Arzneimittel und Therapie

Doppelt senkt besser

Neue europäische Hypertonie-Leitlinie empfiehlt initiale Zweifachtherapie

Bei der Definition des Blutdrucks bleibt alles beim Alten. Doch bei Interventionsgrenzen, Zielwerten und Behandlungsalgorithmen hat sich einiges getan: Die aktualisierte Leitlinie zur Behandlung der arteriellen Hypertonie der europäischen Fachgesellschaften für Hypertonie (ESH) und Kardiologie (ESC) wartet mit einem Strategiewechsel auf.

Während die US-Amerikaner einige Monate zuvor ihre Definition der Hypertonie geändert und die Grenzwerte von ≥ 140/90 mmHg auf ≥ 130/80 mmHg herabgesetzt hatten, ist in Europa die Definition der Hypertonie unverändert geblieben. Wie schon in der vorhergehenden Version von 2013 sind in der ESH/ESC-Leit­linie 2018 Werte zwischen 140 und 160 mmHg systolisch sowie 90 bis 100 mmHg diastolisch als Hypertonie im Stadium 1 definiert.

Neue Zielwerte

Blutdruckzielwerte und Interventionsgrenzen sind jedoch in der neuen Leitlinie angepasst worden. Das primäre Therapieziel ist nun bei allen Patienten eine Senkung des systolischen Blutdrucks auf unter 140 mmHg. Bei gut tolerierter Therapie sollte sogar ein systolischer Wert von 130 mmHg anvisiert werden. Darüber hinaus wurden in Abhängigkeit vom Alter verschiedene Zielbereiche des systolischen Blutdrucks festgelegt. So soll für Patienten unter 65 Jahren ein Zielwert im Bereich von 120 bis 129 mmHg angestrebt werden, während für Patienten im Alter von 65 bis 79 Jahren ein Bereich von 130 bis 139 mmHg festgelegt wurde. Zusammengenommen werden nun bei fast allen Patienten systolische Blutdruckwerte von ≤ 130 mmHg angestrebt. Unabhängig von Alter und Begleiterkrankungen ist beim diastolischen Blutdruck neben dem primären Therapieziel von < 90 mmHg auch ein Blutdruckzielbereich von 80 bis 70 mmHg eine Option. In jedem Fall sollte der Blutdruck nicht unter den Wert von 120/70 mmHg gesenkt werden. Damit wurde in der ESH/ESC-Leitlinie 2018 erstmalig ein Blutdruckwert definiert, der nicht unterschritten werden sollte, da hier die Risiken den potenziellen Nutzen überwiegen.

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Zwei auf einen Streich Die antihypertensive Behandlung sollte mit zwei Wirkstoffen begonnen werden. Am besten in Form einer Fixkombination.

Neue Interventionsgrenzen

Auf Grundlage neuerer Studiendaten wird nun in der aktuellen europäischen Leitlinie ein Therapiebeginn bei einem Blutdruck ≥ 140/90 mmHg empfohlen. Bei einer leichten Hypertonie vom Grad 1 (140 bis 159 mmHg systolisch / 90 bis 99 mmHg diastolisch) sollte jedoch zunächst ein mehrmonatiger Versuch mit veränderten Lebensstilmaßnahmen erfolgen. Dazu gehören die Reduktion des Salzkonsums und eine gesunde Ernährung wie auch regelmäßiges körperliches Training, Nicotin-Verzicht und das Anstreben von Normalgewicht. Erst wenn diese Maßnahmen keinen Erfolg bringen, wird eine medikamentöse Therapie empfohlen. Hypertoniker vom Grad 2 (160 bis 179 mmHg systolisch / 100 bis 109 mmHg diastolisch) und Grad 3 (≥ 180 mmHg systolisch / ≥ 110 mmHg diastolisch) sollten dagegen sofort medikamentös behandelt werden. In bestimmten Fällen – und zwar beim Vorliegen eines hohen kardiovaskulären Risikos – ist eine Pharmakotherapie auch bei Patienten mit einem hochnormalen Blutdruck (130 bis 139 mmHg systolisch /85 bis 89 mmHg diastolisch) angebracht.

