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Arzneimitteltherapiesicherheit

Gefürchtetes Delir

Wenn der Geist die Spur verlässt

Im Rahmen einer schweren Erkrankung oder einer Narkose kann es als Zeichen der Funktionsstörung des Gehirns zu einem Delirium kommen. In diesem Zustand treten schnell bzw. wechselnd Aufmerksamkeit-, Wahrnehmungs- und Gedächtnisstörungen auf. Aber auch eine Infektion, Exsikkose, ein epileptischer Anfall sowie eine Medikamentengabe oder auch das Absetzen von Arzneimitteln können die Entwicklung eines Delirs verursachen. Der akute Verwirrtheitszustand ist daher kein Phänomen das nur im Krankenhaus auftreten kann. Auch im ambulanten Bereich sollte ein Delir in Betracht gezogen werden, wenn sich die Kognition oder das Verhalten innerhalb kurzer Zeit ändert.  | Von Sebastian Baum

Das Delir (lat: de lira ire = aus der Spur gehen), auch als akuter Verwirrtheitszustand bezeichnet, ist charakterisiert durch eine Kombination einer quantitativen und qualitativen Bewusstseinsstörung und einer Aufmerksamkeits­störung. Hinzu kommt, dass sich ein Delir im Unterschied zur Demenz oder zu Depressionen, die ja ebenfalls zu kognitiven Defiziten führen können, plötzlich entwickelt und im Tagesverlauf fluktuiert. Die Patienten sind desorientiert, haben unterschiedlich stark ausgeprägte Formen von Sinnestäuschungen und Verkennungen der Umgebung und Personen, die teils wahnhafte Züge annehmen können (s. „Leitsymptome eines Delirs“). Auch treten in vielen Fällen ein beeinträchtigtes Konzentrationsvermögen und formale Denk­störungen auf. Die Patienten wirken dadurch häufig sehr getrieben und ängstlich, sind psychomotorisch unruhig. Diese Form der Störung wird als hyperaktives Delir bezeichnet. Weitere Subtypen sind die hypoaktive Form und die Mischform. Patienten mit einem hypoaktiven Delir haben die schlechteste Prognose, weil diese Patienten „ruhig“ sind, in der pflegerischen Versorgung nicht „auffällig“ sind und das Delir daher häufig nicht erkannt wird [Lütz et al. 2010].

Leitsymptome eines Delirs

  • Bewusstseinsstörung
  • Aufmerksamkeitsstörung
  • Gedächtnisstörungen
  • Desorientiertheit
  • Wahrnehmungsstörungen
  • Wahnideen
  • psychomotorische Unruhe
  • Störung des Tag-/Nachtrhythmus
  • plötzlicher Beginn
  • fluktuierender Verlauf

Delir ist eine Notfallsituation

Es ist aber unerlässlich, den Patienten bezüglich einer möglichen Veränderung der Kognition, Orientierung, des Bewusstseins und der Aufmerksamkeit zu überwachen. Zum einen ergibt sich dadurch die einzige Möglichkeit, ein Akut­ereignis überhaupt wahrzunehmen, das im höheren Alter durchaus ohne andere Symptome außer den oben genannten neurologischen Auffälligkeiten auftreten kann. Zum anderen gilt es, die Ursache zu finden. Häufig sind chirurgische Eingriffe Auslöser eines akuten Verwirrtheitszustandes. Aber auch eine Infektion, Exsikkose, ein epileptischer Anfall sowie eine Medikamentengabe oder auch das Absetzen von Arzneimitteln können die Entwicklung eines Delirs verursachen. Das bedeutet, dass der akute Verwirrtheitszustand kein Phänomen darstellt, das nur im Krankenhaus auftreten kann. Auch im ambulanten Bereich sollte ein Delir in Betracht gezogen werden, wenn sich die Kognition oder das Verhalten beispielsweise eines Heimbewohners innerhalb weniger Stunden bis Tage verschlechtert. Da das Mortalitätsrisiko mit der Delirdauer massiv ansteigt und viele Ursachen infrage kommen können, stellt das Delir eine Notfallsituation dar, die grundsätzlich stationär, aber nicht zwingend intensivmedizinisch zu behandeln ist. Daher ist es sinnvoll, auch im ambulanten Bereich bei Verdachtsfällen auf ein Delir zu testen. Als Testverfahren bietet sich die Nurse Deliriums Screening Scale (Nu-DESC) [Lütz et al. 2008] an. Im stationären Bereich hat sich beispielsweise die Confusion Assessment Method (CAM bzw. CAM-ICU [Ely et al. 2001, Günther et al. 2010]) etabliert. Eine weitere Möglichkeit zur Detektion ist die Intensiv Care Delirium Screening Checklist (ICDSC) [Radtke et al. 2009].

