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Beratung
Der Schweregrad entscheidet!
Ein Gespräch mit dem Schlafmediziner Dr. Holger Hein zu Diagnostik und Therapie der Schlafapnoe
DAZ: Schlafapnoen sind weit verbreitet, und die Prävalenz steigt an. Was sind die Hauptursachen für solche schlafbezogenen Atmungsstörungen?
Hein: Bei den obstruktiven Schlafapnoen spielt die genetische Veranlagung eine wichtige Rolle. Es gibt Untersuchungen über Schlafapnoen im familiären Umfeld, die zeigen, dass das Risiko für eine Erkrankung um 30% höher ist, wenn ein Verwandter 1. Grades davon betroffen ist. Bei zwei erkrankten Verwandten wächst die Wahrscheinlichkeit bereits um 100% und bei drei um 200% im Vergleich zum Normalkollektiv. Es ist auch bekannt, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen mehr betroffen sind als andere. So leiden Afroamerikaner häufiger unter obstruktiver Schlafapnoe als Amerikaner mit weißer Hautfarbe. Ein zu hohes Körpergewicht ist ebenfalls ein Risikofaktor, vor allem bis zum 50. Lebensjahr. Auch das Geschlecht spielt eine Rolle: Frauen bis zu den Wechseljahren leiden nur halb so oft unter obstruktiver Schlafapnoe als Männer, während das Verhältnis nach den Wechseljahren etwa ausgeglichen ist.
Bei der zentralen Schlafapnoe ist die Steuerung der Atmung betroffen. Hier spielen die Herz-Kreislauf-Funktion und damit zusammenhängend die Regulation des Atemzentrums durch den CO2-Gehalt im Blut eine große Rolle.
DAZ: Zur (Differenzial-)Diagnose einer Schlafapnoe ist eine Polysomnographie oft unumgänglich. Wie verläuft eine solche Untersuchung in der Praxis?
Hein: Die Polysomnographie ist an ein Schlaflabor gebunden und findet in der Regel in einem Krankenhaus statt, da ja unter Umständen auch schwerkranke Patienten untersucht werden. Abrechnungstechnisch handelt es sich dennoch um eine ambulante Versorgung, da der Patient formal nicht stationär aufgenommen wird. Die Untersuchung beinhaltet die Messung des Schlafes, der Atmung, der Herz-Kreislauf-Funktion und der Bewegung sowie die Videoüberwachung. Zur Diagnose einer Schlafapnoe ist eine Polysomnographie nicht zwangsläufig erforderlich. Das Schlafapnoe-Syndrom ist durch ein gemeinsames Auftreten von verschiedenen Symptomen gekennzeichnet, wie Schnarchen, Tagesmüdigkeit, hoher Blutdruck und andere kardiovaskuläre Folgesymptome. Diese Störungen können auch zu Hause mithilfe eines Polygraphen gefunden werden, der Brustkorb- und Bauchbewegungen, Atmungsfluss, Schnarchen, Pulsfrequenz und Sauerstoffsättigung sowie die Körperlage erfasst. Bei eindeutigen Fällen lässt sich dadurch die Diagnose einer obstruktiven Schlafapnoe bereits absichern. In unklaren Situationen, wenn Beschwerden im Bereich einer Grauzone auftreten und für eine genaue Diagnose die Schlafstadien bestimmt werden müssen, oder wenn der Patient z. B. müde und schläfrig ist, aber keine klaren Hinweise auf eine Atmungsstörung aufweist, ist jedoch eine Polysomnographie erforderlich. Durch sie kann beurteilt werden, ob Zuckungen oder periodische nächtliche Beinbewegungen auftreten, häufig Weckreaktionen durch andere Ereignisse verursacht werden oder ob die Schlafstruktur gestört ist. Sie ermöglicht auch eine Differenzialdiagnose, z. B. der Schläfrigkeit (Hypersomnie) oder Schlaflosigkeit (Insomnie). Die Messung im Schlaflabor ist auch notwendig, um letztlich eine geeignete Therapie einleiten zu können.
