Arzneimittel und Therapie

Rettet das Diclofenac und den gesunden Menschenverstand!

Ein Gastkommentar von Prof. Dr. med. Thomas Herdegen

Prof. Dr. med. Thomas Herdegen, Kiel

Anhand von acht Millionen Patientendaten wurde in einer aktuellen dänischen Analyse das kardiale Risiko berechnet, wenn eine Therapie mit nichtsteroidalen Analgetika (NSAID) begonnen wurde. Das relative Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse erhöhte sich unter Diclofenac verglichen mit Patienten ohne NSAID um 50%, gegenüber Naproxen um 30% und gegenüber Paracetamol und Ibuprofen um 20%.

Was bedeuten diese schrecklich großen Zahlen wirklich? Wer überwiegend relative Daten kommuniziert, betreibt Emotionalisierung. In absoluten Zahlen beträgt das zusätzliche absolute kardiovaskuläre Risiko zwischen Diclofenac und Ibuprofen 0,03% (Differenz zwischen 0,10% und 0,07%), das heißt ein zusätzliches Ereignis bei 3333 Patienten in 30 Tagen bzw. 25.000 Patienten in vier Tagen – der Einnahmedauer von Diclofenac in der Selbstmedikation. Bezogen auf 100 Patientenjahre traten im Vergleich zu Ibuprofen 0,38 Fälle mehr auf, das heißt 263 Patienten müssen für ein zusätzliches Ereignis ein Jahr behandelt werden (oder 3156 Patienten für einen Monat). Und deshalb soll Diclofenac nicht mehr als OTC-Arzneimittel abgegeben werden, wie die Autoren fordern? Angesichts der absoluten Zahlen hat das den Goût von sendungsbewusster Wichtigtuerei.

Die reine Statistik ignoriert, dass Diclofenac das wirkungsvollste NSAID ist. Diclofenac-Patienten haben oft mehr Schmerzen oder stärkere Entzündungen und damit mehr kardiovaskuläre Risiken. Mit zunehmendem kardiovaskulärem Risiko verschwindet das an sich geringe Schadenspotenzial, und bei den über 70-Jährigen ist Diclofenac kardial so ungefährlich wie Ibuprofen – schade, dass diese Ergebnisse der Subgruppenanalyse im Abstract der Studie keine Wür­digung finden.

Diclofenac ist ein potentes Analgetikum und eine alltagsrelevante Alternative zum Ibuprofen, welches nicht bei allen Patienten „greift”. Diese Studie mit ihrem gewollten Negativbias trägt zu einer unnötigen Restriktion von Diclofenac bei. Schon seit Längerem ist zu beobachten, dass z. B. Ärzte weniger/kein Diclofenac verordnen, die Patienten jedoch mit Ibuprofen/Metamizol oft nicht ausreichend analgetisch/antiphlogistisch abgedeckt sind.

Noch ein Wort zur Umfrage: Dem „öffentlichen“ schlechten Ruf von Diclofenac kann man sich schwer entziehen, er muss aber kritisch hinterfragt werden. Als OTC-Präparat ist die Abgabe von Diclofenac nur für vier Tage erlaubt, danach muss der Arzt entscheiden. Wurde jemals ein viertägiges kardiovaskuläres Risiko von Diclofenac beschrieben? Worüber sollen dann Apotheker abstimmen? Über die Verordnungs­praxis der Ärzte? Diese Studie setzt einen wissenschaftlich nicht gerechtfertigten Impuls gegen Diclofenac in der Selbstmedikation. Sie eignet sich mit ihren relativierenden Ri­sikozahlen für Plebiszite, aber nicht für wissenschaftlich fundierte Diskussionen. |

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