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Reportage
In einer Kaffeepause
Ibuprofen plus Coffein – wie das neue Kombi-Analgetikum entstand
Ein bisschen Zufall, eine große Portion Hartnäckigkeit, viel Arbeit und die Überzeugung, etwas zu schaffen, das entscheidende Vorteile für Patienten bringen kann – so lässt sich in etwa die Mischung beschreiben, die hinter der Entwicklung des neuen OTC-Schmerzmittels steckt.
Der Mann, der maßgeblich am Zustandekommen des neuen Präparats beteiligt war, ist Dr. Thomas Weiser. Er arbeitete beim Pharmaunternehmen Boehringer Ingelheim in Ingelheim und Biberach, dem Standort für Forschung, Entwicklung, Medizin und Biotechnologie des Unternehmens, zunächst in der Schmerzforschung.
Später wechselte er in die Abteilung Medical Affairs, also in die Abteilung, die sich um die medizinisch-wissenschaftliche Betreuung von Arzneimitteln kümmert – „das war ein Sprung von der Entstehung eines Arzneimittels hin zum fertigen Produkt und seine Markteinführung“, beschreibt es Weiser, der heute beim Pharmaunternehmen Sanofi arbeitet, dem Unternehmen, das mit dem Jahreswechsel 2016/2017 die OTC-Sparte von Boehringer übernahm.
Weisers Gedanken waren immer wieder um die Überlegung gekreist, ob und wie man heute noch etwas Innovatives im Analgetika-Markt entwickeln könnte. Der Abteilungswechsel sollte für ihn nicht zum Nachteil sein, denn so überblickte er einen großen Bereich der Arzneimittelentwicklung bis hin zur Anwendung am Patienten. „Das kam mir bei der Suche nach etwas Innovativem sehr zugute“, fügt Weiser hinzu.
Ibu und Coffein – das müsste man mal versuchen ...
2005 erscheint die Thomapyrin-Studie von Professor Diener, die zeigt, dass das Kombinationsanalgetikum einen schnelleren Wirkungseintritt aufweist als die Monosubstanzen alleine. Weiser: „Ich habe mich tief in die Daten dieser Studie eingearbeitet, auch in das Gebiet Coffein als Bestandteil von Analgetika, und mich mit den Analgetika-Daten befasst. Das war spannend und aufregend und ging mir nicht aus dem Kopf.“ Hinzu kam: Beim Blick auf den Schmerzmittelmarkt konnte man bereits einen Trend in Richtung Ibuprofen erkennen. „Als ich mich damals in einer Kaffeepause mit Kolleginnen und Kollegen über diese Entwicklung unterhielt“, erinnert sich Weiser, „kam mir die Idee: Warum nicht Ibuprofen mit Coffein in einem Schmerzmittel kombinieren? Das müsste man doch mal versuchen! Oder sollte es das vielleicht schon geben? Und wenn nicht, sollte es Gründe geben, warum dies noch nicht auf dem Markt ist?“
Er durchforstete die einschlägigen Datenbanken. Zu seiner großen Überraschung gab es zu diesem Thema nichts bis wenig in der Literatur. Das Ergebnis seiner Recherche: Die Idee, eine 400 mg Ibuprofen mit einer klinisch belegten sinnvollen Coffein-Dosis von 100 mg zu kombinieren, hatte noch kein Pharmaunternehmen aufgegriffen. Das beflügelte 2007 seine Idee: „Wie wäre es denn, wenn wir das mal in Angriff nehmen?“ Doch bei genauerer Betrachtung musste Weiser schon bald feststellen: „Das ist ein richtig dickes Brett, das wir da bohren wollen: Ibuprofen plus Coffein als fixe Kombination, als Analgetikum für die Selbstmedikation – was sagt da eigentlich unsere Zulassungsbehörde dazu, das BfArM (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte)? Könnte sich das Amt vorstellen, eine solche Kombination für den Markt zugänglich zu machen?“
Das Amt konnte. „Zu unserer großen Freude machte das BfArM klare Angaben, welche Daten für eine solche Arzneimittelentwicklung nötig wären“, berichtet Weiser. So lag es auf der Hand, dass man an klinischen Daten nicht vorbeikommt. Die Zulassungsbehörde ließ wissen: Wenn man zeigen könne, dass die Kombination aus Ibuprofen und Coffein in einer OTC-relevanten Indikation wirksamer als Ibuprofen, sicher und verträglich sei, könne man es mittragen, ein solches Arzneimittel rezeptfrei verfügbar zu machen. „Da kam Freude bei unserem Unternehmen auf, aber es zeigte sich sehr schnell, dass ein großer Berg an Arbeit vor uns lag“, so Weiser. „Wir mussten feststellen: Es geht leider nicht so viel schneller, wenn man sich die präklinische Arbeit bei der Arzneimittelentwicklung sparen kann. Trotz bekannter Wirkstoffe waren klinische Studien erforderlich, es mussten Fragen beantworten werden, die sich für relevante OTC-Indikationen ergaben. Denn es war und ist ein vollkommen neues Arzneimittel, das es in dieser Form noch nicht gegeben hat“, macht Weiser deutlich und zeigt Verständnis für die behördlichen Anforderungen. Die Vorstellung von Laien, dass die Einnahme von Ibuprofen mit zwei, drei Tassen Kaffee ähnliche Effekte bewirken könne, kann für die Behörde natürlich kein Argument sein: Wenn die Behörde die Zulassung eines solchen Arzneimittels befürwortet, dann muss sie sich ganz sicher sein, dass es wirksam, sicher und verträglich ist.
