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Der Wert der Rezeptur

Dr. Thomas Müller-Bohn, Redakteur der DAZ

Die Rezeptur wurde schon oft totgesagt. Doch zum Glück ist sie weiterhin sehr lebendig. Zuletzt hat sie sich bei der Versorgung mit Desinfektionsmitteln bestens bewährt. Auch die hohen regulatorischen Anforderungen an die Arzneimittelzulassung hinterlassen tendenziell immer mehr Lücken im Versorgungssystem, die durch Rezepturen geschlossen werden. Der Bedarf an medizinischem Cannabis, entstanden durch eine plötzliche politische Neubewertung, ist nur durch Rezepturarzneimittel zu decken. Weitere Impulse könnten von neuen Technologien kommen, beispielsweise für Arzneimittel aus dem 3-D-Drucker. Die Rezeptur ist dezentral, individuell und flexibel – und jeder dieser Aspekte ist ein wertvolles Alleinstellungsmerkmal. Dennoch fehlt der gesellschaftliche Rückhalt für die Rezeptur. Nach jahrelanger mühsamer Überzeugungsarbeit deckt das Honorar bestenfalls die Teilkosten einfach strukturierter Herstellungen. Noch schwerer als die gewohnten wirtschaftlichen Belastungen wiegen die zunehmenden rechtlichen Hürden. Aufgrund der Biozidverordnung sollten altbekannte Mittel ebenso aufwendig wie neu entwickelte Zubereitungen bewertet werden. Nur Corona stoppte diese überbordende Bürokratie. Nun wird der rechtliche Status von Opiumtinktur-Rezepturen infrage gestellt (S. 9). Vordergründig geht es dabei nur um dieses eine Arzneimittel. Das beteuern auch die Vertreiber des Fertigarzneimittels. Doch auf demselben Weg könnte gegen jede andere Abfüllung in der Rezeptur argumentiert werden – gegen Tees und auch gegen Cannabisprodukte, für die gerade erst neue rechtliche und ­vertragliche Grundlagen geschaffen wurden. Einige Argumente in diesem Rechtsstreit erinnern an mehrere Verfahren zu Defekturen, in denen Gerichte gegen Apotheken entschieden hatten, weil diese angeblich keine ­„wesentlichen Herstellungsschritte“ bei Defekturen vornehmen würden. Diese Gerichte stellen sich darunter typischerweise Syntheseschritte am Wirkstoff vor und ignorieren, dass auch industrielle Hersteller Arzneistoffe von Vorlieferanten verarbeiten. Schon vor zwei Jahren hatte ein Apothekertagsantrag gesetzliche Klarstellungen gegen so weltfremde Auslegungen gefordert. Geschehen ist seitdem nichts. Den Wert der Rezeptur erkennen viele offenbar erst im allerletzten Moment, wie zuletzt bei den Desinfektionsmitteln.

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