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Wirtschaft

Zwischen den Zeilen

Wie sich das IGES-Gutachten weiterdenken lässt – ein Meinungsbeitrag

 Knapp vier Jahre nach dem für die Vor-Ort-Apotheken so verhängnisvollen EuGH-Urteil zur Arzneimittelpreisbindung liegt ein Gutachten, erstellt vom renommierten IGES-Institut, unter Beteiligung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), jetzt auf dem Tisch. Das Werk gibt weder Handlungsempfehlungen noch stellt es Forderungen auf – diese lassen sich aber zwischen den Zeilen finden, wie Uwe Hüsgen in seinem folgenden Meinungsbeitrag darstellt. | Von Uwe Hüsgen

Die Frage nach dem Auftraggeber dieses Gutachtens ist schnell beantwortet: das Bundesministerium für Gesundheit (BMG). Da reibt man sich verwundert die Augen und darf fragen: Fiele die Auftragsvergabe eines solchen ökonomischen Gutachtens nicht in den Zuständigkeitsbereich des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWi)? Denn das BMWi ist z. B. auch federführend für die Arzneimittelpreisverordnung zuständig. Aber solche Grundsatzfragen scheinen für den amtierenden Gesundheitsminister nebensächlich. Ordnungspolitik ist nicht seine Stärke; Hauptsache, man beweist Gestaltungswillen und setzt seine Vorstellungen durch. Dabei gäbe es für ihn im eigenen Haus noch genug zu tun.

So verfügt Deutschland seit Jahren über eine strategische Ölreserve von annähernd 160 Mio. Barrel (Die Klimaziele lassen grüßen!), mit einem geschätzten Wert von 11 Milliarden Euro. Nach einer nationalen Arzneimittelreserve hingegen, wie sie der ehemalige Präsident des BfArM, Prof. H. Schweim, seit Jahren fordert (vgl. DAZ 2018, Nr. 45, S. 24), sucht man bis heute vergeblich. Von der Umsetzung des im Koalitionsvertrag empfohlenen Versandhandelsverbotes für Rx-Arzneimittel (aufgrund des o. g. EuGH-Urteils) ganz zu schweigen.

Und es kommt einem Skandal gleich, dass das BMG auf eine bereits vor Jahren gestellte Anfrage des OLG München in dieser Sache offensichtlich bis heute nicht einmal reagiert hat! Da fragt man sich schon manchmal: Sitzt im BMG vielleicht der falsche Mann am falschen Platz?

Der Auftrag des Gutachtens

Ihren Auftrag formulieren die Gutachter wie folgt: Ziel des Gutachtens ist (vor diesem Hintergrund [d. h. des o. g. EuGH-Urteils]) eine Analyse der Auswirkungen einer veränderten Preisbindung bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln auf den Apothekenmarkt in Deutschland.

Keine Frage: Mit diesem Gutachten ist eine Fleißarbeit vorgelegt worden, angereichert mit vielen aufschlussreichen Statistiken. Einige davon verleiten – bewusst oder unbewusst – zu Schlussfolgerungen, die diese Statistiken einfach nicht hergeben. Dazu später mehr.

Die zentrale These des Gutachtens findet der aufmerksame Leser in Kapitel 4 „Theoretische Analyse des Apothekenmarktes und der Wirkungen unterschiedlicher Regulierungen“, das – leicht abgewandelt – ohne Weiteres als „klassische Handelsbetriebslehre bis zu Anfang dieses Jahrhunderts“ durchgehen könnte. Diese These wird formuliert in der Überschrift zu Unterkapitel „4.2.2 Apotheken – Apotheken werden in der Modellierung wie Unternehmen behandelt, deren Ziel die Maximierung ihres Gewinnes ist.“

Für lupenreine Betriebswirte mag dies eine realistische Arbeitsgrundlage sein, aber es ist zu bezweifeln, dass ein solches Modell die Handlungsweise heilberuflich tätiger Apotheker und ihrer Mitarbeiter beschreibt.

