- DAZ.online
- DAZ / AZ
- DAZ 18/2020
- Migräne bei Kindern ...
Arzneimittel und Therapie
Migräne bei Kindern vorbeugen
Cinnarizin und Natriumvalproat bewähren sich in Studie
Migräne ist bereits im Kindes- und Jugendalter eine relevante Erkrankung. Rund 8% aller Heranwachsenden leiden unter den anfallsartigen Kopfschmerzattacken. Eine Prophylaxe wird ab vier Episoden pro Woche empfohlen oder sofern der Alltag durch die Migräne eingeschränkt ist. Vertreter der Calciumkanalblocker und Antikonvulsiva kommen bereits bei Heranwachsenden zur Migräneprophylaxe in Betracht (s. Kasten „Leitlinie setzt auf Flunarizin und Topiramat“).
Leitlinie setzt auf Flunarizin und Topiramat
Für Deutschland gibt die S1-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie Hinweise zur Migräneprophylaxe bei Kindern und Jugendlichen. Generell sollte bei Kindern nichtmedikamentösen Maßnahmen der Vorzug gegeben werden, da die Wirksamkeit einer medikamentösen Migräneprophylaxe nicht zweifelsfrei belegt ist. Die Wirkung von Flunarizin (5 mg/Tag) gilt nach Einschätzung der Leitlinienautoren als gesichert: Der Calciumkanalblocker wird bei Kindern als erste Wahl im Off-Label-Gebrauch empfohlen. Außerdem hat sich das Antiepileptikum Topiramat (15 bis 100 mg/Tag) als wirksam erwiesen und ist in den USA zur Migräneprophylaxe bei 12- bis 17-Jährigen zugelassen.
Im Rahmen einer randomisierten kontrollierten Studie wurden nun die Sicherheit und Wirksamkeit von Cinnarizin und Natriumvalproat untersucht. Cinnarizin wirkt als Calcium-, Histamin-, Dopamin-, Serotonin- und Bradykininantagonist und ist in Deutschland in Kombination mit Dimenhydrinat zur Behandlung von Schwindel im Handel (z. B. Arlevert®, Vertigo-Vomex® plus Cinnarizin, Generika). Natriumvalproat blockiert spannungsabhängige Natrium- sowie Calcium-Kanäle und erhöht die Konzentration von Gamma-Aminobuttersäure (GABA) im synaptischen Spalt. Bei Erwachsenen gilt die Wirksamkeit des Antikonvulsivums in der Migräneprophylaxe als gut belegt.
In die dreiarmige Doppelblindstudie wurden insgesamt 158 Migränepatienten zwischen sechs und 17 Jahren randomisiert, 149 schlossen die Studie ab. Davon waren je 49 Teilnehmer in der Cinnarizin- und Placebo-Gruppe sowie 51 in der Valproat-Gruppe. In den ersten vier Wochen lernten die Teilnehmer bzw. ihre Eltern, für die gesamte Studiendauer ein Tagebuch über die Migräneepisoden zu führen. Anschließend folgte die doppelblinde Behandlungsphase für zwölf Wochen. Hier erhielten die Patienten zweimal täglich entweder Cinnarizin, Natriumvalproat oder Placebo. Als primärer Endpunkt wurden die mittleren Veränderungen der Häufigkeit und der Intensität der Migräneattacken in den letzten vier Behandlungswochen im Vergleich zum Studienbeginn bestimmt. Sekundärer Endpunkt war der Anteil an Patienten mit Ansprechraten über 50%. Zusätzlich wurden unerwünschte Ereignisse dokumentiert.
Alles nur Placebo?
Die vorbeugende medikamentöse Behandlung der Migräne wirkt bei Kindern und Jugendlichen in den meisten Fällen langfristig nicht besser als Placebo – zu diesem Ergebnis kommen die Autoren einer umfassenden Netzwerkmetaanalyse. Vermutlich ist der Placebo-Effekt bei pädiatrischen Patienten besonders stark ausgeprägt. Die Wissenschaftler werteten 23 Studien aus den Jahren 1967 bis 2018 mit über 2200 pädiatrischen Patienten aus. Untersucht wurde die Wirksamkeit von Antiepileptika, Antidepressiva, Calciumkanalblockern, Blutdrucksenkern oder Nahrungsergänzungsmitteln im Vergleich zu Placebo. Lediglich eine Prophylaxe mit Topiramat und Propranolol erwies sich kurzfristig – über einen Zeitraum von weniger als fünf Monaten – als überlegen. Langfristig konnten die Studienautoren jedoch für keine der untersuchten Therapien einen signifikanten Vorteil gegenüber Placebo feststellen. Zwar zeigte sich insbesondere für Flunarizin und Pregabalin ein Trend für eine Wirksamkeit, die deutlich über den Placebo-Effekt hinausgeht, statistisch signifikant waren die Ergebnisse aufgrund der großen Variabilität jedoch nicht.
[Literatur: Locher C et al. Efficacy, Safety, and Acceptability of Pharmacologic Treatments for Pediatric Migraine Prophylaxis: A Systematic Review and Network Meta-analysis. JAMA Pediatr 2020; doi: 10.1001/jamapediatrics.2019.5856]
Im Vergleich zum Ausgangswert verringerte sich die Häufigkeit der Migräneattacken in allen drei Behandlungsgruppen signifikant: Gegenüber Placebo traten jedoch sowohl unter Cinnarizin als auch unter Natriumvalproat signifikant weniger Migräneattacken auf. Im Schnitt konnte die Häufigkeit um 3,4 (Cinnarizin vs. Placebo) bzw. 3,1 (Natriumvalproat vs. Placebo) reduziert werden. Auch in Bezug auf die Intensität der Migräneattacken erwiesen sich Cinnarizin und Natriumvalproat einer Placebo-Behandlung als überlegen. Auf einer Skala von 0 bis 10 war die Migräneintensität unter Cinnarizin gegenüber Placebo im Schnitt um 1,5 Punkte geringer, unter Natriumvalproat betrug der Unterschied zu Placebo 1,6 Punkte. Die Anzahl der Episoden konnte bei 71% der Teilnehmer in der Cinnarizin-Gruppe, bei 66% in der Natriumvalproat-Gruppe und bei 42% im Placebo-Arm mindestens halbiert werden. Neun Teilnehmer berichteten über unerwünschte Ereignisse wie Sedierung, Übelkeit und Erbrechen, Anorexie, Schwindel, Tremor. Ein Teilnehmer der Natriumvalproat-Gruppe brach die Therapie wegen schwerer Sedierung ab.
Insgesamt erwiesen sich beide Wirkstoffe als ähnlich gut wirksam und gut verträglich. Beim Einsatz von Natriumvalproat muss jedoch die teratogene Wirkung berücksichtigt werden. Den Studienautoren zufolge könnte daher insbesondere Cinnarizin zur Langzeitprophylaxe bei Kindern und Jugendlichen in Betracht kommen. |
Literatur
Amanat M et al. Cinnarizine and sodium valproate as the preventive agents of pediatric migraine: A randomized double-blind placebo-controlled trial. Cephalalgia. 2019; doi: 10.1177/0333102419888485
Diener HC et al. Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne. S1-Leitlinie. Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.). AWMF-Registernummer: 030/05; Abruf am 10. Februar 2020
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.