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Arzneimittel und Therapie

Gefürchtetes Serotonin-Syndrom

Eine lebensgefährliche, aber vermeidbare Arzneimittelnebenwirkung

Ein Serotonin-Syndrom ist poten­ziell lebensbedrohlich und entsteht durch einen Überschuss des Neurotransmitters Serotonin an Synapsen des zentralen und peripheren Nervensystems. Das durch Arzneimittel ausgelöste Syndrom wird auch als Serotonin-Toxizität bezeichnet und beschreibt einen klinischen Zustand, der sich aus einer Triade einer veränderten psychischen Verfassung, autonomer Hyperaktivität und neuromuskulären Abnormalitäten zusammensetzt. | Von Daniela Leopoldt

Je nach Schweregrad kann sich das Syndrom z. B. in Form von Schwitzattacken, Schweißausbrüchen, Nervosität, Verwirrtheit, Tachykardie, Bluthochdruck, motorischer Unruhe, Muskelzuckungen/-krämpfen, Hyperreflexie, induzierbarem oder anhaltendem Klonus (Myoklonus und okkularer Klonus), Rhabdomyolyse und Hyperthermie äußern (Abb. 1). Die neuromuskuläre Hyperaktivität ist oftmals an den unteren Extremitäten stärker ausgeprägt als an den Armen. Darüber hinaus können gastrointestinale Symptome wie Übelkeit, Erbrechen und Diarrhö auftreten. Bei einer nur wenig ausgeprägten Symptomatik mit Durchfall und Grippe-ähnlichen Erscheinungen kann das Syndrom leicht übersehen werden. Schwere Fälle dagegen sind aufgrund des bilateralen symmetrischen Klonus, vorrangig in den Beinen, gut zu diagnostizieren, und Patienten sollten umgehend in ein Krankenhaus eingewiesen werden. Werden nicht rechtzeitig Gegenmaßnahmen ergriffen, kann sich aus einer leichten schnell eine schwere Symptomatik ent­wickeln, die zum Tod führen kann [1, 2].

Abb. 1: Das Serotonin-Syndrom kann sehr unterschiedlich verlaufen: von leichten und subakuten bis schweren und lebensbedrohlichen Symptomen. Zu den möglichen Beschwerden gehören Verhaltens- oder Bewusstseinsveränderungen, neuromuskuläre und autonome Symptome.

Serotonin-Metabolismus

Die meisten Medikamente, die ein Serotonin-Syndrom aus­lösen, greifen in den Serotonin-Kreislauf ein. Serotonin (5-Hydroxytryptamin, 5-HT) wird im menschlichen Körper aus Tryptophan synthetisiert und unterliegt einem ständigen Auf- und Abbau (Abb. 2). Tryptophan muss als essenzielle Aminosäure mit der Nahrung aufgenommen werden. In präsynaptischen Neuronen entsteht daraus durch Hydroxylierung und Decarboxylierung der Botenstoff Serotonin. Mithilfe eines vesikulären Monoamintransporters wird der Neurotransmitter in Vesikel verpackt und von diesen nach entsprechender Stimulation in den synaptischen Spalt abgegeben. Das frei­gesetzte Serotonin bindet postsynaptisch (zum Teil auch prä­synaptisch) an Serotonin-Rezeptoren sowie präsynaptisch an die Serotonin-Wiederaufnahme-Transporter, die das Serotonin wieder in das präsynaptische Neuron zurücktransportieren. Dort wird es durch das Enzym Monoaminoxidase (MAO) abgebaut. Man unterscheidet mindestens zwei Isoformen der Monoaminoxidase (MAO-A und MAO-B). Der Abbau von Serotonin verläuft vorrangig über MAO-A, die spezifisch für Monoamin-Neurotransmitter wie Serotonin und Noradrenalin ist. Nicht abgebautes Serotonin wird wieder in die Vesikel aufgenommen und erneut in den synaptischen Spalt freigesetzt [2, 3].

