Interpharm 2019 – Was Frauen bewegt

Risikofrei oder zuverlässig verhüten?

Für jede Frau das passende Kontrazeptivum finden

sl | Orale Kontrazeptiva werden immer noch häufig zur Empfängnisverhütung eingesetzt. Verhütungsmethoden wie Zyklusapps überschwemmen allerdings derzeit den Markt. Die Skepsis gegenüber Ersteren wird wegen Nebenwirkungen größer, aber sind Letztere wirklich eine zuverlässige Alternative?

Rund ein Drittel der 20 Millionen Frauen im reproduktionsfähigen Alter in Deutschland nehmen orale Kontrazeptiva. Bei den 16- bis 20-Jährigen sind es je nach Bundesland 50 bis 70%. Kann man da von Pillenmüdigkeit sprechen? Prof. Dr. Martina Düfervon der Universität Münster erläuterte, welche Sicherheitsaspekte bei den oralen Kontrazeptiva eine besondere Rolle spielen und wie sich die verschiedenen Produkte unterscheiden, denn die Zusammensetzung und Dosierung entscheiden nicht nur über die Schutzwirkung, sondern auch über die Nebenwirkungen.

Mehr als dreißig Firmen in Deutschland vertreiben orale Kontrazeptiva: Mono- und Kombinationspräparate in verschiedenen Dosierungen als Ein- oder Mehrphasenpräparate mit dem Ziel, den Eisprung zu verhindern, aber gleichzeitig möglichst wenig in den natürlichen Hormonhaushalt einzugreifen. Daneben existieren diverse nicht oral anzuwendende Hormonpräparate (Vaginalring, TTS, Dreimonatsspritze, Spirale, Implantate). Häufig in der Laienpresse aufgetaucht als mög­liche Risiken sind Thromboembolien, Krebserkrankungen und psychische Veränderungen. Schlagzeilen wie „Selbstmord durch Pille“ sind da wenig hilfreich. Sie schüren Ängste und sind unverhältnismäßig in der Darstellung der Gefahr.

Psychische Veränderungen

Statistisch betrachtet ist die Zahl der versuchten Selbsttötungen unter hormonellen Kontrazeptiva tatsächlich signifikant erhöht – das konnte anhand großer Datenmengen gezeigt werden. Je nach Alter ist das Risiko um 60 % höher bis verdoppelt. Am ehesten betroffen sind junge Erstanwenderinnen, mit dem Alter und der Einnahmedauer nimmt der Trend wieder ab. Bei oralen Kombinationsprä­paraten ist der Effekt weniger ausgeprägt als bei reinen Gestagenpillen oder nicht-oralen Darreichungsformen.

Foto: DAZ/Matthias Balk
Prof. Dr. Martina Düfer: „Die Gesamtbilanz der Pille ist als neutral zu bewerten.“

Auch die Manifestation einer Depression durch Kontrazeptiva wird dis­kutiert, weil unter Einnahme die Zahl der Erstverordnungen steigt (2,2 vs. 1,7 pro 100 Patientenjahre).

Auf den ersten Blick klingen diese Raten dramatisch, aber absolut betrachtet sind die Zahlen sehr klein, und die Herausforderung liegt eher darin, die wenigen Patientinnen herauszufiltern, die aufgrund depressiver Vorerkrankungen lieber auf eine Pilleneinnahme verzichten sollten. Gleichzeitig sollte bei Neuanwenderinnen darauf hingewiesen werden, dass sie Stimmungsveränderungen mit ihrem Arzt be­sprechen sollten.

Risiko einer Thromboembolie

Die erhöhte Thromboseneigung und die damit verbundene Gefahr für kardiovaskuläre Ereignisse unter oralen Kontrazeptiva lassen sich dadurch erklären, dass Estrogene und Gestagene Gerinnungsfaktoren aktivieren und gleichzeitig entsprechende Gegen­spieler hemmen. Dieser Effekt ist aber nicht bei allen Wirkstoffen gleichermaßen ausgeprägt.

