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Beratung

Mausarm, Geierhals und WhatsAppitis

Die gar nicht lustigen Folgen einer intensiven Mediennutzung

Für einen Golferarm oder einen Tennisellenbogen braucht man nicht auf dem Trainingsplatz gewesen zu sein. Derartige Überlastungsschäden entstehen häufig auch durch mehrstündige Computerarbeit oder intensive Nutzung von Smartphones, Tablet-Computern oder Spielekonsolen. Zur kurzfristigen Schmerzlinderung sind rezeptfreie Analgetika empfehlenswert. Muskel- und Sehnenbeschwerden können außerdem Nebenwirkungen von Arzneimitteln sein. Auch wenn aktuell nur wenige auslösende Wirkstoffe bekannt sind, sollte im Beratungsgespräch daran gedacht werden. | Von Claudia Bruhn 

Der Trend zu mehr Digitalisierung im Alltag, in der Schule und im Beruf hat auch Schattenseiten: Mausarm, Handy-Nacken, Tablet-Schulter oder SMS-Daumen sind Beispiele für Beschwerden, die das Potenzial haben, sich zu Volkskrankheiten zu entwickeln.

WhatsAppitis – die neue Volkskrankheit?

Die Begriffe SMS-Daumen, Handy-Daumen oder WhatsApp­itis bezeichnen Beschwerden, die durch schnelles und häufiges Tippen mit dem Daumen auf die analoge Handy-Tastatur oder auf das Display des Smartphones entstehen. Physiologische Bewegungen der Daumenbeuger sind das Greifen und Zupacken, also der Faustschluss. Wenn stattdessen der Daumen quer über die Tastatur oder das Display getreckt und dabei gespreizt und gedehnt wird, kommt es zur Überlastung der Strecksehnen. Sehnenscheidenentzündungen mit teilweise stechenden Schmerzen beim Verfassen von Textnachrichten, aber auch beim Schließen von Knöpfen oder Reißverschlüssen sind die Folge. Die wichtigste Maßnahme bei akut auftretenden Beschwerden ist die Schonung. Bei sehr starken Schmerzen helfen lokale Analgetika mit antiphlogistischer Wirkung wie Diclofenac und Ibuprofen. Durch physiotherapeutische Maßnahmen und Kinesio-Tapes kann der Heilungsprozess unterstützt werden. Zur Vorbeugung derartiger Beschwerden raten Orthopäden, Textnachrichten beidhändig einzutippen, damit der einzelne Daumen nicht zu große Distanzen überbrücken muss und dadurch weniger gedehnt wird. Wer ein Smartphone mit großem Display besitzt und/oder sehr viele Nachrichten schreibt, sollte bewusst Pausen mit Lockerungs- und Dehnübungen einlegen. Als Alternative zum Eintippen von Texten empfiehlt sich das Senden von Sprachnachrichten [1, 2].

Ganz ohne Sport zum Golferarm

Die Begriffe Golferarm, Tennisellenbogen, Mausarm oder Handy-Ellenbogen stehen für Schmerzen und andere Beschwerden infolge einseitiger Belastung von Sehnen, Muskeln und Gelenken im Ellenbogenbereich. So ist die langandauernde Beugung des Ellenbogens beim Telefonieren eine unphysiologische Haltung, die zu Überlastungsschäden führen kann. Möglich sind chronische Entzündungen des Sehnenansatzes (Epicondylus) der Beugermuskulatur an der Innenseite des Ellenbogens (Epicondylitis humeri ulnaris, ulna = lat. für Elle). Nicht nur Golfer und Vieltelefonierer, sondern auch Turner und Kraftsportler können betroffen sein. Typische Golferarm-Symptome sind Schmerzen an der Innenseite des Ellenbogens, besonders beim Beugen des Handgelenks, sowie ein Druckschmerz am Knochenvorsprung. Auch ein Schwächegefühl in der Hand ist möglich. Dagegen beschreibt der Begriff Tennisarm oder Tennisellenbogen (Epicondylitis humeri radialis, radius = lat. für Speiche) die Folgen einer Überbeanspruchung der Unterarm-Strecker. Dazu kann es außer beim Tennisspielen auch durch langes Arbeiten mit der PC-Maus oder beim Geige-Spielen kommen. Wie beim Golferarm können Mikrorisse an den Sehnen entstehen, die sich entzünden. Typische Symptome beim Tennisarm sind Druckschmerz an der Außenseite des Ellenbogens, Kraftlosigkeit und/oder Kribbeln in der Hand. Mittel der Wahl bei Epicondylitiden ist die Schonung, gegebenenfalls unterstützt durch Antiphlogistika in oraler oder lokaler Form (z. B. Voltaren® Schmerzgel). Häufig werden die betroffenen Muskeln mit Bandagen (Golferarm-Bandage, Epicondylitis-Spange) ruhig gestellt. Sobald die akuten Beschwerden nachlassen, können Dehn- und Kräftigungs­übungen sinnvoll sein [3, 4].

