Arzneimittel und Therapie

Von wegen Kinderkrankheit

Wenn Erwachsene Pertussis bekommen – und übertragen

„Ich hatte das als Kind!“ – Viele Ältere wähnen sich gegen Keuchhusten immun. Doch man kann mehrfach im Leben erkranken, nach durchgemachter Infektion wie auch nach der Impfung. Da immer häufiger Jugendliche und Erwachsene betroffen sind, sollte man an Auf­frischimpfungen denken. Sie schützen auch die noch ungeimpften Säuglinge, mit denen Erwachsene in Kontakt kommen. Möglich ist auch die Impfung von Schwangeren zum Schutz der neugeborenen Kinder.

Angesichts der COVID-19-Pandemie rücken bekannte Krankheiten in den Hintergrund. Auch solche, die die Gefährdung für eine Infektion mit dem neuen Coronavirus erhöhen. Ein Beispiel ist der Keuchhusten. Jährlich zählt das Robert Koch-Institut im Median 13.000 Pertussis-Fälle, bei einer vermutlich hohen Dunkelziffer. Die Fallzahlen weisen alle zwei bis drei Jahre epidemische Spitzen auf, zuletzt 2014 (12.000 Fälle) und 2017 (über 16.000 Fälle). Die Inzidenz ist mit rund 52 Erkrankten/100.000 bei Säuglingen unter einem Jahr am höchsten. Den Verschiebungen in der Alterspyramide folgend, sind aber Jugendliche und Erwachsene immer häufiger betroffen: Zwei Drittel aller Erkrankten sind heute Erwachsene [1]. „Die Erkrankung wird bei Erwachsenen stark unterschätzt, weil sie als Kinderkrankheit gilt“, sagte Dr. Markus Frühwein, Allgemeinarzt und Infektionsmediziner in München, bei einer von GlaxoSmithKline (GSK) unterstützten Fachpresseveranstaltung in München [2]. „Die Patienten gehen erst mal von einer Erkältung aus. Erst wenn die Symptome länger anhalten und schlimmer werden, erscheinen sie beim Arzt.“

Foto: Science Photo Library / NIBSC

Bordetella pertussis ist ein kleines gramnegatives, unbewegliches, bekapseltes, aerobes Stäbchen. Die Vermehrung der Bordetellen (hier in der rasterelektronenmikroskopischen Aufnahme gelb dargestellt) erfolgt auf dem zilientragenden Epithel der Atemwegsschleimhäute. Sie verursachen dort eine lokale Zerstörung der Mukosa.

(A)typischer Verlauf bei Erwachsenen

Bordetella pertussis, der hauptsächliche Keuchhustenerreger, kursiert ganzjährig und ist fast so kontagiös wie das Masern-Virus. Die Übertragung erfolgt durch Tröpfcheninfektion innerhalb eines Abstandes bis zu etwa einem Meter durch Husten, Niesen oder Sprechen. B. pertussis vermehrt sich auf dem zilientragenden Epithel der Atemwegsschleimhäute. Freigesetzte Toxine und weitere Virulenzfaktoren zerstören lokal die Mukosa. Die Inkubationszeit liegt meist bei neun bis zehn Tagen (Spanne: sieben bis 21 Tage). Den vermeintlichen „Erkältungssymptomen“ mit Schnupfen über ein bis zwei Wochen (Stadium catarrhale) folgt typischerweise die eigentliche Hustenphase mit wochenlang persistierenden, anfallsartigen Hustenattacken mit inspiratorischem Stridor (Keuchen), oft gefolgt von Erbrechen (Stadium convulsivum/paroxysmale Phase). „Anders als bei Kindern fehlt bei ansonsten gesunden Erwachsenen oft das typische Keuchen, auch Erbrechen als Folge des Husten ist seltener als bei Kindern, Fieber tritt insgesamt selten auf“, führte Frühwein aus. Zu Komplikationen kommt es bei rund 40% der Erwachsenen. Die häufigste ist eine Pneumonie, meist durch Superinfektionen mit anderen bakteriellen Erregern, insbesondere Pneumokokken oder Haemophilus influenzae. Häufig werden auch Sinusitiden, Otitiden, hustenbedingte Inkontinenz und Hernien berichtet. Rippenfrakturen machen den Husten zur Qual, vor allem im höheren Alter. Etwa jeder zehnte Pertussis-Patient über 65 Jahre kommt ins Krankenhaus.

