschmerzen, die sich wie ein starker Druck anfühlen, der von außen auf den Kopf einwirkt. Sie treten meist episodisch auf und können eine halbe Stunde bis zu mehreren Tagen dauern. Von einer chronischen Form spricht man, wenn die Kopfschmerzen drei Monate hintereinander an jeweils 15 oder mehr Tagen im Monat auftreten.

Aktiv werden – wenn nötig mit Schmerzmitteln

Normalerweise verschwinden Kreuz- und Nackenschmerzen nach wenigen Tagen von alleine. Trotzdem sollte man beginnende Verspannungen nicht ignorieren, sondern sofort für eine ausgleichende Bewegung sorgen. Andernfalls riskiert man, dass sich die Verspannungen auf weitere Muskelgruppen ausdehnen, ein Schmerzgedächtnis entsteht und die Schmerzen in den verspannten Muskeln chronisch werden. Dafür sollten Betroffene im Beratungsgespräch unbedingt sensibilisiert werden. Um Verspannungen zu lösen hilft vor allem eines: Bewegung. Die Nationale Versorgungsleitlinie Kreuzschmerz empfiehlt ausdrücklich die Durchführung von Bewegungstherapie, um Schmerz zu reduzieren und die körperliche Funktionsfähigkeit zu verbessern. Betroffenen sollte deshalb geraten werden, ihre körperliche Aktivität so gut es geht beizubehalten oder sie schrittweise wieder aufzunehmen. Damit dies möglich ist, können bei akuten Beschwerden zur Schmerzlinderung kurzfristig nichtsteroidale Antirheumatika (NSAID) empfohlen werden. Zur oralen Einnahme stehen in der Selbstmedikation die Wirkstoffe Ibuprofen (Tageshöchstdosis dreimal täglich 400 mg), Diclofenac (Tageshöchstdosis dreimal täglich 25 mg) und Naproxen (Tageshöchstdosis 750 mg) zur Verfügung. Die Einnahme sollte nicht länger als vier Tage erfolgen.

Alternativ können topische Formulierungen (Cremes, Gele, Sprays oder Pflaster) angewendet werden. Sie haben den Vorteil, dass das Risiko systemischer Nebenwirkungen gering ist. Zudem hat das Einmassieren einen positiven psychologischen und schmerzreduzierenden Effekt. In einem im Jahr 2015 erschienenen Cochrane Review wurde untersucht, welche Rezepturen topischer NSAIDs Schmerzen im Bewegungsapparat (typischerweise Sportverletzungen) am effektivsten lindern. Das Ergebnis: Gel-Präparate von Diclofenac (z. B. Arthrex® Schmerzgel, Diclac® Schmerzgel, Voltaren® Schmerzgel) und Ketoprofen (rezeptpflichtig, z. B. Effekton Gel mit Ketoprofen) gehörten zu den wirksamsten, zusammen mit Ibuprofen Gel (z. B. Doc® Ibuprofen Schmerzgel, Proff® Schmerzgel, Dolobene® Ibu Gel) und Diclofenac Pflaster (z. B. Diclofenac-ratiopharm® Schmerzpflaster, Voltaren® Schmerzpflaster). Weitere NSAIDs, die in topischen Zubereitungen verwendet werden, sind Etofenamat (z. B. Traumon® Gel), Flufenaminsäure (z. B. Mobilat® Intens Muskel- und Gelenksalbe), Piroxicam (z. B. Piroxicam AL Gel) und Felbinac (z. B. ThermaCare® Schmerzgel). Auch Salicylsäure wird in Dermatika verarbeitet, z. B. in Kombination mit Chondroitinpolysulfat in Mobilat® DuoAktiv Schmerzgel.

Wärme und Massagen lockern die Muskulatur

Wärme regt die Durchblutung an und kann so die verspannte Muskulatur lockern. Die Anwendung von Tiefenwärme ist laut einer Studie ebenso effektiv in der Schmerzlinderung wie die Tageshöchstdosis Ibuprofen (1200 mg) oder Paracetamol (1000 mg), verursacht jedoch keine arzneimitteltypischen Nebenwirkungen. In der Nationalen Versorgungsleitlinie werden Wärmeanwendungen allerdings nicht ausdrücklich empfohlen. Moderate Bewegung kann die schmerzlindernde Wirkung von Wärme verstärken. Medizinische Pflaster enthalten die Wirkstoffe Capsaicin (z. B. ABC® Wärme-Pflaster Capsicum, Rheumaplast® 4,8 mg wirkstoffhaltiges Pflaster) oder dessen synthetisches Analogon Nonivamid (z. B. ABC® Wärme-Pflaster sensitive, Capsi-med® Wärmepflaster). Außerdem gibt es Medizinprodukte, bei denen die Wärmeentwicklung auf einer exothermen ­Reaktion von Eisenpulver mit Sauerstoff, katalysiert durch Aktivkohle, beruht (z. B. doc® Therma Wärme-Auflage bei Nackenschmerzen, SOS® Wärme-Pflaster, Thermacare® Wärmeumschläge und -auflagen).