Abb. 2: Serotonin (5-Hydroxytryptamin, 5-HT) ist ein Neuro­transmitter, der durch Decarboxylierung und Hydroxylierung aus der Aminosäure Tryptophan biosynthetisiert wird. Es bindet prä- und postsynaptisch an Serotonin-Rezeptoren und löst zentrale und periphere Effekte aus, die unter anderem die Stimmung, das Verhalten, den Schlaf-Wach-Rhythmus, die Thermoregulation, die Schmerzwahrnehmung, den Appetit, Übelkeit und Erbrechen sowie Muskeln und Nerven beeinflussen. Abgebaut wird es überwiegend von der Mono­aminooxidase A (MAO-A). SSRI: selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, SNRI: Serotonin-Noradrenalin-Inhibitoren, TCA: tricyclische Antidepressiva

Beteiligte Rezeptoren noch nicht eindeutig identifiziert

Mit der Entwicklung eines Serotonin-Syndroms sind bisher verschiedene Mechanismen assoziiert worden. Die Aufklärung des genauen Wirkmechanismus stellt sich jedoch nicht zuletzt aufgrund zahlreicher Serotonin-Rezeptorklassen als schwierig dar. Basierend auf den pharmakologischen Eigenschaften der jeweiligen Rezeptoren, ihren Second-Messenger-Systemen und ihren Aminosäuresequenzen werden derzeit sieben Serotonin-Rezeptorfamilien unterschieden (5-HT1 bis 5-HT7). Bis auf eine Ausnahme handelt es sich um G-Protein-gekoppelte Rezeptoren. Lediglich die 5-HT3-Rezeptoren gehören zu den Liganden-gesteuerten Ionenkanälen. Die meisten von ihnen lassen sich zudem in diverse Subtypen, wie z. B. 5-HT1A bis 5-HT1F unterteilen. Keiner der Rezeptoren kann eindeutig für alle Symptome, die durch das Serotonin-Syndrom ausgelöst werden, verantwortlich gemacht werden. Bis vor Kurzem glaubte man, dass lediglich die Aktivierung postsynaptischer 5-HT1A-Rezeptorsubtypen für das Serotonin-Syndrom verantwortlich ist. Es verdichten sich jedoch Daten, die darauf hindeuten, dass Agonisten für 5-HT2A-Rezeptoren eine signifikante Rolle bei der Entwicklung insbesondere schwerwiegender Symptome wie z. B. der Hyperthermie einnehmen. 5-HT2A-Rezeptoren kommen vor allem in der Hirnrinde, im Gastrointestinaltrakt, in der glatten Gefäß- und Bronchialmuskulatur sowie in den Thrombozyten vor und sind an neuronalen Erregungsprozessen, Bronchokonstriktion, Thrombozytenaggregation sowie der Kontraktion von glatten Muskelzellen beteiligt. Die Rolle genetischer Polymorphismen des 5-HT2A-Rezeptors ist Gegenstand aktueller Forschungen zu neuropsychiatrischen Erkrankungen und könnte in absehbarer Zukunft auch neue Hinweise zur Ursache des Serotonin-Syndroms liefern [2].

Auslöser des Syndroms

Das Serotonin-Syndrom wird überwiegend durch eine Kombination von Substanzen ausgelöst, die die Konzentration von Serotonin im synaptischen Spalt erhöhen. Meistens sind verschiedene Wirkmechanismen involviert. Dazu gehören:

  • Hemmung der Serotonin-Wiederaufnahme,
  • Hemmung des Serotonin-Metabolismus,
  • Steigerung der Serotonin-Synthese,
  • Erhöhung der Serotonin-Freigabe oder
  • Stimulation der Serotonin-Rezeptoren.

