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Wirtschaft

Neue Argumente für die Rx-Preisbindung

Steuerung des Apothekensystems erfordert Gleichpreisigkeit

tmb | Das Bundesgesundheitsministerium hat im Herbst 2019 den Auftrag für ein Gutachten zur Rx-Preisbindung erteilt. Wenn sich der EuGH erneut mit dem Thema beschäftigen wird, dürfte dieses Gutachten eine wesentliche Rolle für die Position der Bundesregierung bei einem solchen Verfahren spielen. Darum ist zu fragen, welche Zusammenhänge ein solches Gutachten aufzeigen sollte. Diese Gedanken führen zu einer stringenten Argumentation für die Gleichpreisigkeit.

Die Debatte über die Reaktion auf das EuGH-Urteil zur Rx-Preisbindung vom Oktober 2016 hat sich auf eine Frage zugespitzt. Es geht um die Wahl zwischen dem Rx-Versandverbot und dem Ansatz des Vor-Ort-Apothekenstärkungsgesetzes (VOASG), die Preisbindung für GKV-Patienten sozialrechtlich abzusichern. Die Beziehung zwischen diesen beiden Optionen war das zentrale Thema des Deutschen Apothekertages 2019. Sie führte zur Kompromissformel, den Gesetzentwurf „konstruktiv kritisch“ zu begleiten, aber das Bundesratsvotum für das Rx-Versandverbot „ergänzend einzubringen“. Im Zusammenhang mit dem Vortrag von Benedikt Bühler vor dem Petitionsausschuss im Januar 2020 zeigte sich allerdings, dass die ABDA-Spitze und einige Mitgliedsorganisationen diese Formulierungen unterschiedlich interpretieren.

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Aussichtsreiche Option: status quo ante

Angesichts der Auseinandersetzung über die beiden Reaktionsmöglichkeiten droht die dritte mögliche Antwort auf das Urteil aus dem Blickfeld zu geraten: die Rückkehr zur Regelung vor dem EuGH-Urteil. Dazu müsste der EuGH seine Entscheidung in einem neuen Verfahren revidieren. Dass ein solches Verfahren stattfindet, gilt mittlerweile als praktisch sicher, weil jede gesetzliche Neuregelung wahrscheinlich europarechtlich überprüft würde. Welche Optionen dann zur Wahl stehen, hängt allerdings vom Umgang mit § 78 Absatz 1 Satz 4 Arzneimittelgesetz (AMG) ab, der die deutsche Preisbindung auf ausländische Versender überträgt. Der Entwurf für das VOASG sieht vor, den Satz zu streichen. Doch nur wenn diese Vorschrift erhalten bleibt, könnte der EuGH zulassen, dass Deutschland zum früheren Zustand zurückkehrt. Dann wären Preisbindung und Versandhandel miteinander vereinbart und es bestünde die Aussicht auf einen für alle Beteiligten langfristig akzeptablen Kompromiss. Der Weg dorthin könnte über das Rx-Versandverbot führen, weil dies voraussichtlich europarechtlich überprüft würde. Wenn sich dabei herausstellen würde, dass eine grenzübergreifende Preisbindung doch europarechtlich zulässig ist, würde sich das Rx-Versandverbot erübrigen. Das VOASG in seiner derzeitigen Fassung würde diesen Weg hingegen verschließen, weil es vorsieht, § 79 Absatz 1 Satz 4 AMG zu streichen.

Neues Gutachten für das ­Ministerium

Der EuGH wird sein Urteil jedoch nur revidieren, wenn die Bundesregierung die Preisbindung mit guten Argumenten verteidigt. Im Urteil vom Oktober 2016 hatte die erste Kammer des EuGH erklärt, es sei nicht durch statistische Daten oder andere Mittel objektiv untermauert worden, dass die Rx-Preisbindung zur Gewährleistung der flächendeckenden Versorgung geeignet sei (vgl. EuGH, C-148/15, Rn. 35 bis 37 und 46). Demnach müsste die Bundesregierung diese Argumentation nachholen. Damit kommt dem Gutachten zur Preisbindung, das das Bundesgesundheitsministerium im Herbst 2019 in Auftrag gegeben hat, die Schlüsselstellung zu, die dafür nötigen Argumente zu liefern. Darum sollen hier Überlegungen angestellt werden, welche Ansprüche an dieses Gutachten zu stellen sind.

