Arzneimittel und Therapie

Diese Arzneimittel „gehen auf die Leber“

Bei welchen Wirkstoffen es sich lohnt, im Beratungsgespräch auf die Risiken hinzuweisen

rr | Arzneimittel-induzierte Leberschäden treten schätzungsweise bei 14 bis 19 pro 100.000 Personen auf. Nicht immer macht die Dosis das Gift: Die sogenannte idiosynkratische Hepatotoxizität lässt sich weder vom Wirkmechanismus noch Metabolismus ableiten und somit auch nicht vorhersehen. Auf Platz 1 jener Arzneimittel, die dabei am häufigsten negativ auffallen, steht ein Antibiotikum, das schon im Kindesalter angewendet wird.

Ob ein Leberschaden tatsächlich auf die Einnahme eines Arzneimittels zurückzuführen ist, ist schwer zu beweisen. In die Diagnosestellung fließen folgende Parameter ein: Medikamentenanamnese der letzten sechs Monate, gezielte Fragen anhand des Schädigungsmusters, Alkoholkarenz, Ausschluss bestimmter Erkrankungen (z. B. Virushepatitis, Morbus Wilson, Hämochromatose, Autoimmunerkrankung), Sonografie und eventuell Leber­biopsie. Zudem sollten alle vermeidbaren Medikamente abgesetzt werden („dechallenge“). Die Wiederaufnahme der Therapie („rechallenge“) eines im Verdacht stehenden Arzneimittels würde in vielen Fällen vollständige Gewissheit bringen, wird jedoch aus ethischen Gründen in der Regel nicht riskiert.

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Direkt und sofort

Auf die direkte Hepatotoxizität kann und sollte man vorbereitet sein: Das Arzneimittel wirkt intrinsisch toxisch, die Schädigung der Leber ist vorhersehbar, dosisabhängig und lässt sich im Tiermodell reproduzieren. Sie tritt häufig bereits ein bis fünf Tage nach der Gabe von hohen therapeutischen oder supratherapeutischen Dosierungen des Arzneimittels auf, beispielsweise nach einer beabsichtigten oder versehentlichen Überdosierung. Meist ist ein Anstieg von Leberenzymen zu verzeichnen, vorrangig der Alanin-Aminotransferase (ALAT oder ALT) und der Alkalischen Phosphatase (AP oder ALP) – ohne ausgeprägte Gelbsucht.

Die häufigste Form ist die akute Lebernekrose, die nach Absetzen des Arzneimittels in der Regel reversibel ist, in schweren Fällen aber auch fatal enden kann. Der Klassiker unter Arzneimitteln mit direkter Hepatotoxizität ist Paracetamol. Eine Überdosierung von Paracetamol ist derzeit die häufigste Ursache für einen akuten Leberschaden in den USA und Europa.

Ebenfalls mit Vorsicht zu genießen sind Acetylsalicylsäure (ASS) und Amiodaron. Giftpilze wie der Grüne Knollenblätterpilz (Amanita phalloides) können ähnliche Symptome hervorrufen.

„Überdosierung = Gefahr“

Als erstes europäisches Land begrenzte Frankreich in den 1980er-Jahren die Paracetamol-Menge auf 8 g pro Packung. Zukünftig werden die Paracetamol-Packungen in Frankreich auch einen deutlichen Warnhinweis tragen. Wie die französische Arzneimittelbehörde ANSM (Agence nationale de sécurité du médicament et des produits de santé) mitteilte, soll auf Paracetamol-Monopräparaten der Hinweis „Überdosierung = Gefahr – Eine Überschreitung der Dosis kann die Leber zerstören“ prangen und die Patienten so für das lebertoxische Potenzial von Paracetamol sensibilisieren. Der Aufdruck soll – mit einem roten Rahmen und einem Warnsymbol versehen – auf der Vorderseite der Packung zu finden sein. Auf Arzneimitteln mit Paracetamol in Kombination mit einem anderen Wirkstoff lautet der Hinweis: „Überdosierung = Gefahr – Nehmen Sie kein anderes Medikament mit Paracetamol ein“.

Weitere Phänotypen sind die „Leberverschlusskrankheit“ (VOD), heute besser als sinusoidales Obstruktionssyndrom (SOS) bezeichnet, die sich durch abdominale Schmerzen, Vergrößerung der Leber, Gewichtszunahme und später Gelbsucht äußert und beispielsweise nach der Einnahme von Alkylanzien auftritt. Eine Lactatazidose mit mikrovesikulärer Steatose und hepatischer Dysfunktion geht mit eher unspezifischen Symptomen wie Müdig­keit, Schwäche, Verwirrtheit, Stupor und Koma einher, später folgt Gelbsucht, die entweder nach Tagen (z. B. ASS), Wochen (z. B. Linezolid) oder Monaten (z. B. Didanosin) auftritt.

