- DAZ.online
- DAZ / AZ
- DAZ 41/2019
- „Vitalpilze“ auf ...
Beratung
„Vitalpilze“ auf wackligen Füßen
Werbung mit fraglicher medizinischer Zweckbestimmung kann in die Irre führen
Das oben stehende Foto zeigt den chinesischen Raupenpilz Ophiocordyceps sinensis.
(Foto: Prot - stock.adobe.com)
Bei der Bezeichnung „Vitalpilze“ handelt es sich ausschließlich um eine Marketing-Bezeichnung, die weder (rechtlich) definiert noch geschützt ist. Vermarktet werden damit Erzeugnisse, die pulverisierte, zerkleinerte Pilze bzw. Pilzextrakte enthalten. Üblicherweise handelt es sich dabei um Pilze, die nicht als Speisepilze verwendet werden. Der weit überwiegende Teil dieser „Vitalpilze“ stammt aus der ayurvedischen oder der traditionellen chinesischen Medizin, und das Marketing nennt oder legt Gesundheitswirkungen zumindest nahe. Tabelle 1 gibt einen Überblick über häufig verwendete Pilze.
botanischer Name | deutsche Bezeichnung | postulierte und im Marketing verwendete Wirkungen (typische Beispiele) |
---|---|---|
Agaricus blazei murill (Agaricus brasiliensis) | ABM-Pilz, Brasil-Egerling, Mandelpilz | antiallergen, tumorhemmend, antibakteriell, antiviral |
Auricularia auricula-judae, Auricularia polytricha | Judasohr | cholesterolsenkend, antioxidativ, durchblutungsfördernd |
Coriolus versicolor | Yun Zhi, Schmetterlingstramete | tumorhemmend |
Coprinus comatus | Schopftintling | blutdrucksenkend, blutzuckersenkend |
Ophiocordyceps sinensis | Chinesischer Raupenpilz | immunmodulierend, aphrodisierend, antibakteriell |
Ganoderma lucidum | Reishi, Ling Zhi, Glänzender Lackporling | blutdrucksenkend, antibakteriell, antiviral |
Grifola frondosa | Maitake, Klapperschwamm | immunmodulierend, blutdrucksenkend, antibakteriell, antiviral |
Hericium erinaceus | Igelstachelbart | antibakteriell |
Lentinula edodes | Shiitake | cholesterolsenkend, antiphlogistisch |
Pleurotus ostreatus | Austernseitling, Austernpilz | cholesterolsenkend, antioxidativ |
Polyporus umbellatus | Eichhase | blutdrucksenkend, antioxidativ |
Während die meisten der „Vitalpilze“ ursprünglich aus Wildsammlungen in China, Korea oder Japan stammten, werden die heute verwendeten Pilze meist nicht mehr gesammelt, sondern in Pilzfarmen kultiviert. Zahlreiche dieser Pilze sind bereits aufgrund des Geschmacks oder der Konsistenz nicht zum üblichen Verzehr geeignet (z. B. Raupenpilz, Schmetterlingstramete oder Lackporling). In der traditionellen asiatischen Medizin werden diese Pilze individuell zusammengestellt und nicht in der für Nahrungsergänzungsmittel typischen Applikationsform – etwa einer Kapsel – zu sich genommen.
Inhaltsstoffe
Wie alle Pilze sind auch die „Vitalpilze“ reich an pilztypischen, unverdaulichen Polysacchariden. Hierzu gehören verschiedene Beta-, Xylo- und Heteroglykane, Chitin-haltige Verbindungen und Polysaccharid-Protein-Komplexe [Lo et al. 2011]. Daneben sind Terpenoide und kurzkettige Peptide häufig vertreten [Lo et al. 2011; Lam et al. 2015]. Einzelne Pilzarten enthalten zudem spezifische Inhaltsstoffe, beispielsweise das sogenannte Cordycepin in Ophiocordyceps sinensis oder das Enzym Laccase in Coriolus versicolor. Zum toxikologischen Profil dieser Verbindungen gibt es keine systematischen Untersuchungen oder aussagekräftige Daten.