In erster Linie handelt es sich bei Serotonin-Syndrom-aus­lösenden Substanzen um diverse Antidepressiva (z. B. Monoaminoxidase (MAO)-Hemmer, selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI), Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI) und tricyclische Antidepressiva) sowie einige opioidartige und andere Schmerzmittel (Tabellen 1 und 2). Aber auch Antibiotika wie z. B. Isoniazid und Linezolid greifen als MAO-Hemmer in den Serotonin-Metabolismus ein. Darüber hinaus zählen nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel und pflanzliche Arzneimittel sowie Nahrungsergänzungsmittel zu den serotonergen Substanzen. Hier sind insbesondere stimmungsaufhellende Präparate mit Johanniskraut, aber auch Erkältungs- und Hustenmittel mit Dextromethorphan oder Chlorphenamin sowie Tryptophan-haltige Produkte zu erwähnen. Es ist gezeigt worden, dass die Aufnahme von L-Tryptophan in Dosen, die über den täglichen Bedarf (ca. 5 mg/kg pro Tag) hinausgehen, in Kombination mit Serotonin-Wiederaufnahmehemmstoffen in seltenen Fällen ein Serotonin-Syndrom auslösen kann [4]. Drogenkonsum kann ebenfalls zur Entwicklung eines Serotonin-Syndroms beitragen, denn Drogen wie Kokain und 3,4-Methylen­dioxymethamphetamin (Ecstasy) blockieren den Serotonin-Wiederaufnahme-Carrier. Eine Besonderheit von Ecstasy ist, dass es zusätzlich auch den vesikulären Monoamintrans­porter hemmt [2].

Tab. 1: Übersicht über Wirkstoffe, die an der Entstehung eines Serotonin-Syndroms beteiligt sein können (Gruppe A) [nach Foong et al.]
Wirkstoff
Handelsname (Beispiele)
nicht selektive und irreversible MAO-Hemmer
Isocarboxazid
in Deutschland nicht zugelassen, USA: Marplan®
Isoniazid
Isozid®
Phenelzin
in Deutschland nicht zugelassen, USA: Nardil®
Tranylcypromin
Jatrosom®
nicht selektive und reversible MAO-Hemmer
Linezolid
Zyvoxid®
selektive und irreversible MAO-B-Hemmer
Selegilin (in höheren Dosen nicht selektiv)
Selegilin Stada®
Rasagilin
Azilect®
selektive und reversible MAO-A-Hemmer
Moclobemid
Aurorix®
Methylenblau (in höheren Dosen nicht selektiv)
in Deutschland nicht zugelassen, USA: Hyophen®
WirkstoffHandelsname (Beispiele)
Antidepressiva
selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI)
ParoxetinParoxat®
FluvoxaminFevarin®
SertralinZoloft®
CitalopramCipramil®
EscitalopramCipralex®
FluoxetinFluoxetin-Hexal®
Serotonin-Noradrenalin-Inhibitoren (SNRI)
VenlafaxinTrevilor®
Desvenlafaxinin Deutschland nicht zugelassen, Kanada: Pristiq®
DuloxetinCymbalta®
tricyclische Antidepressiva:
ClomipraminAnafranil®
ImipraminImipramin-neuraxpharm®
Opioide und andere Schmerzmittel
TramadolTramal®
*Pethidin (Syn. Meperidin)Dolantin® , Dolcontral®
MethadonMethaddict®
FentanylAbstral®
Husten-, Erkältungs- und Allergiemittel
DextromethorphanWick DayMed®, Wick MediNait®
ChlorphenaminGrippostad®
Naturprodukte und Nahrungsergänzungsmittel
JohanniskrautRemifemin®plus
L-TryptophanAminomix® Infusionslösung
„Schlankheitspillen“ z. B. mit dem seit 2010 in Deutschland nicht mehr zugelassenen Wirkstoff Sibutramin 
Freizeitdrogen
3,4-Methylendioxymeth­amphetaminEcstasy
Amphetamine 
Kokain 

*Gegenüber der Printausgabe der DAZ wurde diese Zeile der Tabelle redaktionell geändert.