Individuelle Therapie

Die Entscheidung über den Neubeginn bzw. die Umstellung einer Therapie sollte unter Berücksichtigung des Zustands des Patienten und in Abhängigkeit vom Alter und den Komorbiditäten erfolgen. So werden bei älteren Menschen höhere Blutdruckwerte eher akzeptiert. Entscheidend ist, ob der Patient die Therapie toleriert. Ein großer Ermessensspielraum bei der Festsetzung des individuellen Behandlungsziels liegt insbesondere in der Altersgruppe der 60- bis 85-jährigen Patienten. Patienten, die älter als 80 Jahre alt sind und bis dahin noch nicht medikamentös behandelt wurden, sollten erst ab einem systolischen Blutdruck ≥ 160 mmHg mit einer antihyperten­siven Therapie beginnen. Arzt und Patient haben insofern Entscheidungsspielraum, als dass der Neubeginn einer medikamentösen antihypertensiven Therapie lediglich für Patienten empfohlen wird, die „fit“ genug sind.

Zwei Wirkstoffe zum Einstieg

Während bisher empfohlen wurde, die Behandlung mit nur einem Wirkstoff zu beginnen, soll entsprechend der neuen Leitlinie die antihypertensive Therapie bei den meisten Patienten nun von Anfang an mit zwei unterschiedlich wirkenden Substanzen durchgeführt werden. Eine Monotherapie stellt nach der neuen Leitlinie nur noch die Ausnahme dar und sollte lediglich für Patienten mit einer Hypertonie Grad 1 und niedrigem kardiovaskulärem Risiko sowie für gebrechliche oder ältere Patienten (≥ 80 Jahre) in Betracht gezogen werden.

Tab. 1: Beispiele für Zweifachfixkombinationen von ACE-Hemmern und AT-II-Antagonisten (Sartanen) mit einem Calcium-Kanalblocker oder einem Diuretikum ACE: Angiotensin Converting Enzyme, AT-II-Antagonisten: Angiotensin-II-Antagonisten, Ca2+-Antagonist: Calcium-Kanalblocker, HCT: Hydrochlorothiazid.
ACE–Hemmer
Ca2+–Antagonist
Diuretikum
Vertreter*
Captopril
HCT
Mehrere Generika
Enalapril
Nitrendipin
Lercanidipin
HCT
Corvo HCT®
Eneas®
Carmen® ACE, Zaneril®
Lisinopril
HCT
Acercomp®
Perindopril
Amlodipin
Indapamid
Preterax® N, BiPreterax® N
Viacoram®
Ramipril
Amlodipin
Felodipin
HCT
Piretanid
Delix® plus
Arelix® ACE
Tonotec®
Delmuno®
Quinapril
HCT
Accuzide®
Benazepril
HCT
Cibadrex®
Cilazapril
HCT
Dynorm® Plus
Fosinopril
HCT
Fosinopril-Actavis® comp
Trandolapril
Verapamil
Tarka®
Moexipril
HCT
Fempress® plus
Zofenopril
HCT
Zofenil® plus
Delapril
Manidipin
Vivace®
AT–II–Antagonisten
Ca2+–Antagonist
Diuretikum
Vertreter*
Losartan
Amlodipin
HCT
Lorzaar® plus
LosAmlo®
Eprosartan
HCT
Teveten® plus HCT
Valsartan
Amlodipin
HCT
CoDiovan®
Dafiro®, Exforge®
Irbesartan
HCT
CoAprovel®
Candesartan
Amlodipin
HCT
Atacand® plus
Caramlo®
Telmisartan
Amlodipin
HCT
Kinzalkomb®
Twynsta®
Olmesartan
Amlodipin
HCT
Olmetec Plus®
Sevikar®

*Von den meisten Vertretern sind zahlreiche Generika auf dem Markt, die hier nicht im Einzelnen aufgeführt sind.

