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„Pharmazeutische Dienstleistungen müssen kommen!“
DAZ: Frau Overwiening, was war der Auslöser für Ihre Kandidatur? Spielten Sie schon länger mit dem Gedanken, sich als Präsidentin der ABDA zur Verfügung zu stellen? Was hat Sie dazu motiviert?
Overwiening: Der externe Auslöser, über eine Kandidatur nachzudenken, war die Ankündigung von Friedemann Schmidt, im Dezember 2020 nicht mehr als ABDA-Präsident kandidieren zu wollen. Friedemann Schmidt hat dies im letzten Dezember im Rahmen der ABDA-Mitgliederversammlung bekannt gegeben. Das hat bei mir in den letzten Wochen einen inneren Prozess in Gang gesetzt, in dem ich mich intensiv mit der Frage befasst habe, ob ich mich dieser Herausforderung stellen will. Ich bin sehr gerne Apothekerin. Und ebenso sehr wie ich meinen Beruf hoch schätze, möchte ich ihn auch voranbringen, für dessen Anerkennung kämpfen, seine Unverzichtbarkeit immer wieder sichtbar machen und ihn zukunftsfest gestalten. Zusätzlich bin ich in meinen Überlegungen von vielen Kollegen und Kolleginnen befeuert worden, die mich ermuntert bzw. gebeten haben, eine Kandidatur zu erwägen, sei es aus dem Kreise des ABDA-Gesamtvorstandes oder meiner Heimatkammer in Westfalen-Lippe. Als sich dann meine Familie ganz klar und deutlich zustimmend und ermunternd zu einer Kandidatur meinerseits positioniert hat, war meine Entscheidung gefallen. Umgehend habe ich meine Entscheidung dann mit meinem Vorstand besprochen, der mir seine volle Unterstützung zugesichert und mich ausdrücklich zu einer Kandidatur ermuntert hat. Dabei ist mir wichtig, dass nun allen der vor uns liegende Prozess als ein durch und durch demokratischer bewusst ist und bewusst sein muss.
„Wenn die Bundesregierung eine flächendeckende Versorgung mit Arzneimitteln aufrechterhalten will, dann muss sie für eine Gleichpreisigkeit sorgen.“
DAZ: Und dann sind Sie gleich an die Öffentlichkeit gegangen …
Overwiening: Ich stehe für transparente, demokratische Prozesse, auch wenn das mitunter anstrengend sein kann. Das war schon die Devise hier bei uns im Kammervorstand, als wir 2009 einen Erneuerungsprozess in Westfalen-Lippe initiiert haben. Damals habe ich gesagt: Wir haben keinen Wellness-Urlaub gebucht, sondern sind gewählt worden, um zu arbeiten und um das, was wir getan haben bzw. tun werden, auch transparent zu machen. Und so hat am Sonntag vor einer Woche der Familienrat getagt, am Montag habe ich unseren Vizepräsidenten und die Geschäftsführung in Münster über meinen Entschluss informiert, am Dienstag unseren Vorstand. Ich hätte es für wenig zielführend gehalten, meine Absicht zur Kandidatur über Wochen und Monate zu verheimlichen oder gar zu verschleiern. Darum haben wir für den Montag darauf direkt ein Pressegespräch in Berlin anberaumt und natürlich vorab alle Mitgliedsorganisationen der ABDA informiert.
DAZ: Wofür wird denn aus Ihrer Sicht eine ABDA-Präsidentin vorrangig gebraucht? Was sind ihre berufspolitischen Anliegen, was liegt Ihnen besonders am Herzen?
Overwienining: Das Selbstwertgefühl und das Selbstbewusstsein der Apothekerinnen und Apotheker zu stärken, das steht für mich ganz oben. Wir werden dies erreichen, wenn wir eine bessere Patientenorientierung im apothekerlichen Alltag gesetzlich verankern können. Konkret bedeutet dies: Die honorierten pharmazeutischen Dienstleistungen müssen kommen. Dass wir die Gleichpreisigkeit brauchen, ist für mich eine Voraussetzung und selbstverständlich! Wenn die Bundesregierung eine flächendeckende Versorgung mit Arzneimitteln aufrechterhalten will – und die Bevölkerung hat ein Recht darauf – dann muss sie für eine Gleichpreisigkeit sorgen. Die aktuelle Corona-Krise zeigt uns an vielen Stellen überdeutlich, was geschieht, wenn wir die Gesundheitsversorgung und das Gesundheitswesen völlig ungeregelt Kräften des freien Marktes überlassen. Dann setzen sich allein die Stärkeren durch. Das Gesundheitssystem ist aber gerade doch für die Schwächeren, für die zeitweise oder dauerhaft gehandicapten Menschen da. Ich will aber auch hinzufügen, dass eine Dynamisierung der Honorierung unseres „Brot- und Buttergeschäftes“ längst überfällig ist. Wenn man die Apotheke und die Apotheker wertschätzt, dann muss sich das auch in unserer Honorierung widerspiegeln.
