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Beratung
Wenn der Darm verrücktspielt
Neuigkeiten rund um das Reizdarmsyndrom
Menschen mit einem Reizdarmsyndrom leiden unter Durchfallattacken oder Verstopfung, ein Drittel abwechselnd unter beidem. Hinzu kommen oftmals unangenehme Blähungen, die mit einem Druckgefühl im Unterbauch und nicht selten mit krampfartigen Beschwerden einhergehen. Meist verbessern sich die Beschwerden nach einer Stuhlpassage. Wer an einem Reizdarmsyndrom leidet, kann stark in seiner Lebensqualität und Arbeitsfähigkeit eingeschränkt sein, aber lebensbedrohlich ist die Krankheit nicht. Sie ist auch nicht mit der Entwicklung anderer schwerwiegender Erkrankungen des Gastrointestinaltrakts verbunden, dennoch können Komorbiditäten wie Angststörungen, Depressionen, chronische Müdigkeit, Migräne oder Fibromyalgie in Verbindung mit einem Reizdarmsyndrom auftreten.
Diagnose mithilfe der Rom-Kriterien
Eine gründliche Anamnese einschließlich der Erfassung anderer Krankheiten und der Familiengeschichte bildet die Grundlage der Diagnosestellung. Besonderes Augenmerk muss dabei auf Warnsignale schwerwiegender Erkrankungen des Gastrointestinaltrakts (z. B. gastrointestinale Blutungen, starker Gewichtsverlust) gerichtet werden. Lassen sich die Symptome weder einer organischen noch einer pathologischen Ursache zuordnen, erfolgt die Diagnose anhand der sogenannten Rom-Kriterien [Lacy und Patel, 2017]. Diese wurden in den 90er-Jahren von einem internationalen Expertenteam von Gastroenterologen entwickelt und werden seitdem regelmäßig dem aktuellen Forschungsstand angepasst. Die aktuellen Rom-IV-Kriterien datieren aus dem Jahr 2016. Danach ist ein Reizdarmsyndrom zu diagnostizieren, wenn sich die erstmalig vor mehr als sechs Monaten aufgetretenen, wiederkehrenden Bauchschmerzen innerhalb der letzten drei Monate im Schnitt mindestens einen Tag pro Woche gezeigt haben und mindestens zwei der folgenden Kriterien erfüllt sind:
- Erleichterung durch Stuhlgang
- Assoziation mit einer veränderten Stuhlfrequenz
- Assoziation mit einer veränderten Stuhlkonsistenz
Das Reizdarmsyndrom ist eine komplexe Erkrankung, die in verschiedenen Erscheinungsformen auftritt. Eine auf den vorherrschenden Symptomen und der Stuhlkonsistenz basierende Klassifizierung der Patienten hilft insbesondere bei der Auswahl einer geeigneten Therapie. Man unterscheidet derzeit vier Subtypen [Schmitteckert et al., 2016]:
- Diarrhö-dominantes Reizdarmsyndrom (RDS-D)
- Obstipation-dominantes Reizdarmsyndrom (RDS-O)
- gemischtes/alternierendes Reizdarmsyndrom (RDS-M)
- unspezifisches RDS (RDS-U)
Früher verwendete Kriterien, auf deren Grundlage die Rom-Kriterien entwickelt wurden und die auch heute noch eine Diagnose unterstützen können, sind die Manning-Kriterien (siehe Kasten) und der Kruis-Score. Nach den Manning-Kriterien ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Reizdarmsyndrom vorliegt, umso höher, je mehr der sechs Fragen von dem Patienten mit Ja beantwortet werden können. Die Kriterien haben insbesondere deshalb an Bedeutung verloren, da sie nicht zwischen RDS-D- und RDS-O-Subtypen unterscheiden und damit die klinische Realität nicht ausreichend abbilden.
Manning-Kriterien
Die ersten standardisierten Diagnosekriterien entwickelte Manning 1978 aus dem Vergleich der Symptome bei Patienten mit chronischen Bauchschmerzen, bei denen im Verlauf entweder eine organische oder eine funktionelle Erkrankung diagnostiziert wurde. Dabei werden sechs Symptomkombinationen abgefragt, die charakteristisch für das Reizdarmsyndorm sind:
1. Schmerzen, die mit Defäkation nachlassen
2. erhöhte Stuhlfrequenz mit Beginn der Schmerzen
3. weichere Stühle mit Beginn der Schmerzen
4. sichtbare abdominelle Überblähung
5. rektaler Schleimabgang
6. Gefühl der unvollständigen Stuhlentleerung
Die Kriterien bilden die Grundlage für den Kruis-Score und die heute gültigen Rom-Kriterien.
