Pandemie Spezial

Was nutzen Temperaturmessungen, Grenzkontrollen und Quarantäne?

Drei Cochrane-Reviews werten Maßnahmen gegen Corona aus

COVID-19 wird durch das neue Virus SARS-CoV-2 verursacht, das sich schnell auf der ganzen Welt ausgebreitet hat. Da es derzeit weder eine wirksame ursächliche Behandlung noch einen Impfstoff gibt, sind andere Möglichkeiten zur Eindämmung der Pandemie erforderlich.

Angesichts steigender Infektionszahlen und im Rückblick auf die Ereignisse im Februar/März 2020, als die Pandemie Europa erreicht hatte und viele europäische Länder sehr drastische Maßnahmen (Grenzschließungen, Schulschließungen, Kontaktbeschränkungen usw.) verhängten, wird auch jetzt wieder über Sinn und Verhältnismäßigkeit solcher Einschränkungen diskutiert. Zu diesen Themen erschienen in der vergangenen Woche drei Übersichtsarbeiten (Cochrane rapid Reviews), die sich mit Reisebeschränkungen, Temperatur-Screening sowie der Quarantäne als Maßnahmen des öffentlichen Gesundheitswesens zur Infektionskontrolle und zur Prävention von COVID-19 beschäftigen.

Foto: Milan – stock.adobe.com

Maßnahmen kombinieren In drei Übersichtsarbeiten wurden Maßnahmen zur Eindämmung der Coronavirus-Pandemie bewertet: Effektiv war die Kombination von Quarantäne, räumlicher Distanzierung und verbesserter Händehygiene.

Befragung nach typischen Symptomen ist nicht effektiv

Der frühen Erkennung von infizierten Personen kommt eine große Bedeutung zu, um die weitere Verbreitung des Virus zu unterbinden, besonders vor dem Hintergrund, dass man inzwischen weiß, dass Virusträger auch ohne Symptome bzw. vor dem Auftreten derselben schon infektiös sein können. In einer Übersichtsarbeit zu universellen Screening-Maßnahmen [1] wurde überprüft, inwieweit diese geeignet sind, infizierte Personen in Alltagssituationen zu identifizieren. Solche Maßnahmen umfassen das Befragen nach Symptomen, die Ermittlung der Körpertemperatur oder das Erheben einer Kontakt- bzw. Reise­anamnese. Die Analyse von 17 Kohortenstudien und drei Modellstudien zeigte, dass durch die Befragung nach vermeintlich typischen Symptomen zwischen 0% und 60% der Menschen ermittelt werden konnten, die mit dem Virus infiziert waren. Durch die Kombination aus Symptombefragung und Ermittlung der Körpertemperatur konnten nach den vorliegenden Ergebnissen zwischen 12% und 69% der Infizierten erkannt werden. Das Erfragen nach Aufenthalten im Ausland (Reiserückkehrer), nach Kontakten zu bekannten oder vermutlich Infizierten sowie die Temperaturmessung ermittelte nur bis zu 23% der tatsächlich infizierten Menschen. Die Ergebnisse weisen natürlich große Streuungen auf, zeigen aber die begrenzte Eignung dieser angewandten Screening-Strategien. Ein großer Anteil an infizierten Personen wurde nicht erkannt und konnte das Virus eventuell weiter übertragen, während gesunde Personen fälschlicherweise als positiv identifiziert wurden. Lediglich die Durchführung eines PCR-Tests in einer sehr kleinen Kohorte (21 Personen) lieferte in 80% der Fälle einen exakten Nachweis, wobei auch diese Zahlen von großer Unsicherheit geprägt sind. Deshalb verweisen die Autoren dieser Arbeit auf die Notwendigkeit, das Augenmerk auf andere Maßnahmen zu legen, die eine Übertragung des Virus verhindern können: das Verwenden von Gesichtsbedeckungen, Social-­Distancing, die Anordnung von Quarantäne sowie die Ausstattung mit persönlicher Schutz­kleidung für medizinisches Personal.

Reisebeschränkungen nur teilweise sinnvoll

In einer Übersichtsarbeit wurde an der Ludwig-Maximilians-Universität München [2] untersucht, wie effektiv reisebezogene Kontrollmaßnahmen – darunter Grenzschließungen, Reisebeschränkungen, Ein- oder Ausreisekontrollen waren oder sind, um die weitere Verbreitung von SARS-CoV-2 einzudämmen und der Ausbreitung der Pandemie entgegenzuwirken. Dazu wurden 36 Studien ausgewertet, die teilweise (elf Studien) jedoch auch zu den anderen Coronaviren SARS-CoV-1 und MERS-CoV durchgeführt wurden. In mathematischen Modellen wurde das Reisevolumen reduziert. Sehr wenig gesicherte Erkenntnisse aus solchen Modellstudien weisen darauf hin, dass grenzüberschreitende Reisebeschränkungen, wenn sie sehr frühzeitig erfolgen, die Anzahl der Neuinfektionen um 26 bis 90% senken (vier Studien) und die Zeit bis zum Ausbruch der Pandemie um zwei bis 26 Tage herauszögern (zwei Studien). Fünf Modellierungsstudien deuten auf eine Verringerung der importierten oder exportierten Fälle um 70% bis 81% hin. Bezüglich der Effektivität von Screening-Maßnahmen an den Grenzen wurde auch hier ermittelt, dass ein ausschließlich symptombasiertes Screening schlechter abschneidet als die Kombination aus symptombasiertem und PCR-Screening mit anschließender Beobachtung während einer Quarantäne. Die Frage, ob Reisende grundsätzlich in eine Quarantäne geschickt werden sollten, wurde ebenfalls in einer Modellstudie simuliert: Eine 14-tägige Quarantäne, deren Einhaltungsquoten zwischen 70% und 100% variierte, führte mit zunehmender Umsetzung der Quarantänevorschriften auch zu einem größeren Rückgang der importierten Infektionszahlen an. Es handelt sich jedoch um Daten, die am Computer erzeugt wurden. Damit kann nicht automatisch auf die Wirklichkeit geschlossen werden.