Diagnostik und Therapie kommen oft zu spät

Unabhängig vom Impfstatus sollte bei Erwachsenen an Pertussis gedacht werden bei

  • Husten länger als 14 Tage,
  • Hustenattacken, inspiratorischem Stridor oder Erbrechen,
  • Kontakt zu einem Menschen mit bestätigtem Keuchhusten.

Aufgabe der Apotheke ist hier, solche Patienten umgehend zum Arzt zu verweisen. Eine Selbstmedikation der Hustensymptome ohne ärztliche Diagnose ist fehl am Platz. Bordetella pertussis lässt sich aus dem tiefen Nasopharynx-Abstrich mittels Nukleinsäureamplifikation (PCR) schnell und sensitiv nachweisen, wohingegen die Kultur mehrere Tage benötigt. Mittel der Wahl zur Eradikation von B. pertussis im Nasenrachenraum sind die Makrolide Erythromycin, Azithromycin und Clarithromycin, alternativ Cotrimox­azol ab dem Alter von zwei Monaten. Penicilline und Cephalosporine eignen sich nicht. Therapeutisch ist eine Antibiose nur vor dem Beginn des Hustens oder in den ersten ein bis zwei Wochen sinnvoll. Sie kann jedoch für die Unterbrechung der Infektionsketten von erheblicher Bedeutung sein. Stets wichtig ist die symptomatische Therapie durch Antitussiva, Expektoranzien zur Lösung des zähen Schleims, Analgetika und Inhalationen.

Potenzial der Impfung nicht ausgeschöpft

Azelluläre Pertussis-Antigene sind Bestandteil verschiedener Mehrfachimpfstoffe. Nach der Grundimmunisierung (Lebensmonate 2, 3, 4, 11 bis 14) empfiehlt die Ständige Impfkommission am Robert Koch-Institut (STIKO) die erste Auffrischimpfung im Alter von neun bis 16 Jahren, danach eine Auffrischimpfung im Erwachsenenalter. Zusätzlich besteht eine Impfindikation bei Erwachsenen alle zehn Jahre

  • für Frauen im gebärfähigen Alter,
  • für enge Haushaltskontaktpersonen und Betreuende eines Neugeborenen und
  • für Personen, die im Gesundheitsdienst oder in einer Gemeinschaftseinrichtung arbeiten.

Eine Auffrischimpfung bei Eltern, Großeltern sowie allen Personen, die mit Neugeborenen in engeren Kontakt kommen, sollte spätestens vier Wochen vor Geburt des Kindes erfolgen. Für die Boosterung sind ausschließlich Tdap-Kombinationsimpfstoffe verfügbar, die ab dem vollendeten vierten Lebensjahr eingesetzt werden (Boostrix®, Covaxis®, TdaP-Immun®). Seit 2009 empfiehlt die STIKO, die Pertussis-Impfung in Kombination mit der nächsten fälligen Tetanus- und Diphtherieimpfung (Tdap) durchzuführen. Mit begrenztem Erfolg: Die Tdap-Impfquote lag 2007 bis 2016 bei durchschnittlich 32% (51% im Osten, 28% im Westen). Im gleichen Zeitraum wurden bundesweit 54% der Erwachsenen gegen Tetanus geimpft – was zeigt, dass die Chance der Boosterung gegen Pertussis durch die Tdap-Impfung bei einem Großteil der Bevölkerung verpasst wird [1]. Die Empfehlung für den Tdap-Impfstoff gilt auch bei einer im Verletzungsfall gebotenen Tetanus­impfung.

