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Wirtschaft
Ökonomische Zwänge
Warum Hersteller bei den Wirkstoffkosten sparen
Tatsächlich sind die Wirkstoffkosten einer der größten Einflussfaktoren auf den Fabrikpreis eines Arzneimittels. Die reinen Produktionskosten – ohne Wirkstoff gerechnet – einer typischen N3-Quartalspackung mit 100 Tabletten (oder zunehmend seltener Kapseln, siehe dazu Erläuterungen im Kasten am Ende des Beitrags) machen dabei oft nur einen Betrag im Bereich von typischerweise wenigen zehn Cent aus. Je nach Wirkstoff kann sich dieser Betrag jedoch schnell vervielfachen. Liegt hier also der kaufmännische Hebel, sich ggf. auf Kosten der Qualität „gesund“ bzw. die Patienten gar krank zu sparen?
Kapseln und Befilmung als Luxus?
Hartsteckkapseln sind praktisch, bieten viele Befüllungs-Optionen, und die Prozessentwicklung ist meist relativ einfach. Aber sie kosten Geld – für 1000 Leerkapseln sind typischerweise je nach Größe, Farbe, Sonderwünschen und Abnahmemengen ab gut 1 Euro (hier ebenfalls zahlreiche indische Anbieter) bis an die 4 Euro einzukalkulieren. Eine Hunderterpackung erfordert damit bereits 10 bis 40 Cent alleine für die Leerkapseln. Bei Billiggenerika mit nur 1 oder 2 Euro effektivem Fabrikpreis ist das schwer zu leisten. Da sind einfache Tabletten insbesondere bei großen Stückzahlen günstiger, zumal Kapselmaschinen heute noch geringere Ausbringungsleistungen als schnelle Rundlauf-Tablettenpressen haben.
Prozesstechnisch ist meist die schlichte Direkttablettierung am kostengünstigsten, ohne zwischengeschaltete Granulier- und Trocknungsschritte. Eine weitere Befilmung bedeutet je nach Rohstoffpreisen und Chargengröße nennenswerte Zusatzkosten im vierstelligen Bereich. Jeder zusätzliche Herstellschritt schlägt dann noch weiter zu Buche. Neben den Rohstoffkosten ist das vor allem der kalkulatorische Aufwand für die jeweiligen Anlagen in Form von Kapital-, Raum- und Wartungs-/Instandhaltungskosten. Diese „Prozessstundenkosten“ beginnen für gängige Verfahren bei etwa 100 Euro und können sich bei aufwendigen Anlagen und Raumumgebungen durchaus vervielfachen. Dazu kommt der jeweilige Personalaufwand während der Herstellung samt Belegungszeiten für die Vor- und Nachbereitung (Rüst- und Reinigungszeiten).
Auf jeder Charge lasten zudem teils umfängliche Prüf- und Analysekosten, die durchaus deutlich vierstellig ausfallen können.
Um diese Frage zu beantworten, wurden die Wirkstoffpreise der 15 am häufigsten verordneten Präparate sowie zusätzlich vom umstrittenen Valsartan und beispielhaft vom ehemaligen Preis-Rekordhalter Sofosbuvir (Sovaldi®) ins Verhältnis zu den Herstellerpreisen gesetzt.
Das Preisspektrum allein schon der absatzmäßig gängigsten Wirkstoffe ist außerordentlich groß (Abb. 1). Zugrundegelegt wurden internationale Durchschnittspreise, wie sie z. B. die Internetseite www.pharmacompass.com sowie diverse Handelsstatistiken ausweisen; als Anhaltspunkt eignen sich diese Werte ganz gut. Im Einzelfall können die Einkaufspreise der Hersteller freilich je nach Abnahmemengen und -bedingungen davon ein ganzes Stück abweichen. Nicht wenige hochwirksame Stoffe weisen Kilopreise im Bereich von gerade einmal einigen oder wenigen zehn Euro auf. Andere vollziehen regelrechte Preiskapriolen wie zurzeit Ibuprofen (weswegen die angegebenen 20 Euro je kg nur eine grobe Orientierungsmarke sind, vor nicht allzu langer Zeit lagen die Preise bei der Hälfte oder einem Drittel).
Daneben kommt es freilich noch auf die eingesetzten Mengen an. Ein Wirkstoff kann sehr teuer sein, was sich aber bei einer Einzeldosis von nur wenigen Milligramm oder darunter relativiert. In Abb. 2 wurden deshalb gezielt die höher dosierten Präparatevertreter der einzelnen Wirkstoffe herangezogen und dem Listen-Herstellerpreis (ApU, Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmers) gegenübergestellt. Mit Ausnahme von Sofosbuvir wurden N3-Packungen mit 100 bzw. in Einzelfällen 98 Einzeldosen herangezogen. Mehrheitlich spielen sich die reinen Wirkstoffkosten unterhalb von einem Euro ab.