Bedeutung der flächen­deckenden Versorgung

Schon unmittelbar nach dem EuGH-Urteil und damit lange vor dem Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums sind May, Bauer und Dettling in ihrem Gutachten „Versandverbot für verschreibungspflichtige Arzneimittel“, herausgegeben von der Noweda Apothekergenossenschaft und vom Deutschen Apotheker Verlag, dieser Frage nachgegangen. May, Bauer und Dettling haben die Funktionen der Vor-Ort-Apotheken und die Funktionsweise der Preisbindung dargestellt. Ausgehend von theoretischen und praktisch-ökonomischen Analysen kommen sie zu dem Ergebnis, dass die Preisbindung „ein geeignetes und ökonomisch angemessenes Instrument zur Sicherstellung der gleichmäßigen und flächendeckenden Arzneimittelversorgung der Bevölkerung“ ist (May, U., Bauer, C., Dettling, H.-U., Versandverbot für verschreibungspflichtige Arzneimittel, Deutscher Apotheker Verlag 2017, S. 110). Ihre Kernthese ist, dass bei Preiswettbewerb viele Apotheken vom Markt verdrängt würden. Dabei betrachten die Autoren insbesondere Solitärapotheken mit mehr als fünf Kilometern Entfernung zur nächsten Apotheke. Die Autoren haben 1711 solche Apotheken ermittelt (Stand: Ende 2016) und erwarten abhängig vom Marktanteil des Versandhandels die Schließung von 784 dieser Apotheken oder sogar die Schließung aller 1711 Solitärapotheken. Dann bestünde keine flächendeckende Versorgung nach den bisher angelegten Maßstäben mehr, folgern die Gutachter.

Flächendeckende Versorgung ist ihrem Wesen nach unteilbar. Wenn die Versorgung irgendwo nicht gewährleistet ist, ist sie nicht flächendeckend. Unterschiedliche Versorgungsniveaus in Städten und ländlichen Regionen sind mit dem Anspruch auf einheitliche Lebensbedingungen nicht zu vereinbaren. Darum ist die Argumentation der Gutachter relevant, obwohl sie sich auf weniger als zehn Prozent aller Apotheken in Deutschland bezieht. ­Allerdings kann dagegen angeführt werden, dass zum Schutz eines eher kleinen Teils der Apotheken auch gezieltere Maßnahmen als eine Preisbindung für alle Apotheken ergriffen werden könnten. Strukturhonorare für ländliche oder andere besonders versorgungsrelevante Apotheken wurden schon vielfach vorgeschlagen. Es stellt sich also die Frage, warum die Rx-Preisbindung nicht nur ein geeignetes, sondern auch ein notwendiges Mittel zur Sicherstellung der flächendeckenden Versorgung ist.

Die Grundidee für eine solche Beweisführung soll hier vorgestellt werden. Ausgangspunkt ist, dass die Abgabe von Arzneimitteln mit der dazugehörigen abgabebegleitenden Beratung die zentrale Aufgabe der Apotheken ist. Dies ergibt sich aus dem Versorgungsauftrag gemäß § 1 Abs. 1 Apothekengesetz. Im Einklang damit erzielen Apotheken ihre Einnahmen praktisch ausschließlich aus Verkaufserlösen für die abgegebenen Arzneimittel. Dabei müssen die Apotheken das Eigentum an den Arzneimitteln erwerben und diese später verkaufen. Die Verkaufserlöse ergeben sich aus den abgegebenen Mengen der Arzneimittel, multipliziert mit ihren Preisen, die für Rx-Arzneimittel in der AMPreisV geregelt sind. Damit sind diese Preise eine entscheidende Bestimmungsgröße für den Erlös und letztlich für den erzielten Gewinn der Apotheken.

