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Recht

Wer zahlt die Zeche?

Erstattungsanspruch im Fall von Arzneimittelrückrufen neu geregelt

Kommt es zu Rückrufen von Arzneimitteln, besteht nicht nur ein Risiko der Schädigung und den damit verbundenen Haftungs­ansprüchen der Patienten. Meist treten dann auch weitere (sozialrecht­liche) Haftungs- und ­Finanzierungsfragen auf. Denn die betroffenen Präpa­rate, die bereits durch die Solidar­gemeinschaft gezahlt wurden, können nicht verwendet werden und werden gegen ebenfalls durch die Versichertengemeinschaft zu zahlende Alternativen ausgetauscht. Dabei fielen lange nicht nur Mehrkosten für die Kranken­kassen, sondern auch die erneuten Zuzahlungen für die ­Patienten an. Der Gesetzgeber hat eine entsprechende Regelungslücke nun geschlossen und die Patienten von einer erneuten ­Zuzahlungsverpflichtung befreit. | Von Dennis Effertz

Auslöser dieser Neuregelungen war – wie bei vielen Änderungen, die das „Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung“ (GSAV) mit sich brachte – der Valsartan-Skandal. Wir erinnern uns: Arzneimittel unterschied­lichster pharmazeutischer Unternehmer mit dem antihypertensiven Wirkstoff Valsartan wurden seit Anfang Juli 2018 von den Aufsichtsbehörden zurückgerufen. Grund war eine produktionsbedingte Verunreinigung mit den als wahrscheinlich krebserregend geltenden Nitrosaminen bei einem der wenigen chinesischen Zulieferer. Die Apotheken waren in diesem Zusammenhang nicht nur kommunikativ, sondern auch logistisch gefordert, eine ordnungsgemäße Arzneimittel­versorgung weiterhin gewährleisten zu können. Denn alle betroffenen Patienten mussten entweder in Bezug auf ihre Arzneimitteltherapie umgestellt werden, oder aber es konnte ein Austausch gegen ein Arzneimittel mit nicht betroffenen Chargen erfolgen – sofern denn lieferbar.

Neben den potenziellen Schäden und den damit möglicherweise verbundenen Haftungsansprüchen der Patienten aufgrund der Qualitätsmängel traten aufgrund des Ausmaßes des Skandals erstmals weitere (sozialrechtliche) Haftungs- und Finanzierungsfragen zutage. Denn bereits durch die Solidargemeinschaft gezahlte Valsartan-Präparate sollten nicht verwendet werden und wurden gegen ebenfalls durch die Versichertengemeinschaft zu zahlende Alternativen ausgetauscht. Dabei fielen nicht nur Mehrkosten für die Krankenkassen, sondern in Form der Zuzahlung auch für die Patienten an, während die Lieferkette berechtigterweise von dem Mehrabsatz hinsichtlich der erstatteten Logistik- und Beratungskosten profitierte. Für einen Regressanspruch gegen den pharmazeutischen Unternehmer gab es keine vertragliche Grundlage [1]. Klassische Gewährleistungsansprüche in einer Lieferantenkette hätten allenfalls die Apotheken gegen den Großhandel oder die Großhändler gegen den pharmazeutischen Unternehmer gehabt. Diese erlitten jedoch vorliegend keinen Schaden. Die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) hingegeben hatte den Schaden, jedoch keinen Gewährleistungsanspruch [2]. Mit der Einführung des neuen § 131a SGB V schloss der Gesetzgeber diese Regelungslücke und entlastete die Patienten über § 31 Abs. 3 Satz 7 SGB V von der erneuten Zuzahlungsverpflichtung im Falle einer Arzneimittelrückruf-bedingten Ersatzverordnung ­gemäß § 82 Abs. 4 SGB V.

Wie entsteht der Ersatzanspruch?