Der eigentliche Ablauf der Untersuchung ist relativ einfach zu erklären: Der Patient sucht das Labor auf; dann werden ihm zahlreiche Elektroden angeklebt, mit deren Hilfe sich während des Schlafs unter anderem Hirnströme, Augenbewegungen, Atmungsaktivität, Beinbewegungen, Sauerstoffsättigung und Herzfrequenz messen lassen. Je nach Fragestellung werden auch noch weitere Parameter erfasst, z. B. der nächtliche Blutdruck. Die Videoaufnahme gehört ebenfalls zum Standardprozedere, weil sich damit die in den Messkurven sichtbaren Bewegungen auch qualitativ einordnen bzw. spezifizieren lassen. Das Video ist zudem sehr hilfreich, um skeptische Patienten ‒ erfahrungsgemäß sind dies meist Männer ‒ davon zu überzeugen, dass bei ihnen tatsächlich eine schlafbezogene Atmungsstörung vorliegt. Die Videos werden nicht dauerhaft gespeichert, sondern ‒ allein schon wegen der auflaufenden Datenmenge ‒ nach der Auswertung gelöscht.
DAZ: Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es beim obstruktiven Schlafapnoe-Syndrom und wie sind diese zu beurteilen?
Hein: Die Wahl der Therapie einer obstruktiven Schlafapnoe ist abhängig von deren Schweregrad und der jeweiligen Symptomatik. So lassen sich anhand der Messungen im Schlaflabor über die Frequenz der Atmungsstörungen die Schwere der Erkrankung und damit auch die erforderlichen Maßnahmen abschätzen. Dabei gelten Patienten mit bis zu fünf Apnoen bzw. Hypopnoen pro Stunde als zunächst nicht behandlungsbedürftig. Der Bereich zwischen fünf und 15 Störungen pro Stunde ist eine Grauzone, in der eine Therapie erfolgt, wenn zusätzlich Symptome wie Tagesmüdigkeit und nicht-erholsamer Schlaf auftreten. Sind bei dem Patienten pro Stunde mehr als 15 Störungen nachweisbar, ist eine Behandlung indiziert, auch wenn sonst keine Symptome vorliegen. Insgesamt handelt es sich hierbei jedoch nur um Richtwerte.
Konkret sollte z. B. bei einem Patienten, der überwiegend auf dem Rücken schläft, dabei schnarcht und unter Apnoen leidet, der aber ansonsten wenig Beschwerden hat und auch keinen Bluthochdruck aufweist, die Rückenlage vermieden werden. Bei einem Patienten, der pro Stunde höchstens fünf bis sechs Atemstörungen aufweist, die nicht lageabhängig sind, und der ansonsten keine weiteren Beschwerden hat, würde man mit einer Behandlung abwarten. Kommt es in der Nacht jedoch häufiger zu Apnoen bzw. Hypopnoen und leidet der Patient auch noch unter weiteren Symptomen, dann würde ich als ersten Schritt eine Therapie mittels Atemmaske einleiten ‒ auch um zu sehen, wie viel Druck für die Linderung der Atemstörungen notwendig ist. Bei geringem Druck wäre eine Unterkiefer-Protrusionsschiene eine Option. Dabei handelt es sich um zweiteilige Zahnschienen, die miteinander verbunden sind und verstellt werden können, so dass der Unterkiefer nachts nach vorne geschoben wird. Dies ist ein sehr gutes Verfahren, das aber nur dann eingesetzt werden kann, wenn der Unterkiefer nicht zu weit nach vorne geschoben werden muss, um die erforderliche Öffnung der Atemwege zu erreichen, da der mögliche Vorschub durch das Kiefergelenk begrenzt ist. Standardverfahren ist nach wie vor die nächtliche Beatmung mittels Überdruck, auch weil es hierzu die meisten Daten gibt und weil die getroffenen Maßnahmen reversibel sind. Eine weitere Option bei obstruktiver Schlafapnoe sind chirurgische Interventionen, die jedoch nicht reversibel sind. Dabei muss im Bereich des Zungengrundes und nicht des Gaumensegels operiert werden. So können die Engstellen, die die nächtlichen Belüftungsstörungen der Lunge verursachen, beseitigt werden. Die häufig durchgeführten Operationen der Nasenscheidewand oder der Mandeln hingegen helfen in der Regel nicht gegen nächtliche Atmungspausen, können aber das Schnarchen verbessern. Es gibt auch die Möglichkeit, im Rahmen einer sogenannten Mandibula- bzw. Umstellungsosteotomie den Kiefer durchzusägen und dann den Ober- bzw. Unterkiefer nach vorne zu verlagern. Dies ist aber eine seltene und aufwendige Operation.