Schulterprobleme – das Impingement-Syndrom

Eine häufige Erkrankung im Schulterbereich ist das Impingement-Syndrom (impingement = engl. das Auftreffen). Dabei handelt es sich um eine Einengung zwischen Schulterdach- und Oberarmknochen, die die Sehnen und Schleimbeutel beeinträchtigt. Sie kann beispielsweise durch häufiges und langes Sitzen am Schreibtisch mit aufgestützten Unterarmen entstehen. Dabei wird der Oberarmknochen fest in die Gelenkpfanne und in Richtung Schulterdach gedrückt. Als Folge können Sehnen und der Schleimbeutel eingeklemmt werden. Typische Symptome sind beispielsweise Kraftverlust, Schmerzen beim seitlichen Anheben der Arme oder beim Anziehen einer Jacke sowie Reibegeräusche im Gelenk. Durch Krankengymnastik, Manualtherapie oder Stoßwellenbehandlung können die Beschwerden gelindert und im besten Fall beseitigt werden [5, 6].

Ganz ohne PC zum Schulterschmerz

Die Ursachen für Schulterschmerzen sind nicht nur in der Schreibtisch- und Bildschirmarbeit oder in der altersbedingten Abnutzung zu suchen. Ein einseitiger akuter Schulterschmerz tritt bekanntlich in Zusammenhang mit einem Herzinfarkt auf. Auch bei Patienten mit Diabetes mellitus, Fettstoffwechselstörungen oder Funktionsstörungen der Schilddrüse kommt es gehäuft zu Schulterschmerzen, wobei die Pathophysiologie noch weitgehend unbekannt ist. Dabei wird auch das Phänomen der Frozen Shoulder (engl. eingefrorene Schulter) beobachtet – Folge einer Entzündung der Gelenkschleimhaut und der Kapselstrukturen der Schulter. Nach anfänglich starken Schmerzen kommt es durch die Schrumpfung der Schultergelenkkapsel zu Versteifungen, die sich nach mehreren Monaten wieder zurückbilden können. Physiotherapie oder eine Behandlung mit Prednisolon können die Schmerzen lindern [7].

Prophylaxe und Therapie des Handynackens

Als Handynacken (engl.: nerd neck) werden Muskelverspannungen und Schmerzen im Nacken- und Schulterbereich bezeichnet, die durch Überlastung der Halswirbelsäule infolge einer geneigten Kopfhaltung („Geierhals“) entstehen. Eine untrainierte Rückenmuskulatur begünstigt deren Entstehung. Die Belastung ist umso stärker, je weiter der Kopf nach vorn geneigt wird. So wirken bei einer Beugung der Halswirbelsäule von circa 15 Grad nach vorn zusätzlich zum Kopfgewicht etwa 13 Kilogramm auf den Rücken. Beim Abwinkeln des Halses um 45 Grad sind es sogar über 20 Kilogramm. Problematisch ist diese Haltung bei mehrstündiger Beschäftigung mit dem Tablet oder Smartphone, denn dann werden Muskeln, Sehnen und Bandscheiben stark beansprucht, die Halswirbelsäule wird überlastet. Die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DKOU) empfiehlt deshalb, regelmäßig Pausen einzulegen und diese für Lockerungsübungen zu nutzen. Mobile Geräte sollten näher vor das Gesicht gebracht werden. Es sei besser, die Augen anstelle des Kopfes zu senken. Zudem müsse die Haltung immer wieder überprüft und gegebenenfalls korrigiert werden [8].