Die Apothekeneinnahmen zu steuern und die Wirtschaftlichkeit der Apotheken zu sichern, erfordert daher zwingend einen Einfluss auf den Arzneimittelpreis. Denn wenn die Arzneimittelpreise nicht beeinflusst werden können, kann die Wirkung jeder anderen denkbaren Honorarkomponente durch sinkende Preise ausgehebelt werden. Der maßgebliche Grund dafür ist, dass die Apotheken Eigentum an den Arzneimitteln erwerben und sie dann verkaufen müssen. Diese ökonomische Logik koppelt den wirtschaftlichen Erfolg von Apotheken ursächlich mit dem Verkaufserlös für die Arzneimittel. Dadurch wird dieser zum Schlüssel für den wirtschaftlichen Erfolg der Apotheken. Alle denkbaren weiteren Regelungen, die zusätzliche Einnahmen für Apotheken generieren könnten, gehen ins Leere, wenn der weitaus größte Teil der Einnahmen nicht kontrolliert werden kann. Andere Honorarbestandteile können die zentrale Wirkung des Arzneimittelpreises allenfalls abmildern, aber den ursächlichen Zusammenhang nicht aufheben. Darum sind feste Preise für Rx-Arzneimittel eine Voraussetzung für jeden staatlichen Einfluss auf die finanziellen Grundlagen des Apothekensystems.

Ein solcher Einfluss ist zwingend erforderlich, wenn der Staat den Apotheken im Gegenzug Aufgaben im öffentlichen Interesse zuweist und wenn die Apotheken wegen des Kontrahierungszwanges auch defizitäre Aufgaben wahrnehmen müssen. Solchen Pflichten müssen auch Vorteile gegenüberstehen. Der Staat muss die Erfüllung der vorgeschriebenen Aufgaben angemessen honorieren und diese Honorierung auch faktisch durchsetzen können. Es reicht nicht aus, diese Honorierung dem Markt zu überlassen, weil dann die Gefahr droht, dass Apotheken nur mit speziellen Versorgungsangeboten oder an herausragenden Standorten mit besonders großer Nachfrage oder besonders kaufkräftigen Kunden lukrativ sind. Es reicht auch nicht, ländliche Apotheken gezielt zu fördern. Vielmehr muss das System insgesamt wirtschaftlich tragfähig sein, um eine flächendeckende Versorgung zu sichern. Angesichts der Schlüsselstellung der Preise für die Wirtschaftlichkeit der Apotheken ist dies ein weiteres Argument für die Gleichpreisigkeit. Von dem angekündigten Gutachten sollte daher erwartet werden, dass es alle diese Zusammenhänge aufzeigt. Dafür sind empirische Daten oder modellhafte Kalkulationen nicht unbedingt erforderlich, denn die Argumentation beruht auf logischen Zusammenhängen und nicht auf quantitativen Ergebnissen. Letztlich geht es dabei um die gewünschte und nicht auflösbare Doppelfunktion der Apotheker als Heilberufler und Kaufleute.