Quarantäne frühzeitig umsetzen

Eine weitere Übersichtsarbeit beschäftigt sich mit der Wirksamkeit und der Relevanz von Quarantänemaßnahmen [4], um die Weiterverbreitung des Virus SARS-CoV-2 zu unterbinden. Zu diesem Thema hatte die Arbeitsgruppe aus Krems (Österreich) schon im April 2020 eine Arbeit angefertigt [3], in der im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation überprüft wurde, ob es Evidenzen gibt, die die Anordnung von häuslicher Quarantäne für alle diejenigen unterstützen, die engen Kontakt zu einer infizierten Person hatten. Der vorliegende Review ist eine Weiterführung dieser Analyse. Wurden für die erste Arbeit 29 Studien ausgewertet, waren es nun 51, wobei auch hier ein Drittel der Arbeiten die Ausbrüche von MERS und SARS untersuchten. Mehr als die Hälfte der eingeschlossenen Studien waren mathematische Modellierungsstudien. Deren Ergebnisse weisen durchweg darauf hin, dass die Quarantäne wichtig ist, um die Zahl der Menschen mit COVID-19 zu reduzieren, jedoch der Umfang der Reduzierung ungewiss ist. Schätzungen für die Verringerung der Anzahl der Erkrankten schwanken zwischen 44% und 96%, für die Zahl der abgewendeten Todesfälle zwischen 31% und 76%. Wichtig dabei ist, dass die Quarantäne frühzeitig umgesetzt wird.

Effektiver war die Reduzierung der Neuerkrankungen und Todesfälle, wenn die Quarantäne kombiniert wurde mit Maßnahmen wie räumlicher Distanzierung, Schulschließungen oder verbesserter Händehygiene. Die Analysen erlauben jedoch keine Aussagen darüber, welche Kombinationen von Maßnahmen am besten geeignet sind, die Zahl der Infektionen und der Todesfälle zu verringern. Dafür werden weitere Untersuchungen benötigt. Die Fragestellung, ob Quarantäneregeln für Menschen sinnvoll sind, die von einer Reise aus Risikogebieten zurückkehren, konnte in der Übersichtsarbeit ebenfalls nicht eindeutig beantwortet werden. Sehr wenig gesicherte Erkenntnisse deuten darauf hin, dass die Wirkung der Quarantäne von Reiserückkehrern aus Ländern mit einem gemeldeten Ausbruch auf die Zahlen von Inzidenz und Todesfällen bei SARS möglicherweise gering ist, bei COVID-19 aber größer sein könnte. Diese Zahlen resultieren aus jeweils zwei Beobachtungsstudien zu SARS und zu COVID-19.

Evidenz der Aussagen aus Computermodellen ist begrenzt

Zusammenfassend wird deutlich, dass die meisten Ergebnisse dieser Arbeiten viele Unsicherheiten aufweisen. Darauf verweisen die Autoren ausdrücklich. Viele verfügbare Studien wurden am Computer modelliert, für die in wichtigen Modellparametern völlig unterschiedliche Annahmen getroffen wurden. Daraus resultiert eine schlechte Vergleichbarkeit der Studiendaten. Außerdem gibt es noch zu wenige Daten aus dem wirklichen Leben. Weitere Beobachtungsstudien sind nötig, um bessere Evidenzen zu erhalten. |

Literatur

[1] Universal screening for SARS-CoV-2 infection: a rapid review. Cochrane Systematic Review – Rapid Version published 15. September 2020, https://doi.org/10.1002/14651858.CD013718

[2] Reisebezogene Kontrollmaßnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie: ein Rapid Review. Cochrane Systematic Review – Rapid Version, published: 16. September 2020, https://doi.org/10.1002/14651858.CD013717

[3] Quarantänemaßnahmen allein oder in Kombination mit anderen Public-Health-Maßnahmen zur Kontrolle von COVID-19: ein Rapid Review; Cochrane Systematic Review – Prototype Version published 8. April 2020, https://doi.org/10.1002/14651858.CD013574

[4] Quarantine alone or in combination with other public health measures to control COVID-19: a rapid review; Cochrane Systematic Review – Rapid Version published 14. September 2020, https://doi.org/10.1002/14651858.CD013574.pub2

Apothekerin Birgit Scherzer

 

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