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„Wo ist der laute Schrei?“

Zwei Apothekeninhaber über die Zur-Rose-/TeleClinic-Akquisition

eda | Gesundheitspolitisch gesehen wird es dieses Jahr kein Sommerloch geben: Als der DocMorris-Mutterkonzern Zur Rose vorletzte Woche bekannt gab, dass er den deutschen Telemedizin-Vorreiter TeleClinic übernehmen wird, fand diese Meldung jedoch überraschenderweise kaum bis wenig Resonanz in der Bundes- und Standespolitik. Dass zukünftig Verordnung und Abgabe von Arzneimitteln in der Unternehmensgruppe parallel laufen, wird aber zumindest an der Basis, in der Apothekerschaft, als Tabubruch bewertet.

Mehr als eine Woche nach Bekanntwerden des Übernahmedeals veröffentlichte die ABDA ein Statement ihres amtierenden Präsidenten Friedemann Schmidt. „Wir sehen mit großer Sorge, wie verschiedene Akteure derzeit versuchen, ihre Geschäftsmodelle zu optimieren, indem sie die Arzneimittelversorgung bzw. die Gesundheitsversorgung insgesamt in eine vertikale Integration bringen“, so Schmidt. Die Konsequenz sei stets ­dieselbe: „Auf mittlere Sicht werden persönliche Verantwortung und fach­liche Entscheidungsfreiheit des Heilberuflers kompromittiert und die Wahlfreiheit des Patienten eingeschränkt. Damit werden Grundprinzipien des Gesundheitswesens einfach einer verlängerten Wertschöpfungskette profitorientierter Player untergeordnet.“ Schmidt ist davon überzeugt, dass die Versorgung darunter leiden werde. Er sieht daher auch die Politik gefordert, genau hinzusehen und konsequent gegenzusteuern. „Sonst setzen sich spätestens mit Einführung des eRezepts vollends Wild-West-Manieren im Gesundheitswesen durch.“ Wird dieses Statement den politischen Entscheidern endlich klar machen, welche Gefahren dem Berufsstand durch die TeleClinic-/DocMorris-­Vereinigung drohen?

Wir haben mit zwei Apothekeninhabern über die aktuellen Entwicklungen gesprochen. Einer von beiden – Dr. Christian Redmann aus dem bayerischen Ebermannstadt – setzte sich bereits vor zwei Jahren öffentlichkeitswirksam für das Rx-Versandverbot ein, als er eine Petition startete und auch erfolgreich beendete. Mehr als 50.000 Unterschriften sammelte Redmann auf der privaten Plattform openPetition. Doch für eine öffentliche Beratung im Petitionsausschuss reichte die Online-Aktion allein nicht aus. Hält Redmann angesichts der Übernahme das Rx-Versandverbot wieder für dringend geboten? Michael Dohm aus Radolfzell am Bodensee ist der zweite Apotheker, mit dem wir uns über seine Bedenken im Rahmen ­eines Interviews austauschten.

Foto: Privat

Michael Dohm, Radolfzell

DAZ: Was ging Ihnen unmittelbar danach durch den Kopf, als Sie von der Akquisition von TeleClinic durch Zur Rose hörten?

Dohm: Schon die Überschrift in der Apotheker Zeitung Nr. 30 reichte, um das Fass zum Überlaufen zu bringen: „DocMorris-Mutter kauft TeleClinic – Plattform bietet Fernbehandlung und Arzneimittel aus einer Hand.“ – Wo ist der laute Schrei, den Politiker, Kartellbehörden, Ärzte und eben wir Apo­theker loslassen? Geschickt ins Sommerloch platziert, versteckt hinter Uneinigkeiten bezüglich der Grippeimpfungen in Apotheken, platzt quasi unbemerkt eine Bombe.

DAZ: Was konkret befürchten Sie?

Dohm: Generationen zukünftiger Apotheker und Ärzte werden auf uns zeigen, wenn wir jetzt nicht schnellstens reagieren. Bleiben wir stumm, sind wir die Totengräber unserer eigenen Berufsstände. Haben wir nicht gerade bewiesen, dass in Zeiten von Corona Verlass auf uns war? Sind unsere Politiker nicht willens, endlich einmal Flagge zu zeigen und solche listigen Angriffe sofort im Keim zu ersticken, bevor wieder mühsam durch alle Instanzen geklagt werden muss? Die Apothekenlandschaft wird bis dahin drastische irreversible Rückschläge erlitten haben und kann irgendwann tatsächlich nicht mehr omnipotent mit schnellster Logistik und omnipräsent an 365 Tagen und 24 Stunden für die Menschen da sein.

Foto: Privat
Dr. Christian Redmann, Ebermannstadt

DAZ: Die Zur-Rose-/TeleClinic-Akquisition verstößt ja gegen das jahrhundertealte Edikt von Salerno. Meinen Sie, das kommt in der öffent­lichen Wahrnehmung ausreichend zur Geltung?

