Arzneimittel und Therapie

Gießkannenprinzip gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen

„Polypille“ bewährt sich in ländlicher Region

cst | Können kardiovaskuläre Ereignisse wirksam verhindert werden, indem man einfach jeden Menschen ab einem bestimmten Alter mit einer Kombination aus einem Thrombozytenaggregationshemmer, einem Lipidsenker, einem Diuretikum und einem weiteren Antihypertensivum behandelt? Was auf den ersten Blick nach einer unverhältnismäßigen Übertherapie klingt, hat sich in einer ländlichen Region im Iran als sinnvoll erwiesen.
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Das Konzept der „Polypille“, die mehrere Wirkstoffe zur Verringerung des kardiovaskulären Risikos in sich vereint, ist nicht neu. Seit Jahren wird über eine breite Anwendung diskutiert. Aussagekräftige Studien zum langfristigen Nutzen solch einer präventiven Strategie auf Populations­ebene waren bislang jedoch Mangelware. Nun wurden in der Fachzeitschrift „Lancet“ die Ergebnisse einer Untersuchung in der iranischen Golestan-Provinz vorgestellt.

50- bis 75-Jährige behandelt

Behandelt wurden alle Dorfeinwohner der Region im Alter von 50 bis 75 Jahren. Knapp 7000 Menschen wurden in die Studie eingeschlossen. Fast 90% hatten keine Herz-Kreislauf-Erkrankungen in der Vorgeschichte. Die Hälfte der Teilnehmer sollte einmal täglich eine Tablette einnehmen, die 81 mg Acetylsalicylsäure (ASS), 20 mg Atorvastatin, 12,5 mg Hydrochlorothiazid sowie 5 mg Enalapril enthielt. Traten Symptome eines Reizhustens auf, konnte auf eine andere Tablette gewechselt werden, in der statt des ACE-Hemmers 40 mg Valsartan enthalten waren. Die Adhärenz war gut: Rund 80% der Tabletten wurden wie vorgesehen eingenommen. Die Vergleichsgruppe erhielt keine Placebo-Tabletten. Zusätzlich zur Standardversorgung wurden die Probanden – ebenso wie die Teilnehmer der Interventionsgruppe – in gesund­heitsfördernden Lebens­stilmaßnahmen unter­wiesen und regelmäßigen Blutdruck­messungen unterzogen.

Kardiovaskuläres Risiko reduziert

Die Studie dauerte fünf Jahre. Bei den 3421 Personen, die die „Polypille“ eingenommen hatten, traten in dieser Zeit deutlich seltener schwerwiegende Herz-Kreislauf-Komplikationen auf als bei den 3417 Probanden der Kontrollgruppe. Von diesen erlitten 301 (8,8%) Personen ein akutes Koro­narsyndrom, einen tödlichen Herzinfarkt, einen plötzlichen Tod, eine Herzinsuffizienz, einen Schlaganfall oder benötigten eine Revaskularisation der Koronararterien. Unter der „Polypille“ waren nur 202 (5,9%) Probanden von solch ­einem Ereignis betroffen. Das Risiko war um ein Drittel geringer (adjustierte Hazard Ratio [HR] 0,66; 95%-Konfidenzintervall 0,55 bis 0,80). Um ein Ereignis zu verhindern, mussten 34,5 Patienten mit der Fixkombination behandelt werden.

Unerwünschte Ereignisse traten in den beiden Gruppen ähnlich häufig auf. Auch im Blutungsrisiko wurden keine signifikanten Unterschiede festgestellt. Allerdings waren Personen, bei denen die Gabe der Polypille ein Risiko dargestellt hätte (z. B. ­gastrointestinale Blutungen oder ­Angioödem in der Vorgeschichte), von der Teilnahme an der Studie ­ausgeschlossen.

Überraschenderweise wurden bekannte kardiovaskuläre Risikofaktoren durch die „Polypille“ nicht oder nur unwesentlich beeinflusst: Nach 60 Mona­ten war zwischen den Gruppen kein signifikanter Unterschied im systolischen oder diastolischen Blutdruck zu erkennen. Der LDL-Cholesterol-Spiegel war unter der Fixkombination lediglich um 19,54 mg/dl niedriger. Die Studienautoren führen den positiven Effekt der „Polypille“ daher insbesondere auf die Gabe von ASS zurück. Der Einsatz des Thrombozytenaggregationshemmers in der Primärprävention ist jedoch umstritten (s. auch S. 46). Dennoch könnte der einfache Zugang zu einer kostengünstigen ­Fixkombination im Rahmen einer ­präventiven Strategie in Ländern mit einer schlechten Gesundheitsversorgung nach Meinung der Studienautoren zu einer Verringerung der kardiovasku­lären Morbidität und Mortalität ­bei­tragen. |

Literatur

Roshandel G et al. Effectiveness of polypill for primary and secondary prevention of cardiovascular diseases (PolyIran): a pragmatic, cluster-randomised trial. Lancet 2019;394(10199):672-683

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