DAZ: Wie bewerten Sie die Therapieform des Zungenschrittmachers?
Hein: Der Zungenschrittmacher kommt seit etwa sechs Jahren bei der Behandlung der obstruktiven Schlafapnoe zum Einsatz. Das Verfahren ist sehr effektiv für ausgesuchte Patienten, bei denen der Kollaps im Rachenbereich von vorne nach hinten erfolgt, d. h. die Zunge während des Schlafs nach hinten zurückfällt. Wenn hingegen seitliche Strukturen betroffen sind, nützt der Schrittmacher nichts. Bevor dieses Verfahren bei einem Patienten zum Einsatz kommt, muss daher eine Spiegelung unter Narkose erfolgen, mit deren Hilfe die Engstellen lokalisiert werden. Der Zungenschrittmacher ist ‒ bei Auswahl der richtigen Patienten ‒ meines Erachtens nach ein gutes Verfahren, das aber als Zweitlinientherapie gilt, auch weil es recht teuer ist. So entstehen durch das Gerät selbst und dessen Implantation Kosten von insgesamt zwischen 15.000 bis 20.000 Euro. Die Anwendung wird demzufolge bisher auch nur in einzelnen Fällen von den Krankenkassen getragen. Hinzu kommt, dass der Patient nach der Implantation des Schrittmachers nicht mehr im MRT untersucht werden kann, was ebenfalls ein möglicher Ausschlussgrund bei der Therapieentscheidung ist.
DAZ: Wie schätzen Sie das Potenzial der kürzlich in einer Studie untersuchten Kombinationstherapie mit Atomoxetin und Oxybutynin zur Behandlung der obstruktiven Schlafapnoe ein?
Hein: Das ist derzeit noch schwierig zu beurteilen. Das in der Studie untersuchte Kollektiv ist mit 20 Personen relativ klein, weist aber mit vier Frauen und 16 Männern im Alter von Mitte 50, die auch unter Begleiterkrankungen wie Bluthochdruck und Diabetes mellitus leiden, eine für die Erkrankung typische Zusammensetzung auf. Im Ergebnis konnten die Apnoen im Rahmen der Studie sehr gut verbessert werden. Allerdings änderte sich die Schlafarchitektur ‒ REM- und Non-REM-Schlafanteil, Tief- bzw. Leichtschlafanteil ‒ durch die medikamentöse Behandlung nicht. Das ist sehr schade, weil wir durch die Therapie ja eigentlich auch eine Verbesserung der Schlafqualität erreichen möchten. Die medikamentöse Kombinationstherapie mit Atomoxetin und Oxybutynin hat also sicherlich Potenzial, es ist aber noch keine Behandlung, die in der Praxis derzeit zum Einsatz kommt. Darüber hinaus bin ich davon überzeugt, dass sich derzeit noch weitere Medikamente gegen Schlafapnoe in der Pipeline befinden und wir daher noch abwarten sollten, was in Zukunft noch an Daten veröffentlich wird.
DAZ: Vielen Dank für das Gespräch! |
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