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Selbstmedikation
Chancen und Herausforderungen innovativer Switches
Teil 1: Gentamicin bei akuter Konjunktivitis
Besonders in den Not- und Wochenenddiensten der Apotheken kommt es regelmäßig zu der Situation, dass Patienten, die an einer bakteriellen Bindehautentzündung (Konjunktivitis) leiden, nach einer geeigneten Therapie fragen. Für eine schnelle Linderung der Symptome und ein beschleunigtes Abheilen der Entzündung werden zumeist antibiotische Augensalben oder -tropfen empfohlen. Da diese nicht rezeptfrei erhältlich sind, ist der Apotheker dazu gezwungen, alternative, mitunter weniger wirksame Präparate anzubieten oder an einen ärztlichen Notdienst bzw. eine Notaufnahme zu verweisen.
Das Krankheitsbild
Bei der bakteriellen Konjunktivitis (Bindehautentzündung) kommt es zu einer Entzündung der Konjunktiva (Bindehaut), bei der es sich um eine dünne und durchsichtige Membran, die die Innenseite der Augenlider und den vorderen Bereich der Lederhaut auskleidet, handelt. Diese Entzündung wird in der Regel durch eine Schmierinfektion verursacht oder tritt z. B. in Verbindung mit einem grippalen Infekt oder bedingt durch Allergien und mechanische Augenreizungen auf. Ein erster Anhaltspunkt zur Diagnoseerstellung kann sein, ob das ausfließende Sekret eitrig (meistens bakteriell bedingt) oder wässrig (meistens viral bedingt) ist. In Abgrenzung dazu deutet ein starker Juckreiz auf eine allergisch bedingte Entzündung hin. Zur Diagnosesicherung kann ein Erregernachweis mittels eines Abstriches und dessen labordiagnostischer Untersuchung erfolgen. Da gewöhnliche bakterielle Bindehautentzündungen eine hohe Rate an Spontanheilungen haben, werden Abstriche in der ärztlichen Praxis allerdings nur in einer kleineren Zahl von Fällen durchgeführt. Immer empfohlen wird dieser jedoch bei bestimmten Patientengruppen wie z. B. Neugeborenen und immunsupprimierten Patienten sowie bei Patienten mit hyperakuter oder chronischer Konjunktivitis.
Ob eine bakterielle Konjunktivitis ohne eine ausführliche ärztliche Anamnese und Diagnose behandelt werden sollte, wird von medizinischer Seite kritisch diskutiert. Besonders die Frage, ob medizinische Laien eine Konjunktivitis gegenüber anderen Augenerkrankungen abgrenzen können, steht dabei im Mittelpunkt. Damit ist neben einer viral oder allergisch bedingten auch eine schwerwiegende durch Chlamydien verursachte Konjunktivitis gemeint. Letztere ist allerdings selten und auch in der ärztlichen Praxis nur mit besonderem Aufwand nachweisbar. Bei einer Verschleppung der Konjunktivitis kann es zu einer Übertragung der Infektion auf die Hornhaut mit einer entsprechenden Beeinträchtigung der Sehkraft kommen. Mithilfe der heilberuflichen Expertise von Apothekern werden Patienten allerdings im Fall eines Switches in ihrer Entscheidung, ob ein Arztbesuch notwendig oder eine Selbstbehandlung möglich ist, professionell unterstützt. Dabei ist offensichtlich, dass ein persönlicher Kontakt für die Einschätzung der Erkrankung notwendig ist.
Erregeridentifikation vor der Verschreibung?
Bedenken bezüglich einer möglichen Resistenzbildung beim Gebrauch topisch wirksamer Antibiotika müssen differenziert betrachtet werden. Aufgrund der hohen Dosierung des antibiotischen Wirkstoffs ist sie als unwahrscheinlich einzustufen. Zudem findet auch im Fall eines Arztbesuchs zumeist keine Erregeridentifikation vor der Verschreibung eines topischen Antibiotikums zur Behandlung der Konjunktivitis statt. Durch eine eingehende Beratung und Information durch abgebende Apotheker kann ein Fehlgebrauch des Arzneimittels vermieden werden. Besonders wenn neben diesen unmittelbaren auch mittelbare medizinische Risiken in die Analyse einbezogen werden, wird deutlich, dass unter Alltagsbedingungen ein Switch notwendig wäre, um hohe bestehende Knappheits- und Versorgungsrisiken in dieser Indikation zu verringern.
Switches – ökonomisch betrachtet
Die für den potenziellen Switch topischer Antibiotika zur Behandlung der bakteriellen Konjunktivitis durchgeführte gesundheitsökonomische Modellrechnung stellt die ärztliche Behandlung und die Selbstmedikation gegenüber (siehe Tabelle). Konkret wurde hierfür der Wirkstoff Gentamicin betrachtet. Die Rechnung hat gezeigt, dass sowohl das System der ambulanten ärztlichen Versorgung als auch Ressourcen der Gesetzlichen Krankenversicherung entlastet werden würden. So können Überlastungen innerhalb des Gesundheitssystems, etwa im ambulanten ärztlichen Bereich, reduziert und damit aus der bestehenden Überbeanspruchung resultierende mittelbare medizinische Risiken vermieden werden.
