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Arzneimittel und Therapie
Obacht, Opioide!
Leitlinie zur Langzeitanwendung von Opioid-Analgetika aktualisiert
Das Wirkprofil der Opioide geht mit einem breiten Nebenwirkungsspektrum einher. Eine der unerwünschten Arzneimittelwirkungen bei der chronischen Einnahme von Opioiden ist die Entwicklung einer psychischen und physischen Abhängigkeit. Süchtige Patienten werden gesellschaftlich stigmatisiert. Dies ist einer der Gründe, die den Umgang mit diesem Problem so herausfordernd machen. Welche Auswirkungen ein nachlässiger Umgang mit Opioid-Analgetika haben kann, zeigt sich anhand der Opioid-Krise in den USA (siehe auch Eckstein N et al. Die Opioid-Krise. DAZ 2019, Nr. 36, S. 64).
Auch in Deutschland sind die Einzelverordnungen von Opioiden zwischen 2006 und 2016 von 4,2% auf 4,9% in der Gesamtbevölkerung gestiegen. Diese Zahl blieb jedoch seit 2016 konstant. Auch die Langzeitverordnungen für nicht-tumorbedingte Schmerzen sind seit 2012 nicht gestiegen. Daher sieht die Deutsche Schmerzgesellschaft keine Hinweise auf eine Opioid-Epidemie in Deutschland. Allerdings wird in Studien auf eine Fehlversorgung mit Opioiden hingewiesen. So hatten laut Versicherungsdaten im Jahr 2014 ca. 15% der Patienten, die langfristig mit Opioiden behandelt wurden, eine somatoforme Schmerzstörung. Bei diesen Patienten ist der subjektiv empfundene Schmerz auf psychische Ursachen zurückzuführen. Bei dieser Diagnose rät die Leitlinie für chronische, nicht-tumorbedingte Schmerzen vom Einsatz von Opioiden ab. Zudem kommt es bei ca. 0,8 bis 1,8% der Patienten unter langfristiger Opioid-Therapie zu einem Missbrauch oder einem Abhängigkeitssyndrom. Daher sollte der Einsatz von Opioiden sorgfältig abgewogen werden. Dazu gibt die Deutsche Schmerzgesellschaft umfangreiche Empfehlungen in ihrer vor Kurzem aktualisierten Leitlinie zur Langzeitanwendung von Opioiden bei chronischen nicht-tumorbedingten Schmerzen.
Bewährte Indikationen
In der Leitlinie wird in den Empfehlungen zwischen einem kurzfristigen (4 bis 12 Wochen), einem mittelfristigen (12 bis 26 Wochen) und einem langfristigen Einsatz (über 26 Wochen) differenziert. Grundsätzlich werden Opioid-Analgetika nur als eine von mehreren Therapie-Optionen empfohlen, wenn sich unter vorhergehenden Therapien keine ausreichende Schmerzreduktion ergeben hat.
Für chronische Rückenschmerzen besteht ein starker Konsens, dass Opioide kurz-, mittel- und langfristig eingesetzt werden können. Patienten mit funktionellen Rückenschmerzen oder Rückenschmerzen als Symptom einer psychischen Störung sollten dagegen nicht mit Opioiden behandelt werden.
Bei chronischem Arthroseschmerz sind Opioide eine Option, wenn ein Gelenkersatz nicht möglich oder nicht gewünscht ist und andere Analgetika wirkungslos oder kontraindiziert sind.
Weitere Empfehlungen gibt es unabhängig vom Anwendungszeitraum bei diabetischen Polyneuropathien. Als Alternativen werden bei dieser Indikation aber auch tricyclische Antidepressiva, Duloxetin und Pregabalin genannt.
Bei Postzosterneuralgie, Phantomschmerz, nicht-diabetischer Polyneuropathie und dem Restless-Legs-Syndrom (RLS) kann eine kurzfristige Therapie mit Opioiden erwogen werden. Nur bei einem Ansprechen sollte die Behandlung nach zwölf Wochen fortgesetzt werden. Bei RLS-Patienten sollte eine Opioid-Therapie nur dann initiiert werden, wenn sie zuvor nicht ausreichend auf Levodopa oder Dopamin-Agonisten angesprochen hatten. Eine Anwendung von Tramadol kann bei Fibromyalgie kurzfristig ausprobiert und bei Ansprechen langfristig weitergeführt werden.
Als individueller Therapieversuch kann die Anwendung von Opioid-Analgetika bei schmerzhafter Radikulopathie und rheumatoider Arthritismit anhaltenden Schmerzen empfohlen werden.