Das Delir erhält aber vor allem bei der stationären Behandlung älterer Patienten einen immer größer werdenden Stellenwert in Deutschland. Denn es tritt mit einer Inzidenz von bis zu 80% bei mechanisch beatmeten Patienten auf [Ely et al. 2004], während es bei Patienten nach einem Schlaganfall bei bis zu ca. 50% zu beobachten ist [Shi et al. 2012]. In einer aktuellen Metaanalyse wurde deutlich, dass das Delir aber auch mit einer Häufigkeit von etwa 30% bei Patienten in anderen Fachabteilungen während eines stationären Aufenthaltes zu finden ist [Krewulak at al. 2018]. Einer der Ursachen ist sicherlich die demografische Entwicklung, da vor allem ältere Patienten von einem Delir betroffen sind und diese Patientengruppe stetig wächst. Auf der anderen Seite wird erst seit wenigen Jahren strukturiert durch verschiedene Assessment-Methoden nach dem Vorhandensein eines Delirs geschaut. Zuvor wurde das Delir beispielsweise als „Durchgangssyndrom“ vor allem nach operativen Eingriffen weitestgehend verharmlost. Dass ein frisch operierter älterer Patient kognitiv etwas durcheinander gerät, galt und gilt leider noch in vielen Krankenhäusern als normal und nicht behandlungsbedürftig. Es wurde vor allem fälschlicherweise angenommen, dass sich die Patienten mit der Zeit von alleine davon erholen. Dies ist vor allem bei Patienten mit bereits vorliegenden (und größtenteils noch nicht erkannten) kognitiven Defiziten der Fall. Die Situation wurde nur dann als behandlungspflichtig angesehen, wenn Verhaltensauffälligkeiten bei den Patienten aufgetreten waren. Eingesetzt wurden häufig Antipsychotika wie Haloperidol und vor allem Sedativa wie Midazolam. Dieses Vorgehen hat sich schon seit Jahren als fatal erwiesen. Viele in den USA, Kanada und Australien durchgeführte Studien haben offenbart, dass sowohl die Sedierung als auch das Delir bei älteren Patienten (und im Gegensatz zu Kindern) nicht nur häufig zu anhaltenden kognitiven Beeinträchtigungen führen kann [Saczinski et al. 2012], sondern dass auch die Pflegebedürftigkeit und die Mortalität zum Teil massiv erhöht sind [Ely W et al. 2004, Pisani et al. 2009].

Ursachen für die Entwicklung eines Delirs

Es gibt eine Vielzahl an Ursachen für die Entwicklung eines Delirs. Auf der einen Seite sind es Akutereignisse wie eine schwere Infektion oder ein größerer operativer Eingriff. Aber auch die Pharmakotherapie kann die Entwicklung eines Delirs begünstigen oder auslösen. Für das abrupte Absetzen von Benzodiazepinen ist hinlänglich bekannt, dass damit ein akuter Verwirrtheitszustand (Endzugsdelir) induziert werden kann. Aber auch weitere Arzneimittel wie Opioide, die Z-Substanzen als auch Pregabalin können beim plötzlichen Therapieabbruch zu einem Delir führen. Auf der anderen Seite kann eine Neuverordnung von bestimmten Arzneimitteln wie Anticholinergika [Inouye et al. 1996, Inouye et al. 2004, Laurilia et al. 2008] zu einem Risiko für die Patienten werden. Unter bestimmten Voraussetzungen wie höheres Alter oder kognitive Einschränkungen muss sogar damit gerechnet werden, dass die Einmalgabe eines Arzneimittels bei Patienten ein Delir auslösen kann [Kalan et al. 2018].

Unterstützung in der Offizin

Für die Überprüfung der Medikation auf anticholinerge Nebenwirkungen und Interaktionen können zum Beispiel folgende kostenlose Onlinetools eingesetzt werden:

Die englischsprachigen Plattformen gewähren durch eine einfache Eingabefunktion der Wirkstoffe einen schnellen Überblick über das anticholinerge Risiko. Hinter dem „anticholinergic Effect on Cognition Tool“ steht die „South London and Maudsley NHS Foundation Trust“, eine Stiftung die durch das englische Gesundheitssystem getragen wird.