Indirekt und verspätet

Ob die indirekte Hepatotoxizität eine eigenständige Kategorie darstellt, wird noch diskutiert. Darunter sollen Arzneimittel fallen, die einen bestehenden Zustand der Leber verschlechtern – beispielsweise Arzneimittel, die Gewichtszunahme bedingen (z. B. Risperidon, Haloperidol), den Triglycerid-Spiegel (z. B. Lomitapid) oder die Insulin-Sensitivität beeinflussen (z. B. Glucocorticoide) und so zur Verschlechterung einer Fettleber beitragen können sowie Chemotherapeutika, die eine Hepatitis B oder C reaktivieren. Sorge bereitet auch die Zunahme von immunbedingten Leberschäden, die unter immunmodulierenden Arzneimitteln wie Antagonisten des Tumornekrosefaktors α (TNFα) und Checkpoint-Inhibitoren beobachtet werden.

Idiosynkratisch und ­überraschend

Im Gegensatz zur direkten und indirekten Schädigung tritt die idiosynkratische Hepatotoxizität unvorhersehbar bei Arzneimitteln auf, die gar nicht oder nur wenig intrinsisch toxisch wirken. Sie ist weder abhängig von der Dosis noch reproduzierbar im Tiermodell und tritt mit einem von 2000 bis einem von 100.000 Patientenfällen sehr selten auf. Im medizinischen Sinn bedeutet idiosynkratisch „überempfindlich gegen bestimmte Stoffe und Reize“. Die Pathogenese ist noch nicht vollständig geklärt, vermutet werden immunologische Prozesse und ein Einfluss von genetischen Polymorphismen. Idiosynkratische Hepatotoxizität wird unterschieden in hepatozelluläre, cholestatische und gemischte Formen. Als Faustregel gilt: Hepatozelluläre Leber­schäden sind charakterisiert durch eine initiale Erhöhung der ALT, cholestatische Leberschädigungen durch eine initiale Erhöhung der AP. Bei der gemischten Form sind beide Enzyme gleichzeitig erhöht.

Die Symptome einer akuten hepatozellulären Hepatitis ähneln jenen einer akuten Virus-Hepatitis, darunter Übelkeit, Fieber, Oberbauchbeschwerden, Inappetenz und Müdigkeit, begleitet von einem starken Anstieg der ALT und einem moderaten Anstieg der AP. Die Todesrate ist mit 10% oder höher recht hoch. Prominente Beispiele für Arzneimittel, die mit einer akuten hepatozellulären Hepatitis in Zusammenhang stehen können, sind Diclofenac, Isoniazid und Nitrofurantoin. Seltener tritt eine chronische Hepatitis nach monate- oder jahrelanger Einnahme beispielsweise von Minocyclin, Hydralazin, Methyldopa, Statinen oder Fenofibrat auf.

Tab.: Typen von Arzneimittel-induzierten Leberschäden
Direkte ­Hepatotoxizität
Idiosynkratische Hepatotoxizität
Indirekte ­Hepatotoxizität
Häufigkeit
verbreitet
selten
gelegentlich
Dosisabhängig?
ja
nein
nein
Vorhersehbar?
ja
nein
teilweise
Reproduzierbar im Tiermodell?
ja
nein
nicht immer
Latenzzeit
typischerweise schnell (innerhalb von Tagen)
variabel (Tage bis Jahre)
verzögert (Monate)
Phänotypen
akute hepatische Nekrose, Anstieg von Serumenzymen, Sinusobstruktion, akute Fettleber, nodulare Regeneration
akute hepatozelluläre Hepatitis, gemisch­te oder cholestatische Hepa­titis, milde Cholestase, chronische Hepatitis
akute Hepatitis, immun-vermittelte Hepatitis, Fett­leber, chronische Hepatitis
Beispiele
hohe Dosen von Paracetamol, Niacin, Acetylsalicylsäure, Cocain, Amiodaron i. v., Methotrexat i. v., Chemotherapeutika
Amoxicillin/Clavulansäure, Cephalosporine, Isoniazid, Nitrofurantoin, Mino­cyclin, Fluorchinolone, Makrolid-Antibiotika
antineoplastische Arzneimittel, Gluco­corticoide, monoklonale Antikörper, Protein­kinase-Inhibitoren
Ursache
intrinsische Hepa­totoxizität, wenn das Arzneimittel in hohen Dosen gegeben wird
idiosynkratische, metabolische oder immunologische Reaktion
indirekte Reaktion auf die Leber oder das Immunsystem

Eine milde Cholestase tritt innerhalb von 30 bis 90 Tagen nach der Arzneimittel-Einnahme auf und geht mit Gelbsucht und Juckreiz einher. Bei Frauen wird sie typischerweise durch Estrogene oder orale Kontrazeptiva hervorgerufen, bei Männern durch anabole Steroide. Zu Todesfällen kommt es nur selten.

