Tarifpolitik

„Erst einmal Mindeststandards“

Tarifgehälter im Zeitalter der übertariflichen Bezahlung – Interview mit Tanja Kratt

eda | Zehn Prozent? 15 Prozent? Oder gar 30 Prozent – mit und ohne geldwerte Vorteile? Angestellte in Apotheken haben im Zeitalter des Fachkräftemangels eine immer bessere Position bei den Gehalts­verhandlungen. Bildet der aktuelle Tarif überhaupt noch die Lebenswirklichkeit in den Betrieben ab? Auch auf Arbeitgeberseite hört man Stimmen, die höhere Tarifgehälter statt einer übertariflichen Bezahlung fordern, um vor Gesellschaft und Politik die Berufe in der Apotheke aufzuwerten. Wir haben mit Tanja Kratt gesprochen, Leiterin der ADEXA-Tarifkommission.
Foto: Angela Pfeiffer/ADEXA

Tanja Kratt

DAZ: Apothekenmitarbeiterinnen und -mitarbeiter werden zunehmend übertariflich bezahlt. Warum bilden die Gehaltstarife offenbar nicht mehr das ab, was in den Apotheken heute tatsächlich gezahlt wird?

Kratt: Tarifverträge – das heißt Rahmen- und Gehaltstarifvertrag – sind grundsätzlich erst einmal Mindeststandards. Sie sollen Angestellten und Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern als Vertragsgrundlage für Gehälter und Arbeitsbedingungen dienen und damit verlässliche Bedingungen für beide Seiten schaffen. Dass zunehmend übertarif­liche Gehälter gezahlt werden, ist vor allem dem Mangel an qualifizierten Fachkräften geschuldet. Unter Apothekenleiterinnen und -leitern herrscht mittlerweile ein Konkurrenzkampf um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, den sie durch übertarifliche Leistungen zu gewinnen versuchen. Eine fatale Entwicklung ist allerdings, dass der Arbeitgeberverband Deutscher Apotheken (ADA) das Tarifniveau bewusst niedrig halten will, um den einzelnen Apothekeninhaberinnen und -inhabern ausreichend Spielraum für übertarifliche Gehälter zu bieten. Nachwuchskräfte werden mit Blick auf die aktuellen Tarifverträge mit Sicherheit wenig für einen Beruf in öffentlichen Apotheken zu begeistern sein, wodurch sich der Mangel an qualifizierten Kräften weiter verschärft. Damit treibt die Arbeitgeberseite das Apothekensterben selber voran.

DAZ: Sind die Unterschiede vor allem regional bedingt? Oder existieren auch welche zwischen Berufseinsteigern und erfahrenen Arbeitnehmern?

Kratt: Die Bundesagentur für Arbeit erklärte den Apothekerberuf bereits Ende 2016 zum Mangelberuf. Regionale Unterschiede gibt es durchaus. Im Süden und im Westen der Bundesrepublik klagen Apothekenleitungen besonders über den Mangel an Fachkräften. Aber auch die anderen Regionen haben Probleme, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden. Nach unseren Erfahrungen lässt sich keine konkrete Aussage dazu machen, dass zwischen Berufseinsteigern und erfahrenen Angestellten unterschieden wird. Das hängt offenbar von regionalen Bedingungen ab. Der tarifschließende Arbeitgeberverband TGL Nordrhein reagiert jetzt mit einem eigenen Tarifvertrag für Filialleitungen. Dieser Schritt zeigt auf jeden Fall in die richtige Richtung, um zumindest den Mangel in diesem Bereich zu beheben.

DAZ: Was ist bei Gehaltsverhand­lungen zu beachten, wenn es auf ein übertarifliches Gehalt hinausläuft?

Kratt: Bei übertariflichen Gehältern sollte darauf geachtet werden, dass sie entweder einen Geldwert oder einen prozentualen Anteil enthalten, der dauerhaft auf das jeweilige Tarifgehalt aufgeschlagen wird. Im Arbeitsvertrag sollte also formuliert werden „Tarif­gehalt plus XXX Euro bzw. plus XX Prozent“. Anderenfalls könnte der übertarifliche Anteil mit jeder Tarif­erhöhung abgeschmolzen werden.

Approbierte sollten besonders darauf achten, dass bei Gehältern, die mindestens 13 Prozent über dem Tarif­gehalt liegen, die Notdienste bis zu einem gewissen Anteil bereits abgegolten sind.

DAZ: Die Tarifgehälter von Apothekenangestellten werden im Vergleich mit anderen Branchen als eher niedrig bewertet. Um bei potenziellen Bewerbern die Arbeit in der Apotheke attraktiver zu machen, müssten die Tarifgehälter also steigen – im Zeitalter des Fachkräftemangels auch ein vordergrün­diges Interesse der Arbeitgeberschaft. Woran liegt es, dass dieser Zustand bisher nicht erreicht werden konnte? Inwiefern muss der Gesetzgeber Rahmenbedingungen schaffen?

Kratt: Tatsächlich sorgen politische Rahmenbedingungen immer wieder für Probleme bei der Tarifgestaltung bzw. bei tariflichen Erhöhungen. Als Beispiel sei nur einmal der Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln genannt, der nach wie vor ungeregelt ist. Arbeitgeber argumentieren dann mit wirtschaftlicher Unsicherheit. Der Gesetzgeber täte gut daran, hier endlich für geregelte Verhältnisse zu sorgen. Wir vermissen allerdings auch einen energischen, zielgerichteten Einsatz der Standesvertretung. Am Ende kann es nicht sein, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Apotheken von angemessenen – und wohlverdienten – Gehaltserhöhungen ausgenommen werden. Schließlich sind es die Angestellten, die das „Unternehmen Apotheke“ mit ihrer Arbeitsleistung tragen. |

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