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Infektiologie

Angriff der Bakterienfresser

Bakteriophagen – die Lösung im Kampf gegen Antibiotika-Resistenzen?

Warum die chemische Keule einsetzen, wenn es auch die natürlichen „Fraßfeinde“ tun? Im Gewächshaus wird der Kampf gegen Schildlaus und Co. bereits so ausgetragen. Im Krankenhaus sieht es noch anders aus: Da wird der „Kampf“ gegen gefährliche und gefürchtete Bakterien derzeit noch nahezu ausschließlich mit Antibiotika geführt. Biologische „Waffen“ sind zumindest hierzulande noch völlig tabu. Dabei haben auch Bakterien natürliche Feinde, die eigentlich schon seit mehr als 100 Jahren bekannt sind. Könnten sie vielleicht bald den Einsatz der Antibiotika zurückdrängen? Oder bietet sich hier wenigstens eine zusätzliche Interventionsoption an? Der Fall von Tom Patterson, der im vergangenen Jahr durch die Presse ging, weist in diese Richtung. | Von Ilse Zündorf und Theo Dingermann

Die Entdeckung der „Bakterienfresser“

Es glich einem Wunder, als Ernest Hanbury Hankin 1896 beobachtete, dass sich die trübe Brühe des Ganges und Yamuna in Indien relativ plötzlich klärte und die darin vorhandenen Cholerabakterien tot waren. Ernest Hanbury Hankin musste sich mit der Beobachtung des Phänomens zufriedengeben. Die Aufklärung der Ursache für das Bakteriensterben blieb anderen vorbehalten.

Erst ungefähr 20 Jahre später, als der Erste Weltkrieg in vollem Gange war, wurde das Thema wieder verstärkt beforscht: Der Brite Frederick Twort und der Kanadier Félix d’Hérelle entdeckten unabhängig voneinander unsichtbare „Mikroben“, die Bakterien eliminieren können. Die Beobachtung, dass in einem trüben Bakterienrasen plötzlich transparente Löcher entstehen, veranlasste d’Hérelle dazu, die vermeintlichen „Mikroben“ als „Bakteriophagen“ zu benennen, nach dem griechischen Wort phagein für ‚essen‘ [1].

Erst nachdem in den 1930er-Jahren die Elektronenmikroskopie entwickelt worden war, gelang es, die Bakteriophagen und auch die Lyse der Bakterien sichtbar zu machen [2, 3]. Anfang der 1940er-Jahre war bereits klar, dass Bakteriophagen vergleichbar mit Viren sind und dass sie aus einem Kopf und einem wesentlich dünneren Schwanz bestehen. Bereits gut zehn Jahre bevor überhaupt die Doppelhelixstruktur der DNA veröffentlicht wurde, sprachen Wissenschaftler den Phagen eine große genetische Bedeutung zu [2].

Klassifizierung und „Lebensraum“ der Bakteriophagen

Mittlerweile sind bereits mehr als 6000 verschiedene Bakteriophagen entdeckt, die sich – ähnlich wie die humanpathogenen Viren – anhand ihrer enthaltenen Nukleinsäuren und ihrer Partikelhüllen einteilen lassen [4]. Die genetische Information der Phagen kann sowohl als einzelsträngige (single stranded: ss) oder auch doppelsträngige (double stranded: ds) RNA oder DNA vorliegen. Als Schutz der Nukleinsäure dient üblicherweise ein Proteincapsid. Nur sehr wenige Bakteriophagen weisen eine Membranhülle auf, wie sie z. B. das HI-Virus oder Influenzaviren besitzen.