„Wir brauchen doch keine Plattform-Ökonomie, sondern sichere digitale Versorgungswege.“
DAZ: Mehr Patientennähe, mehr Patientenorientierung – das bedeutet auch mehr Mitverantwortung …
Overwiening: Auf alle Fälle, Mitverantwortung für die Arzneimitteltherapiesicherheit – auch das muss gesetzlich verankert werden. Der Patient muss einen Anspruch darauf haben, dass er diese Dienstleistung von uns erhält, und wir entscheiden. Das geschieht dann ohne vorherige Einwilligung von dritten wie z. B. Krankenkassen.
DAZ: Vor dem Hintergrund der Corona-Epidemie: Wie sehen Sie die Möglichkeit, dass Apotheken sich an der Grippeschutzimpfung beteiligen können?
Overwiening: Es gibt den ganz klaren politischen Willen dieser Bundesregierung, das apothekerliche Impfen zu ermöglichen, geleitet von dem Gedanken, dadurch die Impfquote zu erhöhen. Es geht ja nicht darum, Patientenströme aus der Arztpraxis in die Offizin umzusteuern, sondern es geht darum, zusätzliche Patienten in der Apotheke von dem Sinn einer Grippeschutzimpfung zu überzeugen. Daher gibt es auch überhaupt keinen Anlass für die Ärzteschaft in Sorge zu geraten. Die meisten, die sich heute in der Arztpraxis impfen lassen, werden sich auch im nächsten Jahr beim Arzt impfen lassen. Aber es besteht eine Chance, dass diejenigen, die keine ärztliche Praxis aufsuchen, warum auch immer, in der Apotheke eine gute Impfberatung erhalten und auch von uns geimpft werden können.
DAZ: Ein Thema, das uns zurzeit umtreibt: die Digitalisierung. Welche Einstellung haben Sie dazu? Fluch oder Segen?
Overwiening: Ich sehe die Digitalisierung als Chance für uns, sofern Politik und Gesellschaft sie nicht als Selbstzweck missverstehen und wir Apotheker sie vor allem aktiv mitgestalten. Wir können dadurch mehr Effizienz, mehr Sicherheit, einen besseren Datenaustausch, eine bessere Interprofessionalität schaffen. Die digitalen Wege dürfen allerdings nicht als Ersatz für die heutigen analogen Dienste dienen, sondern als Unterstützung. Die ABDA muss und wird hier die notwendigen Leitplanken setzen können.
DAZ: Wie sieht es da konkret mit dem E-Rezept aus? Sehen Sie es als Risiko oder eher als Chance?
Overwiening: Grundsätzlich ist der gesamte Prozess der Telematik-Einführung, der in Deutschland leider schon viel zu lange dauert, eine Chance. Wir Apotheker müssen hier keineswegs in Sorge sein, zumal wir seit jeher zu den modernsten und den ‚digitalsten‘ Akteuren im Gesundheitswesen zählen. Dennoch müssen wir die Politik von dem Holzweg eines zweistufigen E-Rezeptes abbringen. Es kann und darf nicht sein, dass das E-Rezept vom Arzt auf einem Server abgelegt wird, bei dem dann quasi jeder App-Anbieter mit Einverständnis des Patienten das Rezept abholen kann. Und der Patient erhält dafür womöglich eine Belohnung, ein Incentive vom App-Anbieter. Das würde die nachgeschaltete Gleichpreisigkeit unterlaufen, wenn der Weg des Abholens belohnt würde. Wir brauchen doch keine Plattform-Ökonomie, sondern sichere digitale Versorgungswege. Wer glaubt, dass derartige Incentives die Akzeptanz des E-Rezepts für den Patienten rasch erhöhen, der glaubt wahrscheinlich auch immer noch das Ammenmärchen, dass Boni auf Rx die Arzneimittelversorgung verbessern oder dass ein Zitronenfalter Zitronen faltet.
DAZ: Eine große Baustelle unserer Berufspolitik ist unsere Honorierung. Wenn Sie ABDA-Präsidentin werden, werden Sie sich damit befassen müssen …
Overwiening: Wir sollten hier gemeinsam kreativ werden, ein Einzelner wird ein Honorierungssystem, das uns in die Zukunft trägt, nicht finden. Ich kann mir dabei einen ähnlichen Prozess vorstellen, wie er zur Findung unseres Perspektivpapiers abgelaufen ist. Eine Voraussetzung dafür ist aber, dass wir beispielsweise Klarheit darüber haben, dass pharmazeutische Dienstleistungen honoriert werden. Grundsätzlich gilt: Wir sollten proaktiv eine Honorierungssystematik in die Diskussion einbringen so wie wir es schon bei der Einführung des Kombi-Modells praktiziert haben. In unserem Berufsstand und in unserem Umfeld gibt es viele schlaue Köpfe, das Potenzial ist da – das sollten wir nutzen.
„Wir müssen verdeutlichen, dass es der Gesellschaft ohne uns Apothekerinnen und Apotheker schlechter gehen würde.“
DAZ: Aber es gab doch bereits eine Arbeitsgruppe Honorar, die mehrere Jahre daran arbeitete, aber keine Lösung fand. Warum führte dies damals nicht zum Erfolg?