Bei Parkinson und Schmerzen nach Rückenmarksverletzung werden Opioide nicht als primäre Therapieoption empfohlen. Sollten einzelne dieser Patienten allerdings auf Opioide ansprechen, kann die Therapie langfristig weitergeführt werden.
Bei anderen nicht-tumorbedingten Schmerzen kann eine Opioid-Therapie wegen fehlender Evidenz nur als individueller Therapieversuch erwogen werden. Dazu gehören unter anderem sekundäre Kopfschmerzen, chronische Schmerzen bei manifester Osteoporose oder entzündlich-rheumatischen Erkrankungen, chronische postoperative Schmerzen und chronischer Extremitätenschmerz bei arteriellen Verschlusskrankheiten.
Wichtige Kontraindikationen
Neben den oben genannten möglichen Anwendungsgebieten hat die Deutsche Schmerzgesellschaft einige Indikationen identifiziert, bei denen dringend von einer Opioid-Therapie abgeraten wird. Dazu gehören alle primären Kopfschmerzen, Schmerzen bei funktionellen beziehungsweise somatoformen Störungen und chronischer Schmerz als Leitsymptom von psychischen Störungen. Laut den Autoren der Leitlinie überwiegen bei diesen Indikationen die Schäden, die mit einer Opioid-Behandlung einhergehen, den möglichen Nutzen.
Für die Behandlung von Schmerzen in Verbindung mit einer chronischen Pankreatitis oder chronisch entzündlichen Darmerkrankungen wird eine längerfristige Anwendung von Opioiden aufgrund fehlender Evidenz und möglicher Nebenwirkungen nicht empfohlen. Als weitere Kontraindikationen werden Arzneimittelmissbrauch oder Zweifel am verantwortungsvollen Umgang mit Opioid-haltigen Arzneimitteln genannt. Auch schwere affektive Störungen und Suizidalität werden in der Leitlinie als Kriterien aufgeführt, die gegen eine Verordnung sprechen.
Praxisempfehlungen
In der Leitlinie wird empfohlen, vor dem Einleiten einer Opioid-Therapie nicht-medikamentöse Maßnahmen zu optimieren und medikamentöse Alternativen zu erwägen. Zuvor sollte eine allgemeine, sucht- und schmerzbezogene sowie psychosoziale Anamnese durchgeführt und dokumentiert werden. Die verschiedenen Therapieoptionen und ihr möglicher Nutzen und Schaden sollten mit dem Patienten besprochen und auf individuelle Risiken hingewiesen werden. Dazu gehören unter anderem erhöhtes Sturzrisiko, sexuelle und endokrine Funktionsstörungen sowie Atemstörungen. Zusätzlich muss auf verkehrs- und arbeitsplatzrelevante Aspekte hingewiesen werden. So sollten Patienten in der Titrationsphase nicht Auto fahren.
Eine Opioidtherapie bei chronischen nicht-tumorbedingten Schmerzen sollte nicht alleinig durchgeführt, sondern durch physio- oder psychotherapeutische Maßnahmen begleitet werden. Von einer Kombination von Opioiden mit Tranquilizern wird aufgrund des erhöhten Risikos für Überdosierungen und Missbrauch abgeraten. Allgemein muss der Verordnung von opioidhaltigen Arzneimitteln auf Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten geachtet werden. So warnen die Behörden in Kanada und den USA bei gleichzeitiger Einnahme von Pregabalin oder Gabapentin wegen eines erhöhten Atemdepression-Risikos. Auch Wechselwirkungen durch CYP-Induktoren oder -Inhibitoren sowie die Risiken für ein anticholinerges (in Kombination mit Antidepressiva und Neuroleptika) oder Serotonin-Snydrom (für Oxycodon, Fentanyl, Tapentadol und Tramadol) sind zu beachten.
Eine Empfehlung hinsichtlich der Bevorzugung eines einzelnen Opioids oder des oralen bzw. transdermalen Applikationsweges kann nicht gegeben werden. Stattdessen sollen bei der Auswahl die Begleiterkrankungen, mögliche Kontraindikationen und Nebenwirkungen und die Präferenzen des Patienten berücksichtigt werden. Eine Empfehlung gab es jedoch für die Anwendung von retardierten Arzneimitteln mit Einnahme nach einem festen Zeitplan. |
Literatur
Langzeitanwendungen von Opioiden bei chronischen nicht-tumorbedingten Schmerzen (LONTS). 2. aktualisierte S3-Leitlinie der Deutschen Schmerzgesellschaft e. V., AWMF-Nr. 145/003, Stand: Mai 2020
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