Neues aus der Ursachenforschung
Die exakten Ursachen für die Entstehung eines Reizdarmsyndroms sind noch immer unbekannt. Sicher scheint zu sein, dass es sich um eine multifaktorielle Erkrankung handelt. Auslöser können neben extrinsischen Faktoren wie z. B. Stress, Ernährung und Infektionen auch intrinsische Faktoren wie genetische Besonderheiten und das dem Individuum eigene Darmmikrobiom sein.
Darm-Hirn-Achse
Als eine der wichtigsten pathophysiologischen Mechanismen des Reizdarmsyndroms gilt eine verringerte Schmerzschwelle im Darm, die in einer viszeralen Überempfindlichkeit mündet. Studien haben gezeigt, dass die bidirektionale Interaktion zwischen Darm und Gehirn, die sogenannte Darm-Hirn-Achse, bei einem Reizdarmsyndrom gestört ist [Holzer 2016]. Es ist seit Langem bekannt, dass der Darm über ein eigenes Nervensystem verfügt, das enterale (enterische) Nervensystem (ENS). Dieses enterale Nervensystem durchzieht den gesamten Verdauungstrakt und reguliert unter anderem die Darmmotilität. Es wird auch als Darm- oder Bauchhirn bezeichnet und weist viele Gemeinsamkeiten mit dem Gehirn auf, und beide Nervensysteme benutzen ähnliche Botenstoffe und Rezeptoren. Darüber hinaus sind aber auch das sympathische und das parasympathische Nervensystem an der Regulation des Darmes beteiligt. Zusätzlich trägt das Darmmikrobiom zur Interaktion zwischen Darm und Gehirn bei, denn zu den Informationsträgern gehören nicht nur sensible Neuronen, Darmhormone und Immunmediatoren, sondern auch mikrobielle Metaboliten.
Genetik
Eine genetische Prädisposition für das Reizdarmsyndrom ist in einigen Studien nachgewiesen worden und Polymorphismen diverser Gene, die gastrointestinale Funktionen regulieren, sind mit dem Reizdarmsyndrom in Verbindung gebracht worden [Schmitteckert et al. 2016]. Die Lokalisation der genetischen Störung hat dabei einen Einfluss auf das Beschwerdebild des Reizdarm-Patienten. Folglich könnte die Aufklärung der zugrunde liegenden genetischen Dysfunktionen den Weg zu einer zielgerichteten und individualisierten Therapie ebnen. Zu den Kandidaten gehören unter anderem die mitochondriale DNA, Serotonin-Rezeptoren sowie Serotonin-Transporter. Für eine zielgerichtete Therapie müssen aber auch exogene Faktoren berücksichtigt werden. In der Zukunft kommt es deshalb darauf an, zu klären, welche genetischen Modifikationen in Kombination mit welchen exogenen Faktoren bei dem einen zu einem Reizdarmsyndrom führen und beim anderen nicht.
Mikrobiom
Studien zur Aufklärung der Bedeutung der Darmflora bei der Entstehung des Reizdarmsyndroms stehen erst am Anfang und hinsichtlich der „normalen“ Bakterienzusammensetzung im Darm gibt es noch keinen endgültigen Konsens. Es ist jedoch auffallend, dass bei RDS-Patienten im Vergleich zu Gesunden ein häufig verändertes Verhältnis bestimmter Bakterienstämme vorliegt. Der Anteil von Bacteroidetes (z. B. Bifidobakterien) ist dabei erniedrigt und die relative Häufigkeit von Firmicutes (meist Clostridien-Arten) erhöht. Darüber hinaus wurde gezeigt, dass die mikrobiotische Zusammensetzung der Darmflora bei Reizdarmpatienten nicht so vielfältig und weniger stabil ist als bei Gesunden.
Bakterielle Mikroorganismen sind nicht nur an der Regulation der Darmmotilität und viszeralen Empfindlichkeit beteiligt, sie beeinflussen auch die Immunantwort und kommunizieren direkt mit dem Nervensystem. Es gibt Studien, die darauf hinweisen, dass einige Bacteroidetes-Spezies an der Expression von Genen beteiligt sein könnten, die für die Funktion der glatten Muskelzellen und die Neurotransmission verantwortlich sind. Auch Endprodukte des bakteriellen Stoffwechsels können direkt oder indirekt auf die Darmmuskulatur wirken und die Funktionstüchtigkeit des Darms beeinträchtigen [Enck und Mazurak, 2016]. Diverse therapeutische Maßnahmen zielen folglich darauf ab, die beim Reizdarmsyndrom vorliegende Dysbiose im Darm zu beheben.