Die Datenbank „ACB Calculator“ wird durch den niederländischen Informationsdienstleister „Wolters Kluwer“ aktualisiert. In beiden Systemen sind nicht alle potenziell anticholinergen Wirkstoffe hinterlegt und die Einteilung in die Risikogruppen kann variieren. Der „ACB Calculator“ bietet zusätzlich eine Tabelle an, um für risikoreiche Wirkstoffe eine entsprechende risikoärmere Therapiealternative zu finden.

Anticholinerge Arzneimittel

Vor allem von stark anticholinergen Arzneimitteln wie den meisten tricyclischen Antidepressiva ist bekannt, dass die Einnahme mit einem erhöhten Delirrisiko verbunden ist. Auch aus diesem Grund sollte ihr Einsatz vor allem bei älteren Patienten vermieden werden, sie werden deshalb als potenziell inadäquate Medikation (PIM) bezeichnet. In den letzten 15 Jahren wurden zu diesem Thema mittlerweile eine Vielzahl an Listen publiziert, in denen Arzneistoffe nach geringem, mittlerem und starkem anticholinergen Potenzial eingeordnet werden und einen numerischen Wert von eins bis drei zugeordnet bekommen (s. Kasten „Unterstützung in der Offizin“). Einem Wirkstoff mit einem geringen anticholinergen Potenzial wird der Wert „eins“ zugewiesen, während mittelstark und stark anticholinerge Substanzen den Wert „zwei“ bzw. „drei“ erhalten. Auf diesem Wege kann für die Medikation des einzelnen Patienten ein Score ermittelt werden. Die Empfehlung der Autoren ist, bei der Verordnung von Arzneimitteln darauf zu achten, dass der Score den Wert „drei“ oder höher nicht erreicht, da damit ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines Delirs verbunden ist [Ngyuen et al. 2018, Pasina et al. 2019, Müller et al. 2020].

Der Nachteil dieser Listen ist, dass nicht jede Liste alle Wirkstoffe beinhaltet. Zudem kommen die Autoren nicht immer zur gleichen Einschätzung, was die Bewertung des anticholinergen Potenzials einzelner Wirkstoffe betrifft. Ein Beispiel ist hier das Quetiapin, welches in der Anticholinergic Burden Scale [Carnaham et al. 2006] als nicht anticholinerg eingestuft wird. In der „anticholinerg Burden Scale“ [Rudolph et al. 2008] erhält die Substanz den Wert „eins“, während in der Clinician-rated anticholinergic Scale [Han et al. 2008] der Wert „zwei“ bzw. in der Anticholinergic cognitive Burden Scale [Boustani et al. 2008] der Wert „drei“ von den Autoren zugeordnet wird. Aus diesem Grunde wurden die hier aufgeführten Einstufungen aus den bisher publizierten Listen teilweise angepasst. Insgesamt existieren etwa 100 Wirkstoffe, die ein anticholinerges Potenzial unterschiedlicher Ausprägung besitzen. Darunter befinden sich auch Arzneistoffe, die in Deutschland mit zu den meist verordneten Wirkstoffen gehören. Auch mehrere nichtverschreibungspflichtige Arzneimittel können zum Teil stark anticholinerge Substanzen enthalten (s. Kasten „Auswahl anticholinerger Wirkstoffe“). Es sei betont, dass leicht anticholinerg wirksame Substanzen einzeln eingenommen sicherlich nicht das Risiko für die Entwicklung eines Delirs erhöhen. Es wird aber deutlich, dass die gleichzeitige Gabe einer relativ alltäglichen Arzneimittelkombination von Metoprolol, Captopril und Metformin bereits das Delirrisiko steigert. Hier bietet es sich an, Metoprolol durch Bisoprolol und Captopril durch Ramipril zu ersetzen. Bei dieser sogenannten Aut-simile-­Substitution ist von keiner Beeinträchtigung der Versorgungsqualität auszugehen. Neben anticholinergen Wirkstoffen können auch dopaminerge und serotonerge Substanzen die Entwicklung eines Delirs begünstigen.