So gilt für Präsenzapotheken als mittelständische Betriebe bis in die Gegenwart die Aussage: „Auf Dauer können im System der Sozialen Marktwirtschaft nur rentabel betriebene Apotheken die ordnungsgemäße Arzneimittelversorgung der Bevölkerung sicherstellen.“ Dabei sieht die Ap­BetrO in § 17 explizit vor, dass Apotheken bei begründetem Verdacht auf Missbrauch die Abgabe verweigern, bei pharmazeutischen Bedenken Rücksprache mit dem Arzt nehmen. Da Arzneimittel auch deshalb immer noch „Waren der besonderen Art“ sind, kann bei Präsenzapotheken von Gewinnmaximierung als prioritäres Unternehmensziel keine Rede sein. Beim Versandhandel hingegen werden Arzneimittel eher wie Konsum- bzw. Massenware vertrieben. Hier stehen neben dem Sammeln (und dem Verkauf) von Daten insbesondere Marktanteilssteigerungen weit vor Gewinnmaximierung.

Demzufolge unterscheiden sich die Unternehmensziele von Präsenzapotheken und Arzneimittel-Versendern eklatant: hier „Rentabilität“ – da „Marktanteil und Big Data“.

Arzneimittelversorgung im Spannungsfeld zweier unterschiedlicher Wirtschaftssysteme

Die Gutachter sind aufgrund dieser verschiedenartigen Unternehmensziele vor die an sich unlösbare Aufgabe gestellt worden, die Auswirkungen einer veränderten Preisbindung bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln auf den Apothekenmarkt in Deutschland unter den Wettbewerbsbedingungen zweier unterschiedlicher Wirtschaftssysteme (Soziale Marktwirtschaft versus kapitalgetriebene Plattformökonomie) zu analysieren.

Damit kann das Gutachten auch so gut wie nichts zur Lösung des gestellten Problems beitragen, wie eine der Gutachterinnen anlässlich der öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Gesundheit sogar artikuliert hat, als sie feststellte, dass das im Gesetzentwurf angedachte Boni-Verbot die Probleme schwacher Apotheken in keinem Fall alleine lösen könne. Auch deshalb haben die Gutachter, vermutlich bewusst und völlig zu Recht, in dieser Situation auf Handlungsempfehlungen verzichtet. Damit haben sie ihre Aufgabe letztlich elegant gemeistert, indem sie keine konkreten Vorschläge gemacht und keine konkreten Forderungen aufgestellt haben – ohne dabei ihren Auftraggeber zu desavouieren.

Ernst zu nehmende Kommentatoren interpretieren das Gutachten, speziell als die Autoren die Einführung des E-Rezeptes thematisieren, sogar als Plädoyer für ein Versandhandelsverbot für Rx-Arzneimittel.

Verabschiedet sich die Politik vom Mittelstand?

Angesichts der aktuellen Diskussion gerade um das Vor-Ort-Apothekenstärkungsgesetz (VOASG) kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, als wolle die Politik die Bedeutung des Mittelstandes und seiner Mitarbeiter für den Wirtschaftsstandort Deutschland vergessen. Dabei waren Arbeitskämpfe u. Ä. bis in die jüngste Vergangenheit äußerst selten. In Krisenzeiten konnte und kann, wie aktuell zu beobachten ist, insbesondere mithilfe mittelständischer Betriebe Kurzarbeit organisiert und Arbeitslosigkeit niedrig gehalten werden.

Mit dem Markteintritt von Amazon, Facebook, Google, DocMorris und Co. sind das in der jetzigen Übergangsphase wohl nur noch Lippenbekenntnisse; in naher Zukunft vermutlich nicht einmal mehr das, wenn die Politik nicht gegensteuert. Denn den großen Playern im Markt geht es um Marktanteile, mehr noch um Big Data. Folglich brechen, aktuell befeuert durch die Auswirkungen der Corona-Krise, die Marktanteile der mittelständischen Unternehmen zulasten des Versandhandels zusehends weg, ohne dass die Politik bisher die Absicht zeigt, entscheidend einzugreifen.

So sagte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier anlässlich des Digital-Gipfels 2019 „PlattFORM DIE ZUKUNFT“ in Dortmund [1]: „Daten werden der bedeutendste Rohstoff der Zukunft. Die europäische Wirtschaft benötigt dringend eine Infrastruktur, die Datensouveränität und breite Datenverfügbarkeit bei hohen Sicherheitsstandards gewährleistet. Digitale Plattformen krempeln die globale Wirtschaft um. […] Wir müssen jetzt unsere Stärken einsetzen, um selbst Gestalter der Plattformökonomie zu werden, und dafür sorgen, dass auch aus Deutschland und Europa heraus international erfolgreiche Plattformen entstehen.“

