Management

Auch zu viel Optimismus kann schaden

Vom Sinn (und Unsinn) einer pessimistischen Haltung

Viele Entscheider singen das Lied vom erfolgssteigernden Optimismus. Das gilt auch für Apothekenleiter. In etlichen Fortbildungen heißt das Lernziel „Optimismus pur“. Aber führt die Zuversicht um jeden Preis nicht zuweilen in den ­Abgrund? Und ist es nicht manchmal zielführender, davon auszugehen, dass Dinge nicht funktionieren und sich Vorhaben in der Apotheke nicht rea­lisieren lassen? Die Frage ist: Hat das pessimistische Denken Vorteile? Von Michael Madel

Eine rosarote Brille gaukelt manchmal falsche Sicherheit vor.

Die Vorteile des positiven – oder besser: optimistischen – Denkens gelten als erwiesen. Wer ein Vorhaben mit der Überzeugung angeht, es schaffen zu können, und eher das halb volle als das halb leere Glas Wasser sieht, fokussiert sich darauf, dieses Vorhaben tatsächlich umzusetzen und ent­wickelt eine kraftvolle Umsetzungsenergie. Pessimistisches Denken hingegen kann blockieren, hemmen und die Umsetzungsenergie reduzieren. Klar ist zugleich: Ein übersteigertes positives Denken mit der rosaroten Wahrnehmungsbrille auf der Nase kann aber auch eine Sicherheit vorgaukeln, die es nicht gibt.

Zwischen Gleichgültigkeit und Aktionismus

Nehmen wir zur Verdeutlichung das folgende Beispiel an: Zwei Apothekenleiter wollen auf einem Kongress jeweils einen Vortrag halten. Der Vortragstext muss bis zu einem bestimmten Datum erstellt sein. Bis dahin sind es noch sechs Wochen. Der eine Apothekenleiter – nennen wir ihn Herrn Optimist – sagt sich drei Wochen vor der Abgabe: „Kein Problem, das schaffe ich mit links, noch habe ich drei Wochen Zeit, gleich nächste Woche setze ich mich hin und schreibe den Vortrag herunter. Ist ja nicht das erste Mal!“ Er sieht das halb volle Glas.

Der andere Apothekenleiter hingegen, Frau Pessimistin, sieht das halb leere Glas und schaut mit Entsetzen auf den Kalender: „Nur noch drei Wochen. Die Hälfte habe ich schon verschlafen. Wie soll ich das nur schaffen? Das klappt doch niemals!“

Ein und derselbe Sachverhalt lässt sich also positiv und negativ interpretieren. Unser Handeln orientiert sich nicht immer daran, wie die Welt ist, sondern daran, wie wir sie wahrnehmen (wollen).

Das Beispiel verdeutlicht die grundsätzlichen Positionen. Wobei eine dritte Variante darin besteht, weder mit einer pessimistischen noch einer optimistischen Haltung an die Vortragsverfassung heranzugehen, sondern ein möglichst realistisches Bild zu malen: „Okay, drei Wochen lang konnten sich in Ruhe Ideen entwickeln, jetzt bleibt noch Zeit für die konkrete Umsetzung. Ich fange gleich damit an.“ Und das, ohne in panischen Aktionismus oder eine Wird-schon-klappen-Gleichgültigkeit zu verfallen. Der dritte, realistische Weg, das Glas Wasser wahrzunehmen, besteht damit im Folgenden: „Es ist noch etwas zu trinken da, wenn auch nicht mehr ganz so viel!“

Foto: Orlando Florin Rosu – stock.adobe.com

Was hilft bei einem übergroßen Berg? Egal, ob sich Aufgaben, gesteckte Ziele oder Vorhaben vor einem auftürmen, man kann alles durch die rosarote Brille oder schwarz sehen. Welches ist die bessere Option, oder ist schon diese Frage falsch?

Pessimismus kann aktivieren

Die meisten Menschen lehnen das Pessimisten-Szenario ab. Zu groß ist die Gefahr, dass der Pessimist in eine Negativspirale hinein­gerät und sich selbst blockiert. Er wird zuweilen als desillusionierter Schwarzseher abgestempelt, der seine Mitmenschen und sein Umfeld nur demotiviert. Der Optimist hingegen genießt einen besseren Ruf. Gemeinhin gilt er als energischer Umsetzer und Macher, dem kein Problem zu groß ist, als dass er es nicht lösen könnte.

Aktivierender Pessimismus kann große Vorteile bieten.