Gefährliche Wirkstoffkombinationen

Foong und Kollegen unterscheiden zwei Gruppen von Substanzen, die bei der Auslösung eines Serotonin-Syndroms eine Rolle spielen. Dabei umfasst Gruppe A (Tabelle 1) die diversen MAO-Hemmer und Gruppe B (Tabelle 2) andere serotonerge Substanzen einschließlich der Serotonin-Wiederaufnahmehemmer. Zusammenfassend stellen sie fest, dass eine Kombination von mehreren MAO-hemmenden Wirkstoffen (Gruppe A) sowie die Kombination von Wirkstoffen aus Gruppe A mit denen aus Gruppe B zu vermeiden ist. Vorsicht ist geboten, wenn zwei oder mehr Wirkstoffe der Gruppe B kombiniert werden, insbesondere wenn mindestens einer davon in hohen Dosen verabreicht wird. Bekommt ein Patient ein zweites Medikament der Gruppe B, so sollte dies in niedrigen Dosen und langsam eingeleitet werden. Eine vorsichtige Dosiserhöhung ist unter Aufsicht möglich. Dazu sollte der Patient jedoch für 24 bis 48 Stunden nach jeder Änderung überwacht werden.

Arzneimittelkommission warnt vor bekannter Wechselwirkung

Erst im vergangenen Monat ist von der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) vor einem Serotonin-Syndrom als Folge einer komplexen Interaktion des gegen grampositive Bakterien gerichteten Reserve-Antibiotikums Linezolid (Zyvoxid®) mit serotonergen Substanzen gewarnt worden. Auslöser für die Erinnerung an die bekannte Wechselwirkung waren zwei Fallberichte, bei denen das Oxazolidinon Linezolid in Verdacht geriet, in Kombination mit Escitalopram bzw. Fentanyl ein solches Syndrom auszulösen. Linezolid hemmt reversibel und nicht selektiv die Monoaminoxidase, auch wenn es in Dosierungen, die zur Anti­biose verwendet werden, nicht antidepressiv wirkt. Un­erwünschte Arzneimittelwirkungen bei einer Therapie mit Linezolid sollten von Apothekern unbedingt an die Arzneimittelkommission gemeldet werden [5, 6]. Andere Antibio­tika, die zu den MAO-Inhibitoren gehören, sind z. B. das Tuberkulostatikum Isoniazid (Isozid®) sowie Tedizolid (Sivextro®), ein Oxazolidinon-Antibiotikum, mit einem geringeren Risiko für das Serotonin-Syndrom aber ähn­lichem Wirkspektrum wie Linezolid [7].

Pharmakokinetik beachten!

Neben den pharmakodynamischen Wechselwirkungen verschiedener serotonerger Substanzen spielen auch pharmakokinetische Besonderheiten bei der Entstehung eines Serotonin-Syndroms eine Rolle. So hat die Halbwertszeit der Wirkstoffe einen direkten Einfluss auf deren Konzentration im synaptischen Spalt und muss bei der Therapie berücksichtigt werden. Der als Antidepressivum eingesetzte selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer Sertralin (Zoloft®) zum Beispiel, muss mindestens sieben Tage vor Beginn der Behandlung mit einem irreversiblen MAO-Hemmer abgesetzt werden, um lebensgefährliche Interaktionen auszuschließen [8]. Zahlreiche serotonerge Substanzen werden durch Cytochrom-P450-Enzyme metabolisiert. Unter ihnen sind starke CYP-Inhibitoren, die insbesondere die für den Abbau von SSRI und anderen serotonergen Substanzen verantwortlichen CYP2D6 und CYP3A4 hemmen. Dies kann einen Circulus vitiosus in Gang setzen, der zu toxischen Konzentrationen und einer gefährlich fortschreitenden Anreicherung der jeweiligen Substanz führt. Auch hier spielen Polymorphismen der CYP-Enzyme eine Rolle und sind Gegenstand aktueller Forschungsprojekte [2].

