Aus den Ländern

Antibiotika: Verantwortung in der Offizin

Arzneimittelresistente Infektionen als Schwerpunkt der FIP Virtual 2020

mp | Während wir seit Monaten versuchen, eine Pandemie zu bewältigen, bahnt sich eine neue, globale Seuche multiresistenter Erreger an. Experten warnen vor einer sich rasch nähernden „postantibiotischen Ära“. Diese Bedrohung war auch ein Schwerpunkt des FIP Virtual 2020, dem Online-Kongress der International Pharmaceutical Federation (FIP). Die Dozierenden sind sich sicher: Nur mithilfe der Apotheken vor Ort können wir der Lage Herr werden.
Screenshot: DAZ

Die Vorträge der „FIP Virtual 2020“ können jetzt auf dem offiziellen Youtube-Kanal der FIP angesehen werden.

Vom 4. bis zum 25. September 2020 veranstaltete die internationale Pharmazeuten-Vereinigung FIP zahlreiche Online-Vorträge, -Seminare und Diskussionen im Rahmen der FIP Virtual 2020. In mehreren dieser Vorträge stellten Sabiha Essack, Vorsitzende des südafrikanischen Forschungszentrums für Antibiotikaresistenzen, Elsa Lopez Pintor von der Universidad de Elche und Philip Howard, Consultant Pharmacist für Antimicrobials in Leeds (England), die aktuelle Lage zu Antimicrobial Resistance (AMR) und ihren Fahrplan gegen eine weitere Eskalation vor. Die Vorträge können auf dem offiziellen Youtube-Kanal der FIP angesehen werden.

Eine unpopuläre Bedrohung

Jährlich sterben 700.000 Menschen an arzneimittelresistenten Infektionen. Schätzungen zufolge werden es 2050 bereits zehn Millionen Tote pro Jahr sein, wenn wir keinen neuen Umgang mit Antiinfektiva etablieren. Die gesundheitspolitische Bedrohung von AMR wird weitreichende Auswirkungen auf die globale Wirtschaft haben. Infolgedessen werden auf der ganzen Welt massive Kosten auf die Gesundheitssysteme zukommen. Gleichzeitig werden Menschen unter die Armutsgrenze fallen. Trotz der alarmierenden Situation beschäftigen sich laut einer Umfrage der FIP gerade einmal die Hälfte der Regierungen weltweit mit Strategien, die Resistenzentwicklungen aufhalten würden. Neben finanziellen und institutionellen Hürden mangele es dabei an einer ausreichenden Aufklärung der Bevölkerung. Zudem überschätze die Bevölkerung die Kapazitäten der Ärzte, Arzneimittel­resistenzen eindämmen zu können. Niemand fühle sich verantwortlich, dieses Problem anzugehen. Die Dozierenden stimmen überein, dass Pharmazeuten diejenigen sind, die das Wissen und die richtige Position besitzen, um die Initiative ergreifen zu können. Sie nennen drei Bereiche, in denen Apotheker schon jetzt die Eindämmung von Resistenzen anführen und weiter ausbauen können:

Der Schlüssel in der Beratung

Einer davon betrifft die Patientenschulung und Sensibilisierung der Bevölkerung. Zum Beispiel erwarten Patienten in Europa oft bei einfachen Symptomen der Atemwege, dass ihnen Antibiotika verschrieben werden. Diese Patienten erscheinen oft schon in der Offizin, noch bevor sie beim Arzt waren. Hier muss die Apotheke an der Schulung der Patienten mitwirken und ihnen ihre falschen Erwartungen nehmen. Sie sollten ihre Patienten bestmöglich über evidenzbasierte Behandlungen leichter Infektionen ohne den Einsatz von Antiinfektiva beraten können. Laut dem englischen Pharmazeuten Professor Philip Howard ist eine gute Schulung der Patienten der Schlüssel, das Vertrauen in die Kompetenz der öffentlichen Apotheken zu erhöhen. Patienten würden oft ihre Antibiotikaeinnahme beenden, wenn sie sich besser fühlen oder Alkohol trinken wollen. So reiche die Behandlungsdauer mitunter nicht aus, und resistente Erreger bleiben im Organismus zurück. Ein Teil der nicht verwendeten Arzneimittel werde über Abflüsse entsorgt, gelange in den Wasserkreislauf und könnte so wiederum Resistenzen verursachen. Patienten sollten dazu angehalten werden, überzählige Antibiotika in der Apotheke abzugeben.

Apotheker beugen vor

Zum Zweiten seien Apotheker bei der Prävention von Resistenzen an vorderster Front. Nicht nur während der Pandemie arbeiteten und berieten Apotheker zu Hygienemaßnahmen, stellten Desinfektionsmittel bereit und engagierten sich als Hygienebeauftragte. Zusätzlich ist das Thema Impfen ein zentrales Anliegen der FIP. Sie sei eine der wirksamsten Präventionsmaßnahmen gegen Arzneimittelresistenzen. Hohe Impfquoten vermeiden, dass Antibiotika verschrieben werden müssen und entlasten die Gesundheitssysteme kosteneffektiv. Die FIP appelliert an die Regierungen, Apotheken bei Impfungen mehr einzubeziehen, um mit einer einfachen Maßnahme die Arzneimittelresistenzentwicklung aufzuhalten.