Overwiening: Die Arbeitsgruppe hat eine Vielzahl von Ideen und Ansätzen zusammengetragen, sah sich dann aber – wie der gesamte Berufsstand – mit dem EuGH-Urteil vom Oktober 2016 einem berufspolitischen Erdbeben ausgesetzt. Das Urteil hat uns alle immens erschüttert, auch in unserer Wertschätzung als Heilberufler. Außerdem ist dadurch eine Bagatellisierung des Arzneimittels erfolgt und eine Trivialisierung aller Dienstleistungen rund ums Arzneimittel. Seitdem führen wir alle miteinander den Kampf um die Gleichpreisigkeit, die wiederum die Grundlage für jedwedes Honorarmodell ist. Solange diese Rahmenbedingung nicht verlässlich gegeben ist, wird kein Honorierungsmodell tragen können.
DAZ: Werfen wir noch einen Blick auf die Arbeitsweise der ABDA: Läuft da alles rund oder sehen Sie Verbesserungspotenzial?
Overwiening: Zunächst einmal ist es gut, dass wir als Apothekerschaft über eine einheitliche Berufsvertretung verfügen, mit der ABDA als Dach von Bundesapothekerkammer und Deutschem Apothekerverband. Ich halte es für sehr wichtig, dass wir unsere Arbeit transparent machen, das gilt für unsere Beschlüsse ebenso wie die Argumente und Zwischenschritte, die uns zu diesen Beschlüssen geführt haben. Allerdings muss es möglich sein, eine offene Auseinandersetzung auch intern zu führen. Meine Aufgabe als Präsidentin wäre es dann, diese Prozesse zu führen. Die Diskussion um das Rx-Versandverbot hat gezeigt, wie sich Verletzungen hochschaukeln können, obwohl letztlich doch alle das gleiche Ziel haben.
DAZ: Wie sehen Sie die Öffentlichkeitsarbeit und die Darstellung unserer Anliegen nach außen: Treten wir Apothekerinnen und Apotheker eigentlich zu leise auf? Müssten wir uns nicht häufiger deutlich zu Wort melden?
Overwiening: Unter dem Schlagwort „Öffentlichkeitsarbeit“ werden leider oft drei Dinge miteinander verquickt, nämlich die politische Lobbyarbeit, unsere Imagekampagne und die klassische Pressearbeit. Erfolgreiche Lobbyarbeit ist nicht laut und marktschreierisch, sondern geräuschlos, ebenso wie erfolgreiche Pressearbeit aktiv Themen setzen und besetzen muss und nicht allein reaktiv sein darf. Gerade in letzterem Bereich haben wir noch Potenziale, und gerade hier sollten wir eine noch stärkere Verquickung der Bundesebene mit den Mitgliedsorganisationen in den Ländern anstreben. Was unsere Imagekampagne anbelangt: „#Unverzichtbar“ finde ich ausgesprochen gut, gerade auch in Verzahnung mit der politischen Lobbyarbeit, über die Bürgermeisteraktion. „#Unverzichtbar“ drückt aus, was die Bevölkerung denkt: Die Apotheke ist für sie selbstverständlich, niederschwellig erreichbar, wohnortnah, immer da, einfach unverzichtbar. Das sollten wir forcieren!
DAZ: In Ihrer Pressekonferenz sprachen Sie sich dafür aus, einen „Apotheker Thinktank“, eine Art apothekerlicher Denkfabrik einzurichten. Wie stellen Sie sich das vor?
Overwiening: In etwa so, wie dies das Bundesgesundheitsministerium mit der Einrichtung des Health Innovation Hub gemacht hat: Hier arbeiten Denker aus verschiedenen Bereichen zusammen, die Vorschläge einbringen, wie man neue Wege gehen kann. Von diesen Vorschlägen kann man möglicherweise einige direkt umsetzen, andere müssen noch modelliert werden. Ein solcher Thinktank kann aus Experten von Kammern und Verbänden und externen Experten besetzt sein. Er muss nicht immer gleich zusammengesetzt sein, sondern je nach Projekt oder Aufgabenstellung unterschiedlich.
DAZ: Zum Schluss die Frage: In unserem Beruf arbeiten rund 80 Prozent Frauen. Falls Sie im Herbst gewählt werden: Freuen Sie sich darauf, diese Tatsache auch mal nach außen zu verdeutlichen?
Overwiening: Ich freue mich sehr darauf, wenn ich auch das öffentliche Gesicht dieser 80 Prozent sein darf – natürlich ohne die übrigen 20 Prozent zu vernachlässigen. Letztlich aber geht es doch um etwas anderes: Wir müssen verdeutlichen, dass es der Gesellschaft ohne uns Apothekerinnen und Apotheker schlechter gehen würde. Wir sind absolut relevant für die Gesundheit, für das Gelingen unserer Gesellschaft, sprich unverzichtbar!
DAZ: Frau Overwiening, vielen Dank für das Gespräch. |
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