Therapiemöglichkeiten
Einen allgemeingültigen Therapieansatz gibt es nicht, da es sich beim Reizdarmsyndrom um ein variables Syndrom mit multiplen und wechselnden Krankheitssymptomen handelt. Die Behandlung erfolgt auf individueller Basis und richtet sich nach den vorherrschenden Symptomen sowie dem Schweregrad der Beschwerden. Bei Patienten mit leichten Symptomen können bereits die klare Klassifizierung als benigne Erkrankung zusammen mit Allgemeinmaßnahmen wie z. B. das Erkennen symptomauslösender Ereignisse, die Vermittlung des Zusammenhangs zwischen psychosozialer Belastung und Reizdarmsyndrom sowie Entspannungsmaßnahmen ausreichen, um eine Verbesserung der Symptomatik zu erzielen. Bei Patienten mit moderaten bis schweren Beschwerden dagegen sind zusätzlich therapeutische Maßnahmen erforderlich. Hier handelt es sich oftmals um einen langwierigen Prozess, der durchaus auch erfolglos sein kann. Eine spontane Heilung ist möglich, kommt aber nach derzeitigen Erkenntnissen nur selten vor.
Diätetische Maßnahmen
Häufig mit einem Reizdarmsyndrom assoziiert kommen Kohlenhydrat-Malabsorptionssyndrome vor. Dazu gehören z. B. die Lactose- und Fructoseintoleranz. Sind diese Unverträglichkeiten im Rahmen einer differenzialdiagnostischen Untersuchung einmal erkannt, sollten die entsprechenden Zucker gemieden werden. Ballaststoffe (z. B. Flohsamen, Leinsamen) tragen grundsätzlich zur Regulierung des Stuhls bei, und eine ballaststoffreiche Ernährung kann positive Auswirkungen sowohl bei RDS-D als auch bei RDS-O haben. Jedoch können zu viele Ballaststoffe Blähungen verursachen und eine Diarrhö verstärken. Deshalb sind sie bei einem Diarrhö-dominanten Reizdarmsyndrom und bei starken Blähungen zunächst vorsichtig und in geringen Mengen einzusetzen. Gegebenenfalls kann die Dosis dann gesteigert werden.
Was sind FODMAPS?
FODMAPS steht für fermentable oligo-, di- and monosaccharides and polyols, also für bestimmte Kohlenhydrate (z. B. Lactose, Fructose) und mehrwertige Alkohole (z. B. Mannitol, Sorbitol). Sie sind charakterisiert durch drei Eigenschaften:
- Sie werden im Dünndarm schlecht resorbiert, beispielsweise aufgrund fehlender oder nicht ausreichend vorhandener spezifischer Hydrolasen oder Transporter.
- Es handelt sich um kleine und daher osmotisch wirksame Moleküle.
- Im Gegensatz zu Polysacchariden werden sie von Darmbakterien sehr schnell fermentiert.
Low-FODMAP-Diät
Ein relativ neuer Therapieansatz zur Verbesserung der Symptome beim Reizdarmsyndrom mit Diarrhö und Blähungen ist die Verringerung fermentierbarer Oligosaccharide, Disaccharide, Monosaccharide und Polyole, kurz FODMAP genannt, in der Nahrung. Dabei handelt es sich um kurzkettige Kohlenhydrate und Zuckeralkohole, die einen osmotischen Wassereinstrom ins Kolon bewirken, bakteriell fermentiert werden und so eine vermehrte Gasansammlung im Darm bewirken. Der bereits gereizte Darm wird damit zusätzlich belastet, Blähungen und Diarrhö, verbunden mit Schmerzen, sind die Folge. FODMAP sind in vielen Lebensmitteln wie verschiedenen Getreidearten, Obst und Gemüse enthalten. Eine Auswahl ist in Tabelle 1 zusammengefasst. Eine Low-FODMAP-Diät führt in vielen Fällen zu einer Verbesserung der Symptome. Dabei muss zunächst für sechs bis acht Wochen auf alle FODMAP verzichtet werden. Danach können kleine Mengen einzelner Lebensmittel wieder schrittweise eingeführt werden, um die individuelle Toleranz des Patienten herauszufinden. Da eine Low-FODMAP-Diät meist ballaststoffarm ist, ist es empfehlenswert, gleichzeitig nicht fermentierbare Ballaststoffe wie Flohsamen zuzuführen.