Auf Bakteriophagen stoßen wir eigentlich überall, wo wir auch Bakterien finden – wenn wir sie in irgendeiner Form sichtbar machen können. Nicht nur Erdreich oder Gewässer sind als Quelle geeignet, sondern auch unser eigener Darm, unsere Haut oder unser Respirationstrakt. In wässrigem Milieu sind ca. 104 bis 108 Phagen-Partikel pro Milliliter und im Erdboden ungefähr 109 Phagen pro Gramm zu finden [5]. Eine Hochrechnung hat für die gesamte Erde die unglaubliche Menge von 1032 Phagen ergeben [6]! Richtig sehen können wir Bakteriophagen nur mithilfe eines Elektronenmikroskops. Der Nachweis, dass sie da sind, gelingt indirekt über Bakterien: Bringen wir eine Bakteriensuspension auf eine Agarplatte auf, wachsen sie recht schnell zu einem dichten, trüben Rasen. Befanden sich in der Suspension zusätzlich einzelne Bakteriophagen, verursachen diese durchsichtigere Stellen, die sogenannten Plaques, im Bakterien­rasen. Diese „Löcher“ entstehen dadurch, dass die Bakterien infolge einer Infektion mit einem Phagen schlechter oder gar nicht wachsen können oder sogar abgetötet werden. Zählt man die Plaques auf einer Agarplatte aus und bezieht sie auf das eingesetzte Volumen, lässt sich die Phagen-Konzentra­tion in der Ausgangslösung als Plaque-forming Unit pro Milliliter (PFU/ml) errechnen.

„Lebenszyklus“ von Bakteriophagen

Bakteriophagen sind „nur“ Informationspakete. Wie unsere humanpathogenen Viren sind auch Bakteriophagen auf eine Zelle angewiesen, um sich vermehren zu können, und ebenso wie Mumps- oder Masern-Viren und Co. sind die auch als Bakterien-Viren bezeichneten Bakteriophagen bezüglich ihres Wirts sehr wählerisch. Als Erkennungs- und Adhäsions­moleküle dienen verschiedene bakterielle Strukturen wie das Peptidoglycan der Zellwand, Proteine der äußeren Membran bei gram-negativen Bakterien, Teichonsäure der Gram-positiven, Oligosaccharide, Lipopolysaccharide, Kapselbestandteile, Flagellen, Fimbrien oder Sexpili. Nach Andocken des Phagen an die Zielzelle wird – eventuell unter lokalem Auflösen der Zellwand – die Nukleinsäure in das Bakterium injiziert, während die leere Phagen-Hülle außen bleibt (Abb. 1). Was nun passiert, ist abhängig vom speziellen Phagen-Typ: Virulente oder lytische Phagen, wie T4, bringen ihre Wirtszelle dazu, sofort alle Stoffwechselaktivitäten auf die Produktion neuer Viruspartikel zu verlagern. Anschließend werden die frisch gebildeten infektiösen Partikel unter Lyse des Bakteriums freigesetzt und können den Zyklus wieder starten (Abb. 1A). Schonender gehen andere Phagen, wie der filamentöse Phage M13, mit ihrer Wirtszelle um. Diese Phagen lassen ihren Wirt – chronisch infiziert – am Leben, während das Bakterium kontinuierlich weiter Viruspartikel produziert und sezerniert. Einen alternativen Infektionsweg schlägt der lysogene Phage Lambda ein: Nach Einbringen der doppelsträngigen DNA integriert das Virusgenom als sogenannter Prophage in das Genom der Wirtszelle, bleibt zunächst jedoch stumm und wird bei jeder Zellteilung an die Nachkommen weitergegeben (Abb. 1B). Unter bestimmten Bedingungen kann sich der Prophage reaktivieren, wodurch die Wirtszelle neue Viruspartikel produziert und diese unter Zelllyse freisetzt [7].

Grafik: Zündorf
Abb. 1A: Lebenszyklus der Bakteriophagen. Lytische Phagen führen nach relativ kurzer Zeit nach der Infektion zur massiven Vermehrung der Bakterien-Viren und zur Lyse der Wirtszelle.
Grafik: Zündorf
Abb. 1B: Lebenszyklus der Bakteriophagen. Temperente Phagen integrieren nach der Infektion der Wirtszelle ihr Genom in das Bakterienchromosom und werden bei jeder Zellteilung mit vererbt. Unter bestimmten Bedingungen kann der Prophage aktiviert werden und den lytischen Zyklus starten (vgl. Abb. 1A). Dabei kann allerdings ­versehentlich benachbarte DNA aus dem Bakteriengenom mit in das Phagenpartikel verpackt und in eine neue Wirtszelle übertragen werden.

