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Interpharm 2019 - Polypharmazie im Alter
Vorsicht Stolperfalle!
Diese Arzneimittel können älteren Patienten ein Bein stellen
Stürze sind die Hauptursache für Verletzungen im Alter. Schuld hat man in der Regel selbst, so die gängige Meinung. Natürlich hätte das Sturzrisiko im Eingangsbeispiel mit Brille und Licht vermindert werden können. Die Ursachenforschung sollte jedoch tiefer gehen: Liegt eine Erkrankung vor, die mit motorischen und neurologischen Beeinträchtigungen einhergeht (z. B. Morbus Parkinson, Herzrhythmusstörungen)? Warum besteht ein nächtlicher Harndrang? Nimmt der Patient womöglich ein Diuretikum am Abend ein, vielleicht versteckt in einer Fixkombination?
FRIDs, breit und bunt
Die Palette von sturzfördernden Arzneistoffen (engl. Fall Risk-Increasing Drugs, FRIDs) ist breit und bunt. Grundsätzlich verdächtig sind sedierende, anticholinerg wirkende, muskelrelaxierende und Orthostase-auslösende Vertreter. Apothekerin Dr. Verena Stahl, bekannt für ihre Beiträge zum Thema Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS), stellte auf der Interpharm einige Klassiker vor.
Sedativa. Sedativa steigern naturgemäß das Sturzrisiko, vor allem zu Therapiebeginn. Bei Benzodiazepinen ist die Leberkapazität entscheidend: Aufgrund des beeinträchtigten oxidativen Abbaus ist die Halbwertszeit von Diazepam bei einem 80-Jährigen zwei- bis dreimal länger als bei einem 20-Jährigen. Im Gegensatz zu nicht oxidativ metabolisierten Benzodiazepinen (z. B. Lorazepam, Oxazepam, Temazepam) steigt das Frakturrisiko unter Diazepam ebenso wie unter anderen oxidativ metabolisierten Vertretern (z. B. Alprazolam, Flurazepam) mit zunehmendem Alter.
Die Einnahme von Benzodiazepinen darf nicht auf vollen Magen erfolgen, da sonst mit verzögertem Wirkungseintritt und abhängig von der Schlafdauer mit einem Hangover-Effekt am nächsten Morgen gerechnet werden muss. Auch kurzwirksame Benzodiazepine sind keine Lösung, da auch sie in hohen Dosierungen das Sturzrisiko erhöhen.
Antidepressiva. Die Europäische Gesellschaft für geriatrische Medizin (EuGMS) beobachtete im Rahmen einer Metaanalyse, dass selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) mit einem höheren Sturzrisiko einhergehen als trizyklische Antidepressiva [Seppala LJ et al. Fall-Risk-Increasing Drugs: A Systematic Review and Meta-Analysis: II. Psychotropics. J Am Med Dir Assoc. 2018 Apr;19(4):371.e11-371.e17.]. Vermutlich liegt der Unterschied aber im Verschreibungsverhalten: Ältere Patienten bekommen häufiger SSRI verordnet, da man die anticholinergen Nebenwirkungen der Trizyklika umgehen möchte. Es ist noch zu klären, ob die Sturzgefahr nur in der Einleitungsphase und bei Dosisänderungen erhöht ist oder auch beim stabilen chronischen Gebrauch.
Alpha-Blocker. Alpha-Adrenozeptor-Antagonisten kommen unter anderem in der Behandlung der benignen Prostatahyperplasie zum Einsatz. Gefürchtet ist die orthostatische Hypotension, bei der der systolische Blutdruck schlagartig um mehr als 20 mmHg abfallen kann. Das Risiko ist unter unselektiven Alpha-Blockern wie Doxazosin und Terazosin am höchsten, besteht aber trotz Selektivität für den Alpha-1a-Rezeptor auch unter Tamsulosin. Alpha-Blocker sollen zu oder unmittelbar nach einer Mahlzeit eingenommen werden, um das Hypotonie-Risiko zu mildern.
Antihypertensiva. Im Alter sollten die Blutdruckziele nicht mehr ganz so streng verfolgt und die Medikation in regelmäßigen Abständen überprüft werden. Wie wichtig das ist, bewies Stahl anhand eines Patientenfalls. Aufgrund von Ödemen wurde bei einer älteren Frau die Behandlung mit Diuretika aufgestockt: statt Furosemid 40 mg 1–1/2–0 nun Furosemid 40 mg 1–1–0 plus Xipamid 20 mg 1–0–0. Die Schwellung der Beine ging innerhalb weniger Tage zurück, die Patientin verlor schlagartig an Gewicht. Drei Wochen später stürzte sie schwer. Es wurde vergessen, die Diuretika-Therapie wieder zurückzufahren. Der Sturz war eine Folge von Hypovolämie und Hypotonie. Die sequenzielle Nephronblockade durch Schleifendiuretikum plus Thiazid-Diuretikum führte zudem zu starken Kalium- und Magnesium-Verlusten. Richtig wäre gewesen, Blutdruck und Elektrolytwerte nach Therapiebeginn engmaschig zu kontrollieren und die Zusatzmedikamente nach Rückgang der Ödeme wieder abzusetzen.
Die Liste nimmt kein Ende
Neben den genannten Arzneistoffen gibt es noch viele weitere medikamentöse Stolperfallen. Bei einigen kommt das Sturzrisiko wenig überraschend (Opioide, Antihistaminika der ersten Generation, Antidiabetika), andere, wie Sildenafil und Co., sind erst auf den zweiten Blick verdächtig. Die EuGMS ist dabei, eine Liste mit FRIDs zu erstellen. Aber auch die Beers- und STOPP-Kriterien sowie die Priscus-, EU(7)-PIM- und Forta-Liste bieten gute Orientierungshilfe. Und schließlich kann jeder selbst etwas tun, um das Risiko zu minimieren: Unordnung vermeiden, Haltegriffe montieren, für gute Lichtverhältnisse sorgen, geeignetes Schuhwerk wählen und in rutschsichere Teppiche oder Gummimatten investieren. |
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