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Arzneimittel und Therapie
Bakterien auf Abwegen ...
Probiotika-Stamm als Auslöser von Bakteriämie bei Intensivpatienten identifiziert
Bei der Auswertung von Patientendaten stießen die Forscher auf eine Häufung von Bakteriämien bei Intensivpatienten, denen Probiotika verabreicht worden waren. Von 22.174 Personen, die innerhalb von 5,5 Jahren auf der Intensivstation behandelt wurden, bekamen 522 ein Probiotikum, das den Bakterienstamm Lactobacillus (L.) rhamnosus GG (LGG) enthielt. Sechs davon (1,1%) entwickelten eine Bakteriämie, während nur bei zwei (0,009%) der 21.652 Patienten, die keine LGG-haltigen Probiotika erhalten hatten, Bakterien im Blut nachweisbar waren.
Die Bakterien wurden isoliert und genauer bestimmt. Bei den Isolaten der sechs Personen aus der Probiotika-Gruppe handelte es sich in allen Fällen um L. rhamnosus. Bei den Patienten ohne Probiotikum wurde eine andere Lactobacillus-Spezies gefunden.
In einer Population von rund 93.000 Patienten, die nicht auf der Intensivstation behandelt wurden, traten in derselben Zeitspanne zehn Fälle von Bakteriämie auf, von denen vier auf L. rhamnosus zurückgeführt wurden. Allerdings hatte keine dieser Personen zum Zeitpunkt der Bakteriämie ein Probiotikum eingenommen.
Genetisch identische Stämme
Um die genetische Ähnlichkeit der L. rhamnosus-Isolate und der Bakterienstämme aus verschiedenen Chargen LGG-haltiger Probiotika-Kapseln zu vergleichen, führte das Team um Dr. Gregory Priebe eine DNA-Sequenzierung durch. Alle sechs L. rhamnosus-Proben der mit Probiotika behandelten Intensivpatienten erwiesen sich als eng verwandt mit den Bakterien aus den Kapseln. Die übrigen vier Proben von Patienten, die keine Probiotika eingenommen hatten, wiesen größere genetische Variationen auf, was auf einen anderen Ursprung hindeutet.
Gleichzeitig wurden bei den Intensivpatienten in mehreren Bakterienstämmen Mutationen nachgewiesen, die in den Bakterien im Probiotikum nicht vorkamen und daher wohl erst im Patienten erworben wurden. Eine dieser De-novo-Mutationen verschaffte dem Bakterium eine Resistenz gegen das Antibiotikum Rifampicin. Aus der entsprechenden Patientenakte ging hervor, dass die betroffene Person zuvor mit einem verwandten Antibiotikum behandelt worden war.
Schließlich versuchten die Forscher in einer Fall-Kontroll-Studie, Risikofaktoren für Bakteriämien bei Intensivpatienten zu finden. Den sechs betroffenen Patienten wurden 16 passende Intensivpatienten gegenübergestellt, die ebenfalls ein Probiotikum erhalten hatten, bei denen aber keine Bakterien im Blut vorhanden waren. Besondere Unterschiede fielen jedoch nicht auf.
Rätselhafter Übertragungsweg
Auch der Übertragungsweg gibt Rätsel auf. Sowohl ein Übergang vom Magen-Darm-Trakt ins Blut als auch eine Kontamination des zentralen Venenkatheters, der bei den meisten Patienten vorhanden war, erscheint möglich. In einer Pressemitteilung gab das Boston Children´s Hospital bekannt, dass die Hygienevorschriften für Verabreichung von Probiotika-Kapseln und Verlegung von Venenkathetern bereits überarbeitet wurden. So ist das medizinische Personal dazu angehalten, beim Öffnen von Probiotika-Kapseln Handschuhe zu tragen und diese zu wechseln, bevor Probiotika mithilfe einer Magensonde appliziert werden. Zudem sollten Oberflächen, die mit Probiotika in Berührung kamen, desinfiziert werden. Bereits 2016 hatte das Krankenhaus entschieden, dass LGG-haltige Probiotika bei Intensivpatienten mit einem Venenkatheter nicht eingesetzt werden sollen. |
Literatur
Yelin I et al. Genomic and epidemiological evidence of bacterial transmission from probiotic capsule to blood in ICU patients. Nat Med 2019;25(11):1728–1732
Beware probiotics in ICU patients. Pressemitteilung des Boston Children‘s Hospital vom 7. November 2019. http://discoveries.childrenshospital.org; Abruf am 26. November 2019
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