Da allerdings auch die Packungspreise oft sehr niedrig sind – manche Präparate wie Amlodipin oder Metamizol notieren gerade mal um etwa einen Euro – macht der reine Wirkstoffanteil dann doch wieder zwischen 10 und 20 Prozent aus. Da jedoch noch zusätzlich Nachlässe im Rahmen der Rabattverträge gewährt werden müssen, die durchschnittlich in der Größenordnung von 30 bis 40 Prozent liegen dürften, werden dann aus 15 Prozent am Listenpreis gerne mal 20 bis 25 Prozent am real erzielten Fabrikabgabepreis – oder noch mehr je nach individuellem Vertrag.
Valsartan sticht in dieser Liste tatsächlich heraus, weil es zumindest in der hohen 320 mg-Dosierung mit geschätzten 4 Euro Wirkstoffkosten zu Buche schlägt. Bezogen auf den Listen-Herstellerpreis (der bei etwa 13,35 Euro liegt) macht hier allein der Wirkstoff rund 30 Prozent aus. Rechnet man noch die erwähnten Rabattverträge ein, ergibt sich bei angenommen 35 Prozent Rabatt ein Wirkstoffanteil am Fabrikpreis von beinahe der Hälfte – ein beachtlicher Anteil. Bei der häufigeren 160 mg-Variante sieht es etwas entspannter aus: Wirkstoffkostenanteil am Listen-ApU knapp 20 Prozent, nach geschätzten Rabatten rund 30 Prozent. Mit 24,24 Euro Festbetrag (wovon noch die individuellen Rabatte abgehen) für 98 Tabletten je 160 mg ist Deutschland keineswegs das Preis-Schlusslicht. In den USA sind 90 solcher Tabletten ab etwa 15 US-Dollar mit Discountprogrammen zu haben (in USA sind die Preisspannbreiten jedoch enorm je nach Anbieter und Bundesstaat – hier nach oben bis hin zu rund 200 US-Dollar!), in Frankreich werden mindestens rund 13 Euro aufgerufen, in der Schweiz mindestens etwa 66 CHF. Hier wären jeweils noch die ggf. erhobene Mehrwertsteuer sowie die Handelsmargen abzuziehen, um zum entscheidenden Fabrikpreis zu gelangen.
Im anderen Extrem sticht der Hepatitis C-Wirkstoff Sofosbuvir hervor. Mit rund 1000 Euro je Kilogramm Weltmarktpreis ist er gar nicht mal so teuer. Legt man beispielsweise 25 Prozent Wirkstoffkosten am Fabrikpreis zugrunde, könnte eine solche Packung mit 28 Tabletten ohne Weiteres für 40 bis 50 Euro „ex factory“ und immer noch einer schönen Gewinnmarge (aus Sicht eines Generikaanbieters) abgegeben werden. Der hiesige Hersteller-Listenpreis beträgt heute noch rund 13.300 Euro. Gemessen an diesem Preisniveau kann man die Wirkstoffkosten völlig vernachlässigen.
Doch wie steht es um die durchschnittlichen Kosten im Generikamarkt? Beispielhaft lässt sich aus dem Geschäftsbericht 2017 der Stada AG ein Anteil der Herstellungskosten am Gesamtumsatz dieses Herstellers (= Ebene realer ApU) von 51 Prozent herauslesen, wobei hier neben Generika auch die Markenprodukte enthalten sind. Allein im Segment Generika wurde weltweit dennoch eine ganz beachtliche EBITDA-Marge (Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen) von 22 Prozent erzielt.
Wie wir gesehen haben, machen die Wirkstoffe bei etlichen Präparaten einen enormen Anteil aus. Es liegt daher auf der Hand, dass man hier ansetzen muss, wenn man Kosten sparen möchte. Die Spannbreite der Werte in Verbindung mit den immer noch erzielten Margen im Generika-Geschäft zeigt aber, dass es sehr wohl noch sehr rentable Präparate gibt, aber auch solche, bei denen man ob der geradezu lächerlichen Preise nur staunen kann.
Abschließend möchten wir noch kurz „Pharmahersteller“ spielen und einmal zwei Chargen durchkalkulieren. Nehmen wir neben dem aktuell diskutierten Valsartan (in Hochdosierung 320 mg, 98 Filmtabletten je Packung) zusätzlich das bekannte Ramipril als Beispiel (Dosierung 5 mg, 100 einfach befilmte Tabletten je Packung). Gerade Ramipril gehört schon zu teureren Vertretern, wird allerdings im Vergleich zu Valsartan nur in recht niedriger Dosierung benötigt. Die Rechnungen sind wohlgemerkt orientierend-modellhaft zu verstehen und können je nach angewandten Prozessen und individuellen Beschaffungskosten spürbar abweichen. Aber einige prinzipielle Zusammenhänge sollten deutlich werden.
