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Gesundheitspolitik
Gewissen erlaubt
Er war ein Unikat in seinem Kiez: Andreas K., bis Herbst 2018 Inhaber der Undine-Apotheke in Berlin-Neukölln. Der gläubige Katholik und glühende Hertha-Fan – beide Leidenschaften waren in seiner Offizin und im Schaufenster unübersehbar – hat feste Überzeugungen, was das Leben und seine Entstehung betrifft: Für ihn beginnt das Leben mit der Empfängnis, dem Verschmelzen von Ei- und Samenzelle – und es verdient ohne Wenn und Aber absoluten Schutz. Sein Gewissen erlaubte es ihm daher nicht, die „Pille danach“ abzugeben. Denn ihr Wirkmechanismus ist nicht vollständig geklärt. Sie kann auch die Einnistung einer bereits befruchteten Eizelle in die Gebärmutter verhindern, wenn für K. das Leben also schon begonnen hat. Bereits im Eingangsbereich seiner Apotheke machte er auf einem Zettel bekannt, dass er die „Pille danach“ nicht abgebe. Angesichts der Tatsache, dass sein Kiez nicht an Apotheken-Unterversorgung litt (mittlerweile hat neben der Undine- auch eine weitere Apotheke in unmittelbarer Laufnähe geschlossen), war das sicherlich zu verkraften: Wer wirklich die „Pille danach“ wollte, dürfte keine großen Probleme gehabt haben, sie anderweitig zu beschaffen. Auch sonstige Verhütungsmittel gab es in der Undine-Apotheke nicht ohne persönlichen „Beipackzettel“. Darin warb K. für einen verantwortungsvollen Umgang mit Verhütungsmitteln und betonte, dass Kinder das Leben bereichern. Die Berliner Apothekerkammer kritisierte sein Vorgehen zwar, hielt aber lange die Füße still. Dann kam es doch zu einer berufsrechtlichen Klage. Dem Apotheker wurde vorgeworfen, „entgegen bestehender Verpflichtung die im öffentlichen Interesse gebotene Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung nicht gewährt und damit der Gesundheit des einzelnen Menschen und des gesamten Volkes nicht gedient zu haben“. Neben der Abgabeverweigerung der „Pille danach“ wurde dem Apotheker vorgeworfen, er habe in diesem Zusammenhang unaufgefordert „Zettel mit religiös und weltanschaulich motiviertem Inhalt“ gegen die Anwendung der ärztlich verordneten Arzneimittel zugesteckt. Einmal habe er auch die auf dem Rezept aufgedruckte Adresse einer Patientin „missbraucht, um der Patientin den Zettel nach Hause hinterherzuschicken“. Die Kammer sah darin diverse Verstöße gegen berufs- und apothekenrechtliche Normen sowie das Bundesdatenschutzgesetz – und beantragte bei Gericht, gegen den Pharmazeuten einen Verweis auszusprechen.
Nur eine Warnung – wegen Datenschutz-Verstoßes
Das Berufsgericht verhängte aber nur eine „Warnung“ gegen den Apotheker – die mildeste aller im Berufsrecht vorgesehenen Sanktionen (Urt. v. 26. 11.2019, Az.: VG 90 K 13.18 T). Und diese bezieht sich auch nur auf den an die Patientin geschickten Brief: Mit der Verwendung der Adresse habe der Apotheker gegen das Datenschutzgesetz – und letztlich gegen das Berufsrecht – verstoßen. Dass dieses Vorgehen nicht korrekt war, sah auch der beschuldigte Apotheker ein. Im Inhalt des Briefes konnten die Richter hingegen keine Berufsrechtsverletzung sehen. Das Gericht verweist auf § 16 Abs. 2 Satz 1 Berliner Kammergesetz, der einer berufsrechtlichen Maßnahme entgegenstehe. Er besagt, dass wissenschaftliche, religiöse, künstlerische oder politische Ansichten oder Handlungen nicht Gegenstand eines berufsgerichtlichen Verfahrens sein können. Daraus schließt das Gericht, dass ihm Zurückhaltung auferlegt ist. Es kommt zu dem Ergebnis, dass die Hinweiszettel eine „bloße Lästigkeit“ seien. Die Betroffenen hätten sich ihr leicht entziehen können, indem sie die Apotheke verlassen und den Zettel nicht annehmen oder entsorgen. Auch die Nicht-Abgabe der „Pille danach“ sei keine vorsätzliche Berufspflichtverletzung. Eine eindeutige Rechtslage gebe es zur Frage, ob sich ein Apotheker auf seine Gewissensfreiheit berufen könne, nicht. Auch nicht im Hinblick auf die Frage, ob Gewissensgründe den Kontrahierungszwang, der Apotheken ja eigentlich obliegt, durchbrechen können. „Eine Lösung kann sich verfassungskonform nur durch eine Abwägung der betroffenen Grundrechte im Einzelfall ergeben“, heißt es im Urteil. Und vorliegend geht diese zugunsten des Apothekers aus. Dabei verweist das Gericht unter anderem darauf, dass es in Berlin ausreichend Apotheken gibt, zu denen die Kundinnen ausweichen konnten.
Unterstützung erhielt Andreas K. von ADF international – laut Webseite eine „weltweit tätige Menschenrechtsorganisation, die sich für die Freiheit und Würde aller Menschen einsetzt“ und „kostenlosen Rechtsbeistand zum Schutz und zur Förderung der Glaubensfreiheit, des Lebensrechtes, der Familienrechte sowie der Meinungs- und Redefreiheit“ bietet.
Rechtskräftig ist das Urteil nicht. Die Apothekerkammer Berlin hat Berufung eingelegt. |
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