Auswahl anticholinerger Wirkstoffe

  • leicht anticholinerg wirkende Substanzen

Aclidinium, Alprazolam, Ampicillin, Aripiprazol, Asenapin, Atenolol, Azathioprin
Baclofen, Benazepril, Betaxolol, Bisacodyl, Bromocriptin, Bupropion
Captopril, Celecoxib, Cetirizin, Chinidin, Chlordiazepoxid, Chlorthalidon, Ciclosporin, Citalopram, Clindamycin, Clonazepam, Clorazepat, Codein
Desloratadin, Dexamethason, Dextromethorphan, Diazepam, Digitoxin, Digoxin, Diltiazem, Dimetinden, Dipyridamol, Domperidon
Entacapon, Escitalopram, Etoricoxib
Famotidin, Fentanyl, Fexofenadin, Flunitrazepam, Fluoxetin, Flurazepam, Fluvoxamin, Furosemid
Gentamicin, Glycopyrronium, Guaifenesin
Hydralazin, Hydrocortison, Hydromorphon
Ipratropium, Isosorbiddinitrat, Isosorbidmononitrat
Ketorolac
Lansoprazol, Levocetirizin, Levodopa, Lithium, Loratadin, Lorazepam
Melperon, Metformin, Methocarbamol, Methotrexat, Methylprednisolon, Metoclopramid, Metoprolol, Mianserin, Midazolam, Mirtazapin, Moclobemid, Morphin
Naratriptan, Nifedipin,
Oxazepam, Oxycodon
Paliperidon, Pancuronium, Phenobarbital, Pipamperon, Piperacillin, Pramipexol, Prednisolon, Prednison, Prothipendyl, Pseudoephedrin
Risperidon, Rotigotin
Selegilin, Sertralin, Sumatriptan
Tapentadol, Temazepam, Tiotropium, Trandolapril, Trazodon, Triamcinolon, Triamteren, Triazolam, Trospiumchlorid
Valproinsäure, Vancomycin (i. v.), Venlafaxin
Warfarin
Ziprasidon, Zolmitriptan

  • mittelstark anticholinerg wirkende Substanzen

Amantadin
Carbamazepin
Fluphenazin
Haloperidol
Loperamid, Loxapin
Maprotilin, Methadon
Nortriptylin
Olanzapin, Opipramol, Oxcarbazepin
Paroxetin, Perphenazin, Pethidin, Pimozid
Quetiapin
Ranitidin
Theophyllin, Tramadol

  • stark anticholinerg wirkende Substanzen

Amitriptylin, Atropin
Biperiden
Chlorpheniramin, Chlorpromazin, Chlorprothixen, Cimetidin, Clemastin, Clomipramin, Clozapin, Cyproheptadin
Darifenacin, Desipramin, Dimenhydrinat, Diphenhydramin, Doxepin, Doxylamin
Fesoterodin, Flavoxat, Fluspiren
Hydroxyzin
Imipramin
Levomepromazin
Orphenadrin, Oxybutynin
Procyclidin, Promethazin, Propiverin
Scopolamin, Solifenacin
Thioridazin, Tizanidin, Tolterodin, Trihexyphenidyl, Trimipramin

Dopaminerge Arzneistoffe

Aufgrund der Pharmakodynamik ist es naheliegend, dass dopaminerge Arzneimittel das Risiko für die Entstehung eines akuten Verwirrtheitszustandes erhöhen können (s. Kasten „Auswahl weiterer Wirkstoffe, die ein Delir induzieren können“). Dazu zählen vor allem Dopaminagonisten wie die Ergot-Derivate Bromocriptin und Cabergolin und die Nicht-Ergotderivate Apomorphin, Pramipexol, Quinagolid, Ropinirol und Rotigotin. Eine Umstellung der Medikation vor allem im perioperativen Management ist in der Regel nicht möglich. Dennoch sollte grundsätzlich erwogen werden, vor allem bei älteren Patienten mittel- bis langfristig auf eine Therapie beispielsweise des Morbus Parkinson mit Dopaminagonisten zu reduzieren bzw. zu verzichten, und mit Levodopa-haltigen Medikamenten fortzuführen. Der Einsatz von MAO-B-Hemmern wie Rasagilin und Selegilin ist ebenfalls mit einem erhöhten Risiko für die Entwicklung eines Delirs verbunden. Beim Selegilin gibt es noch die Besonderheit, das diese Substanz neben dem dopaminergen auch noch einen anticholinergen Effekt besitzt. Auch die MAO-A-Hemmer Moclobemid und Tranylcypramin aus der Wirkstoffgruppe der Antidepressiva besitzen durch die Hemmung des Abbaus von Dopamin und Serotonin eine dopaminerge und eine ­serotonerge Wirkung.