Wirkung von Marktpreisen

Nachfolgend soll die Beziehung zwischen der Preisbindung und potenziellen anderen Honorarregelungen für Apotheken weiter erläutert werden. Wenn die Preise frei gebildet werden können, werden Apotheken mit besonders günstigen Kostenstrukturen Angebote zu günstigen Preisen bieten. Besonders Versender, die einigen Gemeinwohlpflichten nicht nachkommen müssen, und sehr große Apotheken mit Skalenerträgen haben dabei Vorteile. Wenn sich damit niedrigere Marktpreise bilden, würden diese von den übrigen Apotheken übernommen. Da deren Absatzmengen nicht steigen, würden ihre Einnahmen sinken. Strukturhonorare für besonders versorgungsrelevante Apotheken und andere neue Honorare würden dann keine zusätzlichen Vorteile mehr bringen, sondern allenfalls die Defizite kompensieren, die durch sinkende Preise entstehen. Wenn die Apotheken mit ungünstigen Kostenstrukturen ihre Preise hingegen nicht senken, sprechen sie nur noch Kunden an, ­deren Nachfrage wenig elastisch auf den Preis reagiert. Dann sinken ihre Erlöse aufgrund der geringeren Absatzmengen. Auch in diesem Fall dienen zusätzliche Honorare nur noch der Kompensation. Aktive Maßnahmen des Gesetzgebers würden damit neutralisiert, wenn die Preise zurückgehen. Stattdessen wäre der Gesetzgeber nur noch in einer Rolle des Reagierens. Denn der Gesetzgeber müsste jeweils abhängig von der Marktentwicklung gegensteuern und zusätzliche Honorare vorsehen, um die notwendige Apothekeninfrastruktur aufrechtzuerhalten.

Die Preisbildung für Arzneimittel dem Wettbewerb zu überlassen, heißt damit zwangsläufig, die aktive Steuerung der Apothekenhonorare aufzugeben. Jeder Versuch, durch irgendwelche anderen Honorarkomponenten eine bestimmte Mindestrentabilität zur langfristigen Sicherung der wirtschaftlichen Existenz bestimmter Apotheker zu gewährleisten, kann dann durch Mindererlöse aufgrund sinkender Preise im Wettbewerb ausgehebelt werden. Damit erübrigen sich auch alle Vorschläge, die heilberufliche Tätigkeit strikt nach einer Gebührenordnung zu honorieren, dann aber bei der Distribution von Arzneimitteln mehr wettbewerbliche Honorierungsformen zuzulassen. Dies droht für die Apotheken zu einem Nullsummenspiel zu werden - anders ausgedrückt: Mehr Geld für den Apotheker als Heilberufler bringt nichts, wenn es ihm als Kaufmann wieder weggenommen wird. Denn der Erlös aus der Arzneimittelabgabe ist notwendigerweise immer ein Bestandteil der Apothekeneinnahmen, auch wenn neue Honorarkomponenten dazukommen sollten. So verhindert Preiswettbewerb bei Arzneimittelpreisen jede wirksame Honorarregulierung für Apotheken.

Option 1: Kommissionssystem

Dieser Effekt ist ursächlich damit verknüpft, dass Apotheken das Eigentum an den abgegebenen Arzneimitteln erwerben und für die Arzneimittel Erlöse erzielen müssen. Daher gibt es nur zwei Möglichkeiten, diesen Effekt zu verhindern. Die rigoroseste Variante wäre eine grundlegende Veränderung des Systems. Es würde nicht einmal ausreichen, die Apothekenhonorierung komplett von der Arzneimittelabgabe zu lösen. Denn der Zusammenhang beruht nicht auf irgendeinem Mechanismus der Preisbildung, sondern auf der Tatsache, dass die Apotheken die Arzneimittel verkaufen müssen. Um dies zu umgehen, dürften die Apotheken kein Eigentum mehr an den abgegebenen Arzneimitteln erwerben, sondern die Arzneimittel müssten direkt zwischen den Herstellern und den Krankenkassen abgerechnet werden. Die Arzneimittel wären dann Kommissionsware, wie es Stadler bereits angeregt hatte (Stadler, F., Das Kommissionsmodell – die Zukunft der Apotheke? DAZ 2017, Nr. 32, S. 22 ff.). Doch es erscheint unverhältnismäßig, dass der EuGH den deutschen Gesetzgeber zu einer so grundlegenden Reform des Apothekensystems zwingt, um die Souveränität über dieses System wiederzuerlangen. Dies wurde auch bei der Entscheidung des EuGH nicht berücksichtigt. Diese Zusammenhänge aufzuzeigen, sollte daher von einem Gutachten über den Zweck der Preisbindung erwartet werden.