Mit Blick auf zunehmende Konkurrenz etwa aus China hat sich Bundeswirtschaftsminister Altmaier danach allerdings für ein starkes und effizientes EU-Wettbewerbsrecht ausgesprochen [2]. „Wir brauchen faire Wettbewerbsbedingungen in der Plattformökonomie und im Systemwettbewerb mit Unternehmen, die durch Drittstaaten unterstützt werden und insoweit nicht den EU-Beihilferegeln unterliegen.“

Über die ungleichen Wettbewerbsbedingungen zwischen deutschen Präsenzapotheken und ausländischen Arzneimittelversendern verlor der Bundeswirtschaftsminister allerdings kein einziges Wort. Da fragt man sich schon: Stehen nur die globalen und nicht auch die nationalen Interessen im Fokus der Wirtschafts- (und Gesundheits-!)Politik?

Diese politische Einstellung missachtet gerade bei Arzneimitteln die Bedürfnisse vieler Patienten und steht im Gegensatz zur Empfehlung des Deutschen Ethikrats für eine zuwendungsorientierte Medizin [3]: „Die persönliche Zuwendung zum Patienten in der medizinischen Praxis sollte durch den Einsatz von Big-Data-Anwendungen nicht geschwächt, sondern gestärkt werden. Zeitliche und finanzielle Kapazitäten, die etwa durch die Entlastung des versorgenden Personals von Routine-Tätigkeiten oder die schnellere und präzisere Diagnostik durch digitale Algorithmen frei werden, sollten in mehr persönliche Zuwendung für Patienten umgesetzt werden.“

Patienten wollen mit ihrem Arzt sprechen, und zwar ohne Zeitdruck. Das ist auch das Ergebnis des „Healthcare-Barometers 2018“, einer repräsentativen Umfrage der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC) unter 1000 Bürgern [4]. Dr. Google könne das Arztgespräch nicht ersetzen. Stattdessen gelte: „Die Zeit, die sich ein Arzt für seinen Patienten nehmen kann, ist zu einem entscheidenden Qualitätsfaktor geworden. Umso wichtiger ist es, dass Ärzte die Zeit, die sie etwa durch den Einsatz innovativer Technologien gewinnen, in den Patienten investieren, den Kontakt auch über digitale Schnittstellen pflegen und ihren Service ausbauen.“

Beide Aussagen gelten in gleicher Weise für die Präsenzapotheken, denn nur dort sind persönliche Gespräche über den richtigen Einsatz und die richtige Anwendung von Arzneimitteln gegeben. Aus diesem Grunde sei (nicht nur) den Gesundheitspolitikern nochmals ins Stammbuch geschrieben: Arzneimittel sind Waren der besonderen Art!

Die selbst ernannte „Elite“ unserer Gesellschaft denkt heute offensichtlich anders. Oberstes Ziel ist für viele von ihnen die Maximierung des Aktienkurses. Getrieben wird dieser Kurs durch Wetten auf die Zukunft. Es geht um Marktanteilsgewinne – Rentabilität ist ein untergeordnetes, zunächst sogar ein zu vernachlässigendes Ziel. Und Risiko-Kapital (wie von Saudi-Arabien im Falle Zur Rose bzw. DocMorris) steht in Zeiten billigen Geldes ja ausreichend zur Verfügung.

Fremdbesitzverbot zur Disposition?

Die Apotheker haben sich in eine missliche Lage manövriert. Ohne jeden Zweifel sind sie heilberuflich tätig und gehören damit den Freien Berufen an. Auf der anderen Seite existiert heute eine Anzahl von Präsenzapotheken mit Jahresumsätzen jenseits einer zweistelligen Millionen-Grenze. Diesen Apothekerinnen und Apothekern gebührt aufgrund ihres unternehmerischen Handelns große Anerkennung und Hochachtung. Was passiert aber, wenn diese Betriebe keinen Nachfolger aus dem eigenen Haus finden? Welche approbierte Einzelperson bzw. welche Apotheken-OHG kann die aufgerufenen Kaufpreise zahlen? Steht dadurch mittelfristig das Fremdbesitzverbot zur Disposition? Und damit verlöre der Apotheker auch den Status des Freien Berufes. Es gab warnende Stimmen (genannt sei an dieser Stelle beispielhaft der Beitrag „Denkmodell Kassenapothekerliche Vereinigung“, in DAZ 2016, Nr. 29, S. 20). Aber der Berufsstand hat sich bisher offenbar anders entschieden.

