Arzneimittel und Therapie

Fett am falschen Ort

Leptin-Analogon hilft Patienten mit seltenen Lipodystrophie-Erkrankungen

Lipodystrophien sind schwere, unheilbare Erkrankungen, bei denen es zu einem Mangel oder Verlust des Unterhautfettgewebes kommt. Die Folge sind ektopische Fettein­lagerungen mit der Gefahr von Organschäden und metabolischen Komplikationen. Verstärkt werden diese durch den Mangel an Leptin, das im subkutanen Fett gebildet wird. Zur Behandlung der Folgen steht seit Kurzem das Orphan Drug Metreleptin (Myalepta®) als Leptin-Ersatztherapie zur Verfügung.

Die Chance, einen Menschen mit nicht HIV-bedingter, angeborener oder erworbener Lipodystrophie zu treffen, sind gering. Weltweit leiden pro eine Million Menschen nur ungefähr einer bis vier an Lipodystrophie. Der auffällige Habitus der Betroffenen ist ein erster Hinweis: Je nach Subtyp erscheinen die Menschen drahtig und trainiert oder sie fallen durch Fehl­verteilungen von Körperfett auf, mit Fettverlusten an den Extremitäten und lokalen Fetteinlagerungen an Hals und Kinn. Der vielgestaltige Phänotyp der Erkrankung ist ein Grund, weshalb sie im Praxisalltag meist übersehen oder verkannt wird. Sie kann sich beispielsweise hinter Gedeih­störungen oder einer übermäßigen Nahrungsaufnahme (Hyperphagie) bei Kindern, Essstörungen bei Jugend­lichen oder der frühen Entwicklung eines metabolischen Syndroms verstecken.

Foto: Novelion Therapeutics
Die generalisierte Lipodystrophie betrifft den ganzen Körper, das Unterhautfettgewebe fehlt komplett.

Eine Erkrankung, viele Gesichter

Das klinisch sehr heterogene Erscheinungsbild ist unterschiedlichen genetischen Ursachen und pathophysiologischen Ausprägungen geschuldet, die unter dem Überbegriff Lipodystrophie zusammengefasst werden. Man unterscheidet die generalisierten Lipodystrophien, bei denen Unterhautfettgewebe am ganzen Körper fehlt, von den partiellen Formen, bei denen es neben einem lokalen Verlust an subkutanem Fett auch zu einer ungewöhnlichen Fettverteilung kommt. Beide Formen können angeboren (kongenital/fami­liär) oder z. B. durch eine Autoimmunerkrankung erworben sein. Allen Subtypen gemeinsam sind metabolische Einschränkungen:

  • Da das Fettgewebe als Puffer für die aufgenommenen Nahrungsfette dient, entwickeln die Patienten oft schwere Hypertriglyceridämien bis hin zur akuten Pankreatitis. Das Risiko frühzeitiger Atherosklerose ist erhöht, Herzinfarkte stellen eine häufige Todesursache bei Lipodystrophie dar.
  • Mangels subkutanem Fettgewebe wird Nahrungsfett ektop nicht nur an sichtbaren, ungewöhnlichen Orten abgelagert, sondern auch in inneren Organen. Dies kann zu Folgeerkrankungen wie Insulin-­Resistenz, Diabetes, polyzystischem Ovarialsyndrom oder einer nicht alkoholischen Fettleber führen.

Verstärkt werden die metabolischen Komplikationen durch einen Mangel an dem Hormon Leptin, das hauptsächlich in Adipozyten des subkutanen weißen Fettgewebes produziert wird. Das Adipokin spielt eine Schlüsselrolle für die zentrale Steuerung von Hunger- und Sättigungsgefühl. Junge Patienten mit generalisierter Lipodystrophie leiden oft an einem unersättlichen Hunger mit konsekutiver Hyperphagie. Darüber hinaus hat Leptin pleiotrope Funktionen und beeinflusst die Lipidverteilung (z. B. Dyslipidämie, Fettleber), vaskuläre Funktionen (Atheroklerose, Angiogenese), das Stützgewebe (Knochenmasse) und das Immunsystem (Ent­zündungsprozesse). Zudem stimuliert Leptin die Hypothalamus-Hypophysen-Achse, weshalb bei jungen Patienten mit ausgeprägtem Leptin-Mangel die Pubertät verzögert einsetzen kann und Fertilitätsstörungen auftreten können.

Foto: Novelion Therapeutics
Bei der partiellen Lipodystrophie kommt es zu einer Umverteilung des Körperfetts: An den Extremitäten besteht ein Mangel, an Hals und Kinn kommt es zu Fetteinlagerungen.