Option 2: Mindestpreise

Die mildere Variante, mit der der beschriebene Effekt der Preisbildung auf die Gestaltungsmöglichkeiten des Gesetzgebers im Apothekensystem aufgehoben werden kann, ist eine wirksame Preisregulierung mit Mindestpreisen. Darum ist die Rx-Preisbindung nicht nur geeignet, sondern auch erforderlich, um die flächendeckende Versorgung sicherzustellen, sofern ein Kommissionssystem nicht gewünscht ist. Dies ist ein zentrales Argument für die Rx-Preisbindung, das in einem diesbezüglichen Gutachten herausgearbeitet werden müsste.

Höchstpreise als ­Verbraucherschutz

Während im Interesse der Apotheken ein Mindestpreis geboten ist, erfordert der Verbraucherschutz zusätzlich einen Höchstpreis. Weder einzelne Patienten noch deren Krankenversicherungen sollen höhere Preise zahlen müssen (abgesehen von einer geregelten Notdienstgebühr), weil eine Apotheke eine geografische Monopolstellung hat, das Arzneimittel im Notdienst benötigt wird oder eine zeitweilige Knappheitssituation vorliegt. Die Entwicklung im Zusammenhang mit dem Coronavirus hat gezeigt, dass die Preise für Atemmasken oder Desinfektionsmittel in Ausnahmesituationen schnell enorm steigen können. Dies soll bei Arzneimitteln nicht geschehen. Apotheken sollen Notlagen der Patienten nicht zu ihrem finanziellen Vorteil ausnutzen können. Daher wird die Preisbindung seit jeher als Verbraucherschutz verstanden, schon bevor dieser Begriff etabliert war, und daher sind Höchstpreise für Arzneimittel unbedingt notwendig.

Wenn Apotheken Situationen mit besonderem Bedarf aber nicht nutzen können, um höhere Preise durchzusetzen, fehlt ihnen eine wichtige Möglichkeit zur Mischkalkulation, die andere Handelsunternehmen haben. Andere Unternehmen können damit weniger lukrative Fälle kompensieren. Damit sind die im Interesse des Patienten- und Verbraucherschutzes gebotenen Höchstpreise ein weiterer Grund, weshalb auch Mindestpreise nötig sind. Die Gründe für Höchst- und Mindestpreise zusammen rechtfertigen Festpreise, also die Rx-Preisbindung.

Doch der EuGH hat jedwede Preisregulierung bei der grenzüberschreitenden Lieferung von Arzneimitteln untersagt. Damit ist der Preiswettbewerb trotz der im Inland weiterhin geltenden Rx-Preisbindung faktisch eröffnet. Aus den oben genannten Gründen wird damit auch jede andere Honorarregelung wirkungslos, weil sie über den Arzneimittelpreis ausgehebelt werden kann. Das EuGH-Urteil entzieht damit dem nationalen Gesetzgeber praktisch jede Möglichkeit zu einer wirksamen Regulierung irgendwelcher Apothekenhonorare, sobald der Wettbewerb mit ausländischen Anbietern zugelassen ist. Würde sich der Gesetzgeber die grenzübergreifende Regelung gemäß dem EuGH-Urteil zum Vorbild für die inländische Regelung machen, wären nicht einmal Höchstpreise im Interesse des Verbraucherschutzes möglich. Damit ist das EuGH-Urteil nicht vereinbar mit einschlägigen sozialen Schutzmaßstäben.

Letztlich verliert der Gesetzgeber durch das EuGH-Urteil die tatsächliche Gestaltungsmacht zu den Honoraren für Apotheken und zu den Preisen für Arzneimittel. Ein Gutachten sollte daher hinterfragen, ob ein so weitreichender Eingriff in die tatsächlichen Gestaltungsmöglichkeiten des Gesetzgebers verfassungsrechtlich und europarechtlich zulässig ist. Außerdem ist zu bezweifeln, dass ­dieser Aspekt bei der Urteilsfindung berücksichtigt ­wurde.