2013 forderte das BfArM daher eine Einteilung in verschiedene Risikoklassen anhand der enthaltenen Gestagene. Besonders günstig ist Levonor­gestrel (Klasse 1), eher schlecht sind beispielsweise Desogestrel oder Drospirenon (Klasse 3). Seit Ende 2018 wird das Risiko für Dienogest ähnlich wie das von Drospirenon eingeschätzt.

Zu vielen neueren Präparaten sind nicht genug Daten verfügbar, um sie in eine der drei Gruppen einzusortieren.

Insgesamt treten Thromboembolien selten auf, aber in allen Gruppen öfter als bei Nichtanwenderinnen (je nach Gruppe fünf bis zwölf Betroffene pro 10.000 Anwenderinnen gegenüber zwei von 10.000 Nichtanwenderinnen).

Tatsächlich hat sich das Verordnungsverhalten verändert: Die als ungünstig eingestuften Präparate wurden seltener verschrieben, dafür erhöhte sich der Anteil an bisher nicht klassifizierten sprich Präparaten mit ungeklärtem Risiko. Ob also dadurch wirklich etwas gewonnen wurde, ist nicht klar.

Ganz auf die Einnahme hormoneller Kontrazeptiva verzichten sollten möglichst alle, die bereits Thrombosen hatten, Diabetikerinnen mit Gefäßschäden, Frauen mit schwerer Hypertonie (160/100 mmHg) wegen wahrscheinlich deshalb bestehender Gefäßschäden, Migränepatientinnen mit neurologischen Symptomen und starke Raucherinnen über 35 Jahren. Bei Patientinnen mit bestimmten Risikofaktoren (z. B. Diabetes, Übergewicht, chronisch-entzündliche Darmerkrankungen) heißt es abwägen, ob Nutzen oder Risiko überwiegt. Am ehesten sollte als Gestagen Levonorgestrel eingesetzt werden.

Krebserkrankungen

Fördert die Pille Krebserkrankungen? Ganz klar ja. Und nein. Statistisch betrachtet ist das Gesamtrisiko, an Krebs zu erkranken, nicht höher als bei Nichteinnahme. Allerdings setzt es sich anders zusammen: Für Brust- und Gebärmutterhalskrebs ist auch zehn Jahre nach Absetzen der Pille das Risiko immer noch erhöht, hinsichtlich Ovarial- und Endometriumkarzinomen haben die Kontrazeptiva protektive Eigenschaften. Auch für Darm- und Leberkrebs werden Effekte diskutiert, eindeutig belegt sind sie jedoch nicht. Erklärbar ist das erhöhte Risiko durch den proliferationsreizenden Effekt der Estrogene. Dieser Prozess ist physiologisch, hat aber per se cancerogenes Potenzial.

Anders als bei psychischen Erkrankungen sind die reinen Gestagen-Präparate den Kombinationen hinsichtlich des Krebs- und auch des Thrombo­embolierisikos überlegen.

Für junge Frauen ohne Risiko ist die Einnahme der Pille unbedenklich. Bei Brust- oder Gebärmutterhalskrebs ist sie jedoch absolut tabu. Eine Umstellung auf reine Gestagen-Präparate oder andere Verhütungsmethoden kann beispielsweise bei auffälligen Pap-Abstrichen oder auch auf Patientenwunsch erfolgen.

Alternativ verhüten

Galt die Pille nach ihrer Einführung in den 60er-Jahren noch als große Errungenschaft, mit der Frauen endlich selbstbestimmt verhüten konnten, werden kritische Stimmen in letzter Zeit mehr und lauter. Die Nachfrage nach alternativen Methoden steigt ebenso wie die Zahl der Skeptikerinnen, die viel über etwaige Nebenwirkungen der hormonellen Kontrazeptiva in der Presse lesen konnten und danach die Verträglichkeit hinterfragten.

Wenn frau nun aber nach Abwägung aller Nutzen und Risiken keine hormonelle Verhütung anwenden will, hat sie dann mit Zyklusapps und -computern vernünftige Alternativen an der Hand? Sehr eingeschränkt – so Dr. Petra Frank-Hermann vom Universitätsklinikum Heidelberg.