Dohm: Bin ich ein ewig Gestriger, wenn ich auf dessen Einhaltung poche? Der Stauferkaiser Friedrich II. hat in seiner Medizingesetzgebung von 1231 – 1243 unter dem Titel 46 zwei wesentliche Dinge geregelt, die bis heute unangetastet waren. Erstens: Verbot einer Interessengemeinschaft zwischen Arzt und Apotheker. Zweitens: Verbot für Ärzte eine Apotheke zu besitzen. Was ist jetzt unsere Antwort auf die Strategie von Zur Rose? Kaufen wir Apotheker uns jetzt unsere eigenen Arztpraxen oder die Ärzte sich ihre eigenen Apotheken?

Redmann: Aus meiner Sicht stehen wir hier – allen Beschwichtigungen und Argumentationen bekannter Akteure zum Trotz – vor einem gefährlichen Tabubruch: Die Auflösung der 800-jährigen Trennung zwischen Arzt und Apotheker ohne Notwendigkeit und ohne Folgenabschätzung. Verordnung und Abgabe in einer Hand – das muss und das wird unausweichlich Begehrlichkeiten wecken und die Therapie des Patienten beeinflussen.

DAZ: Wie bewerten Sie die Reaktionen aus der Bundespolitik und der Standesvertretung?

Dohm: Welche Reaktionen? Außer Ihrem Artikel und einem Grundrauschen in der Onlinepresse habe ich weder von Politikern noch von Standesvertretern eine deutliche Stellungnahme vernommen. Ich hoffe, das ändert sich nun schlagartig. Übrigens die Reaktion vom Deutschen Apotheker Verlag mit der Kappung der Leitung von TeleClinic-Rezepten über apotheken.de war ein erster wirksamer Schritt. Jetzt sind unverzüglich die Politiker und der Gesetzgeber an der Reihe, bis diese Ungeheuerlichkeit aus der Welt geschafft ist.

Redmann: Es herrschte bis vor einiger Zeit Ruhe bei allen Verantwortlichen – sowohl auf bundespolitischer als auch standespolitischer Ebene. Es muss doch jeden selbstständigen Apotheker ängstigen, wenn die eigene Vertretung sich erst nach einiger Zeit – gefühlt zu langsam – positioniert und man den Eindruck gewinnt, die Deregulation des Apothekenmarktes schreite immer gravierender und unumkehrbarer voran, während die politische Reaktion – so entnehme ich sie den Nachrichten der Fachpresse – sich auf eine „wait-and-watch“-Therapie beschränkt bzw. keinen Handlungsbedarf sieht.

„Natürlich wäre ein Versand­handelsverbot noch immer das Nonplusultra.“

Dr. Christian Redmann, ­Ebermannstadt

DAZ: Meinen Sie, diese Entwicklung war absehbar und man hätte das viel früher thematisieren müssen?

Redmann: Durchaus war diese Entwicklung zu erwarten, denn sie ist bereits in der DNA der Firma ein­gebettet: Zur Rose wurde von Ärzten g­egründet, die dann eine Apotheke eröffneten und mit der Arzneimitteldistribution begannen. Ich befürchte, dass man mit dem Kauf von TeleClinic das nächste Kapitel im Aufbrechen bekannter Strukturen aufgeschlagen hat – wohl auch weil man mit den eigenen Konsolidierungsentwicklungen zu­frieden ist und durch die förderlichen Effekte der Corona-Pandemie genügend Selbstvertrauen entwickelt hat, jetzt auch die „Verschreiber“-Seite angehen zu können.

Dohm: Mit DocMorris und anderen Konzernen haben wir bereits bestehende Strukturen in Deutschland, die nur darauf warten, endlich das große Geld aus dem Bereich Gesundheit abschöpfen zu können. Die Nähe von Krankenkassen zu diesen Anbietern ist ebenfalls eine ungute Entwicklung. Mir fehlt hier der Wille, die digitale Zukunft auf Augenhöhe und mit allen Beteiligten zu gestalten! Ja, diese Themen müssen endlich sichtbar an die Oberfläche kommen, denn im Verborgenen warten sicher noch mehr Überraschungen auf uns.

Redmann: Den Werdegang der ganzen miserablen Geschichte – angefangen von Däinghaus über Celesio bis zu den neueren disruptiven Vorstößen wie Hüffenhardt, den Zukäufen deutscher Versandapotheken wie beispielsweise Apo-rot oder Eurapon – hat man aus meiner Sicht mit den jeweiligen Möglichkeiten, die durch die Verantwort­lichen gesehen wurden, begleitet. Ich denke von einem „früher thematisieren“ kann man somit nicht sprechen, ggf. von einem „anders thematisieren“. Aber im Nachhinein Aussagen zu treffen, was man hätte besser machen können, ist nicht legitim – würde am Ist-Zustand auch nichts ändern.

DAZ: Wie wirken auf Sie als Apothekeninhaber die aktuellen Entwicklungen im Gesundheitssystem?