Durchsetzung der inner­staatlichen Preisbindung

Angesichts dieser Zusammenhänge lässt sich die tatsächliche Gestaltungsmacht des Gesetzgebers zur wirtschaftlichen Situation der Apotheken wiederherstellen, wenn der im Inland weiterhin gültigen Rx-Preisbindung allgemein Geltung verschafft wird. Dafür gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder der EuGH lässt die Auslandswirkung der deutschen Preisbindung zu, oder der deutsche Markt schottet sich mit einem Rx-Versandverbot ab.

Andere diskutierte Konzepte würden dagegen nur zu einer Preisbindung für die GKV führen. Dies betrifft den derzeitigen VOASG-Entwurf mit einer sozialrechtlichen Preisbindung und eine kassenapothekerliche Vereinigung, wie Hüsgen sie vorgeschlagen hatte (Hüsgen, U., Denkmodell Kassenapothekerliche Vereinigung. DAZ 2016, Nr. 29, S. 20 ff.).

Eine umfassende gesetzliche Preisbindung kann möglicherweise erreicht werden, wenn ein Rx-Versandverbot zu einem erneuten Verfahren vor dem EuGH führt (siehe oben). In einem solchen Verfahren wäre dann zu klären, welche der Möglichkeiten europarechtlich zu bevorzugen ist. Dabei ist nochmals zu betonen, dass die EuGH-Entscheidung, die sich formal auf einen grenzübergreifenden Sachverhalt bezieht, aufgrund der marktwirtschaftlichen Zusammenhänge auf rein innerstaatliche Regelungen wirkt und die tatsächliche Gestaltungsmacht des Gesetzgebers für innerstaatliche Vor­gänge untergräbt.

Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass der Gesetzgeber die zentrale Bedeutung des Arzneimittelpreises bereits bei Neuregelungen in der jüngeren Vergangenheit berücksichtigt hat. Die Finanzierung des Nacht- und Notdienstfonds über einen Zuschlag auf den Rx-Arzneimittelpreis gemäß AMPreisV wurde gewählt, weil damit sowohl GKV-Patienten als auch Selbstzahler adressiert werden und die Preisregelung nicht zu umgehen ist. Für künftige Honorarbestandteile bietet sich eine gleichartige Fondsfinanzierung an, weil bei einer direkten ­Honorierung zusätzlicher Leistungen preissensible Kunden auf Apotheken ohne solche Angebote ausweichen könnten, um einen solchen Zuschlag zu sparen. Damit würde eine direkte Honorierung zu Fehlanreizen führen. Dies dürfte ein maßgeblicher Grund dafür sein, dass im VOASG-Entwurf wiederum eine Fondsfinanzierung für die neuen honorierten pharmazeutischen Dienstleistungen geplant ist. ­Damit nutzt der Gesetzgeber gezielt die zentrale Funktion des Arzneimittelpreises für die Apothekenhonorierung aus. Diese Schlüsselfunktion sollte dann auch bei gerichtlichen Bewertungen gewürdigt werden.

Fazit

Diese Schlüsselfunktion des Arzneimittelpreises sollte in dem erwarteten Gutachten zur Preisbindung herausgearbeitet werden. Es ist zu zeigen, dass bei freien Preisen jede staatliche Regulierung zur Sicherung eines flächendeckenden Apothekenwesens ins Leere läuft. Die Arzneimittelpreise sind der Schlüssel zur Wirtschaftlichkeit der Apotheken, weil die Apotheken systembedingt das Eigentum an den abgegebenen Arzneimitteln erwerben müssen. Darum können freie Preise jede andere Regelung unterlaufen und nehmen dem Gesetzgeber damit seine Gestaltungsmacht. Die Gleichpreisigkeit ist damit eine Voraussetzung für wirksame Regeln zur Gestaltung des Apothekensystems. Sie ist demnach nicht nur geeignet, sondern sogar erforderlich zur Sicherung des Systems. |

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