Wirtschaft

„Immer mehr Geld für immer weniger Versorgung“

AOK-Institut analysiert Ausgaben für Patentarzneimittel / Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie bestreitet „Kostenexplosion“

eda | Das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) hat sich mit den Ausgaben beschäftigt, die die gesetzlichen Kranken­kassen im vergangenen Jahr für patentgeschützte Arzneimittel aufgebracht haben. In Relation zum Anteil der Patienten, der mit diesen Präparaten versorgt werden könne, sowie im Hinblick auf die Gewinnmargen international agierender Pharmaunternehmen, bewerten die AOK-Ökonomen die Marktentwicklung als „besorgniserregend“. Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) bestreitet jedoch eine „Kostenexplosion“ im GKV-Arzneimittelmarkt.

Im Jahr 2019 lagen die gesamten Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) bei 249,3 Milliarden Euro. Das sind 5,6 Prozent mehr als im Vorjahr. Der Anteil der Arzneimittelausgaben belief sich auf rund 16 Prozent und stellt damit den drittgrößten Ausgabenposten der Kassen dar.

Ein Bericht des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) zum GKV-Arzneimittelmarkt 2019 stellt dar, dass die Nettokosten des Arzneimittelmarktes im Vergleich zum Vorjahr um 6,0 Prozent gestiegen sind und einen Wert von 43,9 Milliarden Euro erreichten. Das WIdO macht dafür den Trend zu hochpreisigen Arzneimitteln verantwortlich, denn die Gesamtzahl der Verordnungen war im selben Zeitraum nur um rund ein Prozent gestiegen. Damit hat nach Berrechnungen der AOK-Ökonomen 2019 eine Verordnung durchschnittlich 63,55 Euro gekostet – rund 5 Prozent mehr als im Vorjahr.

„Konzentr­ationstendenzen im Arzneimittelmarkt“

Das WIdO macht auf die deut­lichen Kostenunterschiede zwischen generischen und patent­geschützten Arzneimitteln aufmerksam: Während die durchschnittliche Verordnung für ein Generikum 2019 33,92 Euro kostete, betrugen sie für patent­geschützte Arzneimittel im Mittel 471,50 Euro Netto. Bei Betrachtung der Gesamtkosten ergibt sich folgendes Bild: Mit insgesamt 21,0 Milliarden Euro Nettokosten entsprachen die Nettokosten einem Anteil von rund 48 Prozent am Gesamtmarkt.

Foto: WIdO

WIdO-Vize Helmut Schröder

Für das WIdO ist vor allem „besorgniserregend“, dass rund die Hälfte der Ausgaben im GKV-Arzneimittelmarkt nur gerade einmal 6,5 Prozent der Versorgung ab­decken. „Im patentgeschützten Markt werden immer höhere Preise für Arzneimittel zur Versorgung von immer weniger Patientinnen und Patienten aufgerufen“, wird Helmut Schröder zitiert, stell­vertretender Geschäftsführer des WIdO.

Gewinnmargen der Pharmaunternehmen im Visier

Analysiert wurden auch die Kosten und der Versorgungsanteil der drei umsatzstärksten Arzneimittel des Jahres 2019: Die drei Blockbuster Eliquis (Apixaban, 840 Millionen Euro), Xarelto (Rivaroxaban, 761 Millionen Euro) und Humira (Adalimumab, 697 Millionen Euro) erreichten einen Anteil an den Gesamtkosten für Arzneimittel von 5,2 Prozent bei einem Versorgungsanteil von 1,1 Prozent. „Vor fünf Jahren hat die Einführung der ‚1000-Dollar-Pille‘ Sovaldi zur Behandlung von Hepatitis C mit einem Packungspreis von knapp 20.000 Euro noch Empörung ausgelöst. Mittlerweile sind sogar sechsstellige Arzneimittelpreise für Neueinführungen an der Tagesordnung“, so Schröder, und weiter: „Es sind unter anderem diese hohen Preise, die der Pharmaindustrie ihre hohen Gewinne ermöglichen.“

Die WIdO-Analyse bewertet die Gewinnmargen der Pharmaunternehmen als weiterhin hoch. So steigerten die Top-21-Pharma­unter­nehmen der Welt 2019 ihr operatives Ergebnis (EBIT) im Vergleich zum Vorjahr und erreichten EBIT-Margen von im Schnitt 24,7 Prozent – und übertrafen damit die Branchen der Telekommunikation und der Informationstechnologie, mit EBIT-Margen von jeweils 14,0 Prozent. In Deutschland würden die 21 umsatzstärksten Phar­maunternehmen zusammen Nettokosten von knapp 20 Milliarden Euro zulasten der GKV verursachen und gleichzeitig nur 11,6 Prozent der Versorgung sicherstellen.

BPI: „Zu kurz gesprungen“

Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) reagierte umgehend auf die Veröffentlichung des WIdO-Berichts. BPI-Haupt­geschäftsführer Dr. Kai Joachimsen wies in einer Mitteilung darauf hin, dass in Relation zum Bruttoinlandsprodukt die GKV-Ausgaben für Arzneimittel seit Jahren konstant wären. „Es ist zudem zu kurz gesprungen, neue Arzneimittel als reine Kostenverursacher zu sehen. Gerade das Beispiel der modernen Mittel gegen Hepatitis C zeigt doch, dass Patienten geheilt werden und damit auch Folgekosten, etwa für Transplantationen, entfallen“, so Joachimsen. Gleichzeitig weist er darauf hin, dass für viele Arzneimittel ein Preis­moratorium existiere sowie Zwangsabschläge, Festbeträge und Rabattverträge gälten. Ein „extremer Spardruck“ herrsche vor allem im Generika-Bereich. |

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