Auswahl weiterer Wirkstoffe, die ein Delir induzieren können

  • dopaminerg wirkende Substanzen

Apomorphin
Bromocriptin
Cabergolin
Levodopa, Linezolid
Moclobemid
Pramipexol
Quinagolid
Rasagilin, Ropinirol, Rotigotin
Selegilin
Tranylcypramin

  • serotonerg wirkende Substanzen

Citalopram
Duloxetin
Escitalopram
Fentanyl, Fluoxetin, Fluvoxamin
Linezolid
Maprotilin, Milnacaprin, Mirtazapin, Moclobemid
Paroxetin
Sertralin
Tramadol, Tranylcypramin
Venlafaxin

Zu beachten ist, dass das Antibiotikum Linezolid neben seinen bakteriziden Eigenschaften auch einen schwach potenten MAO-A-Hemmer darstellt.

Serotonerge Substanzen

Zu den bekanntesten serotonergen Substanzen gehören die zur Depressionsbehandlung eingesetzten selektiven Serotoninwiederaufnahmehemmer (SSRI) wie Citalopram, Escitalopram, Sertralin sowie Fluvoxamin, Paroxetin und Fluoxetin und die selektiven Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SSNRI) wie Duloxetin, Venlafaxin sowie Milnacaprin. Weitere Antidepressiva mit serotonerger Wirkung sind die tetracyclischen Wirkstoffe Mirtazapin und Maprotilin. Auch die tricyclischen Antidepressiva besitzen neben anticholinergen Eigenschaften auch eine serotonerge Wirkung. Gleiches gilt für die MAO-A-Hemmer Moclobemid, Tranylcypramin und das Antibiotikum Linezolid, welches ebenfalls die Monoaminoxidase hemmen kann. Auch Opioide besitzen in unterschiedlicher Ausprägung einen serotonergen Effekt. Das betrifft vor allem Fentanyl und Tramadol (s. Kasten „Auswahl weiterer Wirkstoffe, die ein Delir induzieren können“).

Andere Mechanismen

Neben den anticholinergen, dopaminergen und seroton­ergen Effekten von Arzneimitteln scheinen auch weitere Mechanismen die Entwicklung eines akuten Verwirrtheitszustandes zu begünstigen. Hier sind vor allem die Gyrasehemmer wie das Ciprofloxacin zu nennen, aber auch Metronidazol, Penicilline, Carbapeneme Sulfonamide [Bhattacharyya et al. 2016] stehen in Verdacht, ein Delir auslösen zu können. Weitere Antiinfektiva sind Virustatika wie Aciclovir, vor allem, wenn es intravenös appliziert wird. An dieser Stelle sei angemerkt, dass natürlich auch die Infektion selbst ein auslösender Faktor bei der Delirentwicklung sein kann.

Hyponatriämie und Dehydratation

Arzneimittel können nicht nur wie oben dargestellt direkten Einfluss auf die Delirentwicklung nehmen. Auch können sie auf indirektem Weg das Risiko für das Auftreten eines akuten Verwirrtheitszustandes erhöhen. Bekanntlich sind eine vorliegende Dehydratation [Inouye SK et al. 1998, O’Keeffe S et al. 2002] und eine Hyponatriämie ebenfalls Risikofaktoren [Inouye SK et al. 2014, Zieschang et al. 2016]. Vor allem Diuretika können bekanntlich eine Dehydratation begünstigen. Kommen Akutereignisse wie vermehrtes Schwitzen durch erhöhte Tagestemperaturen oder Fieber sowie eine Harnwegsinfektion hinzu, kann sich das ungünstig auf die Situation auswirken.

Eine Reihe von Arzneimitteln können die Ausscheidung von Natriumionen fördern (siehe Kasten „Hyponatriämie induzierende Wirkstoffgruppen“). Neben Diuretika kann vor allem die Gabe von ACE-Hemmern, AT1-Rezeptorantagonisten sowie von Antidepressiva wie SSRI und SNRI, Antikonvulsiva wie Carbamazepin und Pregabalin die Natriumionen­-Konzentration senken. Gleiches gilt für Antipsychotika wie Haloperidol, Risperidon und Quetiapin.

