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Von „wahren“ und „vermeintlichen“ Rezepturen

Ein Meinungsbeitrag von Apotheker Dr. Norbert Brand, Maros Arznei GmbH

Tinctura Opii bewegt die Branche. Offensichtlich verläuft der Launch von Dropizol als „erstes Opium­tinktur-Fertigarzneimittel“ anders als erwartet. Offensichtlich ist der Gegenspieler, der altetablierte Rezepturausgangsstoff Tinctura Opii und sein Hersteller Maros, bisher juristisch nicht abzuräumen. Denn schon wieder versendet der deutsche Dropizol-Vertreiber Innocur an alle Apotheken einen Brief, damit die endlich kapieren, dass man bei Rezepturen zu unterscheiden hat zwischen „wahren“ und „vermeintlichen“ Rezepturarzneimitteln. Beide Briefe zeichnet aus, dass via „Mauerschau“ aus Gerichts­sälen berichtet und aus Gerichtsakten zitiert wird. Das liest sich stellenweise beeindruckend, ist aber für den Leser nicht nachprüfbar und v. a. nur für die eine vorgeblich abgeurteilte Apotheke rechtsverbindlich.

Dr. Norbert Brand, Maros Arznei GmbH

Und da der Launch von Dropizol bisher nicht so läuft, wie den Investoren vorgerechnet, wird jetzt auch eingeschüchtert. Denn im zweiten Brief spekuliert Innocur, dass Abrechnungsbetrug durch „unwahre Rezepturen“ vorliegen „könnte“ und adressiert so mit Retaxationen eine der Urängste aller Apothekerinnen und Apotheker. Links und rechts von der Tinctura Opii werden damit aber auch große Teile des Hilfstaxen-Portfolios infrage gestellt.

Müssen Apotheken für „wahre“ Rezepturen selbst anbauen?

Alle Rezepturen, Stoffe und Zubereitungen, die ohne weitere Bearbeitung umgefüllt, abgepackt, gekennzeichnet und mit 100 Prozent Aufschlag taxiert werden, wären „nicht zugelassene Fertigarzneimittel“, „vermeintliche Rezepturen“ und somit nicht erstattungsfähig. Das heißt, dass jetzt auch die Spitzenverbände der deutschen Apotheker und Krankenkassen als Autoren der Hilfstaxe ihr Fett wegkriegen: die Hilfstaxe als Anleitung zum Abrechnungsbetrug? Mit dieser Denke entzieht man den Apotheken auf einen Schlag eine ganze Palette an Rezepturen: alle Einzeltees, Zinkleim, Zinkoxid-Schüttelmixtur, Essigsaure Tonerde, um nur einige zu nennen. Sie alle werden von industriellen Lieferanten/Herstellern bezogen, umgefüllt, abgepackt, ge­kennzeichnet und mit 100 Prozent Aufschlag taxiert. Im Umkehrschluss müsste die Apotheke das Schachtelhalmkraut für den gleichnamigen Tee selbst anbauen, um eine „wahre“ Rezeptur anstatt einer „vermeintlichen“ Rezeptur anzubieten. Oder sie müsste ohne realen Zugang zum Rohstoff die Tinctura Opii selbst herstellen und normieren. Da das nicht geht, versteht diese juristische Denke kein Mensch.

„Es geht zwar nur um 2 Prozent des Arzneimittelbudgets, aber um 100 Prozent Alleinstellungsmerkmal der Präsenzapotheke.“

Es versteht aber auch kein Mensch, wie ein Unternehmen ernsthaft glauben kann, die Apotheken für die Realisa­tion seiner Ziele zu gewinnen, in dem es mit seinen Briefen nicht nur einschüchtert, droht und Angst vor Retaxationen auslöst. Denn gleichzeitig wird doch auch ein Großteil jahrzehntelanger Rezepturtätigkeit als „vermeintlich“ infrage gestellt. So was nenne ich Angriff auf einen ganzen Berufsstand.

Leider sind im industrieorientierten und seit Contergan zulassungsfavorisierenden Arzneimittelrecht das Fertigarzneimittel und die Rezeptur so untauglich definiert, dass dadurch erst Rechtsprechungen möglich wurden, mit denen man im Prinzip fast jede ­Rezeptur juristisch aushebeln kann. Wenn manche Gerichte bereits den Bezug eines industriell gefertigten Wirkstoffes zur rezepturmäßigen Herstellung von Kapseln als nicht ausreichend „wesentliche“ Herstellung und damit „vermeintliche“ oder „unwahre“ Rezeptur aburteilen, dann ist das aus dem Blickwinkel eines Pharmazeuten nicht nur gelinde gesagt seltsam, sondern auch fernab der Marktbedürfnisse und täglich gelebten Apothekenpraxis. Hier hat unsere Berufsvertretung dringend für Klarstellung zu sorgen. Es geht dabei zwar nur um ca. 2 Prozent des Arzneimittelbudgets, aber um 100 Prozent Alleinstellungsmerkmal der Präsenzapotheke.