Marketing
Bereits die Verwendung der Marketingbegriffe „Vital-“, „Heil-“ oder „Medizinalpilze“ suggeriert die präventive und therapeutische Wirksamkeit einer entsprechenden „Mykotherapie“. Eine bevorzugte Zielgruppe dieses Marketings sind Krebspatienten. Daneben finden sich in den Werbeaussagen zu „Vitalpilzen“ praktisch alle Krankheiten, unter anderem Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Rheuma, Allergien und Diabetes mellitus. Getarnt als angebliche redaktionelle Beiträge im Internet, Buchrezensionen oder über Influencer-Marketing via Instagram werden Heil- und Wirkversprechen gemacht. In ihrer „Stellungnahme zur Einstufung von Vitalpilzprodukten“ stellt die Gemeinsame Expertenkommission des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) nach einer Internetrecherche fest, dass die „Vitalpilze“ chinesischer Raupenpilz (Ophiocordyceps sinensis), Schmetterlingstramete (Coriolus versicolor) und Lackporling (Ganoderma lucidum) ob der behaupteten Wirksamkeit bei Rheuma, Impotenz oder Depression bei den angesprochenen Verbrauchern auch ohne explizite Hinweise auf der Verpackung eine medizinische Wirkung nahelegen würden (sogenannte Präsentationsarzneimittel) [Stellungnahme zur Einstufung bestimmter Vitalpilzprodukte. Gemeinsame Expertenkommission 2014]. Neben den Risiken von fraglicher Wirksamkeit und unbekannten unerwünschten Wirkungen zeigen Auswertungen der Verbraucherzentralen außerdem, dass „Vitalpilz“-Produkte oft auch andere als die deklarierten Pilze enthalten und mit Schimmelpilzen kontaminiert sind. Für Shiitake-haltige Zubereitungen gibt es zahlreiche Berichte über allergische Reaktionen [Stephany et al. 2016].
Studienlage
In Asien werden über 100 verschiedene Spezies an „Medizinalpilzen“ verwendet. Zu den prominentesten Vertretern gehören Trametes versicolor (Schmetterlingstramete), Ganodermum lucidum (Reishi) und Lentinus edodes (Shiitake). Die Hinweise auf therapeutische Effekte von „Vitalpilzen“ stammen größtenteils aus In-vitro- und tierexperimentellen Studien [Jayachandran et al. 2017]. Daneben gibt es nur wenige, randomisiert-kontrollierte Studien mit Menschen. Hierzu gehört beispielsweise die Anwendung von pulverisierten Austern- und Abalone-Seitlingen bei Typ-2-Diabetikern, wodurch der postprandiale Anstieg der Blutglucosekonzentration reduziert wurde [Jayasuriya et al. 2015]. Ähnliche Effekte sind für Präparate auf Mandelpilz- [Hsu et al. 2007] und Chagapilz-Basis beschrieben [Maenaka et al. 2008]. Von wenig aussagekräftigen Einzelstudien abgesehen ist die Datenlage zu den verschiedenen „Vitalpilzen“ insgesamt jedoch sehr ernüchternd. Beispielhaft soll im Folgenden die Situation für die Bestseller Schmetterlingstramete, Reihsi und Shiitake dargestellt werden.
Trametes versicolor (Schmetterlingstramete) wird in der traditionellen chinesischen Medizin zur Therapie von Lungenkrankheiten eingesetzt. Das aus dem Pilz gewonnene Polysaccharid-K (PSK, Krestin) wird insbesondere in Japan erforscht und wurde seit den 1970er-Jahren in mehreren Humanstudien im Rahmen adjuvanter Krebstherapien erprobt. Inzwischen wurden verschiedene Metaanalysen über Studien mit mehreren Hundert Patienten publiziert, die positive Effekte einer adjuvanten PSK-Supplementation parallel zu Chemotherapien bei Magen-, Kolorektal- und Lungenkarzinom zeigen, teilweise mit signifikanten Effekten auf das krankheitsfreie und das Gesamtüberleben [Oba et al. 2007; Sakamoto et al. 2006; Fritz et al. 2015]. Diese Daten geben Anlass zu weitergehender Forschung. Für andere Indikationen sind keinerlei aussagekräftige Studien publiziert [PDQ 2019].
Ganoderma lucidum (Lingzhi, Reishi). Von Ganoderma existieren zahlreiche Spezies, die in den meisten Produkten jedoch nicht separat deklariert sind. In China wird der Pilz seit mindestens 2000 Jahren als „Pilz der Unsterblichkeit“ arzneilich genutzt, unter anderem zur Behandlung von Krebs, Epilepsie, Herzerkrankungen und Diabetes [Wachtel-Galor et al. 2011]. Neben pulverisiertem Pilz (G. lucidum Myzel) werden auch Extrakte vermarktet, die eine Mischung verschiedener Triterpenoide, Polysaccharide, Lipide und Proteine enthalten. In einer Studie mit Patienten mit koronarer Herzkrankheit bewirkte die Einnahme von Reishi-Extrakt über zwölf Wochen im Vergleich zu Placebo eine Senkung von Blutdruck und Triglycerid-Konzentrationen im Blut [Gao et al. 2004]. Für onkologische Indikationen gibt es lediglich mechanistische, aber keine aussagekräftigen klinischen Studien [Gao et al. 2005; Chen et al. 2006, Jin et al. 2018]. Auch für die übrigen postulierten Indikationen finden umfassende Cochrane-Reviews keine Evidenz einer klinischen Wirksamkeit [Jin et al. 2018; Klupp et al. 2015; PDQ 2019].
