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Arzneimittel und Therapie
Herbstliche Hoffnung für KHK-Patienten
Erfolgreiche Sekundärprävention mit Colchicin
Das Alkaloid Colchicin der Herbstzeitlosen ist ein Mitosehemmer mit enger therapeutischer Breite. Die Anwendung, zum Beispiel beim akuten Gichtanfall, muss deshalb mit besonderer Vorsicht erfolgen. Der antientzündliche Wirkmechanismus von Colchicin ist noch nicht vollständig aufgeklärt. Man vermutet unter anderem, dass die Hemmung der Proliferation von Granulozyten eine Rolle spielt. Aufgrund seiner antiinflammatorischen Eigenschaften wird die Sekundärprävention kardiovaskulärer Erkrankungen schon seit einiger Zeit als Einsatzgebiet von Colchicin diskutiert.
Bereits 2013 hatte eine australisch-kanadische Arbeitsgruppe in der prospektiven, jedoch nur einfach verblindeten LoDoCo(Low-Dose Colchicine)-Studie gezeigt, dass bei koronarer Herzkrankheit (KHK) Patienten, die mit einer niedrigen Colchicin-Dosis (0,5 mg/d) zusätzlich zu Acetylsalicylsäure/Clopidogrel und Statinen behandelt wurden, das Risiko für neue kardiovaskuläre Ereignisse signifikant niedriger lag als unter der Standardtherapie.
Im vergangenen Jahr waren die Ergebnisse der COLCOT-Studie (Colchicine Cardiovascular Outcomes Trial) veröffentlicht worden, in der man 2366 Patienten mit einem Myokardinfarkt (innerhalb von 30 Tagen vor Studieneinschluss) mit 0,5 mg Colchicin täglich behandelt hatte. Zwar profitierten diese Patienten signifikant stärker als jene der Placebogruppe (n = 2379), für weitergehende Empfehlungen reichte das jedoch noch nicht.
„Neuauflage“ mit großer Patientenzahl
Da die Aussagekraft von LoDoCo begrenzt gewesen war, rekrutierte man zwischen 2014 und 2018 für die randomisierte kontrollierte doppelblinde Studie LoDoCo2 eine deutlich größere Zahl von Patienten mit chronischer Herzkrankheit. Die Teilnehmer waren zwischen 35 und 82 Jahre alt und erhielten entweder einmal täglich Colchicin in niedriger Dosis (0,5 mg, n = 2762) oder Placebo (n = 2760). Der zusammengesetzte primäre Endpunkt bestand aus kardiovaskulär bedingtem Tod, spontanem Myokardinfarkt, ischämischem Schlaganfall und dringender, Ischämie-bedingter koronarer Revaskularisation. Der mediane Beobachtungszeitraum lag bei 28,6 Monaten.
Ergebnisse und Grenzen der Studie
Colchicin wurde von 90 Prozent der Patienten gut vertragen. 187 Teilnehmer (6,8%) der Colchicin-Gruppe und 264 (9,6%) in der Placebo-Gruppe erlitten ein Ereignis des primären Endpunktes (Inzidenz 2,5 vs. 3,6 Ereignisse pro 100 Patientenjahre; Hazard Ratio [HR] = 0,69; 95%-Konfidenzintervall [KI]: 0,57 bis 0,83, p < 0,001). Der statistisch signifikante Unterschied zu Placebo zeigte sich nicht nur beim zusammengesetzten Endpunkt, sondern auch, wenn man die Erkrankungen einzeln betrachtete. Die Inzidenz für Todesfälle mit nicht-kardiovaskulärer Ursache lag jedoch in der Colchicin-Gruppe etwas höher als unter Placebo (Inzidenz 0,7 vs. 0,5 Ereignisse pro 100 Patientenjahre, HR = 1,51; 95%-KI: 0,99 bis 2,31, nicht signifikant). Einschränkungen, die bei der Bewertung der Studienergebnisse berücksichtigt werden müssen, sehen die Autoren beispielsweise im geringen Frauenanteil, der bei 16,5% (Colchicin) bzw. 14,1% (Placebo) lag und damit nicht den tatsächlichen Anteil von weiblichen KHK-Patienten in der Bevölkerung widerspiegelt. Ein Nachteil war ihrer Ansicht nach auch, dass man in beiden Patientengruppen weder Blutdruckwerte oder Serumlipidspiegel noch Entzündungsparameter wie das C-reaktive Protein bestimmt hatte.