Als Therapieeinstieg soll in der Regel eine Kombination aus einem Blocker des Renin-Angiotensin-Systems – entweder einem Hemmer des Angiotensin-Converting-Enzymes (ACE) oder einem Angiotensin(AT)-II-Antagonisten – und einem Calcium-Kanalblocker oder einem Diuretikum ein­gesetzt werden. Idealerweise erhält der Patient dabei eine Fixkombination der entsprechenden Wirkstoffe. Diese Vorgehensweise soll die Tablettenlast vermindern und die Adhärenz verbessern. Therapieabbruch und fehlerhafte Einnahme der verordneten Medikamente sind in der Vergangenheit als entscheidende Faktoren einer nicht zufriedenstellenden Erfolgsrate der antihypertensiven Therapie identifiziert worden.

Kann der Blutdruck unter einer Zweifachkombination nicht ausreichend gesenkt werden, ist der nächste Schritt die Kombination der verschiedenen Vertreter aller drei Substanzklassen. Es hat sich gezeigt, dass die meisten Patienten mit Komorbiditäten eine Dreifachkombination benötigen, um eine gute Einstellung ihres Blutdrucks zu erreichen. So kann das hohe Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse, das bei vielen Patienten mit Komorbiditäten besteht, effektiv reduziert werden. Wie zuvor gilt auch hier, dass eine Fixkombination zu bevorzugen ist. In Deutschland sind zahlreiche Zweifach- und Dreifachfixkombinationen mit ACE-Hemmern und AT-II-Antagonisten verfügbar (s. Tabelle 1 und 2).

Tab. 2: Beispiele für Dreifachfixkombinationen von ACE-Hemmern und AT-II-Antagonisten (Sartanen) mit einem Calcium-Kanalblocker und einem Diuretikum ACE: Angiotensin Converting Enzyme, AT-II-Antagonisten: Angiotensin-II-Antagonisten, Ca2+-Antagonist: Calcium-Kanalblocker, HCT: Hydrochlorothiazid.
AT–II–Antagonisten
ACE–Hemmer
Ca2+–Antagonist
Diuretikum
Vertreter*
Valsartan
Amlodipin
HCT
Exforge HCT®, Dafiro® HCT
Olmesartan
Amlodipin
HCT
Sevikar HCT®
Perindopril
Amlodipin
Indapamid
Viacorind®

*Von den meisten Vertretern sind zahlreiche Generika auf dem Markt, die hier nicht im Einzelnen aufgeführt sind.

Darüber hinaus gibt es diverse weitere (Fix)kombinationen von blutdruckregulierenden Wirkstoffen, die in speziellen Fällen indiziert sind, z. B.

  • Betablocker in Kombination mit Thiaziden und/oder anderen Diuretika bzw. in Kombination mit Calcium-Kanalblockern
  • AT-II-Antagonisten in Kombination mit einem Neprilysin-Hemmer
  • Renin-Inhibitoren in Kombination mit Thiaziden
  • Calcium-Kanalblocker in Kombination mit Diuretika
  • Thiazid- oder Schleifendiuretika in Kombination mit Kalium-sparenden Diuretika

Neue Dreifachfixkombination ohne HCT

Fast zeitgleich mit dem Erscheinen der ESH/ESC-Leitlinie 2018 ist in Deutschland unter dem Namen Viacorind® eine neue Dreifachfixkombination aus 7 mg Perindopril, 5 mg Amlodipin und 2,5 mg Indapamid zugelassen worden. Dabei handelt es sich um die erste und derzeit einzige Dreifachkombination mit Indapamid. Zweifachfixkombinationen von Perindopril mit Indapamid oder mit Amlodipin gab es bereits zuvor (siehe Tabelle). Viacorind® wird als Substitutionstherapie eingesetzt, d. h. Patienten, die bereits mit einer Fixdosiskombination aus Perindopril/Amlodipin und mit Indapamid in denselben Dosierungen gut eingestellt waren, können stattdessen mit der Dreifachfixkombination behandelt werden.