Und wie sieht es mit dem Argument aus, dass es doch schon seit einigen Jahren Ibuprofen-Präparate in der Selbstmedikation und schon sehr lange Analgetika-Kombis mit Coffein gibt – kann man da nicht davon ausgehen, dass solche Entscheidungen und Prozesse zumindest erleichtert werden? „Ja, das sind mit Sicherheit wichtige Aspekte in diesem Geschehen“, meint Weiser, „aber uns war klar, dass das Gebiet der Analgetika allgemein, aber auch der Kombi-Analgetika in Deutschland ein schwieriges Umfeld hat. Ich erinnere an die Diskussionen zur Gefährlichkeit von Paracetamol und um eine mögliche Rückführung dieses Arzneistoffs in die Verschreibungspflicht.
Andererseits zeigen statistische Daten zur Verwendungshäufigkeit von Analgetika, dass in Deutschland vergleichsweise weniger Analgetika angewendet werden als in vielen anderen Ländern, mit sinkenden Anteilen von OTC und steigenden Anteilen von Rx. Aber solche Argumente zählen nicht viel. Zudem ist die Wahrnehmung eine andere: Die Deutschen nehmen Schmerzmittel ein wie Drops, so ein oft gelesenes, aber nicht durch Daten gestütztes Zitat. Und noch immer gibt es Vorbehalte gegen Coffein in Kombination mit Analgetika – da verändert sich die Einschätzung leider nur sehr langsam, obwohl bereits ausreichend wissenschaftliche Daten zu den Vorteilen vorliegen.“ Letztendlich: „Auch wenn wir davon überzeugt waren, dass unsere Idee die beste der Welt ist“, scherzt Weiser, „war der Perspektivwechsel immer hilfreich, sich in die Fragen und Anforderungen der Behörde hineinzudenken. Sie konfrontierte uns immer wieder mit vollkommen neuen Aspekten.“ Dabei stellt Weiser ausdrücklich fest: „Die Zusammenarbeit mit der Zulassungsbehörde war ausgesprochen angenehm.“
Dr. Thomas Weiser betrieb über zwölf Jahre ein pharmakologisches Labor in der ZNS-Forschung bei Boehringer Ingelheim, wo er Programme zur Erforschung und Entwicklung von Analgetika zur Behandlung neuropathischer Schmerzen leitete. Dem Thema „Schmerz“ blieb er auch in der Abteilung „Medical Affairs“ treu, in die er 2007 wechselte: Hier betreut er (ab 2017 bei Sanofi) systemische und topische OTC-Schmerzpräparate.
Viel Arbeit: klinische Studien
„Wir haben eine klinische Studie gemacht, um zu zeigen, welche Effekte Coffein konkret hat“, berichtet Weiser, „es war nämlich immer noch nicht geklärt, ob und wie Coffein dazu beiträgt, dass der analgetische Wirkstoff schneller resorbiert wird oder ob Coffein selbst eine analgetische Wirkkomponente beisteuert. In unserer Wirksamkeitsstudie zeigte sich ein pharmakodynamischer Vorteil. Dann haben wir eine Kinetikstudie gemacht, um zu schauen, wo genau die Vorteile liegen, die wir in der Wirksamkeitsstudie gesehen haben. Und dann klärten wir in einer weiteren Studie die Frage: Hat unsere Kombination bezüglich der Kinetik einen Vor- oder Nachteil oder eine Gleichwertigkeit zu einem Lysinat.“ Weiser: „Wir wären schon zufrieden gewesen, wenn wir keinen Unterschied zwischen dem Ibu-Lysinat und unserer Kombination festgestellt hätten. Aber zu unserer großen Überraschung zeigte unsere Studie, dass Ibuprofen aus unserem Präparat schneller anflutet als ein Ibu-Lysinat, die Cmax war höher und die tmax kürzer als beim Lysinat.“ Die Studien zeigten, dass man mit der neuen Kombi die höchsten Plasmaspiegel etwa 20 Minuten früher erreicht als es die Lysinat-Verbindung schafft.