Lentinus edodes (Shiitake). Die medizinische Verwendung von Shiitake-Pilzen ist in China seit dem 14. Jahrhundert dokumentiert. Traditionell wurden Shiitake-Zubereitungen als Tonikum, Herzstärkungsmittel und zur Krebstherapie eingesetzt – allerdings ohne evidenzbasierte Belege für entsprechende Wirkungen. Zwar gibt es einige In-vitro-Daten, die zeigen, dass das aus Shiitake isolierte Lentinan (ein β-1,3-D-Glucan) immunmodulatorische Wirkungen besitzt [Zhang et al. 2011; Ina et al. 2013]. Daneben liefern einzelne Pilotstudien an Menschen Hinweise auf eine adjuvante Wirksamkeit von Lentinan in der onkologischen Therapie des Magenkarzinoms [Ina et al. 2013]. Die Aussagekraft dieser Daten ist bislang aber äußerst fraglich.
Fazit
Insgesamt ist die Datenlage sowohl zu präventiven und therapeutischen Wirkungen von „Vitalpilzen“ als auch zu deren Risikopotenzial äußerst lückenhaft und in keinem Fall aussagekräftig [Money et al. 2016]. Gerade unter Anwendung des Grundsatzes „primum nil nocere“ sollten entsprechende Produkte dann nicht angewendet werden, wenn es für die entsprechende Indikation wirksame, sichere und umfassend erprobte Arzneistoffe gibt.
Auf einen Blick
- Die Bezeichnung „Vitalpilze“ ist ausschließlich Erfindung des Marketings, sie ist weder (rechtlich) definiert noch geschützt.
- „Vitalpilze“ sind oft nur aus der traditionellen chinesischen Medizin bekannt und meist aufgrund ihres Geschmacks für den Verzehr nicht geeignet.
- An der Verpackung ist häufig nicht ersichtlich, zu welcher Verwendung die „Vitalpilz“-Produkte bestimmt sind.
- Im Internet werden „Vitalpilze“ mit unterschiedlichen Heil- und Wirkversprechen beworben. Für Lebensmittel und Nahrungsergänzungsmittel ist eine krankheitsbezogene Werbung nicht erlaubt.
- Die Datenlage zu präventiven und therapeutischen Wirkungen von „Vitalpilzen“ und auch zum Risikopotenzial ist äußerst lückenhaft.
- „Vitalpilz“-Produkte enthalten oft auch andere als die deklarierten Pilze und können mit Schimmelpilzen kontaminiert sein.
Daneben sollte nicht dem von Herstellerseite häufig beförderten Klischee aufgesessen werden, in der traditionellen chinesischen Medizin gebe es pflanzliche oder pilzliche Wundermittel zur Therapie von Krebs oder anderen schwerwiegenden Erkrankungen, weshalb diese „Naturmedizin“ der westlichen „Schulmedizin“ überlegen sei. Gerade in China ist die Krebsmortalität vergleichsweise hoch [Zhou et al. 2016], und parallel zur zunehmenden Verbreitung „westlicher“ Medizin in China hat sich die Lebenserwartung erheblich verbessert (1960: 43 Jahre; 2017: 76 Jahre [UN 2017]). |
Wir danken Rechtsanwalt Prof. Dr. Alfred Hagen Meyer, München, für seine Unterstützung.
