Arzneimittel und Therapie

Wenn Carbamazepin nicht wirkt

Mangel eines biogenen Polyamins könnte für Pharmakoresistenz verantwortlich sein

Etwa 50 Millionen Menschen weltweit sind von Epilepsie betroffen. Zwar stehen für verschiedene Formen der Erkrankung effektive Arzneimittel zur Verfügung, ca. 30% erleiden jedoch trotz angemessener Dosierung weiterhin Anfälle. Forscher der Universität Bonn kamen nun im Fall von Carbam­azepin den Gründen für diese Pharmako­resistenz auf die Spur.

Bei einem epileptischen Anfall kommt es plötzlich zu einer Reihe synchroner elektrischer Entladungen in Nervenzellen des Gehirns. Dies kann sich sehr unterschiedlich äußern. Manche Betroffenen nehmen lediglich Sinneseindrücke wie ungewöhnliche Gerüche und Geschmäcker, Schwindel oder Blitze wahr. Andere erleiden Muskelkrämpfe, die mehrere Minuten an­dauern können, und verlieren das Bewusstsein. Wieder andere erleben nur eine kurze Bewusstseinseintrübung (Absence). Eine Epilepsie besteht dann, wenn die Anfälle wiederholt und spontan auftreten. Die Ursachen sind vielfältig. Neben einer genetischen Disposition können auch Entzündungen, Tumore und Verletzungen des Gehirns ursächlich sein. Carbam­azepin (z. B. Tegretal®, Timonil®) gilt als Mittel erster Wahl bei fokalen Anfällen, die im Gegensatz zu generalisierten Anfällen in begrenzten Bereichen des Gehirns beginnen. Es wirkt inhibierend auf spannungsabhängige Na+-Kanäle und hindert die Neuronen daran, hochfrequente Aktionspoten­ziale abzufeuern. Diese Natrium-Kanäle werden durch das biogene Polyamin Spermin moduliert. Ähnlich wie Carbam­azepin bindet es innerhalb des Natrium-Kanals. Es konnte bereits gezeigt werden, dass die intrazelluläre Spermin-Konzentration bei Epilepsie aufgrund eines verstärkten Abbaus durch das Enzym ­N-Acetyltransferase reduziert ist.

Es wurde die Hypothese aufgestellt, dass ein Zusammenhang zwischen verminderter Spermin-Konzentration und einer Resistenz gegenüber Carbam­azepin besteht.

Die Bindungsstellen für Carbamazepin und Spermin befinden sich räumlich nah beieinander, was den Schluss zulässt, dass eine Interaktion beider Substanzen stattfinden könnte. Um diesen Zusammenhang zu prüfen, nutzten die Wissenschaftler Ratten mit einer durch Pilocarpin induzierten chronischen Epilepsie. Mithilfe der Patch-Clamp-Technologie wurde der Stromfluss durch die Ionenkanäle in der Zellkultur gemessen. Es konnte gezeigt werden, dass eine erhöhte intrazelluläre Spermin-Konzentration die Wirksamkeit von Carbamazepin bei Ratten mit chronischer Epilepsie signifikant erhöht. Diese Erkenntnisse können dazu beitragen, Wirkstoffe zur Behandlung pharmakoresistenter Epilepsien zu entwickeln. Offen bleibt, wie genau die Synergie zwischen Carbam­azepin und dem körpereigenen Spermin auf molekularer Ebene aussieht. |

Quelle

Aktories K (Hrsg) et al. Allgemeine und spezielle Pharmakologie und Toxikologie. 11. Auflage Elsevier GmbH, 2013:269-279

Beckonert NM et al. Polyamine Modulation of Anticonvulsant Drug Response; A Potential Mechanism Contributing to Pharmacoresistance in Chronic Epilepsy. J Neurosc 2018;38:5596-5605

Ulrich Schreiber

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