Erste Therapieansätze mit Bakteriophagen

Bereits 1917 – lange bevor die Struktur der Bakteriophagen überhaupt bekannt war – setzte Félix d’Hérelle die infektiösen Partikel als Therapeutikum ein, um französische Soldaten von ihrer Ruhr zu heilen oder schwere Dysenterien bei Kindern zu behandeln. In seinem Laboratoire du Bactériophage in Paris wurden fünf verschiedene Phagen-Mischungen für verschiedene Krankheiten hergestellt: Bacté-coli-phage, Bacté-rhino-phage, Bacté-intesti-phage, Bacté-pyo-phage und Bacté-staphy-phage.

Über seine Freundschaft mit dem Georgischen Wissenschaftler Georgiy Eliava kam d’Hérelle nach Tiflis, wo die beiden 1936 das ‚Georgiy-Eliava-Institut für Bakteriophagen, Mikrobiologie und Virologie’ eröffneten. Dort wurden die ersten Phagen-Mischungen für die Cholera-Therapie im Südosten der damaligen UdSSR kommerziell hergestellt. Gerade die Cholera war ein gutes Ziel für Phagen-Therapien. Während des Zweiten Weltkriegs konnte in und um Stalingrad herum eine grassierende Epidemie durch die tägliche Verabreichung von Phagen an ca. 50.000 Menschen gestoppt werden, und auch in Ost-Pakistan und Afghanistan waren Phagen-Therapien gegen Cholera erfolgreich. Aus diesen Erfahrungen heraus setzte die Rote Armee regelmäßig „prophylactic phaging“ gegen Dysenterie- und Typhus-Epidemien ein: Die Soldaten mussten während der Zeit des höchsten Infektionsrisikos alle fünf bis sieben Tage zwei Tabletten mit Phagen schlucken und hatten dadurch sechs- bis achtmal weniger Infektionen des Gastrointestinaltraktes [6].

Auf der anderen Seite des Atlantiks wurden in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts am Oswaldo-Cruz-Institut in Rio de Janeiro kommerziell Phagen gegen Dysenterie produziert, und in den USA war die Eli Lilly Company in den 1940er-Jahren mit sieben verschiedenen Phagen-Produkten für die Anwendung am Menschen auf dem Markt, die gegen Haut-Abszesse, Ulzera und andere topische Infektionen, sowie gegen Infektionen des oberen Respirationstraktes angewendet wurden [6]. Allerdings waren zur gleichen Zeit die ersten Antibiotika in Europa und den USA verfügbar, sodass die Therapie mit Phagen im Westen uninteressant wurde. Das ändert sich erst jetzt allmählich wieder, denn das antibiotische Arsenal verzeichnet kaum noch Neuzugänge, und immer mehr Bakterien sind gegen die bisherigen Wirkstoffe resistent.

Im Gebiet der früheren UdSSR wurde jedoch weiterhin an Phagen-Therapien geforscht, sodass in Russland, Georgien und Polen entsprechende Phagen-Präparationen nach wie vor zugelassen und in Apotheken erhältlich sind [6]. Angewendet werden die Bakteriophagen dabei auf ganz unterschiedliche Weise: oral als Tablette oder in Form flüssiger Formulierungen mit einer Konzentration von 105 bis 107 plaque forming units (PFU)/Dosis. Außerdem gibt es rektale Applikationsmöglichkeiten oder lokal auf der Haut, im Auge, im Ohr, etc. einzusetzende Präparationen als Tropfen oder Cremes, als Aerosol aber auch als intra-pleurale Injektionen sowie – seltener – zur intravenösen Anwendung.

Revival der Phagen-Therapie im „Westen“

In Europa und den USA wurden die Bakteriophagen nur als Hilfsmittel in der Molekularbiologie verwendet – die Antibiotika waren einfach zu gut und zu leicht verfügbar. Durch den oft unreflektierten und zu häufigen Einsatz dieser Wunderwaffen, haben sie allerdings in den letzten Jahren ihre Schlagkraft eingebüßt: Immer mehr Bakterien sind gegen immer mehr Antibiotika resistent! Schätzungen des European Center for Disease Prevention and Control (ECDC) zufolge verstarben in Europa im Jahr 2009 ca. 25.000 Menschen an einer Infektion mit multiresistenten Bakterien. Findet kein Umdenken statt, steht zu befürchten, dass im Jahr 2050 weltweit zehn Millionen Menschen an multiresistenten Erregern sterben werden – das hat zumindest die RAND-Corporation in einer 2014 veröffentlichten Modellrechnung postuliert [8]. Um diese Entwicklung besser beobachten zu können, startete die WHO das Global Antimicrobial Surveillance System (GLASS), in dem die Meldedaten von 52 verschiedenen Ländern gesammelt werden. Der erste Report wurde im Januar veröffentlicht und zeigte eine weit verbreitete Antibiotika-Resistenz bei 500.000 Menschen, die in 22 Ländern mit Verdacht auf eine bakterielle Infektion untersucht worden waren [9].