Widersprüchliche Angaben zu zahlreichen Arzneistoffen

In der von Foong et al. Ende 2018 im kanadischen Journal Canadian Family Physician veröffentlichten Übersichts­arbeit sind erstmals Wirkstoffe zusammengefasst, die üblicherweise als Serotonin-Syndrom-auslösende Substanzen gelistet werden, deren Beteiligung an der Entstehung des Syndroms jedoch in Anbetracht ihres zugrunde liegenden Wirkmechanismus unwahrscheinlich ist. Dazu gehören unter anderem 5-HT1B/1D-Rezeptoragonisten (Triptane) wie z. B. Sumatriptan (Imi­gran®), als Antiemetika eingesetzte 5-HT3-Rezeptorantagonisten wie z. B. Ondansetron (Zofran®) und Granisetron (Kevatril®) aber auch Metoclopramid (Paspertin®) sowie Lithium (Hypnorex® retard), Buspiron (Anxut®) und die Antidepressiva Amitriptylin (Amineurin®), Mirtaz­apin (Remergil Sol Tab®) und Trazodon (Trazodon-Hexal®), (Tabelle 3). Nach Ansicht der Autoren werden selbst von den Arzneimittelbehörden viele dieser Arzneistoffe fälschlicherweise zu den Serotonin-Syndrom-auslösenden Medikamenten gezählt. Das hat zur Folge, dass auch Datenbanken in Arztpraxen und Apotheken vor Wechselwirkungen warnen, die nach Foong et al. nicht vorhanden sind [1].

Tab. 3: Übersicht über Wirkstoffe, die möglicherweise keinSerotonin-Syndrom verursachen [nach Foong et al.]
Wirkstoff
Handelsname (Beispiele)
Triptane
Sumatriptan
Imigran®
Antidepressiva
Amitriptylin
Amineurin®
Mirtazapin
Remergil Sol Tab®
Trazodon
Trazodon-Hexal®
Antiemetika
5-HT3-Rezeptor-Antagonisten
Ondansetron Zofran®
Metoclopramid
Paspertin®
weitere psychoaktive Substanzen
Buspiron
Anxut®
Lithium
Hypnorex® retard

Diagnostik

Aufgrund der Vielfalt der auftretenden Symptome und in Anbetracht der Tatsache, dass es keinen Labortest gibt, der ein Serotonin-Syndrom bestätigen könnte, ist die Diagnosestellung schwierig. Sie erfolgt momentan ausschließlich anhand des klinischen Zustands unter Berücksichtigung des Medikationsverlaufs und mithilfe von Differenzialdiagnosen.

Im Fall einer Serotonin-Toxizität treten bei 30% der Patienten die ersten Symptome bereits innerhalb einer Stunde auf und bei 60% im Zeitraum von sechs Stunden nach Dosiserhöhung oder Einleitung eines serotonergen Arzneimittels. Damit kann das Serotonin-Syndrom von einem malignen neuroleptischen Syndrom abgegrenzt werden. Dieses geht zum Teil mit ähnlichen Symptome einher, tritt aber erst innerhalb von mehreren Tagen nach Einnahme antipsychotischer Medikamente wie z. B. Dopamin-Antagonisten in Erscheinung [2]. Darüber hinaus muss das Serotonin-Syndrom von einer anticholinergen Toxizität unterschieden werden, die in Verbindung mit anticholinergen Arzneimitteln auf­treten kann und ebenfalls ähnliche Symptome aufweist. Im Gegensatz zum Serotonin-Syndrom kommen jedoch bei einer anticholinergen Toxizität, wie auch beim malignen neuroleptischen Syndrom, weder Klonus noch Hyperreflexie vor. Typisch für die anticholinerge Toxizität ist zudem eine trockene Haut. Ein markantes Kennzeichen des Serotonin-Syndroms dagegen ist die erhöhte Schweißabsonderung. Auch die bei einem Serotonin-Syndrom typischerweise auftretenden Darm­geräusche bleiben bei einer anticholinergen Toxizität aus.

Maligne Hyperthermie, Alkoholentzug, Benzodiazepin- und/oder Barbiturat-Entzug sowie das Absetzen von Anti­depressiva können ebenfalls zu einer autonomen Dysregula­tion und einem veränderten Mentalzustand führen und sind demzufolge bei der Diagnosestellung auszuschließen.

Therapie

Ist die Diagnose einmal gestellt, sollten alle serotonergen Arzneimittel sofort abgesetzt werden. Wird das Syndrom rechtzeitig erkannt, ist die Prognose gut. Bei den meisten Patienten bessern sich die Symptome nach Absetzen der entsprechenden Präparate innerhalb von 24 Stunden, dennoch sollten die Betroffenen danach einige Stunden überwacht werden. Unterstützend werden hier oftmals Benzo­diazepine zur Sedierung verabreicht. In schweren Fällen ist eine intensivmedizinische Behandlung erforderlich. Unter Umständen kann eine endotracheale Intubation notwendig sein.