Eindeutig ist der überragende Einfluss der Wirkstoffkosten aufseiten der Rohstoffe, besonders deutlich wird dies bei Valsartan. Die Hilfsstoffkosten, selbst bei hochwertigeren wie spezielle Filmbildner, sind dagegen fast vernachlässigbar. Die Packmittel können je nach Ausgestaltung und Stückzahl jedoch erheblich zu Buche schlagen.
Menge |
Preis
je kg/Einheit
|
Kosten
je Charge
|
|
---|---|---|---|
Wirkstoff Valsartan |
313,60 kg |
130,00 € |
40.768 € |
Milchzucker zur Granulierung |
269,26 kg |
1,25 € |
337 € |
Sprengmittel (Croscarmellose) |
31,85 kg |
20,00 € |
637 € |
Schmiermittel (Magnesiumstearat) |
3,19 kg |
3,50 € |
11 € |
Sonst. Bestandteile (Filmbildner) |
19,11 kg |
40,00 € |
764 € |
Summen Rezeptur |
637,00 kg |
42.517 € |
|
Packmittel (Blister, Karton etc.) |
10.000 St. |
0,12 € |
1.200 € |
Summe Materialkosten |
43.717 € |
||
Prozesskosten: |
|||
Vorbereitung, Wiegen, Mischen |
2 h |
100 €/h |
200 € |
Granulieren, Trocknen |
8 h |
200 €/h |
1.600 € |
Tablettieren inkl. Rüsten, Reinigen |
8 h |
200 €/h |
1.600 € |
Befilmen inkl. Rüsten, Reinigen |
6 h |
200 €/h |
1.200 € |
Konfektionieren inkl. Rüsten, Reinigen |
8 h |
300 €/h |
2.400 € |
Prüf-/Analysekosten |
12 h |
200 €/h |
2.400 € |
Allg. Gebäude-, Infrastrukturkosten |
46 h |
100 €/h |
4.600 € |
Summe Prozesskosten |
14.000 € |
||
Summe Herstellungskosten i.e.S. |
57.717 € |
||
= je Packung |
5,77 € |
||
… ohne Wirkstoff zum Vergleich |
1,69 € |
||
dagegen ApU Liste
… real bei angenommen 35 Prozent Rabatt
|
13,35 €
8,70 €
|
Menge |
Preis
je kg/Einheit
|
Kosten
je Charge
|
|
---|---|---|---|
Wirkstoff Ramipril |
25,00 kg |
380,00 € |
9.500 € |
Milchzucker zur Direkttablettierung |
432,50 kg |
2,50 € |
1.081 € |
Sprengmittel (Croscarmellose) |
25,00 kg |
20,00 € |
500 € |
Schmiermittel (Magnesiumstearat) |
2,50 kg |
3,50 € |
9 € |
Sonst. Bestandteile (Filmbildner) |
15,00 kg |
40,00 € |
600 € |
Summen Rezeptur |
500,00 kg |
11.690 € |
|
Packmittel (Blister, Karton etc.) |
50.000 St. |
0,10 € |
5.000 € |
Summe Materialkosten |
16.690 € |
||
Prozesskosten: |
|||
Vorbereitung, Wiegen, Mischen |
2 h |
100 €/h |
200 € |
Granulieren, Trocknen |
entfällt |
200 €/h |
0 € |
Tablettieren inkl. Rüsten, Reinigen |
16 h |
200 €/h |
3.200 € |
Befilmen inkl. Rüsten, Reinigen |
6 h |
200 €/h |
1.200 € |
Konfektionieren inkl. Rüsten, Reinigen |
10 h |
300 €/h |
3.000 € |
Prüf-/Analysekosten |
12 h |
200 €/h |
2.400 € |
Allg. Gebäude-, Infrastrukturkosten |
46 h |
100 €/h |
4.600 € |
Summe Prozesskosten |
14.600 € |
||
Summe Herstellungskosten i.e.S. |
31.290 € |
||
= je Packung |
0,63 € |
||
… ohne Wirkstoff zum Vergleich |
0,44 € |
||
dagegen ApU Liste
… real bei angenommen 35 Prozent Rabatt
|
1,55 €
1,00 €
|
Andererseits sind die Prozesskosten nicht zu verachten. Hier wurde mit vereinfachten Prozessstundensätzen gerechnet. Diese ergeben sich aus den Kapitalkosten für die typischerweise verwendeten Anlagen (Investitionskosten z. B. für eine Tablettier- und Befilmungskabine mit jeweils etwa 1 Mio. Euro angenommen), plus Wartungs- und Instandhaltungszuschlag plus Personalstunden für die Pharmawerker während der Herstellung. Hier besteht natürlich ein sehr weiter Annahmehorizont. Die dargestellten Werte sind aber durchaus realistisch. Hier spielt, neben dem entscheidenden Faktor Auslastung (wie hoch sind die Belegungs- sowie produktiven Zeiten des teuren Maschinenparks, um sie zu amortisieren?), die Chargengröße stark hinein. Diese ist jedoch regelhaft durch die vorhandene Ausrüstung begrenzt. Das sieht man sehr schön beim Vergleich der Valsartan- und Ramipril-Charge. Obwohl ähnlich groß (637 kg vs. 500 kg), resultieren im einen Fall 10.000, im anderen 50.000 Packungen. Der Prozessaufwand differiert jedoch weitaus weniger, bei der Valsartan-Charge verteilen sich also ähnliche operative Kosten auf weitaus weniger Packungen.