Im vergangenen Jahr sorgte der dramatische Fall von Tom Patterson für Schlagzeilen, der im Urlaub in Ägypten im Dezember 2015 schwer erkrankte. Erst nach einer Krankenhaus-Odyssee mit etlichen vergeblichen Behandlungsversuchen und in buchstäblich letzter Minute konnte er durch eine intravenös verabreichte Phagen-Therapie gerettet werden. Die Acinetobacter-baumannii-Bakterien, die ihn infiziert hatten, waren sogar resistent gegen einen Cocktail aus Meropenem, Tigecyclin und Colistin [10]. Dieser Fall demonstriert eindrücklich, wie erfolgreich Phagen bei antibiotikaresistenten Bakterien eingesetzt werden können. Beim genaueren Hinschauen demonstriert der Fall aber auch die Schwierigkeiten der Therapie: Erst nach Anwendung verschiedener Phagen-Cocktails wurde Tom Patterson tatsächlich wieder gesund. Für manche schweren bakteriellen Infektionen finden sich auch einfach nicht rechtzeitig die richtigen Phagen-Cocktails. Die junge Mukoviszidose-Patientin Mallory Smith aus Pittsburgh, die sich nach einer Lungentransplantation eine Burkholderia-cepacia-Infektion eingefangen hatte, die auf keine einzige Antibiotika-Therapie ansprach, verstarb an ihrer Infektion. Obwohl aus aller Welt mehrere hundert Phagen geschickt wurden, konnte nicht mehr rechtzeitig der passende Phagen-Cocktail identifiziert und appliziert werden [10].

Phagen-Therapie: Hopes and Hypes

Für Tom Patterson waren die Phagen tatsächlich die letzte Chance, mit seinen multiresistenten Bakterien fertig zu werden. Er hatte allerdings auch Glück, dass rechtzeitig genügend unterschiedliche und passende Phagen-Cocktails zur Verfügung standen. Der ganz große Vorteil der Phagen ist, dass sie im Gegensatz zu Antibiotika absolut spezifisch für ihre Wirtszellen sind. Somit können ganz gezielt die pathogenen Bakterien attackiert werden, während alle anderen Mikroorganismen ungeschoren davonkommen – das bedeutet keine zerstörte Darmflora und kein Durchfall mehr wie nach einer Antibiotika-Therapie. Allerdings ist diese Spezifität auch gleichzeitig der große Nachteil der Phagen. Schließlich muss für jede Infektion zunächst der richtige Bakterien-„Killer“ ausgesucht werden. Das bedeutet, dass im Bedarfsfall zunächst die Erreger aus dem Patienten kultiviert und gegen verschiedene Phagen getestet werden müssen. Anhand des resultierenden Phagogramms kann daraufhin ein Cocktail aus ein paar unterschiedlich wirkenden Phagen zusammengestellt werden. Dadurch vergeht Zeit – eventuell zu viel Zeit für die Patienten. Allerdings ist dieser Schritt unbedingt nötig: Tom Patterson musste am eigenen Leib erfahren, dass Bakterien auch sehr schnell gegen Phagen resistent werden können, wenn sie zu ähnliche Angriffspunkte haben [10].