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Langzeitfolgen der Vertriebsform multinationaler Versandhandel

Damit verabschieden sich die politisch Verantwortlichen still und heimlich, aber zugleich konsequent von der Sozialen Marktwirtschaft. Die Langzeitfolgen der Vertriebsform Online-Handel für unsere Gesellschaft werden dabei allerdings übersehen – oder vielleicht sogar einfach ignoriert?

Viele Paketboten, die auch im Auftrag von (ausländischen) Versandhändlern tätig sind, erhalten in aller Regel keinen Lohn, der ausreicht, beruhigt auf das Rentenalter zu blicken.

Andere Mitarbeiter müssen schon jetzt aufstocken. Beim Eintritt ins Rentenalter dieser schwer arbeitenden Personen muss wohl der größere Teil der sozialversicherungspflichtigen Menschen einspringen (zurzeit über die Deutsche Rentenversicherung).

Bedingt durch niedrige Löhne fehlt zudem Geld in der Sozialversicherung; hier müssen ausschließlich die gesetzlich Versicherten über höhere Beiträge aushelfen.

Diese Liste ließe sich für weitere Kosten und Gebühren endlos fortsetzen.

Allerdings: Die Personalkosten-bedingten und weitere Wettbewerbsvorteile streichen diese Unternehmen heute ein, später machen sie sich einen schlanken Fuß.

Zudem besitzt der Versandhandel bestimmt keine Leuchtturmfunktion für ökologische Nachhaltigkeit. Man denke nur an die vielen Kartonagen und das reichlich verwendete Packpapier. Klimaziele und Umweltschutz lassen grüßen.

An dieser Stelle ist die Gesundheitspolitik gefordert, zu entscheiden! Will sie die ordnungsgemäße Arzneimittelversorgung der Bevölkerung durch Präsenzapotheken, also durch approbierte Pharmazeuten und deren pharmazeutische Mitarbeiter, sicherstellen? Dann muss sie diese Missstände abstellen, diese Fehlentwicklung korrigieren. Oder will sie ein „durchökonomisiertes“ Arzneimittelvertriebssystem?

In ­diesem Fall setzt sie sich / uns nicht nur den oben beschriebenen negativen Auswirkungen der Plattformökonomie aus. Sie läuft auch Gefahr, sich letztlich von anonymen Kapitalgebern erpressen lassen zu müssen (z. B. aufgrund der Androhung der Aufgabe des Geschäftsbetriebes wegen anderenorts schneller steigender Aktienkurse, ist – wie wir gelernt haben – Kapital doch ein scheues Reh).

Zum Schluss noch drei Anmerkungen zum Gutachten

1. In Tabelle 2 ist der Rohertrag pro Packung nach Produkt- bzw. Sortimentsgruppen ausgewiesen. Dabei haben sich die Einkaufsvorteile der Apotheken nicht zuordnen lassen (wie auch?). Deshalb haben die Gutachter die Roherträge für Rx- und verordnete OTC-Arzneimittel anhand der AMPreisV (unter Berücksichtigung des Kassenabschlags nach § 130 SGB V) ermittelt. Die Handelsspannen der übrigen Sortimentsbereiche sind residual anhand der Absatz- und Umsatzrelationen geschätzt worden. Daraus ziehen die Gutachter den trügerischen Schluss, die Rx-Arzneimittel hätten (im Jahr 2018) nur 53 Prozent zum Rohertrag der Apotheken beigetragen, obwohl sie 81 Prozent des Umsatzes ausmachten. Dies hat einen vom Gesundheitsausschuss extern hinzugezogenen Gutachter (Prof. Kluckert, Jurist und FDP-Mitglied) anlässlich der Anhörung zu der Aussage veranlasst, bei einem Marktanteil des Versandhandels von einem Prozent und einem Rohertragsanteil von nur 53 Prozent der Präsenzapotheken bei Rx-Arzneimitteln sei kaum glaubwürdig, dass die Geschäftsaufgaben von inländischen Apotheken auf den Versandhandel zurückgingen. Auf diese Weise kommt man, über Bande gespielt, mit unseriös ermittelten Zahlen zu augenscheinlich starken Argumenten.