Impfschutz sinkt schneller als erwartet

Die Auffrischimpfung erscheint umso dringlicher, als der Impfschutz gegen Keuchhusten progredient abnimmt, wie aktuelle Daten zeigen: Fünf bis sieben Jahre nach der Impfung ist beim größten Teil der Geimpften kein Pertussis-Schutz mehr gegeben [1]. Zudem schützt zwar die Impfung in diesem Zeitfenster vor der Erkrankung, verringert aber nur leicht die Kolonisierung im Nasenrachenraum und damit die Ansteckungsgefahr durch B. pertussis. Dies wiederum bedeutet eine Abschwächung des im Sinne der Kokonstrategie erwarteten Gemeinschaftsschutzes, der besonders für ungeimpfte Säuglinge von großer Wichtigkeit ist.

Impfempfehlung nun auch für Schwangere

Zum frühestmöglichen Schutz der Säuglinge ist die Impfung in der Schwangerschaft gegen Pertussis eine effektive Strategie. Ein Drittel bis die Hälfte der Säuglinge steckt sich mit Bordetella pertussis bei den eigenen Eltern an – insbesondere bei der Mutter, die schon aus diesem Grund selbst geimpft sein sollte. Die STIKO empfiehlt seit dem 26. März 2020 eine Impfung mit einem Tdap-Kombinationsimpfstoff zu Beginn des dritten Trimenons, bei erhöhtem Risiko für eine Frühgeburt auch schon im zweiten Trimenon [3]. Durch den Transfer der gebildeten IgG-Antikörper über die Plazenta baut sich insbesondere im dritten Trimester der „Nestschutz“ des Neugeborenen auf. Insbesondere zwischen der 28. und 32. Schwangerschaftswoche scheint die Vakzinierung die IgG-Menge bei der Geburt zu maximieren [4, 5].

Keuchhusten kommt in die Medien

Die GlaxoSmithKline GmbH & Co. KG als Hersteller von Pertussis-Kombinationssimpfstoffen wie Boostrix® und Infanrix® will die 2019 gestartete Aufklärungskampagne zu Keuchhusten fortführen und intensivieren. Sie richtet sich gezielt an ältere Erwachsene. Neben TV-Spots machen Printanzeigen in Laienpublikationen, Pressearbeit sowie Online-Aktivitäten auf das Thema aufmerksam. Interessierte können sich zudem ausführlich auf www.impfen.de im neuen „Infocenter“ über Keuchhusten informieren. Ärzten werden im Rahmen der Kampagne unter anderem Materialien zum Praxis-Impfmanagement, Patienten­broschüren sowie ein Wartezimmerposter zur Verfügung gestellt. |

Literatur

[1] Stellungnahme der Ständigen Impfkommission (STIKO) beim RKI: Überprüfung der Impfempfehlung für eine einmalige Pertussis(ap)-Impfung im Erwachsenenalter. Epidemiologisches Bulletin 2019;15:125–127

[2] Frühwein M. Keuchhusten ist keine Kinderkrankheit – GSK intensiviert Aufklärung. Fachpresseveranstaltung am 6. März 2020, München, unterstützt von der GlaxoSmithKline GmbH & Co. KG

[3] STIKO: Empfehlung der Pertussisimpfung in der Schwangerschaft. Epidemiologisches Bulletin 2020;13:3–34, DOI 10.25646/6584

[4] Chu HY, Englund JA. Maternal Immunization Clinical Infectious Diseases 2014;59(4):560–568, https://doi.org/10.1093/cid/ciu327

[5] Palmeira P, Quinello C, Silveira-Lessa AL, Zago CA, Carneiro-Sampaio M. IgG placental transfer in healthy and pathological pregnancies. Clin Dev Immunol 2012, doi: 10.1155/2012/985646

Apotheker Ralf Schlenger

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