Je mehr verschiedene Phagen zur Auswahl stehen, desto schneller finden sich – hoffentlich – die richtigen. Für Therapiezentren ist es durchaus sinnvoll, sich eine möglichst umfangreiche Bank mit unterschiedlichen Phagen gegen bestimmte Bakterien anzulegen, die im Bedarfsfall getestet werden. Beispielsweise bietet das Ludwik Hirszfeld Institute of Immunology and Experimental Therapy in Breslau spezifische Phagen gegen 15 unterschiedliche Bakterien an, darunter Staphylococcus, Enterococcus, Pseudomonas, Escherichia und Acinetobacter. Nach Angaben des Instituts profitieren 35 bis 50% der dort behandelten Patienten von der Phagen-Therapie. In Tiflis ist das Phagen-Repertoire gegen eine Vielzahl an unterschiedlichen Serovaren von Escherichia coli, Enterococcus faecalis und etlichen anderen Bakterien gerichtet [11]. Weder in Breslau noch in Tiflis können jedoch intrazelluläre Bakterien wie Mycobacterien oder Rickettsien mit Phagen adressiert werden.

In den überwiegenden Fällen werden die Phagen in Breslau und Tiflis – im Unterschied zur Therapie bei Tom Patterson – nicht intravenös angewendet. Das verringert die Gefahr, dass das Immunsystem mit der Bildung neutralisierender Antikörper auf die Verabreichung der fremden Moleküle reagiert, was natürlich den Therapieerfolg reduzieren würde. Die besten Ergebnisse wurden bisher mit topisch, oral oder rektal verabreichten Phagen gegen Infektionen der Haut oder des Gastrointestinaltraktes erzielt, während Infektionen im Respirationstrakt schwerer zu erreichen sind [12].

Verwendet wurden bei den bisherigen Therapieversuchen immer lytische Phagen, die direkt zur Zerstörung des Wirtsbakteriums führen. Dadurch können anfangs relativ wenige Bakterien-Viren eingesetzt werden, die sich recht schnell und so lange im Patienten vermehren, wie die Wirtsorganismen dort vorkommen. Danach „sterben“ die Bakteriophagen einfach ab – also eigentlich genau das, was man erreichen will. Der Nachteil der lytischen Phagen ist allerdings, dass bei einer initial hohen Bakterien-Konzen­tration und einer starken Lyse der Zellen sehr plötzlich hohe Konzentrationen von Endotoxinen freigesetzt werden, die eine Entzündungsreaktion im Patienten auslösen können. Temperente Phagen mit einem lysogenen Lebens­zyklus sind jedoch auch keine wirkliche Alternative, denn sie integrieren ihre DNA zunächst in das Bakterien-Genom. Sobald der lytische Teil des Zyklus initiiert wird, wird das Phagen-Genom kopiert, wobei jedoch teilweise auch bakterielle Gene mitgenommen werden. Das kann dazu führen, dass Virulenz- oder auch Resistenz-Gene zwischen Bakterien ausgetauscht werden [11].

Kommen bald Phagen-Therapeutika?

Bisher ist weder bei der US-amerikanischen Zulassungsbehörde FDA noch bei der europäischen Zulassungsbehörde EMA ein Phagen-Therapeutikum zugelassen. Am 8. Juni 2015 fand bei der EMA ein Workshop zur „Phagen-Therapie“ statt. Hauptthema bei diesem Workshop waren unter anderem die Erfahrungen, die bis dato mit der klinischen Studie Phagoburn gesammelt wurden. Eines der großen Probleme war die GMP-konforme Herstellung einer größeren Menge der beiden Phagen-Cocktails mit den zwölf verschiedenen Phagen gegen P. aeruginosa bzw. 13 Phagen gegen E. coli, die topisch bei Brandwunden eingesetzt werden sollten. Schließlich muss jeder einzelne Phage in seinem spezifischen (pathogenen) Bakterium vermehrt und anschließend so gut aufgereinigt werden, dass sicher kein bakterielles Zellprodukt mehr in der Lösung enthalten ist. In der Phagoburn-Studie wird ein industriell vorgefertigter Cocktail aus verschiedenen Phagen verwendet, dessen Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit nachgewiesen werden soll. Denkbar ist jedoch – wie bei Tom Patterson – auch eine personalisierte Therapie mit speziellen Bakteriophagen, die als compassionate use die bakterielle Infektion einer/s spezifischen Patientin/en unterdrückt (Abb. 2).