Redmann: Lawine. Sintflut. Auf jeden Fall keine charmante Welle, auf der man als Inhaber „mitreiten“ kann und man das Surfbrett unter Kontrolle hat. Ich glaube, die Mehrheit der Kolleginnen und Kollegen hat Angst bei der nächsten dieser Wellen vom Brett gespült zu werden und unterzugehen. Wir sind ja auch mittlerweile Getriebene geworden – SecurPharm, Bonpflicht, MwSt-Senkung, Telematik­infrastruktur-Anbindung, elektronische Kassennachschau. Neuerungen und Änderungen im Jahrestakt – es ist kaum mehr Zeit, Luft zu holen und sich um den originär pharma­zeutischen Aspekt unseres Berufs zu kümmern.

Dohm: Innovation ist in unserer Branche stets geboten. Keine Apotheke kann sich derzeit dem digitalen Fortschritt verschließen. Gerade die junge Generation verlangt mit Recht nach neuen Entwicklungen. Eine App für alle Smartphones und Tabletts und das sei hier allen Playern ins Stammbuch geschrieben, eine App für ganz Deutschland, die den User zu seiner Stammapotheke (egal ob Präsenzapotheke oder Versender) oder, wenn ich im Urlaub bin, zur nächstgelegenen geöffneten Apotheke, lenkt, ist sicher das wichtigste Ziel, was wir erreichen müssen. Das eRezept ist in den nächsten Jahren ein neues Medium, das seine Alltagstauglichkeit erst noch beweisen muss. Da bin ich jedoch optimistisch, dass das für alle eine Win-win-Situation werden kann. Schade wäre, wenn Großkonzerne unbehelligt vom Gesetzgeber durch gelenkte Vorteilnahme uns nieder­gelassenen Apothekern die Existenzgrundlage rauben würden; siehe DocMorris und TeleClinic.

DAZ: Welche Gefühle haben Sie bzgl. der Einführung des eRezeptes?

Dohm: Wichtig für uns Apotheker ist bei der Einführung von eRezept und Gesundheitskarte, je mehr Daten für uns lesbar sind, desto sicherer kann unsere Beratung werden. Zu wissen, welche Medikamente in welcher Dosierung der Patient erhält, ist essenziell für den Check auf mögliche Wechsel- oder Nebenwirkungen. Auch Laborwerte sind durchaus in manchen Fällen aufschlussreich und helfen uns weiter bei der Auswahl des richtigen Medikamentes. Das zusammen trägt zur Arzneimittelsicherheit wesentlich bei.

Redmann: Das eRezept wird ein Game changer sein, der manche dazu bewegen wird, aufzuhören. Es wird sicherlich mittelfristig seinen Platz im deutschen Gesundheitssystem finden – weil es „von oben“ dem System verordnet wird und einfach „eingeführt werden muss“. Allerdings vermag ich wie bei vielen Aktionen der jüngeren deutschen Gesundheits­politik hierbei keinerlei nachhaltige, wohldurchdachte Linie erkennen – zu schnell, zu viele Fragen offen, zu viele Unwägbarkeiten weggewischt: Erst mal machen, dann die Details – eben: Digitalisierung first, Bedenken second.

„Kaufen wir Apotheker uns jetzt unsere eigenen Arzt­praxen oder die Ärzte sich ihre eigenen Apotheken?“

Michael Dohm, Radolfzell

DAZ: Was sind die dringendsten Probleme in der Apotheke, die die Politik lösen muss?

Dohm: Die Politik ist an zwei Stellen gefordert: a priori muss die Politik die Krankenkassen an den Verhandlungstisch holen, denn diese müssen uns Apothekern wieder Rahmenbedingungen schaffen, dass wir ohne eine Flut von undurchsichtigen Fallstricken unsere Arbeit tun können. Und zum Zweiten muss der Vorrat an Impfstoffen und Medikamenten in unserem Land so groß sein, dass Defektlisten von über 200 Positionen schnellstens der Vergangenheit angehören.

Redmann: Gefühlt jede Woche taucht bei uns Apothekern eine neue Krisensituation auf. Natürlich wäre ein Versandhandelsverbot noch immer das Nonplusultra und von diesem würde ich auch nicht abrücken, allerdings sind die politischen Realitäten andere und der politische Wille zu einem Verbot ist nicht vorhanden. So wird man also bescheiden und muss sich eben mit den Realitäten, wie man sie vor­findet, auch abfinden: eine Entbürokratisierung wäre wünschenswert – und zwar auf allen Ebenen. Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass weniger Bürokratie zu mehr Flexibilität und zu einer besseren, schnelleren Versorgung führt. Wir durften sogar unter erleichterten Bedingungen Alkohol­gemische herstellen und abgeben. Undenkbar, oder? Hinsichtlich des eRezepts würde ich mir ein Makelverbot wünschen, das wasserdicht ist – eines, das Ahndungen zulässt, Verstöße klar definiert und keinen Raum für Schlupflöcher lässt.

DAZ: Herr Dohm und Herr Dr. Redmann, danke für das Gespräch. |

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