Gesundheitspolitik

Der Apotheken-Ökonom: Mehr Staat?!

Wie kann es zu Lieferengpässen bei Arzneimitteln kommen – eine ökonomische Herangehensweise

Prof. Dr. Andreas Kaapke 

Seit rund drei Jahren hört man ­immer öfter und für immer mehr Arzneimittel, dass Lieferengpässe bestehen. Im Sommer sagte ein ­erfahrener, schon zu DDR-Zeiten praktizierender Pharmazeut auf einer Kammerveranstaltung in Brandenburg, dass er die Situation als schlimmer als in der DDR empfände, und dort herrschte schließlich Planwirtschaft.

Normalerweise regelt der Markt Lieferengpässe bzw. eine Nicht-Lieferfähigkeit, denn wenn Nachfrage vorhanden ist, generiert sich auf dieser Grundlage vergleichsweise schnell ein dafür passendes Angebot. Es gibt immer Unternehmer, die ein Geschäft wittern. Ausnahmen liegen vor, wenn die notwendigen Materialien nicht verfügbar sind, z. B. weil eine Ernte ausfiel und deswegen bestimmte Obstsorten deutlich eingeschränkt erhältlich sind. Aber auch dann funktionieren Märkte recht gut, denn dann regelt der Preis das Verhältnis aus Angebot und Nachfrage. Obstgroß- wie -einzelhändler können ein Lied davon singen, denn in besonders starken Erntejahren fällt der Preis ob des hohen Angebots niedrig aus und das Produkt aus Preis und Menge pendelt sich dann rasch wieder im Normalbereich ein. Dies nun kann für den Markt der Arzneimittel nur bedingt gelten, es sind aber auch in den seltensten Fällen derlei Ingredienzien, die den gegenwärtigen Zustand erklären könnten.

Nun ist die Nachfrage nach Arzneimitteln nicht wirklich zu steuern, zumindest in bestimmten Indika­tionsgruppen nicht. Denn Gesundheit ist kaum zu budgetieren. Da Arzneimittel aber eine durchaus veritable Haltbarkeitsdauer haben, kann dies durch unterschiedliche Produktionsintensitäten austariert werden, in der Regel klappt das.

Seit rund einem halben Jahr verschärft sich die Berichterstattung rund um die Engpässe. Sowohl Fernsehsender als auch regionale und überregionale Tageszeitungen berichten in gewisser Regelmäßigkeit, zudem schlagen die Institu­tionen der Standesorganisation Alarm, zu Recht! Denn offensichtlich haben sich zahlreiche Her­steller aus nennenswerten Indi­kationsbereichen ganz oder stark zurückgezogen und andere füllen den sich dadurch ergebenden Spielraum nicht aus. Warum? Das kann nur damit zusammenhängen, dass entweder der organisa­torische oder administrative Aufwand in diesem Teilmarkt als zu hoch eingestuft wird oder der zu erwartende Ertrag als zu gering und von daher weder die Amortisation gesichert noch die Amortisa­tionszeit ökonomisch vertretbar erscheinen. In einem den Markt­gesetzen folgenden Markt würde nun wieder der Preis regeln, was geregelt werden muss, und demnach die Nachfrage sich auf einem eben entsprechenden höheren Niveau einpendeln, aber stets unter der Prämisse eines lohnenden Geschäftsmodells für Anbieter. In einem regulierten Markt aber könnten die Hürden für Pharmahersteller so hoch sein, dass die sich aus der Produktion abzeichnenden Anreize nicht vorhanden, zu schwach oder zu unsicher sind. Ergo fallen die Anbieter aus, obgleich es Nachfrage gibt. In einer freien Marktwirtschaft müsste man dies nun so hinnehmen. Das Wesensmerkmal einer sozialen Marktwirtschaft leitet sich aber aus der Überlegung ab, dass der Staat immer dann ­einzugreifen hat, wenn der Markt keine befriedigenden Ergebnisse erzielt oder aber versagt.

Dies kann der Staat durch die sogenannte Makrosteuerung tun, indem er die Rahmenbedingungen so anpasst, dass die Anreiz-Beitrags-Strukturen für manche Anbieter wieder hinreichend attraktiv werden. Das kann durch Subventionen, Steuererleichterungen oder auch Ausnahmen von bestehenden Gesetzen und Verordnungen geschehen. Als Alternative kann der Staat eine sogenannte eigene Wirtschafts­tätigkeit aufnehmen. Das darf nicht dahin­gehend missverstanden werden, dass er selbst produziert, aber wohl in seinem Namen und Auftrag produzieren lässt und damit das Marktrisiko übernimmt.

Ob gegenwärtig bereits ein Marktversagen vorliegt oder nur „finstere Machenschaften von wem auch immer“ ver- oder behindern, dass die Ware dort ankommt, wo sie benötigt wird, kann final nicht beantwortet werden. Aber im Bereich von Arzneimitteln ist es eben strukturerhaltend und für die Gesundheit der Bevölkerung notwendig, die Lieferfähigkeit zu jedem Zeitpunkt und an jedem Ort aufrechtzuerhalten. Die zeitliche und räumliche Ausgleichsfunktion lässt den Unterschied zwischen Lieferengpass (die Ausgleichsfunktion funktioniert nicht optimal) und Lieferunfähigkeit (die Ausgleichsfunktion kann nicht klappen) nochmals deutlich werden. Ohne polemisch anmuten zu wollen, ist dies für die Bürger in Deutschland ein ähnlich wichtiges Thema wie die Fortsetzung der Friedenspolitik in Syrien oder die Frage der Zinspolitik der EZB, regelmäßige Top News in unseren Nachrichtensendungen. Von daher sind der Minister und sein Haus aufgefordert, eine umfassende Analyse über die Ursachen an­zustellen. Sollte dabei herausgefunden werden, dass der Markt auf Dauer das Problem nicht oder nicht befriedigend wird lösen können oder wollen, sind entweder Anpassungen der Makrosteuerung angezeigt oder aber eigene Tätigkeiten. In einem regulierten Markt wird sich der Staat daran messen lassen müssen, inwieweit er Bedrohungen erkennt und frühzeitig gegenzusteuern imstande ist. Es ist selten, dass Ökonomen danach rufen. Aber nun scheint es geboten: Mehr Staat – schlimm genug! 

Andreas Kaapke ist Professor für Handelsmanagement und Handelsmarketing an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW), Standort Stuttgart, und Inhaber des Beratungsunternehmens Prof. Kaapke Projekte. E-Mail: a.kaapke@kaapke-projekte.de|

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