Interpharm 2019 – Innovationen

„Mit dem Tumor leben und nicht an ihm sterben“

Checkpoint-Inhibitoren revolutionieren die Krebstherapie

rr | Lange Zeit bestand die Strategie gegen Krebs darin, den Tumor mit zytotoxisch wirkenden Arzneimitteln zu beschießen. Die Immun­therapie verfolgt einen anderen Ansatz: Man versucht, den Tumor mit den „hauseigenen“ Waffen des Immunsystems in Schach zu halten. Checkpoint-Inhibitoren helfen dabei, den Tumor aus seiner Deckung zu locken – wie genau erklärte Prof. Dr. Stefan Laufer von der Universität Tübingen.

Pro Tag entstehen je nach Alter und Lebensweise 100 bis 10.000 Tumorzellen im Körper – eine ungeheure Zahl. Doch Laufer beruhigte: Diese Tumorzellen sind immunogen und damit für das Immunsystem sichtbar. Im Normalfall werden zytotoxische T-Zellen aktiviert, die die Tumorzellen eliminieren, sonst wäre der Mensch gar nicht lebensfähig. Doch leider können sich Tumore auch tarnen und wachsen, bis sie zu groß sind für die Aufräumarbeiten des Immunsystems. Möglich wird dies beispielsweise durch die Hochregulierung von PD-L1, einem Liganden der Tumorzelle, der zum PD-1-Rezeptor (programmed cell death protein 1) auf der Oberfläche von T-Zellen passt. Dabei handelt es sich um einen inhibitorischen Signalweg, der wichtig ist zur Aufrechterhaltung der Immunhomöostase und von Tumoren zweckentfremdet wird. Durch die Bindung erkennt die T-Zelle zwar die Tumorzelle, wird aber in der Einleitung des programmierten Zelltods gehemmt.

Antikörper gegen PD-1 oder PD-L1, die sogenannten Checkpoint-Inhibitoren, lösen die Bremsen des Immunsystems, sodass die Tumorzellen wieder angreifbar werden. Diese Entdeckung wurde 2018 mit dem Nobelpreis der Medizin gewürdigt.

Foto: DAZ/Matthias Balk
Prof. Dr. Stefan Laufer „Checkpoint-Inhibitoren sind DER Innovationsschub der letzten beiden Jahre!“ 

Erfolge!

Mehrere Checkpoint-Inhibitoren haben es bereits zur EU-Zulassung geschafft. Einer der ersten war Nivolumab, ein voll humaner IgG4 monoklonaler Antikörper gegen PD-1, der nach einer Chemotherapie zur Behandlung von nicht-kleinzelligem Bronchialkarzinom (NSCLC), malignem Melanom und Nierenzellkarzinom zum Einsatz kommen kann. Beispiele für Antikörper gegen den Liganden PD-L1 sind Avelumab (Merkzellkarzinom, Magenkarzinom) und Atezolizumab (FDA-Zulassung bei NSCLC und Urothelkarzinom), ein weiterer – Durvalumab – hat bereits eine Zulassungsempfehlung von der EMA bekommen. Die Rationale dafür, dass PD-L1 wohl den besseren Angriffspunkt bietet als PD-1, basiert im Wesentlichen auf präklinischen Daten. Die Pipeline ist jedenfalls voll.

Intensiv untersucht wird die Kombination von Checkpoint-Inhibitoren mit Chemotherapie, Strahlung und Kinase-Inhibitoren, aber auch untereinander. Es zeigt sich, dass die Immun­therapie allein niedrige aber anhaltende Ansprechraten bedingt, die Target-Therapie dagegen hohe Ansprechraten von kurzer Dauer. Mit einer Kombination erhofft man sich, beide Vorteile zu gewinnen.

Der wichtigste Trend betrifft die Untersuchung in der Firstline-Therapie und die Erschließung neuer Indikationen. Hoffnungen hegt man in puncto Lungenkrebs, der 20% aller Krebs-Todesfälle ausmacht. Die Kombination von Pembrolizumab mit Cisplatin und Pemetrexed ging in Studien mit einer Ansprechrate von fast 50% und einem doppelt so hohen Ein-Jahres-Überleben einher im Vergleich zu einer Chemotherapie allein.

Und Probleme …

Checkpoint-Inhibitoren sind generell besser verträglich als Chemotherapeutika, aber sicher nicht harmlos. Die Immunstimulation ist unspezifisch und kann daher im ganzen Körper unerwünschte Wirkungen hervorrufen. Schwere Autoimmunreaktionen sind allerdings selten und mit Steroiden gut beherrschbar.

Das größere Problem: Nur jeder Fünfte von ihnen spricht auf eine Therapie mit Checkpoint-Inhibitoren an. Bei Therapiekosten von 100.000 bis 250.000 Euro pro Jahr ist eine Vorauswahl geeigneter Kandidaten zwingend notwendig. Die Suche nach prognostischen Biomarkern stellt nach wie vor die größte Herausforderung dar. PD-L1 allein ist wohl zu kurz gegriffen, da dieser Ligand sowohl von Tumorzellen als auch tumorinfiltrierenden Immunzellen exprimiert wird. Die Therapie schlägt bei PD-L1-Überexpression besonders gut an, doch das heißt derzeit nicht, dass alle anderen Patienten nicht behandelt werden sollten.

Ein weiteres Problem betrifft die Forschung selbst. Die Industrie konzen­triert sich fast ausschließlich auf die PD-1/PD-L1-Inhibition und vernachlässigt die mindestens 50 weiteren Wege, wie eine T-Zelle ausgebremst werden könnte. Lediglich Ipilimumab richtet sich gegen das Protein CTLA-4 (Cytotoxic T-lymphocyte Antigen-4). Laufer kritisierte zudem die hohen Kosten, die eine klinische Weiter­entwicklung behindern könnten, und das, obwohl die Industrie keine wesentlichen Beiträge geleistet hat, sondern durchweg alle neuen Ansätze aus der universitären Grundlagen­forschung stammen – oft öffentlich gefördert. |

Foto: DAZ/Matthias Balk

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