Gesundheitspolitik

Der Apotheken-Ökonom: Aus den Fugen

Prof. Dr. Andreas Kaapke 

Die Wucht, mit der das Corona­virus alle Gesellschaften weltweit getroffen hat, ist erdrückend. Von daher stimmt es nicht minder verwunderlich, dass die jeweiligen Regierungen mit ähnlicher Wucht sich dagegen zu stemmen versuchen. Dass es zu den immer wieder als alternativlos bezeichneten Wegen der Mehrheit offensichtlich doch alternative Wege gibt, wie in Schweden zu beobachten, ist weniger verwunderlich, als medienseitig kolportiert wird. Obgleich es sich um das­selbe Virus handelt, sind dessen Konsequenzen nicht überall gleich zu spüren, da die räumlichen Gegebenheiten, die Lebensmodelle und Gesellschaftsformen im Detail doch ­signifikant abweichen. Und noch ist es nicht ausgemacht, welcher Weg innerhalb derselben Alternative und zwischen den Alternativen der dann wohl beste gewesen sein dürfte.

Jetzt, da Ungeduld und ökonomische Not beharrlich die Oberhand zu gewinnen trachten, brechen sich neuerlich Unterschiede in der Bewertung des Richtigen Bahn. Wenn eine Regierung nahezu das gesamte öffentliche Leben runterfährt, ist es nachvollziehbar, dass nach dem ersten Schock die Diskussion losbricht, was angemessen ist. Der nun einsetzende Überbietungs-Tourismus hat aber auch mit knappen Ressourcen zu tun. Kaum ein Verband, der nicht stellvertretend für die von ihm vertretenen Unternehmen und Institutionen das besonders harte Schicksal betont. Kaum eine Sondersendung, die sich nicht die eine oder andere Branche vornimmt und aufzeigt, warum gerade diese besonders gebeutelt ist. Die dritte Wucht werden demnach die Erst- und Nachwehen sein, die sich dann ökonomisch äußern.

Die zweite Wucht des Staates kostet unglaublich viel Geld, und dies weltweit. In einer globalisierten Welt konnten bei sonstigen Krisen – z. B. dem Tsunami oder Fuku­shima – Ausfälle im einen Land durch Umsätze aus einem anderen Land kompensiert werden. Die Global Player haben jetzt aber nicht eine, sondern viele Baustellen, und was sich sonst relativiert hat, multipliziert sich nun – im Nega­tiven. Das Geld, das vom Staat jetzt in die Gesellschaft gepumpt wird, ist aber das Geld der Gesellschaft selbst, das von dieser zuvor z. B. über Steuern eingeholt wurde. Die Regierung ist Kassenwart und Entscheider in einer Person, wie mit diesen Geldern umzugehen ist. Wenn jetzt also viel Geld ausgeschüttet wird, muss dies an anderen Stellen eingespart werden, selbst wenn es zu einer höheren Verschuldung kommen wird. Und auch die ausgeschütteten Gelder dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass ein Gutteil davon von den Unternehmen zurückbezahlt werden muss. Das Notgeld setzt also darauf, dass der Normalbetrieb schnell einsetzt und zurückbezahlt werden kann. Ein dermaßen stark in Vorleistung gehender Staat wird aber z. B. Digitalisierungspläne im Ausbau des Breitbandnetzes, an Schulen und Hochschulen, andere Bildungsoffensiven oder auch die Sanierung von Brücken und Infrastruktur insgesamt vertagen müssen oder sich stärker verschulden als geplant.

Die derlei gebeutelte Welt gerät aus den Fugen und der Normalbetrieb wird sich weniger schnell einstellen als erhofft. Ob der Vor-Corona-Zustand jemals wieder erreicht wird, gilt gleichwohl als fraglich. In manchen Punkten darf dies getrost als Fortschritt gesehen werden. Die Wichtigkeit von Menschen dokumentiert sich dann eben nicht mehr darin, wie viele Flugmeilen geschäftlich gesammelt werden konnten/mussten und ob man den ersten Flieger bekommen muss, weil das wahnwitzig wichtige Meeting nicht anders zu organisieren ist.

Andere Dinge werden uns aber sprachlos zurücklassen. Bis wann es wieder möglich sein wird, ohne Mundschutz einzukaufen, vermag niemand zu prognostizieren. Wann nimmt man wieder jemanden in den Arm, ohne ein Stör­gefühl zu haben oder auszulösen? Und wie gelitten sind dann soziale Kontakte, die an sich ein Gutteil des Sinns des Lebens verkörpern? Wenn wir nur noch rudimentär Kontakte haben dürfen oder digital, wenn wir uns nur mit Abstand treffen und sehen können, aber nicht in größeren Gruppen, wenn Kulturveranstaltungen schwierig werden oder Kinos sich nicht rechnen, wenn Fußballspiele unter Ausschluss der Öffentlichkeit zum Maßstab werden, dann ist mehr kaputtgegangen als ein Frühjahr und vermutlich ein Sommer. Dann sind Errungenschaften von modernen Gesellschaften im Keim berührt. Und wenn dann Regierungschefs wie in Amerika so handeln und kommunizieren wie tagtäglich zu sehen, werden nach den Abstandsregeln alsbald auch Anstands­regeln einzuführen sein.

Vielleicht bewirkt dieser Corona-Schock eben auch eine Rückbesinnung auf das, was wirklich wichtig ist, und eine Wertschätzung für all jene, die dies durch ihr Tun ermöglichen. Zweifelsfrei leisten die Apotheken dazu einen nennenswerten Beitrag. Die Geräuschlosigkeit, mit der dies geschieht, die Selbstverständlichkeit, mit der barrierefrei, erdverbunden und pragmatisch nach Lösungen für anstehende Probleme gesucht wird und diese oft auch gefunden werden, kann nicht hoch genug gewichtet werden. Auch der Ideenreichtum, der sich hier zeigt und manifestiert, ist bemerkenswert. So wünsche ich uns, dass die gesellschaftlichen Veränderungen der ersten Wucht mit der Antwort der zweiten Wucht dazu führen, dass wir im Rahmen der dritten Wucht weiterhin und mehr denn je auf Apotheken zählen können, als höchst systemrelevant und erfreulich bürgernah. |

Andreas Kaapke ist Professor für Handelsmanagement und Handelsmarketing an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW), Standort Stuttgart, und Inhaber des Beratungsunternehmens Prof. Kaapke Projekte. E-Mail: a.kaapke@kaapke-projekte.de

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