LiverTox: Fundgrube im Internet

Die Website LiverTox (https://livertox.nih.gov/), eine englischsprachige von den National Institutes of Health (NIH) gesponsorte Datenbank, listet mehr als 1200 Arzneimittel, die potenziell die Leber schädigen, darunter Rx- und OTC-Arzneimittel, Phytopharmaka, Nahrungsergänzungsmittel, Metalle und Toxine. Zu jedem Stoff finden sich Angaben zum klinischen Bild, Hintergründe, Produktinformationen, Fallberichte und weiterführende Literaturhinweise.

Antibiotika unter den Top 10

Unter den zehn Arzneimitteln, die in den USA zwischen 2004 und 2013 am häufigsten mit einer idiosynkratischen Hepatotoxizität verbunden waren, befinden sich neun Antibiotika. Die Liste wurde aus den Ergebnissen einer im Jahr 2015 publizierten prospektiven Studie mit 1257 Patientenfällen generiert. Platz 10 nimmt Diclofenac ein. Auf den Plätzen 9 bis 2 folgen: Levofloxacin, Ciprofloxacin, Azithromycin, Cefazolin, Minocyclin, Trimethoprim/Sulfamethoxazol, Nitrofurantoin und Isoniazid.

Den Spitzenplatz mit einem Anteil von mehr als 10% aller Fälle belegt Amoxicillin/Clavulansäure. Hier scheint die Kombination entscheidend zu sein: In mehreren Studien wurde beobachtet, dass die alleinige Gabe von Amoxicillin deutlich seltener mit hepatischen Veränderungen assoziiert ist und dass Amoxicillin/Clavulansäure offenbar häufiger als andere Beta-Lactame und Beta-Lactamase-Inhibitoren zu Leberschäden führt. Für die Leberschäden unter Amoxicillin/Clavulansäure konnte eine Assoziation mit einem HLA-Gen gezeigt werden, konkret das Klasse-II-Allel DRB1*15:01. Die Hepatotoxizität äußert sich nach wenigen Tagen bis Wochen, also lange nach Beendigung der Antibiose, mit Müdigkeit, Fieber, Übelkeit, abdominalen Schmerzen und Juckreiz, gefolgt von Gelbsucht, die bis zu 24 Wochen anhalten kann. Kinder entwickeln typischerweise keinen Ikterus, sondern reagieren eher mit Übelkeit und Erbrechen. Schätzungsweise tritt ein Leberschaden bei einer von 2500 Verordnungen von Amoxicillin/Clavulansäure auf, ist aber nur selten dauerhaft oder tödlich.

Anzeichen und ­Symptome einer ­Lebererkrankung

  • Appetitlosigkeit
  • Gelbsucht
  • Dunkelfärbung des Urins
  • Juckreiz
  • Druckschmerz im Bauch

Wachsam sein!

Patienten mit vorgeschädigter Leber und schweren Grunderkrankungen sind besonders gefährdet, (zusätzlich) einen Arzneimittel-bedingten Leberschaden zu erleiden. Auch vermeintlich gut bekannte Wirkstoffe sind nicht ohne Risiko. Wie im Fall von Levo­floxacin im Jahr 2012 kann es Jahre nach der Markteinführung zu Rote-Hand-Briefen kommen, in schwerwiegenden Fällen sogar zur Marktrücknahme (z. B. Trovafloxacin 1999, Flupirtin 2018). Vor allem die idiosynkratische Hepatotoxizität macht eine Diagnose schwierig. Patienten sollten grundsätzlich für Anzeichen und Symptome einer Lebererkrankung (s. Kasten „Anzeichen und Symptome einer Lebererkrankung “) sensibilisiert werden. |

Literatur

Hoofnagle JH et al. Drug-Induced Liver Injury — Types and Phenotypes. N Engl J Med 2019;381(3):264-273

Jungmayr P. Intrinsische und idiosynkratische Schäden. DAZ 2011, Nr. 23, S. 56

Chalasani N et al. Features and outcomes of 889 patients with drug-induced liver injury: the DILIN Prospective Study. Gastroenterology 2015;148(7):1340-52.e7

Partosch F, Stahlmann R. Hepatotoxizität von Arzneimitteln. DAZ 2012, Nr. 45, S. 60

Amoxicillin-Clavulante. LiverTox database. https://livertox.nlm.nih.gov/AmoxicillinClavulanate.html; Abruf am 20. August 2018

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