Grafik: Zündorf
Abb. 2: Unterschiedliche Ansätze für Phagen-Therapeutika. A) Gegen gängige Bakterieninfektionen können Cocktails aus bewährten Phagen-Präparationen hergestellt werden, die in klinischen Studien ihre Sicherheit, Unbedenklichkeit und Wirksamkeit nachgewiesen haben. B) Bei schwierigeren Infektionen muss zunächst ein Phagogramm der wirksamen Phagen erstellt werden. Erst danach kann ein patientenspezifischer Cocktail zusammengestellt, kultiviert, aufgereinigt und appliziert werden.

Schwierig ist derzeit auch die Zuordnung der Phagen-Lösungen zu einer bestimmten Arzneimittelkategorie: Zählen sie eher zu den Biologika gemäß der Commission Directive 2001/83/EC oder aber zu den ‚advanced therapy medicinal products‘ (ATMP) nach Commission Directive 2003/63/EC? Der Vorteil einer Zulassung als ATMP wäre, dass sie auf der Basis des Herstellungsprozesses und nicht auf der Basis des Endproduktes erfolgt und somit für verschiedene Phagen genutzt werden kann.

Bisher sind die großen Pharmafirmen, die klinische Studien finanzieren können, bezüglich der Phagen-Therapeutika sehr zurückhaltend, denn die Entwicklung des Arzneimittels ist teuer, der Einsatz bei bakteriellen Infektionen limitiert und die Wildtyp-Bakteriophagen nur bedingt patentierbar, sodass ein Return-of-Investment sehr fraglich ist. Die Hersteller, die die Phagen-Lösungen für die bisher durch­geführten Studien produziert haben, sind eher kleinere Firmen wie Ampliphi Biosciences/Biocontrol Ltd. UK oder Pherecydes Pharma aus Frankreich, die immer noch sehr eng mit Forschungseinrichtungen verbunden sind [13].

Alternative Therapieansätze auf Bakteriophagen-Basis

Wildtyp-Phagen sind zwar relativ leicht zu finden – schließlich gibt es sie überall da, wo es auch die zugehörigen Bakterien gibt – aber sie sind vielleicht nicht unbedingt als (alleinige) Therapeutika geeignet. Eine bereits relativ alte Idee besteht in der Kombination von Antibiotika mit Bakteriophagen. In diesem Therapieansatz würden die Phagen beispielsweise einen kompakten bakteriellen Biofilm auflösen, um den Weg frei zu machen, damit das Antibiotikum voll wirksam sein kann.

Sehr vielversprechend sind die Forschungen zu den Phagen-Proteinen Holin und Endolysin. Holin wirkt sowohl als molekulare Uhr als auch als Wegbereiter für Endolysin: Während die Phagen-Partikel in der Zelle zusammengebaut werden, reichert sich Holin in der Zellmembran an und führt am Ende des lytischen Zyklus zu einer Porenbildung. Durch diese Pore können die Endolysin-Moleküle die Zellwand erreichen und das Peptidoglycan-Gerüst hydrolysieren. Während Holin allein nicht wirksam gegen Bakterien eingesetzt werden kann, sind die Endolysine auch allein aktiv, entfalten zum Teil erstaunliche Spezifitäten gegenüber bestimmten Bakterien und können sogar Sporen attackieren – ein gewaltiger Vorteil gegenüber Antibiotika und kompletten Phagen [14].

Ähnlich wie man über die Kombinationstherapie aus Antibiotika mit Phagen nachgedacht hat, lässt sich auch eine Kombination aus Antibiotikum und Endolysin vorstellen, was die Wirksamkeit beider Wirkstoffe verbessern würde. Endolysine haben allerdings den Nachteil, dass sie normalerweise vom Zellinneren kommend die Zellwand attackieren. Bei grampositiven Bakterien scheint das keinen Unterschied auszumachen und dennoch wirksam zu sein. Bei gramnegativen Bakterien hingegen verhindert die äußere Membran die direkte Interaktion zwischen Endolysin und Peptidoglycan-Schicht. Umgehen lässt sich dieses Problem, indem ein artifizielles, sogenanntes Antilysin kreiert wird. Dieses Antilysin besteht aus einer Fusion zwischen Endolysin und einem Peptid, das wiederum die Lipopolysaccharide der äußeren Membran destabilisiert [14].