Es zeigt sich auch, dass es sehr wohl einen wirtschaftlich bedeutsamen Unterschied machen kann, wie weit man die Galenik heute noch treibt (vgl. Kasten). Altpräparate sind indes an ihre Zulassung gebunden, eine Umformulierung macht daher wegen des hohen Umregistrierungsaufwandes ökonomisch meist keinen Sinn.
Selbstverständlich kommen zu den Herstellungskosten im engeren Sinn noch die vielfältigen Overheadkosten der Firma für die zahlreichen anderen Abteilungen hinzu, sowie am Ende möglichst ein Gewinn. Obige eng gefasste Herstellkosten sind also mindestens zu verdoppeln.
Die Zahlen belegen zudem, dass es für einen auf Vollkostenrechnung kalkulierenden, noch dazu hierzulande ansässigen Pharmabetrieb schnell eng wird. Die operativen Kosten (die sich u. a. in den Prozesskosten widerspiegeln) sind im außereuropäischen Ausland (Asien, Indien!) bzw. in Osteuropa deutlich niedriger. Da sind schnell etliche zehn, bisweilen auch deutlich mehr Euro je Prozessstunde eingespart. Das erklärt, warum das Geschäftsmodell einer Art „Pharmamakler“ Fuß gefasst hat, bei welchem man die gewonnenen Ausschreibungslose im Lohnauftrag eben im Ausland herstellen lässt. Diese Aufträge haben jedoch typischerweise erhebliche Vorlaufzeiten, die Flexibilität ist insoweit eingeschränkt – Lieferengpässe drohen.
Fazit
Die Betrachtungen zeigen den teils herausragenden Effekt der Wirkstoffkosten auf den Endpreis. Es liegt daher für einen Hersteller nahe, hier möglichst zu sparen, ohne die Qualität aus den Augen zu verlieren. Die nichtsdestotrotz hohe Bedeutung der operativen Kosten erklärt die Abwanderung der Generika ins Ausland.
An dieser Stelle muss gefragt werden, ob das heutige System der Rabattverträge und Festbeträge noch zeitgemäß ist. So liegt es zweifelsohne im Interesse der Gesellschaft, die Arzneimittelversorgung preiswert zu halten, wobei preiswert wörtlich zu verstehen sein sollte: seinen Preis wert, unter Beachtung der Sicherheits- und Qualitätserfordernisse. Die Rechnungen zeigen, dass teils durchaus noch Luft im System ist, teils aber die Kostenschraube daran ist, überdreht zu werden.
Sinnvoll wäre es, das System durch „Bottom-up-Kalkulationen“ auf eine rationalere Basis zu stellen, zumindest für die gängigen generischen Präparate. Dies würde bedeuten, nach Recherche der Rohstoff-Weltmarktpreise und einer fachlich fundierten Kalkulation der Prozesskosten samt angemessener Overheadkosten und Gewinne, einen Zielpreis festzulegen. Dieser wäre den heutigen Festbeträgen bzw. Listenpreisen (die ja die Basis für die ausgehandelten bzw. gesetzlich festgelegten Rabatte sind) gegenüberzustellen. Dies ist von Fachleuten ohne Weiteres zu leisten. In anderen Branchen ist es üblich, Konkurrenzprodukte auseinanderzunehmen und nachzukalkulieren, was sie eigentlich kosten dürften oder müssten. Der Erkenntnisgewinn wäre wohl auch und gerade in unserer Pharmabranche ausgesprochen hoch. |
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