Arzneimittel und Therapie

Erneute HIV-Spontanheilung

Als Ursache wird eine Genmutation vermutet

Immer wieder kommt es zu unerklärlichen spontanen Selbstheilungen von Personen, die sich mit dem Humanen Immundefizienz Virus infiziert haben. In einer kürzlich erschienenen Publikation über einen erneuten Fall in Frankreich wird eine Mutation im Enzym­system als Ursache vermutet.

Bei der Patientin handelt es sich um eine 37-jährige Frau, die zwischen 2002 und 2004 von ihrem Partner sexuell mit dem Humanen Immundefizienz-Virus(HIV)-1 infiziert und im Juli 2006 als seropositiv diagnostiziert wurde. Sie erhielt nur im Jahr 2012, während des dritten Trimesters einer Schwangerschaft, eine antiretrovirale Therapie mit Zidovudin, 300 mg/Tag. Klinisch entwickelte die Frau nie eine Immunschwäche oder HIV-bezogene Symptome.

Mehrere Versuche, HIV-RNA in ihrem Plasma und HIV in Co-Kulturen nachzuweisen, schlugen fehl, während es gelang, mit demselben Kulturverfahren das Virus aus den mononukleären Zellen des übertragenden Partners anzuzüchten. In weiteren molekularbiologischen Untersuchungen konnten aber doch HIV-Fragmente in dem Serum der Patientin nachgewiesen werden, die mit denen des nahezu vollständigen HIV-Genoms übereinstimmten, das aus den Zellen ihres Partners gewonnen wurde. Die viralen Fragmente wiesen dabei typische Veränderungen auf, wie sie durch das zelluläre APOBEC3G-Enzymsystem verursacht werden. APOBEC3G-Enzyme wehren als körpereigenes System Retroviren ab, indem sie im viralen Erbmaterial eine Mutation hervorrufen (sog. Transition der Purinbasen Guanin zu Adenin). Tryptophan-codierende Basentripletts wurden auf diese Weise zu Stopp-Codons umgewandelt, so dass die daraus gebildeten Proteine nicht mehr funktionsfähig waren. Die HI-Viren haben eigentlich die Möglichkeit, mithilfe des vif-Proteins (viraler Infektiositätsfaktor) diese Mutation zu blockieren, aber auch die genetischen Sequenzen für vif wurden durch APOBEC mutiert. Die Konzentrationen von APOBEC waren bei der Patientin um das 2,1- bis 3,4-Fache höher als bei ihrem Partner. Die Arbeitsgruppe geht davon aus, dass keine angeborene, sondern eine erworbene HIV-Resistenz vorlag, und möglicherweise äußere Faktoren, wie die Zusammensetzung des Darmmikrobioms, das eine Expression von APOBEC stimulieren und APOBECEC3-Enzyme hyperaktivert haben könnte, eine Rolle spielen könnten. Aufgrund dieser Schlussfolgerung hoffen die Autoren, dass in Zukunft die Wechselwirkungen zwischen Darmmikrobiom und Immunsystem noch mehr untersucht werden und die Hypothese damit ­bestätigt werden kann. |

Literatur

Colson, P., Dhiver, C., Tamalet, C. et al. Full-length title: Dramatic HIV DNA degradation ­associated with spontaneous HIV suppression and disease-free outcome in a young seropositive woman following her infection. Sci Rep 10, 2548 (2020). https://doi.org/10.1038/s41598-020-58969-6

Apothekerin Ina Richling, PharmD

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