Beispiele für Nahrungsmittel |
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Lactose |
Milch und Milchprodukte (Käse, Joghurt, Eiscreme) |
Fructose |
Obst: Äpfel, Birnen, Mango, Pfirsiche, Steinfrüchte, Wassermelone, Mandarinen, Trockenfrüchte
Süßungsmittel: Maissirup, Honig, Agavensirup
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Fruktane |
Gemüse: Zwiebeln, Lauch, Knoblauch, Tomaten, Brokkoli, Hülsenfrüchte, Artischocken, Spargel
Obst: Avocado, reife Bananen
Getreide: Weizen, Roggen und deren Produkte (Mehl, Nudeln, Brot etc.)
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Polyole |
Zuckeraustauschstoffe: Xylitol, Sorbitol, Mannitol
Obst: Äpfel, Birnen, Steinfrüchte
Gemüse: Blumenkohl, Pilze, Erbsen
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Modifizierung der Darmmikrobiota
Für die Beeinflussung der Darmflora gibt es unterschiedliche therapeutische Ansätze. So gehören der Einsatz von Probiotika wie auch spezielle Diäten oder die Transplantation bestimmter fäkaler Bakterien dazu. Auch eine Behandlung mit Antibiotika kann in Betracht gezogen werden. Insbesondere beim Vorliegen der Diarrhö-dominanten Variante oder bei starken Blähungen wird häufig das Breitbandantibiotikum Rifaximin (Xifaxan®) verordnet. Der Einsatz erfolgt in Deutschland off-label, denn Rifaximin ist zwar zur Therapie der Reisediarrhö zugelassen, nicht aber zur Behandlung des Reizdarmsyndroms. In den USA hat das Antibiotikum auch eine Zulassung zur Behandlung des RDS-D.
Unklar ist die Situation aufgrund einer unzureichenden Datenlage bei den Probiotika. Viele Präparate stehen zur Verfügung und sind in klinischen Studien untersucht worden. Sie sollen beim Wiederaufbau der Darmflora helfen, schädliche Keime verdrängen, antibakterielle Substanzen produzieren und die Immunabwehr stimulieren. Übereinstimmende Ergebnisse, auf deren Grundlage eine Empfehlung bestimmter Spezies ausgesprochen werden kann, sind jedoch bisher nicht erzielt worden. Dennoch führte die Anwendung von Probiotika in den meisten Studien zu einer erhöhten Lebensqualität [Enck und Mazurak, 2016]. Insbesondere bei Blähungen werden Präparate wie Pro-Symbioflor®(Escherichia coli und Enterococcus faecalis in inaktiver Form), Symbioflor® 2 (E. coli) und Mutaflor®(E. coli Nissle) angewendet. Stark umworben wird derzeit das etwas neuere, als Medizinprodukt zugelassene Kijimea® Reizdarm. Nach Angaben des Herstellers enthält es den Bifidobakterienstamm B. bifidum MIMBb75, der sich an die geschädigte Darmwand anlagern und diese somit schützen soll. Die Wirksamkeit bestimmter Joghurt-Kulturen (Activia® mit Bifidobacterium,Streptococcus thermophilus und Lactobacillus bulgaricus) ist umstritten, aber nicht ausgeschlossen.
Ebenso wenig wissenschaftlich belegt ist eine Antimykotikatherapie bei Nachweis von Candida albicans im Stuhl.
Niederländische Forscher der Universität Groningen arbeiten derzeit an der Entwicklung eines Tests, mit dem sich bestimmte, für die Krankheit charakteristische Bakterien im Stuhl nachweisen lassen. Ein solcher Test könnte in Zukunft die Diagnose und Therapie enorm erleichtern.