Der wärmeauslösende Effekt von Capsaicin wird auch in Wärmesalben und -cremes genutzt (z. B. in Finalgon® CPD, ABC® Wärme Creme Capsicum, Thermo Bürger® Salbe, Rheumamed®). Das Capsaicin-Analogon Nonivamid findet man gemeinsam mit Nicoboxil, einem gefäßerweiternden ­B-Vitamin, in der Finalgon® Wärmecreme Duo. Diese Produkte sind allerdings nicht für empfindliche Haut geeignet und sollten mit großer Sorgfalt genau nach Anweisung angewendet werden. Eine Alternative zu Wärmepflastern und -cremes sind Wärmflaschen, Kirschkernkissen, Infrarotlampen oder warme Bäder mit durchblutungsfördernden Zusätzen wie Lavendel, Rosmarin oder Eukalyptus. Ähnlich einer Therapie mit Wärme führt auch die Massage verspannter Muskelgruppen dazu, dass deren Durchblutung steigt und somit die Sauerstoffzufuhr erhöht wird, wodurch Verspannungen gelöst werden. Massagen sollten unterstützend zur Krankengymnastik zum Einsatz kommen.

Wann zum Arzt?

Verspannungsbedingte Nacken- und Kreuzschmerzen sind meist harmlos. Sie bessern sich in der Regel innerhalb weniger Wochen von selbst. Bei starken, unklaren oder anhaltenden Beschwerden, extrem eingeschränkter Beweglichkeit oder Kribbeln bzw. Taubheitsgefühl in den Gliedmaßen sollte ein Arzt aufgesucht werden. Auch Symptome, die auf eine spezifische Ursache der Schmerzen hindeuten, machen einen Arztbesuch dringend notwendig. So können kürzlich aufgetretenes Fieber oder Schüttelfrost, Appetitlosigkeit und rasche Ermüdbarkeit beispielsweise auf eine Infektion hinweisen. Gewichtsverlust, Appetitlosigkeit, rasche Ermüdbarkeit, starker nächtlicher Schmerz und Schmerz, der in Rückenlage zunimmt, können Anzeichen einer Tumorerkrankung sein. Bei beinbetonten Schmerzen, Taubheit, Kribbeln, Lähmungserscheinungen, Blasen- und/oder Mastdarm­störungen besteht ein Verdacht auf ­einen Bandscheiben­vorfall. Auch Schmerzen nach einem schweren Unfall, z. B. einem Sturz, sollten ärztlich behandelt werden.

Die Achtsamkeit schärfen

Der Körper ruft Fehlhaltungen immer wieder automatisch ab. Deshalb ist es wichtig, sich seiner eigenen unphysiologischen (Schon-)Haltungen bewusst zu werden und diesen Mustern aktiv entgegenzuwirken. Um Verspannungen zu lösen und vorzubeugen, wählt man idealerweise eine Sportart, bei der der Körper gleichmäßig belastet wird, z. B. Schwimmen, Aquagymnastik, Radfahren, Skilanglauf, Nordic Walking, Spazierengehen oder Wandern. Zusätzlich kann ein moderates Krafttraining schwächere Muskelpartien gezielt stärken. Gleichzeitig sollten starke Muskelpartien gedehnt werden. Um dauerhafte Fehlhaltungen auszugleichen, ist in der Regel eine physiotherapeutische Anleitung nötig. Rückenschulen können ebenfalls gezielt Schwachpunkte entlang der Wirbelsäule kräftigen. Am Arbeitsplatz sollte man auf eine ergonomische Sitzposition achten.

Stress abbauen

Stress und innere Anspannung können die Körperhaltung verändern und zu Muskelverspannungen, vor allem in den Schultern, im Nacken und im Rücken führen oder diese verstärken. Neben Bewegung sollte deshalb auch zu regelmäßigen Pausen und Entspannung geraten werden. Betroffene müssen lernen, die Balance zwischen Anspannung und Entspannung wiederherzustellen. Wenn die seelische Anspannung sinkt, können auch die Muskeln „locker lassen“. Hierfür existieren verschiedene Entspannungsverfahren, wie autogenes Training, progressive Muskelrelaxation, meditative und imaginative Verfahren sowie Hypnose oder das Biofeedback, bei dem die Muskelspannung elektronisch gemessen und auf einem Computerbildschirm sichtbar gemacht wird. |

Literatur

Nicht-spezifischer Kreuzschmerz. Nationale VersorgungsLeitlinie der Bundesärztekammer (BÄK), Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF), AWMF-Register-Nr.: nvl-007, Langfassung, Version 1, 2. Auflage 2017, DOI: 10.6101/AZQ/000353

www.kreuzschmerz.versorgungsleitlinien.de

Kreuzschmerz. Nationale VersorgungsLeitlinie der Bundesärztekammer (BÄK), Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF), Kurzfassung, 1. Auflage, Version 5, 2011, DOI: 10.6101/AZQ/000251, http://doi.org/10.6101/AZQ/000251

Derry S, Moore R, Gaskell H, McIntyre M, Wiffen PJ. Topical NSAIDs for acute musculoskeletal pain in adults. Cochrane Database of Systematic Reviews 2015;6, Art. No.: CD007402. DOI: 10.1002/14651858.CD007402.pub3

Nadler SF et al. Continuous Low-level Heatwrap Therapy for Treating Acute Nonspecific Low Back Pain. Arch Phys Med Rehabil 2003;84:329-334

Nadler SF et al. Continuous Low-level Heatwrap Therapy Provides more Efficacy than Ibuprofen and Acetaminophen for Acute Low Back Pain. Spine 2002;27:1012-1017

Autorin

Martina Schiffter-Weinle studierte Pharmazie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Nach der Approbation arbeitete sie von 2006 bis 2012 als Apothekerin in Oxford, Großbritannien. Bis 2018 war sie Redakteurin bei PTAheute und PTAheute.de. Seit Juli 2018 ist sie Chefredakteurin von „Eins & Drei – Das Filialapotheken-Magazin“ und Redakteurin bei der Deutschen Apotheker Zeitung.

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