Die Wirksamkeit der neuen Kombination und der dadurch erreichbare kardiovaskuläre Schutz wurden in mehreren Studien belegt. In der PAINT-Studie wurden 6088 vor­therapierte Hypertonie-Patienten auf eine Kombination von Perindopril mit Amlodipin und Indapamid umgestellt. Zwei Drittel der Patienten waren zuvor bereits mit zwei oder mehr antihypertensiven Substanzen behandelt worden, 28% mit nur einer. Die Blutdrucksenkung im Vergleich zum Ausgangswert wurde vier Monate nach der Therapieumstellung entsprechend dem Hypertonie-Grad dokumentiert. Die Senkung war umso stärker, je höher der Ausgangsblutdruck der Patienten war. Bei Patienten mit systolischen Ausgangswerten zwischen 140 und 159 mmHg sank der systolische Blutdruck um 19 mmHg, der diastolische um 10 mmHg. Bei Patienten mit Ausgangswerten ≥ 180 mmHg betrug die Differenz 45 mmHg systolisch und 21 mmHg diastolisch.

Zudem zeigte eine Subgruppenanalyse der ADVANCE-Studie mit 11.140 Diabetikern, dass mit einer Dreifachkombination aus Perindopril, Indapamid und einem Cal­cium-Kanalblocker eine stärkere rela­tive Senkung des Sterblichkeitsrisikos erzielt werden kann als unter einer Zweifachkombination. Im Vergleich zu Placebo betrug der Unterschied in der Gesamtmortalität unter der Dreifachkombination 28%, unter der Zweifachkombination ohne Calcium-Kanalblocker hingegen nur 5%.

Foto: Servier

Was steckt in Viacorind®?

  • Perindopril ist ein ACE-Hemmer mit langer Halbwertzeit (> 18 h). Die hohe Lipophilie gewährleistet eine hohe Gewebegängigkeit.
  • Amlodipin ist ein langwirksamer Calcium-Kanalblocker vom Dihydropyridin-Typ. Die Blutdrucksenkung hält über 24 Stunden an.
  • Indapamid ist ein direkt gefäßaktives Thiazid-Analogon. Im Gegensatz zu der relativ kurzen Wirkdauer von HCT (6 bis 12 Stunden) beträgt die Wirkdauer hier 24 Stunden. In Bezug auf Glucose- und Lipidwerte ist die Wirkung von Indapamid stoffwechselneutral.

[Quelle: Presseinformationen der Servier Deutschland GmbH zu Viacorind®, 12. September 2018]

Bei Patienten mit kardialen Komorbiditäten wie Herzinsuffizienz oder nach einem Myokardinfarkt bleiben Betablocker in Europa (im Gegensatz zu den USA) auch weiterhin Mittel der ersten Wahl. Auch bei Patientinnen während oder vor einer geplanten Schwangerschaft sind Betablocker eine mögliche Alternative zu ACE-Hemmern und AT-II-Antagonisten, welche bei schwangeren Frauen kontraindiziert sind.

Wie sieht es in der Praxis aus?

Eine Herausforderung ist nun die Umsetzung der neuen Leitlinie in der Praxis. Viele der verfügbaren Kombinationsarzneimittel haben momentan keine Zulassung für eine Anfangstherapie. Die leitliniengerechte Therapie wäre folglich in vielen Fällen off-label, mit allen rechtlichen Konsequenzen.

Um den Patienten die neuen Therapieansätze umgehend zugänglich zu machen, sind folglich entsprechende Änderungen bei den Krankenkassen und Kassenärztlichen Vereinigungen dringend erforderlich. |

Quelle

[1] Williams B et al. ESC/ESH Guidelines for the management of arterial hypertension. Eur Heart J 2018;39(33):3021-3104

[2] Düsing R und Middeke M. Europäische Hypertonie-Leitlinie 2018: Ein Spiegel der schwierigen Datenlage. Dtsch Ärztebl 2018;115(26):A-1267/B-1070/C-1062

[3] Arzneimittel-Atlas 2017. Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft; www.arzneimittel-atlas.de; Abruf am 05. November 2018

Apothekerin Dr. Daniela Leopoldt

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