Medikamentöse Behandlung
Für die symptomorientierte medikamentöse Behandlung steht unabhängig vom Zulassungsstatus eine Vielzahl an Arzneimitteln zur Verfügung. Meist handelt es sich bei der Auswahl eines geeigneten Arzneimittels zunächst um einen Therapieversuch, um festzustellen, wie der Patient auf die Behandlung anspricht. Bei einem Diarrhö-dominanten RDS (RDS-D) ist der Einsatz von Loperamid weitverbreitet. Dieses kann sowohl kurzfristig (hier auch in der Selbstmedikation) als auch zur Dauermedikation angewendet werden. Stuhlfrequenz und -konsistenz verbessern sich, aber die Bauchschmerzen bleiben unbeeinflusst. Diese können zusätzlich mit Spasmolytika wie Butylscopolamin (z. B. Buscopan®) oder Mebeverin (z. B. Duspatal®), aber auch mit Pfefferminzöl-haltigen Präparaten und anderen Phytopharmaka positiv beeinflusst werden. Opioide, die bei starken Schmerzen mitunter verordnet werden, sollten nur kurzfristig eingesetzt werden. Bei hartnäckigen Diarrhöen werden auch selektive Serotonin(5-HT3)-Antagonisten eingesetzt. In Deutschland können Ärzte z. B. das für andere Indikationen zugelassene Ondansetron (z. B. Zofran®) off-label verordnen.
Wenn Ballaststoffe bei Patienten mit Obstipation-dominantem Reizdarmsyndrom (RDS-O) nicht den gewünschten Erfolg bringen, können Abführmittel wie Bisacodyl (Dulcolax®), Natriumpicosulfat (Laxoberal®), Polyethylenglykol (Macrogol) oder Lactulose den Stuhlgang auf Trab bringen. In Bezug auf die Bauchschmerzen bewirken sie in der Regel keine Besserung. Hier können, ähnlich wie bei dem RDS-D, Spasmolytika helfen. Wird mit herkömmlichen Laxanzien keine ausreichende Wirkung erzielt, steht bei chronischer Verstopfung unter anderem der selektive Serotonin(5-HT4)-Agonist Prucaloprid (Resolor®) zur Verfügung.
Neuere Arzneimittel zur Behandlung des RDS-O sind der Chlorid-Kanal-Aktivator Lubiproston (Amitiza®) und der Guanylatcyclase C-Agonist Linaclotid (Constella®). Lubiproston ist unter anderem in den USA und in der Schweiz auf dem Markt, nicht jedoch in Deutschland. Es kann über die internationale Apotheke bezogen werden. Linaclotid führt nicht nur zu einer beschleunigten Darmpassage, sondern reduziert auch die viszerale Hypersensitivität und Schmerzwahrnehmung. Der Arzneistoff ist seit 2012 in der EU zugelassen und wird seit 2017 auch in Deutschland wieder vermarktet.
Stehen bei einem Reizdarmsyndrom die Schmerzen im Vordergrund, können zur Schmerzlinderung neben den bereits erwähnten Präparaten auch tricyclische Antidepressiva wie Amitriptylin zum Einsatz kommen. Dabei ist eine deutlich niedrigere Dosierung als bei einer antidepressiven Behandlung ausreichend. Bei der Behandlung zu berücksichtigen und in der Apotheke eventuell hervorzuheben, ist der verzögerte Eintritt der positiven Wirkung bei bereits frühzeitig einsetzenden Nebenwirkungen wie Müdigkeit und Mundtrockenheit. Auch selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) wie Fluoxetin und Citalopram werden hier angewendet.
Psychotherapeutische und hypnotische Behandlung
In vielen randomisierten, kontrollierten Studien und Metaanalysen hat sich die Hypnose als langfristig erfolgreich erwiesen [Peters et al. 2015]. Der dabei zugrunde liegende Mechanismus ist nach wie vor unklar, aber zahlreiche Studien deuten darauf hin, dass sowohl eine Modulation der Darmfunktion als auch eine veränderte Signalverarbeitung im Gehirn eine Rolle spielen. Die hypnotische Behandlung muss nicht auf individueller Basis erfolgen, denn es ist gezeigt worden, dass die Gruppentherapie ebenso erfolgreich ist [Flik et al. 2019]. Da die Anzahl von Therapeuten, die eine auf den Darm ausgerichtete hypnotische Therapie beherrschen, gering ist, könnten auf diese Art und Weise mehr Patienten von einer solchen Therapie profitieren. Positiv hervorzuheben ist zudem, dass es bislang keine sicherheitsrelevanten Bedenken gibt. Weitere Studien hinsichtlich der Wirksamkeit und der zugrunde liegenden Wirkmechanismen sind jedoch notwendig.
Zusätzliche Beratungstipps aus der Apotheke
Neben den bisher erwähnten etablierten und in der Forschung befindlichen medikamentösen Behandlungsmöglichkeiten gibt es diverse Tipps, die man den Kunden in der Apotheke mitgeben kann.