Entscheidend ist, wie wir mit der konkreten Situation umgehen und darauf reagieren. Kommen wir zurück zu den zwei Apotheken­leitern: Herr Optimist lehnt sich zurück, denkt, er habe ja noch drei Wochen Zeit. Was jedoch, wenn etwas Unvorherseh­bares geschieht? Dann ist der Fertigstellungstermin des Vortrags akut gefährdet. Die optimistische Haltung entlarvt sich als Illusion, während Frau Pessimistin aus der Befürchtung heraus, den Vortrag nicht rechtzeitig fertig­zustellen, sich ab sofort jeden Abend eine halbe Stunde an den Schreibtisch setzt, um den Text auszuarbeiten. Sie aktiviert alle Potenziale, um die verbleibenden Wochen zu ­nutzen – und ist sogar zu früh mit dem Vortrag fertig. Aktivierender Pessimismus bietet große Vorteile.

Pessimismus führt zu vorausschauendem Denken

Eine ähnliche Konstellation ergibt sich vor einem schwierigen Mit­arbeitergespräch: Herr Optimist bereitet sich nicht sorgfältig vor, weil er glaubt, es würde schon gut gehen: „Ich habe genug Erfahrung mit solchen Gesprächen.“ Frau Pessimistin dagegen agiert aktiv und penibel, sie bedenkt alle Eventualitäten – und ist darum darauf vorbereitet, dass der Mitarbeiter sich mit dem Gedanken beschäftigt, eventuell zu kündigen. Frau Pessimistin hat die entsprechenden Signale aufmerksam registriert, richtig gedeutet und daraus ihre Schlüsse gezogen. Weil sie den Mitarbeiter halten will, kann sie mit ihm einen Vorschlag diskutieren, der diesen zum Nachdenken bringt, ob er nicht doch der Apotheke treu bleibt. Herr Optimist hat dieses vorausschauende Agieren aufgrund seiner allzu optimistischen Grundeinstellung versäumt.

Eine pessimistische ­Perspektive fasst auch den Worst Case ins Auge, ...

Pessimismus eröffnet den Blick auf Alternativen

Um Missverständnissen vorzubeugen: Es geht nicht darum, das Hohelied des Pessimismus zu singen und die allzu optimistische Lebenseinstellung bloßzustellen. Vielmehr soll die Tatsache Berücksichtigung finden, dass eine pessimistische Denkweise und Erwartungshaltung durchaus Vorteile haben kann: Die Erwägung, etwas könne vielleicht nicht funktionieren, macht vorsichtig und weitet den Horizont, die pessimistische Perspektive wirft ein neues, anderes Licht auf den Sachverhalt und eröffnet zusätzliche Optionen. Darum sollte man bewusst auch den pessimistischen Blickwinkel einnehmen und sich fragen: „Was bedeutet das für mein Vorhaben? Welche neuen Reaktionsweisen sollte ich kal­kulieren? Wie kann ich mich darauf vorbereiten?“

... man darf den Best Case und die „Zwischentöne“ aber nicht vergessen.

Die pessimistische Perspektive fasst auch den Worst Case ins Auge. Als Blockade wird sich diese Perspektive nur dann erweisen, wenn man sich allein darauf konzentriert und nur die pessimistische Sichtweise einnimmt. Zielführender ist es, mehrere Möglichkeiten ins Kalkül zu ziehen und neben dem Wort „Case“ den „Best Case“ und all die Schattierungen, die dazwischenliegen können, zu bedenken.

An Murphys Gesetz zu ­denken, hilft, ein Risikomanagement zu etablieren oder es zu verfeinern.

Pessimismus motiviert zu Risikomanagement

Murphys Gesetz, dass alles, was schiefgehen kann, auch schief­gehen wird, hilft dem Apothekenleiter, ein Risikomanagement zu etablieren oder es zu verfeinern. Insbesondere bei Großvorhaben und wichtigen Entscheidungen – denken wir an einen Umbau der Apotheke oder eine Filialgründung – ist es ratsam, das Worst-Case-Szenario durchzuspielen: „Was passiert, wenn die Finanzierung des Umbaus scheitert? Was geschieht, wenn die ­Filiale nicht läuft?“

Pessimistische Gedanken und Vorstellungen sollten nicht von vornherein unter den Generalverdacht gestellt werden, sie würden blockieren und müssten daher auf jeden Fall verändert werden. Dabei sind sowohl bei der Positiv-denken-Philosophie als auch bei der Pessimismus-Attitüde vor ­allem die extremen Ausschläge schädlich: Wer die Welt ausschließlich rosarot oder schwarz sieht, wird keine Probleme lösen oder Herausforderungen meistern können. Die optimistische und die pessimistische Haltung sollten immer nur zwei Optionen unter mehreren sein. |

Dr. Michael Madel, freier Autor und Kommunikationsberater

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