Da die lebensbedrohlichen Symptome wie Muskelstarre und Hyperthermie nach neuesten Erkenntnissen wahrscheinlich allein von einer 5-HT2A-Rezeptorstimulation getriggert sind, ist es denkbar, dass ein selektiver 5-HT2A-Rezeptorblocker diese Wirkungen aufheben könnte. Entsprechende Tier­versuche mit Ritanserin waren bereits erfolgreich. Für den Menschen ist jedoch ein solcher selektiver 5-HT2A-Antagonist derzeit nicht zur Therapie zugelassen. Ebenso wenig stehen Medikamente zur Verfügung, die die Clearance von Serotonin erhöhen und somit die Konzentration an Serotonin im synaptischen Spalt verringern könnten [2].

Für die Behandlung des Serotonin-Syndroms empfohlene Medikamente sind daher nicht selektive Antagonisten wie der 5-HT1A- und 5-HT2A-Antagonist Cyproheptadin (Peritol®), der in dieser Indikation bereits mit Erfolg eingesetzt wurde und als solches auf der Liste der empfohlenen Antidots einiger US-amerikanischer Krankenhäuser steht [9]. Die atypischen Antipsychotika Olanzapin (Zyprexa®) und Chlorpromazin (in Deutschland nicht mehr auf dem Markt), die eine gewisse 5-HT2A-antagonistische Aktivität aufweisen, werden in der Praxis ebenfalls eingesetzt. Allerdings besteht insbesondere bei Chlorpromazin das Risiko einer Hypotonie und der Entwicklung eines neuroleptischen malignen Syndroms. Daher werden sie nicht routinemäßig verwendet. Alternativ kann der Betablocker Propranolol (Obsidan®), der auch über 5-HT1A-antagonistische Eigenschaften verfügt, einer mit dem Serotonin-Syndrom assoziierten Tachykardie entgegenwirken. Ähnlich wie bei Chlorpromazin besteht jedoch die Gefahr der Hypotonie, weshalb von einem solchen Einsatz abgeraten wird [2].

Auf einen Blick

  • Das Serotonin-Syndrom ist eine vermeidbare und dosisabhängige unerwünschte Wirkung, die kurz nach der Einnahme der entsprechenden Auslöser beginnt.
  • Ein Serotonin-Syndrom beruht auf einer verstärkten zentralen und peripheren Serotonin-Wirkung.
  • Der Verlauf kann leicht sein bis hin zu schweren und lebensbedrohlichen Symptomen, die eine Behandlung im Krankenhaus notwendig werden lassen.
  • Die Kombination eines Serotonin-Wiederaufnahmehemmers (SSRI) mit einem Hemmer der Mono­aminooxidase (MAO) oder mehrere MAO-Hemmer können das Serotonin-Syndrom auslösen, möglicherweise auch tricyclische Antidepressiva, Tramadol, Triptane oder Dextromethorphan.
  • Die Notwendigkeit serotonerger Arzneimittel sollte jährlich überprüft werden und Patienten über die Symptome aufgeklärt werden.

Prävention ist das A und O

Entscheidend für die Behandlung bzw. Verhinderung eines Serotonin-Syndroms ist eine vorbeugende Strategie. Diese umfasst die Sensibilisierung sowohl von Patienten als auch von Ärzten. Behandelnde Ärzte sollten die Notwendigkeit serotonerger Arzneimittel jährlich überprüfen und ihre Patienten über die Möglichkeit des Auftretens eines Serotonin-Syndroms aufklären. So lassen sich erste auftretende Symp­tome frühzeitig erkennen. Eine Kombination mehrerer serotonerger Arzneimittel sollte nach Möglichkeit vermieden werden. Besonders von der Thematik betroffen sind in der Regel ältere Menschen, da die Mehrheit der Arzneimittel mit einem Serotonin-Syndrom-verursachenden Potenzial in dieser Population verordnet wird. Nichtsdestotrotz kann das Syndrom in jedem Alter auftreten. Besonderes Augenmerk ist auf Patienten mit therapieresistenten Depressionen zu legen, da hier oftmals mehrere psychoaktive Medikamente gemeinsam angewendet und Nebenwirkungen in Kauf genommen werden [10]. Grundsätzlich sollte die Dosis der serotonergen Arzneimittel so niedrig wie möglich gehalten werden. Ein bis zwei Tage nach Einleitung eines neuen Medikaments oder einer Dosiserhöhung ist eine Folgeuntersuchung durchzuführen.