Antibiotic Stewards vor Ort

Doch für Howard und Lopez muss in Europa das wichtigste Ziel sein, dass „Pharmacists on the ground“ als die Verantwortlichen für den korrekten Antibiotikaeinsatz wahrgenommen werden. Weltweit und hierzulande arbeiten bereits viele Krankenhausapotheker in sogenannten Antimicrobial bzw. Antibiotic-Stewardship(ABS)-Teams (s. Kasten). In diesen interdisziplinären Arbeitsgruppen erheben sie lokale Daten, werten diese aus, erstellen Leitlinien und sprechen mit Ärzten und Patienten, um Resistenzentwicklungen vorzubeugen. Doch 80% der Antibiotikaverordnungen werden nicht im Krankenhaus, sondern im ambulanten Sektor verordnet. Howard betont: „Um uns den fatalen Entwicklungen entgegenzustellen, müssen wir die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der FIP in unser alltägliches Handeln übernehmen. ­Öffentliche Apotheken stehen an der Front der Gesundheitsversorgung und spielen eine zentrale Rolle beim korrekten Antibiotikaeinsatz. Sie sollten das Stewardship-Konzept in den Köpfen der verschreibenden Ärzte und der Patienten verankern.“

ABS in deutschen Offizinen

Mit der Einführung der elektronischen Patientenakte im Januar 2021 werden Apotheker vermehrt Zugang zu Labordaten von Patienten haben, die die Bewertung von Antibiotikaverschreibungen in der Offizin erleichtern dürften. Doch schon jetzt können Apotheker einige Punkte des 8-D-Konzeptes hinterfragen, um einzuschätzen, ob bei der vorliegenden Verordnung eine Intervention nötig wäre:

  • Diagnose (nichtvirale Ursache?)
  • Drug choice (korrektes Arzneimittel für das Erregerspektrum?)
  • Darreichungsform
  • Dosierung (wird die minimale Hemmkonzentration erreicht?)
  • Dosierungsintervall (fällt der Blutplasmaspiegel unter die minimale Hemmkonzentration?)
  • Dauer der Behandlung
  • Disposal (wird die Umwelt durch das Arzneimittel kontaminiert?)
  • Dialog (mit verordnendem Arzt bzw. Patient)

Alles andere als etabliert

Doch die Dozierenden sind sich auch bewusst, welche Schwierigkeiten diesem Ziel noch im Wege stehen. Diese beginnen schon bei der Ausbildung von Apothekern. Aktuell werden in fast allen europäischen Pharmazie-Curricula die Themen Antiinfektiva und Resistenzen im Rahmen der Mikrobiologie oder der Pharmakologie rein theoretisch betrachtet. Im Pharmaziestudium müsse unbedingt der praktische Umgang mit Antibiotika sowie die Kommunikation mit Ärzten und Patienten vermittelt werden.

In der Praxis müsste ein Kontrollsystem erarbeitet werden, mit dem wichtige Daten zu Verschreibungen und Resistenzentwicklungen im ambulanten Bereich zentral erfasst werden. Für eine restriktive Kontrolle der Abgabe über die Apotheke müssten Leitlinien erstellt und laufend aktualisiert werden. Professor Howard empfiehlt Apothekern, in deren Land keine entsprechenden Leitlinien etabliert sind, einen Blick in das online abrufbare Dokument „Summary of antimicrobial prescribing guidance – managing common infections“ der britischen Gesundheitsbehörde NICE zu werfen. Zudem können Apotheken schon jetzt mit der „AWaRe Classification Database“ arbeiten, das die WHO 2019 einführte. In diesem ebenfalls online frei zugänglichen Dokument werden alle zugelassenen Antibiotika in drei Klassen eingeteilt:

  • Access: Antibiotika erster oder zweiter Wahl mit vergleichsweise geringem Resistenzpotenzial.
  • Watch: Erhöhtes Risiko für Resistenzentwicklungen bzw. hochrelevante Antiinfektiva für die Humanmedizin. Diese Arzneimittel sollten im Fokus von Stewardship-Programmen liegen.
  • Reserve: nur bei nachgewiesener oder erwarteter Infektion mit multiresistenten Erregern und nur als letzte Option bei hochspezifischen Patienten und Umständen.

Howard weiß, dass viele Apotheker Hemmungen haben, regelmäßig bei ihren benachbarten Hausärzten zu intervenieren. „Versuchen Sie einen Termin mit dem Arzt zu vereinbaren und diskutieren Sie, wie Sie sich besser abstimmen könnten.“ Hausarztpraxen seien in der Regel mit Arbeit überfrachtet. Viele seien dankbar, dass die öffentliche Apotheke ihnen einen Teil der Belastung abnimmt.

AMR Commission

Darüber hinaus rief die International Pharmaceutical Federation am 24. September, dem vorletzten Tag der FIP Virtual 2020, die „FIP AMR Commission“ ins Leben. Die Kommission wird Initiativen, die sich aktuell mit der Erforschung, der pharmazeutischen Praxis und der Schulung zu Antibiotikaresistenzen auseinandersetzen, finden und vernetzen. Sie möchte eine Agenda für die pharmazeutische Forschung formulieren, um das Problem um arzneimittelresistente Infektionen effektiv anzugehen. Außerdem möchte die neu gebildete Kommission vermehrt Schulungsprogramme für Apotheker organisieren sowie praktische Hilfsmittel zur Datenerhebung und zur restriktiven Antibiotikaabgabe für öffentliche Apotheken etablieren. |

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