Akute Nackenschmerzen aufgrund von Fehlhaltungen, wie sie bei der Mediennutzung entstehen, können häufig erfolgreich in der Selbstmedikation therapiert werden. Die 2017 publizierte Handlungsempfehlung der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin (DEGAM) empfiehlt die kurzfristige Anwendung von NSAR und als nichtmedikamentöse Maßnahmen Bewegung und lokale Wärme [9]. Bei NSAR haben Betroffene die Wahl zwischen oralen und lokalen Darreichungsformen mit Diclofenac und Ibuprofen als halbfeste Zubereitungen (z. B. Voltaren® Schmerzgel, Ibutop® Schmerzcreme). Für die Wärmeanwendung können im Beratungsgespräch Kompressen (z. B. NexcareTM ColdHot Kompresse) und Auflagen zum Aufkleben auf die Haut (SOS® Wärmeumschlag, ThermaCare®) empfohlen werden. Außerdem stehen Pflaster oder Cremes mit Capsaicin, Cayennepfeffer-Dickextrakt oder Nonivamid zur Verfügung.

Auf einen Blick

  • Bei mehrstündiger Computerarbeit oder intensiver Nutzung von Smartphones, Tablet-Computern oder Spielekonsolen besteht ein Risiko für Überlastungsschäden an Muskeln, Sehnen und Gelenken wie Epicondylitiden, Sehnenscheidenentzündungen oder das Impingement-Syndrom.
  • Betroffenen können Schonung, Ruhigstellung mit Bandagen, Physiotherapie und orale oder lokale Antiphlogistika empfohlen werden.
  • Zur Prophylaxe ist es empfehlenswert, bei mehrstündiger Mediennutzung auf die orthopädisch korrekte Haltung zu achten und regelmäßig Pausen mit Lockerungsübungen einzulegen.
  • In der Apotheke sollte im Beratungsgespräch mit Betroffenen die Einnahme von Wirkstoffen hinterfragt werden, die als Nebenwirkung Muskel- bzw. Sehnenbeschwerden auslösen können. Dazu zählen vor allem Statine und Fluorchinolone.

Sehnenprobleme und Muskelschmerzen durch Arzneimittel

Beim Beratungsgespräch in der Apotheke sollte auch in Betracht gezogen werden, dass Sehnenprobleme und Muskelschmerzen eine Arzneimittel-Nebenwirkung sein könnten. Für die Identifizierung ist eine Recherche in der Kundenkartei oder im Medikationsplan hilfreich. Die wohl bekannteste Wirkstoffgruppe mit der Nebenwirkung Muskelbeschwerden sind die Statine. Sie treten jedoch auch bei einigen anderen Arzneistoffen auf (s. Tab.). Das Risiko für die potenziell lebensbedrohliche Statin-Nebenwirkung Rhabdomyolyse muss auch beachtet werden bei gleichzeitiger Gabe von Wirkstoffen, die die Plasmakonzentration der Statine erhöhen. Dazu zählen beispielsweise Azole wie Ketoconazol und Itraconazol, Makrolidantibiotika wie Clarithromycin und Telithromycin, HIV-Protease-Inhibitoren wie Ritonavir und Lopinavir und viele weitere. Außerdem können Muskelschmerzen, Muskelschwäche und Sehnenentzündungen bis hin zur Sehnenruptur bei Fluorchinolonen auftreten. Dazu war im Jahr 2019 ein Rote-Hand-Brief erschienen [10]. In Deutschland sind derzeit Cipro-, Levo-, Moxi-, Nor- und Ofloxacin zugelassen. Patienten sind gehalten, bei ersten Anzeichen für Sehnen-, Muskel- und Gelenkprobleme die Therapie zu beenden und sich an ihren Arzt zu wenden [11, 12]. |

Tab.: Wirkstoffe, die Sehnen- oder Muskelbeschwerden als unerwünschte Wirkung auslösen können [Fachinformationen]
Wirkstoff/-gruppen (Beispiele)
Präparate (Beispiele)
Nebenwirkungen (Auswahl)
Häufigkeit*
Amiodaron
Cordarex® Tabletten
Muskelschwäche
häufig
vorübergehende Gelenk- und Muskelschmerzen
nicht bekannt
Chloroquin
Resochin® Tabletten
myasthenisches Syndrom, Myopathien
selten
Ciclosporin
Sandimmun® Kapseln
Myalgie, Muskelkrämpfe
häufig
Muskelschwäche, Myopathie
selten
Colchicin
Colchysat® Bürger Flüssigkeit
Myopathie, Rhabdomyolyse
sehr selten
Myoneuropathien, Muskelschwäche
häufig
Fenofibrat
Lipidil® Kapseln
Muskelerkrankungen (z. B. Myalgie, Myositis, Muskelkrämpfe und -schwäche)
gelegentlich
Prednison
Lodotra® Tabletten
Muskelatrophie und -schwäche
häufig
Fluorchinolone z. B. Ciprofloxacin
Ciprobay® Tabletten
Rücken- und Gelenkschmerzen
gelegentlich
Tendinitis, Sehnenruptur
sehr selten
Myalgie, Arthritis
selten
Statine z. B. Atorvastatin
Sortis® Tabletten
Muskelspasmen, Gelenkschwellungen
häufig
Nackenschmerzen, Muskelschwäche
gelegentlich
Myopathie
selten