Das neue Kombi-Analgetikum wurde auch im Schmerzmodell getestet, das man heute für Akutschmerzen einsetzt, nämlich nach dem Ziehen von Weisheitszähnen. Die Versuchsreihe zeigte: Setzt man den Effekt von Ibuprofen als Monosubstanz auf 100 Prozent, liegt man mit der Kombination um 40 Prozent besser – „das ist erheblich besser“, so Weiser, „und dies auch bei einem deutlich schnelleren Wirkungseintritt.“ In die Fachinformation konnte aufgenommen werden, dass die Schmerzen rund 55 Minuten schneller gelindert werden. Weiser: „Man kann sagen, dass die Kombi also etwa doppelt so schnell wirkt wie Ibuprofen alleine. Auch die Responderrate liegt höher, mit Ibuprofen Mono bei 50 Prozent, in der Kombination mit Coffein bei 70 Prozent – das ist viel.“ Auch placebokontrollierte Studien zeigten: Die Kombination mit Coffein erwies sich immer überlegen, die Patienten nahmen aufgrund der guten Wirkung sogar weniger ein, um einen schmerzstillenden Effekt zu erzielen. „Einige Kritiker meinen bekanntlich, dass die Coffein-haltigen Kombis zur Mehreinnahme verleiten. Das Gegenteil ist der Fall“, stellt Weiser heraus. Und er schwärmt: „Das waren lauter Perlen, die wir gefunden hatten, das ging mir zu Herzen. Ich bin noch heute über diese guten Daten begeistert. Wir stehen mit einem Korb voll positiver Ergebnisse da, mit denen wir in dieser Deutlichkeit nicht gerechnet haben.“ Ich bin glücklich, dass unser Unternehmen diese Idee aufgegriffen und durchgezogen hat.“
Die Geheimnisse des Coffeins
Aber worin liegt nun eigentlich der Vorteil von Coffein genau? Warum zeigt die Kombination eines Analgetikums mit Coffein letztlich eine bessere Wirkung? Kennt man die physiologischen Zusammenhänge? Weiser: „Noch nicht bis ins letzte Detail, im Moment fokussiert man sich auf die Annahme, dass Coffein als Antagonist von Adenosinrezeptoren fungiert. Man weiß von spezifischen Adenosinrezeptor-Antagonisten, dass sie analgetische Effekte haben. Das könnte eine Erklärung oder zumindest ein Ansatz für eine Erklärung sein, warum Coffein mit Analgetika so gut wirkt bzw. eine verstärkende Wirkung zeigt.“
Was ebenfalls interessant ist: Ibuprofen zeigt einen sogenannten Ceiling-Effekt, das bedeutet, dass ab einer bestimmten Dosis keine stärkere Wirkung zu erzielen ist, selbst wenn man die Dosis erhöht. Bei akuten Schmerzen haben daher 600 oder 800 mg Ibuprofen keine bessere Wirkung als 400 mg. Mit Coffein lässt sich dieser Effekt allerdings durchbrechen. Man erreicht mit einer 400 mg Dosierung Ibuprofen in Kombination mit Coffein eine analgetische Wirkung, die über der von 600 oder 800 mg Einzeldosis liegt, ohne dass höhere Plasmaspiegel von Ibu erzeugt werden. Das bedeutet, dass man mit dem Kombipräparat analgetischen Wirkstoff spart.
Die erste Hürde war die Zulassung als Rx
Immerhin, die Zulassungsbehörde sah die eingereichten Daten als ausreichend an, auch die Überlegungen zu möglichen Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln und vieles mehr. Weiser: „Es erfüllte uns mit Stolz, dass wir alle Bedenken ausräumen konnten. Es war ein großer Moment für uns, als wir Ende 2016 die Zulassung in den Händen hielten – vergleichbar mit dem Gefühl nach einer großen Prüfung im Studium: Wir haben es geschafft.“ Aber es war natürlich erst einmal die Zulassung als verschreibungspflichtiges Arzneimittel. Denn Ibuprofen in Kombination mit anderen Wirkstoffen ist in der Arzneimittelverschreibungsverordnung per se als verschreibungspflichtiges Arzneimittel aufgenommen mit entsprechenden Ausnahmen. Eine Ausnahme für die Kombination mit Coffein war nicht vorgesehen, das musste noch geändert werden.