Um zu verstehen, welcher Prozess im Hintergrund bzw. nach der Belieferung einer Ersatzverordnung abläuft, sei der neue Ersatzanspruch der Krankenkassen für mangelhafte Arzneimittel kurz erläutert. § 131a Abs. 1 Satz 1 SGB V bestimmt, dass die in § 437 BGB bezeichneten Rechte des Abgebenden, also der Apotheke, gegen seinen Lieferanten – hier insbesondere relevant ist der Schadenersatz – auf die Krankenkasse übergehen, soweit diese dem Abgebenden für die Abgabe des Arzneimittels eine Vergütung gezahlt hat. Hieraus ergeben sich bereits wichtige Schlussfolgerungen. Der Ersatzanspruch entsteht nur für gezahlte Arzneimittel, sodass eine theoretische „Doppelerstattung“ beispielsweise durch Retaxation dem Grunde nach ausgeschlossen ist. Weiterhin geht der Anspruch der Apotheke als Abgabestelle gegen ihren Lieferanten an die Krankenkasse über. Dies ist in der Regelversorgung der pharmazeutische Großhandel, womit sich der neue Anspruch gar nicht direkt gegen den pharmazeutischen Unternehmer (pU) richtet, wie man vermuten würde. Vielmehr geschieht dies nur indirekt, da der durch die Krankenkassen gegebenenfalls in Anspruch genommene Großhandel in diesen Fällen einen Anspruch gegen den pU als seinen Lieferanten hätte. Dies führte bereits im Gesetzgebungsverfahren zu einer gewissen Verstimmtheit der Interessenvertretungen, weshalb die Neuregelungen insbesondere durch den Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller [3], dem Bundesverband der pharmazeutischen Industrie [4], dem Verband der forschenden Pharmaunternehmen [5] sowie dem Großhandelsverband Phagro [6] stark als über das Ziel hinausschießend kritisiert wurden. Vielleicht in weiser Voraussicht hat der Gesetzgeber daher über § 131a Abs. 2 SGB V die Möglichkeit geschaffen, dass der GKV-Spitzenverband mit den Spitzenorganisationen der pharmazeutischen Unternehmer und Vertretern des ­pharmazeutischen Großhandels die Abtretung von Regressansprüchen vereinbaren kann. So könnten die Krankenkassen direkt gegen den verantwortlichen pharmazeutischen Unternehmer vorgehen [7]. Auch ist die Vereinbarung der tatsächlichen Abwicklungsdetails sowie die Möglichkeit von pauschalen Beträgen zur Abgeltung der Regressansprüche an dieser Stelle vorgesehen. Eine solche Rahmenvereinbarung existiert bis dato allerdings nicht, was die Umsetzung erster Fälle (Rückruf Emerade®) in der Praxis deutlich ­erschwert.

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Beim Rückruf von Valsartan-Präparaten (oben) und Emerade-Pens (unten) traten jüngst (sozialrecht­liche) Haftungs- und ­Finanzierungsfragen auf. Diese sollen durch die Neuregelungen nun der Vergangenheit angehören.

Die Frage, in welchen Fällen ein Arzneimittel überhaupt mangelhaft ist, richtet sich nach den Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Infrage kommen im Kontext der Arzneimittelversorgung insbesondere Qualitätsmängel gemäß § 8 Arzneimittelgesetz (AMG) (z. B. geminderte Qualität infolge von Produktionsfehlern oder Arzneimittelfälschungen). Von dem Anspruchsübergang werden allerdings nur solche Mängel erfasst, die auch zu einem Anbieter- oder Behörden-induzierten Arzneimittelrückruf oder zu einer von der zuständigen Behörde bekannt gemachten Einschränkung der Verwendbarkeit des Arzneimittels führen. Dabei ist ein Verschulden des Lieferanten nicht erforderlich. Alles in allem wird schnell klar, dass wir über eine neue Anspruchsgrundlage sprechen, bei der Apotheken leicht ins Kreuzfeuer geraten könnten. Denn die GKV-Position wird sein, dass der durch eine Neubelieferung entstandene Schaden zu ersetzen ist, und die Lieferanten werden versuchen, die Ersatzansprüche abzuwehren oder sich gegenseitig die Verantwortung zuzuschieben – und die Verbindung zwischen beiden Fronten bildet nun einmal die Apotheke, die als einzige wesentliche Informationen zum Vorgang besitzt.