Schwierige Ernährungstherapie

Bei auffälligem Befund und einem Verdacht auf Lipodystrophie sollten Patienten an ein spezialisiertes Zentrum wie beispielsweise die Universitätskinderklinik in Ulm oder die Universitätsklinik Leipzig überwiesen werden, wo eine adäquate Diagnostik und Weiterversorgung erfolgen kann. Eine Heilung gibt es bislang nicht, da das nicht vorhandene Fettgewebe wiederhergestellt werden müsste. Die aktuellen Behandlungsempfehlungen der Lipodystrophie-Erkrankungen zielen darauf ab, den Folgeerkrankungen vorzubeugen oder ihre Ausprägung zu mildern. Grundlage ist eine Ernährungstherapie. Sie stellt im Kern eine hypokalorische Ernährung mit hoher Ballaststoffdichte, Bevorzugung von Fetten mit einfach ungesättigten Fettsäuren und Omega-3-Fettsäuren sowie Verzicht auf Zucker dar. Die Crux: Lipodystrophie-Patienten leiden umso mehr an Hunger, je ausgeprägter der Leptin-Mangel ist, und gerade bei den generalisierten Formen ist eine hypokalorische Ernährung zur Verbesserung der Stoffwechselsituation auf längere Sicht kaum durchzuhalten. Bei wachsenden Kindern darf auch die Energiezufuhr nicht so weit reduziert werden, dass daraus Wachstumsstörungen resultieren. Lipodystrophie-Patienten sollten sich zur Verbesserung der metabolischen Veränderung regelmäßig intensiv bewegen und Ausdauersport treiben.

Selbstverabreichung

Foto: Novelion Therapeutics

Nach Schulung können geeignete Patienten die subkutane Injektion selbst vornehmen. Die Abgabe der für die subkutane Metreleptin-Behandlung notwendigen Arznei- und Hilfsmittel an gesetzlich Versicherte soll in Deutschland bundesweit durch einen prä­qualifizierten Leistungserbringer gemäß §126 SGB V, die Firma ContraCare GmbH, Nürnberg, erfolgen. Als Vertragspartner der Krankenkassen holt das Unternehmen nach Bestellung in der Apotheke die Genehmigungen von den Krankenkassen der Patienten ein. Die notwendige Einschreibung in das Hilfsmittelversorgungsprogramm erfolgt üblicherweise in Abstimmung mit den behandelnden Ärzten in Behandlungszentren, denen die erforderlichen Unterlagen vorliegen. ContraCare gewährleistet auch – in Abstimmung mit den behandelnden Ärzten – die Schulung der Patienten bezüglich der Vorbereitung und Selbstverabreichung der Leptin-Ersatztherapie.

Analogon ersetzt Leptin

Eine Leptin-Ersatztherapie steht seit 2014 in den USA und nun auch in Deutschland mit Metreleptin (Myalepta®) zur Verfügung. Zugelassen ist das rekombinante humane Leptin-Analogon (N-Methionylleptin) in Kombination mit einer Diät zur Behandlung der Folgen eines Leptin-Mangels bei Patienten mit Lipodystrophie, und zwar

  • bei bestätigter angeborener generalisierter Lipodystrophie (Berardinelli-Seip-Syndrom) oder erworbener generalisierter Lipodystrophie (Lawrence-Syndrom) bei Erwachsenen und Kindern ab zwei Jahren
  • bei bestätigter familiärer oder erworbener partieller Lipodystrophie (Barraquer-Simons-Syndrom) bei Erwachsenen und Kindern ab 12 Jahren, bei denen durch Standardbehandlungen keine angemessene Einstellung des Stoffwechsels erreicht werden konnte.

Die Behandlung sollte stets parallel zu den oben genannten Ernährungsempfehlungen erfolgen. Das hochpreisige Arzneimittel wird nach Körpergewicht dosiert. Sicherheit und Wirksamkeit von Metreleptin wurden in einer offenen, nicht placebokontrollierten einarmigen Studie untersucht. Die Therapie führte zu einem Rückgang der Hyperphagie mit rasch verbesserten Nüchtern-Glucose- und Triglycerid-Spiegeln. Bei Patienten mit generalisierter Lipodystrophie kam es nach einem Jahr zu einer Reduktion des HbA1c-Wertes um 2,2% und der Triglyceride um 32,1%. Bei Patienten mit partiellen Lipodystrophie-Erkrankungen war die Wirkung auf die Glucose-Homöostase weniger stark ausgeprägt: Der HbA1c-Wert sank lediglich um 0,9%. Die Triglycerid-Spiegel waren nach 12 Monaten im Vergleich zum Ausgangswert um 37,4% geringer.

Gefahr von Hypoglykämien

Nebenwirkungen wurden bei etwa 30% der Patienten beobachtet, darunter das Auftreten von Hypoglykämien bei gleichzeitiger Insulin-Gabe. Daher sollten die Blutzuckerwerte während der Metreleptin-Therapie bei einer Behandlung mit Insulin oder Insulin-Sekretagoga (z. B. Sulfonylharnstoffe) regelmäßig kontrolliert werden. Gegebenenfalls ist eine Dosisanpassung der Antidiabetika erforderlich. |

Quelle

Launch-Symposium Aegerion Pharmaceuticals: „Leptin – Stimme des Fettgewebes!“, DGKJ-Kongress, 15. September 2018, Congress Center Leipzig

Miehle K et al. Lipodystrophie-Erkrankungen.Empfehlungen zur Diagnostik und zur Patientenversorgung. medgen 2017;29(4):374-388

Apotheker Ralf Schlenger

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