Wäre es eine Option gewesen, das Präparat zunächst als Rx-Arzneimittel auf den Markt zu bringen? „Wenn man sich allein die Daten des Präparats anschaut, auf alle Fälle“, so Weiser, „denn die Kombi wirkt besser als Ibu alleine. Die Wirkverstärkung durch Coffein ist erheblich.
Aber unsere Entscheidung war, das Präparat gleich für die Selbstmedikation auf den Markt zu bringen. Wir hatten von vornherein geplant, ein OTC-Präparat zur Behandlung von leichten bis mäßig starken Schmerzen auf den Markt zu bringen. Als verschreibungspflichtiges Präparat wäre es gefangen in der Verschreibungspflicht, es wäre mit einer typischen OTC-Indikation nicht erstattungsfähig gewesen. Mit den klinischen Daten hätten wir sicher die Ärzte überzeugen können, aber sie hätten das Präparat dem Patienten nur mit dem Hinweis verordnen können, dass er es selbst bezahlen muss.“
Endlich: Die Entlassung aus der Verschreibungspflicht
Für das Unternehmen konnte es folglich nur zielführend sein, das Präparat als nicht verschreibungspflichtiges Arzneimittel auf den Markt zu bringen. Daher musste die Entlassung aus der Verschreibungspflicht beantragt werden. „Im Januar 2017 war die erste Sitzung des Ausschusses – da wurde unserem Antrag nicht stattgegeben“ berichtet Weiser, „es gab Vorbehalte gegen eine Entlassung aus der Verschreibungspflicht. Das gab uns wiederum die Möglichkeit, dezidiert auf diese Vorbehalte einzugehen, um dann in der nächsten Runde dafür gerüstet zu sein und sie auszuräumen.“
Ende Juni 2017 tagte der Ausschuss erneut – und dieses Mal sprach er sich für eine Entlassung aus der Verschreibungspflicht aus: „Auch das war wieder so ein gutes Gefühl, das unsere Arbeit belohnte“, erinnert sich Weiser, „endlich hat es geklappt.“
Jetzt fehlte nur noch die Änderung der Arzneimittelverschreibungsverordnung, ein Akt, dem der Bundesrat zustimmen muss. Die neue Regierungsbildung verzögerte diesen Prozess. Doch am 28.09.2018 war dann endlich alles unter Dach und Fach: Im Bundesgesetzblatt wurde endlich die Änderung der Arzneimittelverschreibungsverordnung veröffentlicht. Die Kombination aus 400 mg Ibuprofen und 100 mg Coffein wurde zum 1. Oktober aus der Verschreibungspflicht entlassen und kann als apothekenpflichtiges Arzneimittel auf den Markt gebracht werden.
Nach der Zulassung
Nun steht das neue OTC-Kombianalgetikum in der Lauer-Taxe mit der Indikation: „Zur Behandlung akuter mäßig starker Schmerzen bei Erwachsenen.“ Bei Präparaten, die Ibuprofen als Monosubstanz beinhalten, lautet die Indikation dagegen: „Zur Behandlung leichter bis mäßig starker Schmerzen.“ Die Behörde möchte damit darauf hinweisen, dass leichtere Schmerzen mit Ibuprofen alleine behandelt werden sollten.
Kommt in Europa ein neues Arzneimittel auf den Markt, hat es automatisch zehn Jahre lang Unterlagenschutz, beim Sanofi-Präparat Ibuprofen mit Coffein zählt dies ab 2016. Das heißt, Mitbewerber dürfen sich nicht auf die Daten von Sanofi berufen, wenn sie ein Generikum auf den Markt bringen wollten. Weiser: „Wir haben auch weitere Patente angemeldet, da wir eine interessante Formulierung gefunden haben. Sind die Patente erteilt, haben wir 20 Jahre Schutz auf diese Erfindungen. Wir sind so also in einer recht komfortablen Situation. Andererseits, wir halten dies angesichts der immensen Risiken, die ein neues Präparat mit sich bringt, auch für gerechtfertigt, dass ein Hersteller einen gewissen Schutz genießt. Denn es hätte auch alles schief gehen können.“ Und Weiser fügt zufrieden hinzu: „Ich habe das Gefühl, an etwas Großem mitgewirkt zu haben.“ |
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