Literatur
Akagi J, Baba H. PSK may suppress CD57(+) T cells to improve survival of advanced gastric cancer patients. Int J Clin Oncol 2010;15(2):145-152
Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde e. V. (BLL). Vitamin C und Magnesium sind die beliebtesten Nahrungsergänzungsmittel. Information des Lebensmittelverbands Deutschland vom 4. November 2016, www.lebensmittelverband.de/de/presse/pressemitteilungen/pm-20161104-marktdaten-nem
Chen X et al. Monitoring of immune responses to a herbal immuno-modulator in patients with advanced colorectal cancer. Int Immunopharmacol 2006;6(3):499-508
Fritz H et al. Polysaccharide K and Coriolus versicolor extracts for lung cancer: a systematic review. Integr Cancer Ther 2015;14(3):201-211
Gao Y et al. A phase I/II study of ling zhi mushroom Ganoderma lucidum (W.Curt.:Fr.) Lloyd (Aphyllophoromycetideae) extract in patients with coronary heart disease. Int J Med Mushrooms 2004;6:327-334
Gao Y et al. Effects of water-soluble Ganoderma lucidum polysaccharides on the immune functions of patients with advanced lung cancer. J Med Food 2005; 8(2):159-168
Stellungnahme zur Einstufung bestimmter Vitalpilzprodukte. Gemeinsame Expertenkommission des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) und des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) 2014;1
Hsu CH et al. The mushroom Agaricus Blazei Murill in combination with metformin and gliclazide improves insulin resistance in type 2 diabetes: a randomized, double-blinded, and placebo-controlled clinical trial. J Altern Complement Med 2007;13:97-102
Ina K et al. The use of lentinan for treating gastric cancer. Anticancer Agents Med Chem 2013;13(5): 681-688
Jayasuriya WJ et al. Hypoglycaemic activity of culinary Pleurotus ostreatus and P. cystidiosus mushrooms in healthy volunteers and type 2 diabetic patients on diet control and the possible mechanisms of action. Phytother Res 2015;29:303–309
Jayachandran M. A Critical Review on Health Promoting Benefits of Edible Mushrooms through Gut Microbiota. Int J Mol Sci 2017;18(9):E1934, doi: 10.3390/ijms18091934
Jin X et al. Ganoderma lucidum (Reishi mushroom) for cancer treatment. Cochrane Database Syst Rev 2016:CD007731
Klupp NL et al. Ganoderma lucidum mushroom for the treatment of cardiovascular risk factors. Cochrane Database Syst Rev 2015:CD007259
Lam YS, Okello EJ. Determination of lovastatin, beta-glucan, total polyphenols, and antioxidant activity in raw and processed Oyster culinary-medicinal mushroom, Pleurotus ostreatus (higher basidiomycetes). Int J Med Mushrooms 2015;17:117-128
Lo HC, Wasser SP. Medical mushrooms for glycemic control in diabetes mellitus: history, current status, future perspectives, and unsolved problems (review). Int J Med Mushrooms 2011;13:401-426
Maenaka T et al. Effects of Fuscoporia obliqua on postprandial glucose excursion and endothelial dysfunction in type 2 diabetic patients. J Tradit Chin Med 2008;28:49-57
Money NP et al. Are mushrooms medicinal? Fungal Biol 2016;120(4):449-453
Nahrungsergänzungsmittelverordnung vom 24. Mai 2004 (BGBl. I S. 1011), die zuletzt geändert wurde durch Art. 11 V vom 5. Juli 2017
Oba K et al. Efficacy of adjuvant immunochemotherapy with polysaccharide K for patients with curative resections of gastric cancer. Cancer Immunol Immunother 2007;56(6):905-911
PDQ Integrative, Alternative, and Complementary Therapies Editorial Board. Medicinal Mushrooms (PDQ®): Health Professional Version. PDQ Cancer Information Summaries [Internet]. Bethesda (MD): National Cancer Institute (US) 2002-2019
Richtlinie 2002/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10. Juni 2002 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Nahrungsergänzungsmittel (NemRL)
Sakamoto J et al. Efficacy of adjuvant immunochemotherapy with polysaccharide K for patients with curatively resected colorectal cancer: a meta-analysis of centrally randomized controlled clinical trials. Cancer Immunol Immunother 2006;55(4):404-411
Stephany MP et al. Shiitake Mushroom Dermatitis: A Review. Am J Clin Dermatol 2016;5:485-489
United Nations Population Division. World Population Prospects: 2017 Revision. Vereinte Nationen (UN), https://data.worldbank.org/indicator/SP.DYN.LE00.IN?locations=CN
Wachtel-Galor S et al. Ganoderma lucidum (Lingzhi or Reishi): a medicinal mushroom. In: Benzie IF, Wachtel-Galor S (Hrsg.), Herbal Medicine: biomolecular and clinical aspects. 2. Auflage 2011, CRC Press, Boca Raton
Zhang Y et al. Advances in lentinan: isolation, structure, chain conformation and bioactivities. Food Hydrocolloids 2011;25:196-206
Zhou M et al. Cause-specific mortality for 240 causes in China during 1990-2013: a systematic subnational analysis for the Global Burden of Disease Study 2013. Lancet 2016;387(10015):251-272
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.