Wechselwirkungen beachten
Patienten mit koronarer Herzkrankheit sind in der Regel älter und nehmen dementsprechend häufig viele Arzneimittel ein. Dies sollte unbedingt bei der Abgabe von Colchicin-haltigen Arzneimitteln beachtet werden. Das Tropan-Alkaloid Colchicin wird im Körper über das p-Glykoprotein (P-gp) transportiert und über CYP3A4-Enzyme in der Leber verstoffwechselt. Werden weitere Medikamente eingesetzt, die CYP3A4 oder P-gp inhibieren, kann es zu toxischen Konzentrationen von Colchicin kommen. Insbesondere von der gleichzeitigen Einnahme von Makrolid-Antibiotika (z. B. Clarithromycin, Erythromycin), Antimykotika der Azol-Familie (z. B. Fluconazol, Itraconazol, Ketoconazol), Protease-Inhibitoren zur Therapie des Humanen Immundefizienz Virus (z. B. Ritonavir) und auch Calciumkanal-Antagonisten (z. B. Diltiazem, Verapamil) sollte abgesehen werden. Ist eine gleichzeitige Anwendung unumgänglich, so sollte der Arzt dementsprechend die Dosis des Colchicin-haltigen Arzneimittels reduzieren.
Colchicin bald in der Leitlinie?
Nach Meinung der Studienautoren sind die Ergebnisse von LoDoCo2 konsistent mit denen aus LoDoCo und COLCOT. Auch nach Ansicht von Prof. Dr. Stephan Achenbach, Direktor der Klinik für Kardiologie und Angiologie am Universitätsklinikum Erlangen der Universität Erlangen-Nürnberg, legen die Ergebnisse nahe, dass Colchicin in einer geringen Dosis bei KHK-Patienten günstige Wirkungen haben kann. Achenbach, derzeit Präsident der ESC, vermutet, dass es zukünftig noch weitere Untersuchungen zu dieser Thematik geben wird. Bei positiven Ergebnissen könnte es dann nicht mehr lange dauern, bis Colchicin Eingang in die entsprechenden Leitlinien findet.
Einsatzgebiete von Colchicin
In Deutschland können zurzeit zwei Präparate auf Basis von Trockenextrakten aus frischen Herbstzeitlosen-Blüten (Colchysat® Bürger Flüssigkeit) oder Herbstzeitlosen-Samen (Colchicum-Dispert® Tabletten) beim akuten Gichtanfall bei Erwachsenen angewendet werden. Außerdem ist ein Arzneimittel (Colchicin Tiofarma® Tabletten) mit synthetischem Colchicin sowohl zur Behandlung der akuten Gicht als auch zur Prävention eines Gichtanfalls während der Einleitung einer Urat-senkenden Therapie zugelassen. Voraussetzung für den Einsatz ist, dass NSAR kontraindiziert sind oder nicht vertragen werden. Eine weitere Indikation ist die Prävention von Fieberschüben und der schwerwiegenden Komplikation Amyloidose bei Erwachsenen, Kindern und Jugendlichen mit familiärem Mittelmeerfieber (FMF). Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie empfiehlt außerdem den Off-label-Einsatz von Colchicin zusätzlich zur antientzündlichen Standardtherapie bei Patienten mit Perikarditis. |
Literatur
COVID-19: Studie deutet auf Wirksamkeit von Colchicin hin. Meldung vom 2. Juli 2020, www.aerzteblatt.de/nachrichten/114317/COVID-19-Studie-deutet-auf-Wirksamkeit-von-Colchicin-hin, Abruf am 18. September 2020
Diese 3 Studien vom Kardiologen-Kongress sollten Sie kennen – warum, erklärt Ihnen Präsident-Elect Prof. Stephan Achenbach. https://deutsch.medscape.com/artikelansicht/4908924, Abruf am 18. September 2020
Diesinger C, Schriever J Colchicin – gut informieren, vorsichtig dosieren. Bulletin zur Arzneimittelsicherheit, Hrsg. BfArM und PEI, Nr. 4 (2017)
Fachinformation Colchicin® Tiofarma 0,5 mg/1 mg Tabletten, Stand Mai 2019
Fachinformation Colchysat® Bürger Flüssigkeit, Stand Juli 2018
Nidorf SM et al. Colchicine in patients with chronic coronary disease. Online publiziert am 31. August 2020 auf www.nejm.org, doi: 10.1056/NEJMoa2021372
Nidorf SM et al. Low-dose colchicine for secondary prevention of cardiovascular disease. J Am Coll Cardiol 2013;61:404-10
Perikarderkrankungen. Pocket-Leitlinie, Hrsg.: Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung e. V., Stand 2016, www.dgk.org
Tardif JC et al. Efficacy and safety of low-dose colchicine after myocardial infarction. N Engl J Med 2019;381(26):2497-2505
Vorsicht, Überdosis! Deutsche Apotheker Zeitung 2018, Nr. 14, S. 49 – 51
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