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- DAZ 39/2018
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Aus den Ländern
Soziale Ungleichheiten bekämpfen
Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention (DGSMP)
Michael Marmot, Direktor des Instituts für Health Equity und Prof. für Epidemiologie am University College London, verwies in seinem einführenden Vortrag auf die besondere Bedeutung von sozialer Ungleichheit innerhalb von Gesellschaften als wesentliche Determinante für die gesundheitliche Ungleichheit. Je stärker die Ungleichheit sei, desto größer sei die Krankheitslast bei den sozial Benachteiligten. Außerdem sei die Lebenserwartung der Menschen der sozial benachteiligten Schichten im Vergleich zu denen der privilegiertesten Schichten um mehr als zehn Jahre niedriger. Prävention und Gesundheitsförderung müsse von daher immer im Blick behalten, die sozialen Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten abzubauen.
Präexpositionsprophylaxe (PrEP)
Ein Workshop der Tagung beschäftigte sich mit der Präexpositionsprophylaxe zur Verhinderung von HIV-Erkrankungen (PrEP) mithilfe der antiviralen Arzneimittelkombination Emtricitabin und Tenofovir. Steffen Taubert von der Deutschen Aidshilfe thematisierte den großen Vorteil, der durch diese Form der Prophylaxe erreicht werde. Jetzt könnten viele Menschen, insbesondere Männer, die Sex mit Männern haben (MSM), und Transgender-Personen, ihre Sexualität angstfreier leben. Die Deutsche AIDS-Hilfe plädiere zwar weiterhin dafür, an erster Stelle immer auch das Kondom zu nutzen, aber das neue medikamentöse Angebot werde von dieser Organisation sehr begrüßt.
Anna Sophie Plomer von der Universität Regensburg untersuchte die Herausforderungen für Interessenten, das neue PrEP-Arneimittel zu erhalten. Gerade in ländlichen Gebieten sei es schwer, die wenigen bislang spezialisierten Ärzte zu finden, die in der Lage seien, die notwendigen Untersuchungen und Beratungen anzubieten und die PrEP leitlinienkonform zu begleiten. Viele wünschten sich deshalb einen vereinfachten Zugang zu diesem Arzneimittel bis hin zum Bezug über die Selbstmedikation.
PD Dr. Dr. Anja Neusser von der Universität Duisburg-Essen thematisierte die ökonomischen Folgen, wenn die Verordnung im kommenden Jahr zulasten der Gesetzlichen Krankenkassen möglich sein sollte, wie von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn in Aussicht gestellt worden war. Nach ihren Berechnungen werde die Kostenerstattung durch die GKV nicht zu einer Mehrbelastung der Kassen führen, ganz im Gegenteil sei unter Berücksichtigung der Reduktion möglicher Erkrankungen mit einer finanziellen Entlastung der Krankenkassen zu rechnen. Inwieweit die PrEP zu einem Verzicht auf Kondome und damit möglicherweise zu einem Anstieg von sexuell übertragbaren Krankheiten führen werde, könne derzeit nicht berechnet werden. Man beobachte bereits seit einigen Jahren einen deutlichen Anstieg dieser Erkrankungen, sodass sich die Auswirkungen der Verfügbarkeit der PrEP nur sehr schwer berechnen lasse.
In der Diskussion waren sich die Teilnehmer des Workshops einig, dass die PrEP eine sinnvolle Ergänzung der Prävention für die betroffenen Personenkreise bedeute, dass weiterhin aber die Werbung für die Nutzung von Kondomen notwendig sei, um andere sexuell übertragbare Erkrankungen einzudämmen. Weiterhin sollte die Verordnung in absehbarer Zeit in der Hand von Spezialisten bleiben, bis man mehr über das Nutzerverhalten wisse und besser die Risiken eines erleichterten Zugangs zum Arzneimittel abschätzen könne.
Arzneimittelversorgung verarmter Menschen
In einem weiteren Workshop stand das Thema Arzneimittelversorgung von Menschen in prekären Lebenssituationen im Vordergrund. Zunächst berichtete Prof. Eva Münster vom Institut für Hausarztmedizin in Bonn über die Situation von Patienten, die überschuldet sind. Dieser Personenkreis verzichtet nach ihren Erkenntnissen häufig auf die Einlösung von verordneten Rezepten und kann sich Arzneimittel der Selbstmedikation oft nicht leisten.
Christin Recknagel von der Arztpraxis am Stralauer Platz in Berlin berichtete über ihre Tätigkeit in einer Obdachlosenpraxis. Für die in dieser Praxis behandelten Patientinnen und Patienten müssen Arzneimittel oftmals über Spenden finanziert werden, was je nach Spendenaufkommen entweder machbar sei oder eben auch nicht gelinge. Problematisch sei die seit einigen Jahren zu beobachtende ständig ansteigende Zahl obdachloser Menschen, die auf der Straße nicht die Rückzugsmöglichkeiten hätten, um nach einer Erkrankung wieder gesund zu werden.
Eine erste Übersicht über ehrenamtliche Angebote zur Arzneimittelversorgung für Menschen in prekären Lebenssituationen gab Dr. Udo Puteanus vom Landeszentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen. Im Rahmen der Sozialpharmazie des Öffentlichen Gesundheitsdienstes führte er eine schriftliche Befragung bei Medikamententafeln/Medikamentenhilfen und Medibüros/Medinetzen durch. Wie schon die Referentin aus der Obdachlosenpraxis, bestätigt auch diese Untersuchung den steigenden Bedarf und die unzureichende Versorgung dieser Menschen.
In der Diskussion der drei Beiträge herrschte Übereinstimmung darin, dass die derzeitigen Regelungen im SGB V und im Rechtsrahmen für Nichtkrankenversicherte, für Flüchtlinge und Asylsuchende sowie für Menschen ohne Papiere ungenügend sind, um die Betroffenen ausreichend mit medizinischen Leistungen und mit Arzneimitteln zu versorgen. Hier müsse in der Bundesrepublik dringend mehr getan werden, wozu sich die Bundesregierung auch verpflichtet hätte. Denn die Vorgaben der von der Bundesrepublik Deutschland unterschriebenen und ratifizierten Selbstverpflichtungen des UN-Sozialpaktes sehen vor, dass u. a. das Recht eines jeden auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit umgesetzt wird. |
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