Ein erhöhtes Risiko durch Verordnungen verschiedener Ärzte kann im Idealfall durch den Apotheker erkannt und adressiert werden. Insbesondere vor dem Hintergrund einer stetig zunehmenden Nutzung von Antidepressiva für eine Vielzahl von Beschwerden, wie z. B. Stimmungsschwankungen, Angstzuständen, Schmerzen oder Wechseljahres­beschwerden, ist es wichtig, dass Patienten darauf hingewiesen werden, dass ein solches Syndrom auch in Kombination mit nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln wie Johanniskraut-Präparaten und Dextromethorphan-haltigen Husten- und Erkältungsmitteln sowie mit Nahrungsergänzungsmitteln auftreten kann. Da diese meist im Rahmen der Selbstmedikation erworben werden, trägt hier der Apotheker vor Ort eine große Verantwortung.

Nicht mehr in den Apotheken erhältlich, aber oftmals über das Internet bezogen, werden Sibutramin-haltige Schlankheitspillen. Die früher unter dem Warennamen Reductil® erhältliche Substanz ist seit 2010 wegen eines erhöhten Risikos für Herz-Kreislauf-Schäden weltweit verboten. Dennoch ist der Serotonin-Wiederaufnahmehemmer oftmals illegal und nicht deklariert in angeblich natürlichen „Schlankheitspillen“ zu finden, die über das Internet bezogen werden. |

 

Literatur

 [1] Foong A-L. Demystifying serotonin syndrome (or serotonin toxicity). Can Fam Physician 2018;64:720-727

 [2] Francescangeli J et al. The serotonin syndrome: From molecular mechanisms to clinical practice. Int J Mol Sci 2019;20:2288; doi: 10.3390/ijms20092288

 [3] Mutschler E et al. Arzneimittelwirkungen. Lehrbuch der Pharmakologie, der klinischen Pharmakologie und Toxikologie. 10. Auflage, Deutscher Apotheker Verlag 2013

 [4] Fernstrom JD. Effects and side effects associated with the non-nutritional use of tryptophan by humans. J Nutr 2012;142:2236-2244

 [5] Linezolid: Komplexe Interaktion mit serotonergen Substanzen mit der Folge eines Serotonin-Syndroms. AkdÄ – Drug Safety Mail 2019-39, www.akdae.de/Arzneimittelsicherheit, 10. Juli 2019

 [6] Informationen der Institutionen und Behörden: AkdÄ: Risiko eines Serotonin-Syndroms nach Interaktion von Linezolid mit serotonergen Wirkstoffen. ABDA Online-Nachricht, www.abda.de/amk-nachricht, 12. Juli 2019

 [7] MSD-Manual. www.msdmanuals.com, Abruf 15. Juli 2019

 [8] Fachinformation Zoloft®, Stand vom März 2018

 [9] Maryland Poison Center: Antidote List. https://mdpoison.com/media/SOP/mdpoisoncom/healthcareprofessionals/antidote-facts/MPC Antidote List 2016.pdf, Abruf 22. Juli 2019

[10] Unipolare Depression - Nationale VersorgungsLeitlinie. S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN), der Bundesärztekammer und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften, AWMF-Register-Nr.: nvl-005, Version 1.3, Januar 2012

Autorin

Dr. Daniela Leopoldt ist Apothekerin und Pharmakologin. Nach ihrer Promotion war sie mehrere Jahre als wissenschaftliche Mitarbeiterin in den USA und anschließend in der öffentlichen Apotheke sowie der pharmazeutischen Industrie tätig. Seit 2017 schreibt sie als freie Medizinjournalistin unter anderem Beiträge für die DAZ.

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