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AvP: Was wusste die BaFin?
Finanzaufsicht lagen keine Informationen zu Steuervergehen des AvP-Chefs vor
Es war Juli 2020, als Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) stärkere Kontrolle durch den Staat ankündigte. Vorausgegangen war der mutmaßliche Milliardenbetrug beim Zahlungsdienstleister Wirecard. 16 Maßnahmen will Scholz laut „Süddeutscher Zeitung“ in die Wege leiten, um die Finanzaufsicht zu stärken und die Transparenz zu verbessern. Darüber hinaus sollen Absprachen zwischen den Behörden vereinfacht werden. Entsprechende Gesetze kündigte der SPD-Politiker für spätestens Frühjahr 2021 an.
Konkret soll die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht schnell und direkt eingreifen sowie Sonderermittler einsetzen können, wenn ein Verdacht auf Unregelmäßigkeiten bei Unternehmen wie Banken, Versicherungen und Zahlungsdienstleistern besteht. Auch will man die Hinweise von Whistleblowern stärker nutzen und sogar proaktiv dafür sorgen, dass sich Informanten an die Aufsichtsbehörde wenden. Mit Blick auf diesen 16-Punkte-Plan stellt sich allerdings die Frage, mit welchen Methoden die BaFin bis dato gearbeitet haben muss, dass sich der Minister gezwungen sieht, diese Selbstverständlichkeiten auf die Agenda zu setzen. Doch im Wirecard-Skandal wurde deutlich, dass Informationen in der Behörde versickerten und zu keiner Sonderprüfung führten. Zu allem Überfluss spekulierten die Beschäftigten der Finanzaufsichtsbehörde laut Medienberichten sogar selbst mit Aktien von Wirecard.
Im selben Monat, als Minister Scholz Besserung versprach, fand beim Apothekenrechenzentrum AvP in Düsseldorf ein anlassbezogenes Aufsichtsgespräch durch die BaFin statt. Das schreibt die Bundesregierung in der Antwort auf eine Kleine Anfrage aus der AfD-Bundestagsfraktion, die vergangene Woche bekannt wurde. Was genau der Anlass war, darauf wird nicht konkret eingegangen. Doch im Zusammenhang mit dieser Aussage steht der Hinweis auf die handelsrechtlich vorgeschriebene Jahresabschlussprüfung durch einen Wirtschaftsprüfer. Die Deutsche Bundesbank wertet die Prüfungsberichte im Auftrag der BaFin aus und nimmt die Risikoklassifizierung vor. Auf Grundlage dieser Einschätzung tritt die BaFin erforderlichenfalls dann an die Institute heran und ergreift aufsichtsrechtliche Maßnahmen.
In der Sitzung des Gesundheitsausschusses Anfang Oktober hatte der vorläufige Insolvenzverwalter Dr. Jan-Philipp Hoos den Abgeordneten des Bundestages Einblicke in das AvP-Geschäftsmodell und die Unternehmensführung gegeben: Das Factoring-Konstrukt lief demnach viele Jahrzehnte mehr schlecht als recht. Die im Vergleich zu anderen Rechenzentren signifikant niedrigeren Gebühren und weitere, unverhältnismäßige Ausgaben hätten nach und nach zu einem Defizit in der Kasse von AvP geführt. Darüber hinaus habe es auch die eine oder andere Entnahme gegeben, die das Unternehmen ins Wanken brachte.
Kein Anlass für eine Sonderprüfung?