Da bei einem hypersensiblen Darm der Ernährung eine große Bedeutung zukommt, sollte grundsätzlich auf eine ausgewogene und gesunde Ernährung geachtet und schwer Verdauliches gemieden werden. Das Essen sollte in Ruhe und nicht unter Stress und Hektik erfolgen. Mehrere kleine Mahlzeiten sind besser als wenige große. Der Konsum reizender Genussmittel wie Kaffee, Schwarztee und anderer koffeinhaltiger Getränke sowie Alkohol sollte eingeschränkt bzw. ganz darauf verzichtet werden.
Bei Völlegefühl und akuten Blähungen können Tees mit Fenchel, Anis und Kümmel helfen. Neben den pflanzlichen Inhaltsstoffen wirkt auch die Wärme, die zusätzlich von außen mit einer Wärmflasche oder einem Kirschkernkissen zugeführt werden kann, schmerzlindernd und beruhigend auf den Darm. Pflanzliche Präparate mit Kümmel- und/oder Pfefferminzöl können darüber hinaus auch vorbeugend eingenommen werden. Für Arzneimittel wie Carmenthin® (Pfefferminz- und Kümmelöl) und Chiana®-Kapseln (Pfefferminzöl) sieht das Verbrauchermagazin Ökotest 2018 in einem Test die Wirksamkeit beim Reizdarmsyndrom als belegt an. Auch Buscopan®-Dragees schnitten hier mit einer nachgewiesenen entkrampfenden Wirksamkeit gut ab. Ebenso konnte das Phytotherapeutikum Iberogast® in Bezug auf seine Wirksamkeit überzeugen. Allerdings ist dieses aufgrund seines Gehaltes an Schöllkraut, das möglicherweise leberschädigend wirkt, etwas in Verruf geraten. Für Schwangere und Stillende ist es zudem nicht geeignet. Keinen Nutzennachweis erkennt Ökotest dagegen bei Medizinprodukten. Regelmäßige Bewegung (Spaziergänge, Fahrradfahren und Gymnastik) ist ratsam, denn sie wirkt positiv auf die Darmperistaltik. Daneben sollten individuelle Stressoren erkannt und gemieden werden. Ist dies nicht möglich, können diverse Entspannungstechniken (z. B. Yoga, autogenes Training, progressive Muskelentspannung) helfen, mit den Stresssituationen umzugehen. |
Literatur
Enck P, Mazurak N. Mikrobiota und Reizdarmsyndrom. Neuro 2016;2:26-29 https://www.medmedia.at/neurologisch-ausg/
Flik CE et al. Efficacy of individual and group hypnotherapy in irritable bowel syndrome (IMAGINE): a multicentre randomised controlled trial. Lancet Gastroent & Hepatol 2019;4:20-31
Holzer P. Neurogastroenterologie: Darm und Gehirn im Fokus. Neuro 2016;2:12-214, www.medmedia.at/neurologisch-ausg/
Lacy BE, Patel NK. Rome criteria and a diagnostic approach to irritable bowel syndrome. J Clin Med 2017;6:99-106, doi:10.3390/jcm6110099
Ökotest: Carmenthin und Buscopan „sehr gut“ bei Reizdarm. DAZ.online vom 28. September 2018, www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2018/09/28/carmenthin-und-buscopan-sehr-gut-bei-reizdarm
Peters SL et al. Review article: gut-directed hypnotherapy in the management of irritable bowel syndrome and inflammatory bowel disease. Aliment Pharmacol Ther 2015;41:1104-1115
NN. Poo bacteria reveal bowel disease. 20. Dezember 2018, www.rug.nl/news/2018/12/poo-bacteria-reveal-bowel-disease, Pressemitteilung der Universität Groningen
Reizdarmsyndrom: Definition, Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie. Gemeinsame S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) und der Deutschen Gesellschaft für Neurogastroenterologie und Motilität (DGNM), AWMF-Registriernummer: 021/016, Published online 1. Februar 2011, Z Gastroenterol 2011;49:237-293 (Gültigkeit abgelaufen)
Schmitteckert S et al. Genetik der Darm-Hirn-Achse am Beispiel des Reizdarmsyndroms. Neuro 2016;2:16-21, www.medmedia.at/neurologisch-ausg/
Waggershauser CH, Storr M. Aktuelle Behandlung des Reizdarmsyndroms. Neuro 2016;2:30-34, www.medmedia.at/neurologisch-ausg/
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