* sehr häufig (≥ 1/10), häufig (≥ 1/100 bis < 1/10), gelegentlich (≥ 1/1.000 bis < 1/100), selten (≥ 1/10.000 bis < 1/1.000), sehr selten (< 1/10.000), nicht bekannt (Häufigkeit auf Grundlage der verfügbaren Daten nicht abschätzbar)

Literatur

 [1] Von allem etwas zu viel gemacht: Handy-Daumen. www.helios-gesundheit.de/kliniken/berlin-buch/unser-angebot/unsere-fachbereiche/orthopaedie/handydaumen/, Abruf am 22. September 2020

 [2] Fernandez-Guerrero IM. WhatsAppitis. Lancet 2014;383:1040

 [3] Epicondylopathia radialis humeri. S2k-Leitlinie, Hrsg. Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie e.V. (DGOOC), AWMF-Registernummer 033 – 019, Stand: 31. Juli 2019, gültig bis 31. Dezember 2023

 [4] Golferarm, Tennisarm: www.netdoktor.de/krankheiten/tennisarm/golferarm/, Abruf am 23. September 2020

 [5] Impingement-Syndrom der Schulter – wenn es in der Schulter zu eng wird. www.liebscher-bracht.com/schmerzlexikon/impingement-syndrom-der-schulter/#, Abruf am 22. September 2020

 [6] Experten raten zur sorgfältigen Abklärung bei Schulterschmerz. Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DKOU) vom 14. Oktober 2019, https://dgou.de/presse/pressemitteilungen/detailansicht-pressemitteilungen/artikel/experten-raten-zur-sorgfaeltigen-abklaerung-bei-schulterschmerz/, Abruf am 22. September 2020

 [7] Habermeyer P et al. Orale Cortisonstufentherapie zur Behandlung der Frozen shoulder. https://deutsches-gelenkzentrum.de/wp-content/uploads/2015/12/Frozen-shoulder.pdf, Abruf am 22. September 2020

 [8] Rückengesundheit: Orthopäden und Unfallchirurgen geben Tipps gegen den Handynacken. Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie vom 10. März 2016, https://dgou.de/presse/pressemitteilungen/detailansicht-pressemitteilungen/artikel/rueckengesundheit-und-unfallchirurgen-geben-tipps-gegen-den-handynacken/, Abruf am 23. September 2020

 [9] Scherer M, Chenot JF. S1-Handlungsempfehlung Nackenschmerzen. Hrsg.: Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM), AWMF-Register-Nr. 053-007, Stand Juni 2016, gültig bis Juni 2021

[10] Systemisch und inhalativ angewendete Chinolon- und Fluorchinolon-Antibiotika: Risiko von die Lebensqualität beeinträchtigenden, lang anhaltenden und möglicherweise irreversiblen Nebenwirkungen – Anwendungsbeschränkungen. Rote-Hand-Brief vom 8. April 2019, www.bfarm.de/SharedDocs/Risikoinformationen/Pharmakovigilanz/DE/RHB/2019/rhb-fluorchinolone.html, Abruf am 21. September 2020

[11] Heuß D et al. Diagnostik und Differenzialdiagnose bei Myalgien, S1-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie, Stand Februar 2020, gültig bis 31. Januar 2025, www.dgn.org/leitlinien, abgerufen am 21. September 2020

[12] Fachinformationen der genannten Präparate

Autorin

Dr. Claudia Bruhn ist Apothekerin und arbeitet als freie Medizinjournalistin und Autorin in Berlin.

Seit 2001 schreibt sie Beiträge für Zeitschriften des Deutschen Apotheker Verlags sowie für medizinische Fachverlage.

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