Rezepturen nicht in voraus­eilendem Gehorsam aufgeben

Macht ruhig die Rezeptur weiter ­kaputt! Erst kürzlich musste die sog. „Biozidverordnung“ hastig novelliert werden, damit die Apotheken in Pandemiezeiten wieder Desinfektions­mittel zusammenmischen und somit den Karren aus dem Dreck ziehen konnten. Denn wieder mal war auf die Fertigwarenhersteller, deren Sortiments- und Mengenplanung zumeist unflexibel und ergebnisorientiert ausgerichtet ist, kein Verlass. Nicht zu vergessen: Produkte wie Dropizol sind von Venture Capital getrieben. Deren Halbwertszeit unterliegt meist den Launen des Investors. Dreht der den Hahn mit Spielgeld ab und haben wir vorher in vorauseilendem Gehorsam die „vermeintliche“ Rezeptur aufge­geben, wer ist denn dann der Dumme? Eindeutig der Patient. Aber solange wir uns via Rezepturherstellung unabhängig von Investorenlaunen machen, wird der Patient seine Versorgung erhalten, so wie das in den Jahrzehnten vor Dropizol ja auch bereits der Fall war. Ein gestandener Kollege meinte zu mir nicht ganz im Ernst, ob er jetzt rückwirkend Retaxationen befürchten müsse für die letzten 30 Jahre, in denen er Tinctura Opii als „unechte“ Rezeptur abgegeben habe?

Tatsache ist, Maros besitzt seit vielen Jahren eine Erlaubnis für Herstellung und Handel mit Tinctura Opii „für Rezepturzwecke“. Mit diesem sach­gerechten Bescheid hat die zuständige Überwachungsbehörde die Markt­bedürfnisse berücksichtigt. Unsere BtM-Erlaubnis der Bundesopiumstelle gestattet uns die Herstellung und auch ausdrücklich den Handel mit Tinctura Opii. Diese Verwaltungspraxis findet ihren Niederschlag in dem rechts­kräftigen Urteil des OLG Hamburg vom 23.04.2020, demzufolge unsere Handelsgebinde keine (zulassungspflichtigen) Fertigarzneimittel sind und von uns vertrieben und beworben werden dürfen. Das sind die harten Fakten und das soll jetzt alles „unecht“ sein, nur weil es seit August 2018 Dropizol gibt? Zu den weichen Fakten zählt, dass bibliografische Zulassungen wie Dropizol nur erteilt werden, wenn es gesicherte Erkenntnisse zur Wirksamkeit und Unbedenklichkeit in der Versorgung gibt. Mit welcher Ausbietungsform der Tinctura Opii wurden diese Erkenntnisse denn gewonnen? Doch nur mit der Apothekenrezeptur. Haben die Dropizol-Akteure schon mal darüber nachgedacht, wie es ankommt, wenn sie mit ihren Aktionen gerade den Steigbügelhalter ihrer Zulassung attackieren?

Jeder Arzt, der heute Tinctura Opii verordnet, hat seine Gründe, die einem Austausch gegen Dropizol im Wege stehen. In erster Linie ist das der Preis und das Budget. Tinctura Opii war – ganz im Sinne des SGB V – jahrzehntelang eine zweckmäßige, ausreichende und wirtschaftliche Arzneimittelversorgung. Wer nimmt denn ernsthaft an, dass bei einer second bzw. third line Therapieoption der Mehrwert des zugelassenen Fertigarzneimittels diesen Preisunterschied rechtfertigt und d/daz-az/2020/daz-32-2020/dropizol-vertreiber-kaempft-gegen-opium-tinktur-rezepturie Apothekenherstellung nicht mehr ausreichend ist?

Man muss aber auch an die äußerst sensiblen weil schwerkranken Patienten denken. In jüngster Zeit laufen bei uns immer wieder Hinweise ein, dass Patienten, die gegen ihren Willen auf ein anderes Arzneimittel umgestellt wurden, dieses nicht vertrugen und/oder mit seiner Wirkung unzufrieden waren. Sie wollen weiterhin das ihnen bekannte Mittel erhalten.

Aus allen diesen genannten Gründen werden wir daher alles dafür tun, dass das Rezepturarzneimittel mit der Tinctura Opii weiterhin als wirtschaftliche und vertraute Therapieoption zur Verfügung steht. Auch weil wir uns schon immer dem Arzt, Apotheker und Patienten verpflichtet fühlen. |

 

Lesen Sie dazu den Beitrag "Dropizol-Vertreiber kämpft gegen Opiumtinktur-Rezeptur"

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