Der Umgang mit der Ersatzverordnung

Bereits zu Beginn des Prozesses liefert die Apotheke den Krankenkassen die Information, ob überhaupt ein Anspruch existieren könnte – und zwar über die Abrechnung der belieferten Ersatzverordnung. Eine Ersatzverordnung lässt sich relativ leicht erkennen, da sie gemäß § 29 Abs. 9 BMV-Ä gekennzeichnet werden muss. Im Textfeld druckt der Arzt den Hinweis „Ersatzverordnung wegen Rückruf“ sowie die PZN bzw. den Arzneimittelnamen des betroffenen Arzneimittels auf. Erst darunter wird das neue Präparat verordnet. Die korrekte Bearbeitung erfordert dann die Nutzung des Sonderkennzeichens „06461067“ in Verbindung mit, der Anzahl der Ersatzpackung(en) im Feld Faktor sowie dem Betrag „0“ im Taxfeld. Eine Zuzahlung ist in diesen Fällen nicht erforderlich (s. o.). Denn für den Fall, dass ein Arzneimittel zurückgerufen oder seine Verwendbarkeit von der zuständigen Behörde beschränkt wird, entfällt gemäß § 31 Abs. 3 Satz 7 SGB V die Zuzahlung für das Ersatzpräparat [8]. Somit ist es den Krankenkassen möglich, einzelfallbezogen zu ermitteln und zu quantifizieren, in wie weit sie Ersatzansprüche gegen verschiedene pharmazeutische Unternehmen hätte. Doch dies allein genügt nicht, um diese durchzusetzen, weshalb weitere Mithilfe der Apotheke erforderlich wird.

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Ersatzverordnung durch den Arzt, Zuzahlungsfreistellung für den Patienten, Erstattungsansprüche der Krankenkassen sowie Mitwirkungspflichten der Apotheke – das Thema Arzneimittelrückrufe aus Qualitätsmängeln wurde mit dem „Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung“ (GSAV) bereits 2019 sozialrechtlich auf völlig neue Füße gestellt. Obgleich noch nicht alle notwendigen Vertrags­regelungen vereinbart wurden, ist es bereits in der Praxis angekommen.

Mitwirkungspflichten der Apotheken

Weil auch der Gesetzgeber um die „Vermittlerstelle“ der Apotheke wusste, hat er entsprechende Mitwirkungspflichten normiert. So hat die Apotheke der Krankenkasse auf Anfrage alle relevanten Informationen im Rahmen ihrer Mitwirkungspflichten zur Verfügung zu stellen (vgl. § 131a Abs. 1 Satz 3 SGB V). Relevante Informationsträger können beispielsweise Kaufbelege oder Lieferscheine darstellen aus denen Lieferant, Lieferdatum und die Chargennummer des betroffenen Arzneimittels hervorgehen. Letzteres ist insbesondere deshalb relevant, da oftmals nicht ganze Produktserien zurückgerufen werden, sondern nur einzelne Chargen. Und genau an dieser Stelle hat der Gesetzgeber seine eigens initialisierte Digitalisierung gedanklich überholt, denn: Eine systematische Verknüpfung zwischen Charge und Verordnung/Patient existiert noch nicht, weshalb derzeit eine Verfolgung von Ersatzansprüchen durch die Krankenkassen nur in den Ausnahmefällen eines Rückrufs aller Chargen (wie jüngst im Falle von Emerade®) oder über die Pauschalentschädigungen gemäß § 131a Abs. 2 SGB V möglich sein dürfte; jedenfalls solange, bis jemand auf die (zweckmäßige) Idee käme, die Infrastrukturen des E-Rezeptes und von Securpharm zu verbinden. Dies würde nicht nur die Sicherung der Erstattungsansprüche bedeuten, ­sondern auch endlich Rückrufaktionen auf der Patientenebene ermöglichen. Technisch wäre es ohne Weiteres möglich, die packungsindividuellen Informationen in den künftigen Abrechnungsdatensatz der Apotheken aufzunehmen. Dies könnte unter Ausblendung der typischerweise an solchen Stellen auftretenden Datenschutzdiskussionen ein bedeutender Schritt für die Arzneimittelsicherheit sein.