Fast gleichzeitig hat sich die EU-Kommission zu Wort gemeldet und die o. g. Aussagen Lügen gestraft, denn „Die Einführung von elektronischen Rezepten hat das Potenzial, eine Verlagerung des Verbraucherverhaltens von der stationären Apotheke zum Online-Anbieter zu stimulieren, indem die für den Versand und die Bearbeitung von Rezepten notwendigen Wartezeiten entfallen.“

2. In Kapitel „3.2.7 Entwicklung der Apothekenstandorte nach Region“ werden in Tabelle 4 unter „Rückgang Anzahl Standorte (2006 – 2020)“ insgesamt 3.740 Apothekenbetriebe ausgewiesen. 2005 gab es laut ABDA 21.476 Apothekenbetriebe, bis 2019 verringerte sich die Zahl auf 19.075 (Zahlen jeweils Jahresende). Das entspricht einem saldierten Rückgang in diesem Zeitraum von („nur“) 2.401 Betrieben.

Es darf stark vermutet werden, dass die Neugründungen und Wiedereröffnungen in dieser Statistik nicht erfasst worden sind.

Rechnet man die IGES-Werte „zurück“, um die unseriöse Datenaufbereitung sichtbar zu machen, ergeben sich für das Jahr 2006 22.581 Apothekenbetriebe – was aber falsch ist. Außerdem würde man auf einen geringeren Anteil ländlicher Apotheken stoßen, was den irrigen Schluss zuließe, dass sich die ländliche Versorgung seit 2006 verbessert hätte.

Wenn man jetzt noch den Bevölkerungsanteil mit aufnehmen würde, würde deutlich, welche Interpretationsmöglichkeiten sich daraus ergeben. Deshalb wäre den Gutachtern dringend ans Herz zu legen, für den gewählten Zeitraum noch die Neugründungen und Wiedereröffnungen von Apotheken nach siedlungsstrukturellen Kreistypen anzugeben.

3. In Anhang A1 steht: Insgesamt wird für über 3,1 Mio. 100 m × 100 m-Gitterzellen eine Einwohnerzahl ausgewiesen. […] Der Datensatz beinhaltet georeferenzierte 100 m × 100 m-Gitterzellen mit Angabe der Einwohner für das Jahr 2011. Insgesamt wird für über 3,1 Mio. 100 m × 100 m-Gitterzellen eine Einwohnerzahl ausgewiesen. Die Einwohnerzahlen der Gitterzellen wurden auf das Jahr 2018 fort­geschrieben.

Ob die Daten zu den Gitterzellen aus dem Jahre 2011 (!) noch repräsentativ sind, darf gerade vor dem Hintergrund steigender Mieten in den Verdichtungsräumen in den letzten zehn Jahren stark bezweifelt werden. Aktuell zeigt sich sogar – durch die Corona-Krise befeuert – ein Trend, die Arbeit qua Homeoffice zu erledigen. Daraus resultiert der Wunsch vieler, vor allem junger Menschen, aufs Land zu ziehen. Bedenke: Gemäß obiger Aussage war (in 2011) nur etwa jede zwölfte Gitterzelle positiv besetzt. Eine aktuelle, vermutlich davon abweichende Quote ließe natürlich bessere Rückschlüsse darauf zu, ob die Flächendeckung noch gegeben ist. |

Hinweis

Geben Sie auf DAZ.online in das Suchfeld den Webcode H5ES2 ein und gelangen Sie direkt zum IGES-Gutachten.

Literatur

[1] Pressemitteilung des BMWi vom 28.10.2019; https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Pressemitteilungen/2019/20191028-altmaier-wir-brauchen-eine-eigene-europaeische-dateninfrakstruktur.html

[2] Frankfurter Rundschau vom 7.09.2020; https://www.fr.de/wirtschaft/altmaier-fordert-reform-von-wettbewerbsrecht-in-der-eu-90038644.html

[3] Deutscher Ethikrat: Big Data und Gesundheit – Datensouveränität als informationelle Freiheitsgestaltung, Berlin 30.11.2017,http://www.ethikrat.org/dateien/pdf/stellungnahme-big-data-und-gesundheit.pdf

[4] N.N.: PwC-Healthcare-Barometer 2018: Dr. Google kann Arztgespräch nicht ersetzen. EHealthCom 12.03.2018. http://e-health-com.de/details-news/pwc-healthcare-barometer-2018-dr-google-kann-arztgespraech-nicht-ersetzen/1e63ee2e80089686e6622a6fe8a6698b/

Autor

Dipl.-Math. Uwe Hüsgen, Essen, war langjähriger Geschäftsführer des Apothekerverbandes Nordrhein e. V.

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