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Dr. Petra Frank-Hermann: „Nicht vertrauenswürdig sind alle Angebote, die mit Vorhersagen arbeiten.“

Bei allen Methoden geht es darum, die fruchtbaren Tage – das sogenannte fertile Fenster – zu bestimmen, die bis zu sechs Tagen dauern können. Die vertriebenen Programme lassen sich in drei Kategorien einordnen:

  • Vorhersageapps/-computer
  • Methoden der natürlichen Familienplanung (NFP), die die fruchtbare Zeit im laufenden Zyklus messen und bestimmen
  • Methoden, die andere, häufig experimentelle Parameter (z. B. Hormonmessungen) verwenden

Absolut nicht vertrauenswürdig sind alle Angebote, die mit Vorhersagen arbeiten. Der Tag des Eisprungs kann bei einer Frau von Zyklus zu Zyklus so stark schwanken, dass eine zuverlässige Vorhersage der fruchtbaren Tage unmöglich ist. Bei mehr als der Hälfte der Frauen verändert sich die Zykluslänge regelmäßig um mehr als acht Tage.

Obwohl keine Studie für eine Prog­nose-App nachweisen konnte, dass sie funktioniert, hat die FDA in den USA ein solches Programm zugelassen. Auch der TÜV hat einige Produkte zertifiziert. Dafür werden allerdings keine Wirksamkeitsnachweise gefordert, sondern lediglich Herstelleran­gaben hinzugezogen. Grundsätzlich sollte man daher alle Produkte, die behaupten, den Eisprung vorhersagen zu können, wegen mangelnder Zuverlässigkeit nicht empfehlen.

Relativ sicher verhüten kann man dagegen mit evidenzbasierten Varianten der symptothermalen Methode (z. B. nach Sensiplan: Beobachtung der Basaltemperatur und der Veränderung des Zervikalschleims, sogenannte Double-Check-Methoden), bei denen die fruchtbaren Tage aus dem aktuellen Zyklus bestimmt werden. Diese erfordern jedoch Disziplin bei der Beobachtung des eigenen Körpers. Eine weitere Voraussetzung sind ausreichend sensitive Thermometer mit Angabe der Temperatur auf zwei Nachkommastellen und verlängerten Messzeiten. Mittlerweile besteht auch die Möglichkeit, mit Vaginalchips kontinuierliche Messungen über Nacht durchzuführen. Entscheidend ist, dass sich zwei Messungen quasi gegenseitig kontrollieren (double Check).

Neu ist dieses NFP-Verfahren nicht – früher wurden die Daten auf Papier in Kalendern ausgewertet, heute wird diese Aufgabe von Computern bzw. Apps übernommen.

Bisher ebenfalls nicht nutzbar sind neue Entwicklungen wie Zyklusarmbänder, die die nächtliche Pulsrate oder periphere Körpertemperatur erfassen. Auch Versuche zur CO2-Messung in der Atemluft oder Widerstandsmessungen im Speichel oder Vaginalsekret waren wenig vielversprechend.

Die seit Längerem vertriebenen Zykluscomputer wie Persona, die Hormonspiegel im Urin erfassen, eignen sich nicht, wenn eine zuverlässige Ver­hütungsmethode gesucht ist (etwa 6 von 100 Frauen werden im ersten Jahr ungewollt schwanger). Besser geeignet sind sie daher bei Kinderwunsch.

Immer noch gesucht (aber leider immer noch nicht gefunden) werden einfach zu messende Parameter, die die fruchtbaren Tage präzise anzeigen.

Verhüten, aber wie?

Insgesamt sind orale Kontrazeptiva eine sichere Verhütungsmethode – sowohl hinsichtlich der Zuverlässigkeit als auch der Verträglichkeit, wenn man das individuelle Risiko für Nebenwirkungen berücksichtigt und entsprechend geeignete Präparate auswählt oder eben im Einzelfall auch mal von der Einnahme ganz abrät.

Es wird jedoch immer Frauen geben, die keine Hormone nehmen können oder wollen. Für diese können bestimmte NFP-Methoden auch für die Verhütung infrage kommen – Ver­hütung auf Knopfdruck funktioniert jedoch nicht, und um alle Apps, die Ähnliches versprechen, sollte frau einen großen Bogen machen. |

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