Auf einen Blick

  • Ersatzverordnungen werden im Verordnungsfeld mit „Ersatzverordnung wegen Rückruf“ gekennzeichnet und sind grundsätzlich von der Zuzahlung befreit.
  • Zusätzlich wird vom Arzt der Name des betroffenen Arzneimittels eingetragen. Erst darunter folgt der Name das neuen Präparats.
  • Die Apotheke bedruckt die Ersatzverordnungen mit einer Sonder-PZN. Das dafür verwendete Kennzeichen ist 06461067. Taxfeld und Zuzahlungsfeld werden daraufhin mit „0“ ausgefüllt.
  • Sollte die Apothekensoftware noch nicht in der Lage sein, das Sonderkennzeichen aufzudrucken, muss dies handschriftlich erfolgen.
  • Auch bei einer Ersatzverordnung gelten die Rabattverträge bzw. – wenn keine Rabatt­verträge existieren – die Abgaberangfolge des Rahmenvertrags.

Fazit

Der Valsartan-Skandal hat zu einigen sinnvollen Änderungen hinsichtlich der Arzneimittelsicherheit geführt. Zu Ende gedacht, kann auch der neu eingeführte Erstattungsanspruch der Krankenkassen im Falle von Rückrufen einen Betrag hierzu leisten.

Allerdings: Mit Einführung des neuen § 131a SGB V schloss der Gesetzgeber zwar diese Regelungslücke für die GKV. Die PKV ging hingegen trotz entsprechender Bestrebungen im Gesetz­gebungsprozess bisher leer aus [9].

Auch unabhängig davon ergibt die Neuerung sicherlich Sinn. Denn der Preisdruck auf Ebene der Arzneimittelhersteller darf letztlich nicht zu einem Abfall der Arzneimittelqualität führen. Die Einführung von Schadenersatzansprüchen macht das „Sparen am falschen Ende“ nun deutlich risikoreicher und potenziell unrentabel. Bleibt zu hoffen, dass die Durchsetzbarkeit über die technische Weiterentwicklung der Abrechnungssysteme bald routinemäßig möglich wird. In diesem Zusammenhang dürfte auch zu erwarten sein, dass insbesondere die Mitwirkungspflichten der Apotheken über die nächsten Verhandlungen Einzug in den Rahmenvertrag gemäß § 129 SGB V halten werden. Dies kann nur begrüßt werden. |

Literatur

[1] So auch Gassner/Ruf, in: GesR 2019, S. 493

[2] So auch ABDA, in: Stellungnahme zum GSAV, S. 11

[3] BAH, in: Stellungnahme des Bundesverbands der Arzneimittel-Hersteller e. V. (BAH) zum Referentenentwurf des Bundesministeriums für Gesundheit Entwurf eines Gesetzes für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) vom 14. November 2018, S. 26

[4] BPI-Stellungnahme zum Referentenentwurf des Bundesministeriums für Gesundheit Entwurf eines Gesetzes für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) vom 14.12.2018, S. 32

[5] vfa-Stellungnahme zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Gesundheit für ein Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV), S. 15

[6] Phagro-Stellungnahme zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Gesundheit für ein Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV), S. 5 – 6

[7] BT-Drucks. 19/10681, 92

[8] Vgl. BT-Drucks. 19/8753, 58

[9] PKV-Stellungnahme zum Gesetzentwurf für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) vom 14.12.2018

Autor

Dr. Dennis A. Effertz, LL. M., Stu­dium der Pharmazie, Approbation als Apotheker, Promotion in Medizinwissenschaften, Masterstudium Medizinrecht und Health Business Administration, www.dr-effertz.de

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