Die BaFin sah über Jahre hinweg offenbar keinen Anlass für eine Sonderprüfung bei AvP. Weder die rechtskräftige Verurteilung von AvP-Chef Mathias Wettstein aufgrund eines Steuervergehens im Jahr 2017 noch seine Einstufung als unzuverlässig durch das Verwaltungsgericht Düsseldorf machten die Behörde misstrauisch. Das Verwaltungsgericht hatte Wettstein die Fluglizenz entzogen, er durfte auch keine BaFin-Lizenz führen und musste die Geldgeschäfte in seinem Unternehmen daher offiziell Geschäftsführern überlassen. Auf Anfrage der DAZ beim Bundesfinanzministerium antwortet eine Sprecherin der BaFin wiederum: „Der BaFin lagen keine Informationen über die Erhebung einer öffentlichen Klage gegen eine Person des betreffenden Personenkreises bei der AvP Deutschland GmbH oder über eine diesbezügliche strafrechtliche Verurteilung vor.“
Dies deutet auf ein Kontrollproblem hin: In der Unternehmensdatenbank der BaFin befindet sich lediglich die AvP Deutschland GmbH als Factoring-Institut und nicht die von Wettstein geführte Aktiengesellschaft als Holding. Konkret heißt das: Die Apotheken erhielten zwar die Zahlungen aus der GmbH, doch Wettstein konnte in der Unternehmensgruppe über die Jahre weiterhin personalverantwortlich sein.
Erleichterte Konten
Bevor die BaFin die Gelder am 10. September einfror, wurden die AvP-Konten noch um einen dreistelligen Millionenbetrag erleichtert. Nach Informationen des vorläufigen Insolvenzverwalters Hoos handelte es sich um Abschlagszahlungen in Höhe von 125 Millionen Euro, die manuell von AvP an die Apotheken überwiesen wurden. Wer genau die Transaktionen veranlasst hat, dazu gibt es bisher kein offizielles Statement. Dem Vernehmen nach muss es der AvP-Chef selbst gewesen sein, der noch in der Unternehmenszentrale agierte wie der Kapitän auf einem sinkenden Schiff. Weiterhin gibt die BaFin in ihren Antworten auf die Anfrage der DAZ an, dass die Bilanz- und Kontoauffälligkeiten bei AvP dazu geführt hatten, dass das Unternehmen selbst Maßnahmen ergriff, „die aus Sicht der BaFin zunächst geeignet und ausreichend erschienen“. Weitere Schritte wie Maßnahmen zur Gefahrenabwehr und zur weiteren Gefahrenerforschung wurden vonseiten der BaFin nicht eingeleitet.
Sind Rechenzentren systemrelevant?
Darüber hinaus wollte die DAZ erfahren, ob man bei der BaFin nicht die Systemrelevanz eines Rechenzentrums, über das die Gelder aus der Solidargemeinschaft laufen, und der daran angeschlossenen Tausenden Apotheken erkannt hätte und daraufhin engmaschiger kontrollierte, als sich nur auf die Testate eines Wirtschaftsprüfers zu verlassen. Die Antwort: „Die Beurteilung einer Systemrelevanz von Finanzdienstleistungsinstituten für Teilmärkte der ‚Realwirtschaft‘, etwa für Apotheken, ist, so bedeutsam diese für diesen Teil der Realwirtschaft auch sein mag, nicht Gegenstand der durch die BaFin ausgeübten Finanzdienstleistungsaufsicht.“ Maßgeblich sei dagegen die Systemrelevanz für den Finanzsektor. Das Finanzdienstleistungsinstitut AvP Deutschland GmbH besitzt nach Ansicht der BaFin keine Systemrelevanz für den deutschen oder gar internationalen Finanzsektor.
Eine bemerkenswerte Aussage, die das Selbstverständnis dieser Behörde unterstreicht. Bei dem von SPD-Minister Scholz angekündigten Gesetzesvorhaben wird es vorrangig darum gehen, die Rechte der Anleger zu schützen. Unbeachtet bleibt dabei, welche Systemrelevanz die von der Insolvenz betroffenen Kunden haben – im AvP-Fall Tausende von Apotheken. Ein Umstand, der im Sonderausschuss der Gesundheitspolitiker des Bundestags am kommenden Mittwoch sehr wahrscheinlich zu Sprache kommen wird. Denn perspektivisch muss es gesetzgeberische Maßnahmen geben, die die Gelder der Krankenkassen besser vor Insolvenzen von Rechenzentren schützen und das Ausfallrisiko von den Leistungserbringern im Gesundheitswesen größtenteils abwenden. |
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