Hyponatriämie induzierendeWirkstoffgruppen (Auswahl)

  • ACE-Hemmer
  • Aldosteron-Antagonisten
  • Antikonvulsiva
  • Antipsychotika
  • AT1-Rezeptorantagonisten
  • nichtsteroidale Antirheumatika
  • Schleifendiuretika
  • selektive Serotonin-Noradrenalin­Wiederaufnahmehemmer
  • selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer
  • Sulfonylharnstoffe
  • tetracyclische Antidepressiva
  • Thiazid-Diuretika
  • tricyclische Antidepressiva

Polypharmazie

Auch die Zahl der eingenommenen Arzneimittel spielt eine Rolle. Ältere Patienten, die fünf oder mehr Arzneimittel einnehmen, haben ein höheres Risiko für das Entstehen eines Delirs [Hubbard et al. 2013]. Daher sollte bei Patienten, die eine Vielzahl an Arzneimitteln einnehmen, eine Medikationsanalyse durchgeführt werden, da sie eine Möglichkeit darstellt, das Risiko für das Auftreten eines Delirs wirksam zu reduzieren [Lin et al. 2010, Lapane et al. 2011].

Auf einen Blick

  • Das Delir ist ein akuter Verwirrtheitszustand.
  • Symptome entwickeln sich plötzlich und fluktuieren im Tagesverlauf.
  • Aufmerksamkeits-, Wahrnehmungs- und Gedächnisstörungen bis hin zu Wahnvorstellungen, aber auch lethargische Formen können auftreten.
  • Auslöser können chirurgische Eingriffe, Infektionen, Exsikkose oder Pharmakotherapie sein.
  • Besonders geriatrische Patienten sind betroffen.
  • Anticholinerg, dopaminerg sowie serotonerg wirkende Arzneistoffe können ein Delir begünstigen bzw. auslösen. Aber auch Wirkstoffe, die eine Hyponatriämie induzieren, verursachen akute Verwirrtheitszustände.
  • In der Apotheke kann durch eine Medikationsanalyse und anschließende Beratung der Ärzte hinsichtlich des Austausches von problematischen Wirkstoffen gegen geeignetere das Risiko der Entwicklung eines Delirs gesenkt werden.
  • Bei deliranten Patienten muss geklärt werden, ob das Delir durch pharmakologische Induktoren entstanden sein kann.

Wie in der Apotheke geholfen werden kann

Im Zuge einer Medikationsanalyse ist es durchaus angebracht, vor allem bei älteren Patienten die Arzneimitteltherapie bezüglich des Delirrisikos genauer zu betrachten. Viele Arzneimitteldatenbanken und vor allem Interaktionsprogramme weisen aktuell in der Regel nicht auf die Risikosituation bezüglich der Entwicklung eines akuten Verwirrtheitszustandes beim einzelnen Patienten hin. Das bedeutet, dass eine Evaluation der Pharmakotherapie bezüglich des Delirrisikos vorwiegend in Eigenarbeit durchzuführen ist. Häufig ist es auch das Zusammenspiel pharmakologischer und nicht-pharmakologischer Einflüsse, das ein Delir begünstigen kann. Daher haben zwei Fragestellungen eine besondere Gewichtung:

  • Bei einem deliranten Patienten muss geklärt werden, welche pharmakologischen Induktoren dazu beigetragen haben könnten, dass dieser ein Delir entwickelt hat.
  • Bei einem nicht-deliranten Patienten (höheren Alters) muss gefragt werden, ob eine Anpassung der Therapie sinnvoll ist, um das zukünftige Risiko für ein Delir zu reduzieren.

Ein erster Schritt ist sicherlich, die anticholinerge Last zu reduzieren, da häufig gleichwertige, aber in Bezug auf das Delirrisiko sichere Alternativen zur Verfügung stehen. Vor allem beim präoperativen Setting im Rahmen von elektiven Eingriffen ist eine Evaluation der Arzneimitteltherapie bezüglich anticholinerger Last, Hyponatriämie- und Dehydratationsrisiko sinnvoll und bietet eine Gelegenheit, gemeinsam mit dem Verordner im niedergelassenen Bereich die Patienten für die bevorstehende Operation vorzubereiten. |

Literatur

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Autor

Prof. Dr. rer. nat. Sebastian Baum ist Stationsapotheker im evangelischen Krankenhaus Johannisstift Münster sowie im evangelischen Lukaskrankenhaus Gronau. Seit 2019 ist er Professor für Ernährungstherapie an der Europäischen Fachhochschule Rhein/Erft.

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Anticholinerge Last bei Heimbewohnern erkennen und beseitigen

Ärzten ist das Ausmaß meist nicht bewusst

Behaviorale und psychologische Symptome jenseits der Kognitionsstörungen

Zwischen Apathie und Agitation

Elek­trolytstörung als Bindeglied

Erhöhen PPI das Risiko für ein Delir?

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