Im Fall der Selbstbehandlung |
Im Fall der ärztlichen Behandlung |
|
---|---|---|
Durchschnittliche Kosten für den Patienten im Einzelfall |
8,29 € |
4,54 € (Zuzahlung) |
Zeitaufwand für den Patienten im Einzelfall |
16,95 Min. |
90,35 Min. |
Zeitaufwand für den Arzt im Einzelfall |
0 Min. |
15,42 Min. |
GKV-Einsparungen bei 30 Prozent Substitution |
44.280.582 € |
|
Vermiedene Arbeitsausfälle für die Volkswirtschaft |
17.321.382 € |
Stellenwert von Selbstmedikation und Switches
Die Selbstmedikation spielt für die Apotheke vor Ort eine entscheidende Rolle: Sie stärkt ihre Position als niederschwellige Anlaufstelle im Fall leichterer Gesundheitsstörungen. Patienten wiederum schätzen an der Verwendung von OTC-Arzneimitteln besonders den direkten und bequemen Zugang zu einer Behandlung und die damit verbundenen Zeitersparnisse. Zudem birgt die Selbstmedikation das Potenzial von Einspareffekten aufseiten des Gesundheitssystems und der Volkswirtschaft. Insbesondere im Hinblick auf knapper werdende Ressourcen in der ambulanten ärztlichen Versorgung ist eine Förderung der Selbstmedikation wünschenswert, denn dadurch werden zeitliche Kapazitäten der Ärzte geschont und stehen für Patientenfälle zur Verfügung, die diese dringend benötigen. Im Rahmen von Rx-to-OTC Switches (kurz: Switches) werden Arzneimittel aus der Rezeptpflicht entlassen und stehen dann im Rahmen der Selbstmedikation zur Verfügung. So kann nicht nur das Spektrum an Behandlungsoptionen für eine Indikation, etwa durch weitere Darreichungsformen oder Dosierungen, erweitert werden. Vor allem können auch neue Behandlungsmöglichkeiten für Indikationen, für die es bislang keine OTC-Medikation in Deutschland gab, eröffnet werden.
Patientennutzen und Versorgungseffekte
Aus der Versorgungsperspektive ist in diesem Zusammenhang relevant, dass in einer repräsentativen Befragung jeder Dritte von Konjunktivitis betroffene Verbraucher den Wunsch nach weiteren rezeptfrei erhältlichen Behandlungsmöglichkeiten hat. Außerdem steigern topische Antibiotika, deren Anwendung nachweislich zu einer beschleunigten Erholung, einer verringerten Ansteckungsgefahr und einer früher möglichen Wiederaufnahme der normalen Alltagsaktivitäten sowie der Arbeit führt, die individuelle gesundheitsbezogene Lebensqualität von Patienten. Auch für die direkt am praktischen Versorgungsgeschehen beteiligten Professionen der Apotheker und Ärzte besteht ein Bedarf an weiteren rezeptfrei erhältlichen Therapieoptionen für die Behandlung der bakteriellen Konjunktivitis: In aktuellen Befragungen sprechen sich zwei Drittel der Apotheker und mit gut 40 Prozent immerhin auch ein bedeutender Teil der Ärzteschaft für einen entsprechenden Switch aus. Besonders der von Patienten und Apothekern geäußerte große Bedarf an besagten topischen Antibiotika zeigt, dass im Bereich der Konjunktivitisbehandlung derzeit eine Unterversorgung bzw. der Wunsch nach einer Versorgungsoptimierung besteht. Diesem kann durch einen Switch wirkungsvoll begegnet werden.
Wie es oben bereits angesprochen wurde, kann ein Vergleich der Behandlungsoptionen von Patienten, wenn ein Präparat oder Wirkstoff rezeptfrei oder rezeptpflichtig zur Verfügung steht, Aufschluss darüber geben, welcher Behandlungsweg als effizienter zu bewerten ist. Dafür müssen die Perspektiven verschiedener beteiligter Akteure eingenommen werden. Die im Fall der Konjunktivitis durchgeführten Berechnungen haben gezeigt, dass die Selbstmedikation für Patienten zwar um 3,75 Euro teurer ist, sie allerdings auch Zeitkosten für Wege-, Warte- und Behandlungszeit von 73 Minuten sparen können. Es ist zu erwarten, dass vielen Verbrauchern die vergleichsweise geringen Mehrausgaben die eingesparte Zeit wert sind und sich daher mehr für eine Selbstmedikation entscheiden würden. |
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