In einer kleinen Vorschau in Nature, welche Themen wohl 2018 die Wissenschaftswelt bewegen werden, wurden tatsächlich auch Bakteriophagen genannt, allerdings in Kombination mit CRISPR/Cas [15]. Werden nämlich Phagen gentechnisch so verändert, dass sie die nötigen Komponenten für die spezifische Genschere in pathogene Bakterien einschleusen, wird nur ihre Spezifität und Infektiosität ausgenutzt. Den Rest erledigen die CRISPR/Cas-Komponenten. Zwei alternative Ansätze werden verfolgt: Mit CRISPR/Cas9 und spezifischen guideRNAs können genau die Virulenzfaktoren pathogener Bakterien adressiert und zerstört werden. Dabei bleiben die Bakterien eventuell sogar am Leben und andere Mikroorganismen, die eventuell auch durch die Phagen infiziert werden, bleiben unbehelligt. Demgegenüber zerschneidet Cas3 im CRISPR-Komplex nicht nur ein bestimmtes bakterielles Gen, sondern das gesamte Bakteriengenom [16]. Der Vorteil dieses Verfahrens ist, dass die Bakterien zwar absterben aber nicht massiv lysiert werden, so dass nicht im Übermaß Endotoxine freigesetzt werden.

Wofür kann man Phagen auch noch nutzen?

Bakterien können auf ganz unterschiedliche Arten lästig werden und können überall dort auch mit Bakteriophagen bekämpft werden. Zwar selten, aber doch mit gewaltigem Medienrummel verbunden sind Rückrufaktionen von Schinken-, Wurstprodukten oder Käse infolge einer Kontamination mit Listeria monocytogenes. Diese Bakterien verursachen eine Listeriose, die in 30% der Fälle tödlich verläuft. In den USA hat man auf die Gefahr reagiert und verschiedene Phagen-Cocktails zugelassen, die an unterschiedlichen Stellen der Lebensmittelherstellung eingesetzt werden: BacWash™ kann vor der weiteren Verarbeitung auf Schlachttiere gesprüht werden, um die Anzahl der Salmonellen oder Coli-Bakterien auf den Tierhäuten zu verringern. Andere Phagen-Suspensionen werden kurz vor der Verpackung über Ready-to-Use-Fleisch-, -Fisch- und -Geflügelprodukte versprüht. Neben Listex™ oder ListShield™ gegen Listerien wurden auch noch andere Produkte entwickelt, wie z. B. Salmonelex™ bzw. SalmoFresh™ gegen Salmonellen oder Eco­Shield™ gegen Escherichia coli O157:H7. Und AgriPhage™ schützt Tomaten- und Paprikapflanzen bei Infektionen mit Xanthomonas campestris pv vesicatoria oder Pseudomonas syringae pv tomato. In Europa sind derartige Dekontaminationsmittel allerdings noch nicht zugelassen.

Grafik: Zündorf
Abb. 3: Netzwerk zwischen Phagen-Forschung und -Anwendung [12].

Fazit

Die Anwendungsmöglichkeiten von Bakteriophagen gegen Bakterien sind unzählig und sehr vielfältig. Ob sie sich jedoch direkt als Therapeutika etablieren werden, ist fraglich. Immer noch ist viel zu wenig bekannt, wie sich eine Applikation von bestimmten Phagen-Cocktails auf die bestehenden Populationen der Mikroorganismen und ihrer spezifischen Phagen in unserem Körper auswirken wird. Erfolgversprechender sind hier wahrscheinlich eher die gereinigten Lysine. Forschung ist allerdings dringend erforderlich – das haben auch einige Wissenschaftler in Deutschland erkannt und im Oktober 2017 das 1. Deutsche Phagen-Symposium organisiert, auf dem sich insgesamt 170 Teilnehmer aus 20 verschiedenen Ländern zu wichtigen Themen rund um Phagen ausgetauscht haben [17]. Es tut sich einiges in Deutschland. So wurde das Nationale Forum Phagen gegründet (https://nationales-forum-phagen.uni-hohenheim.de), und das BMBF fördert das Projekt „Phage4Cure – Developing bacteriophages as approved therapy against bacterial infections“, das 2017 vom Leibniz-Institut DSMZ, dem Fraunhofer-Institut und der Charité gestartet wurde. Die Entwicklung der Phagen-Therapeutika ist und bleibt spannend und es wird in den kommenden Jahren wahrscheinlich das ein oder andere Präparat auf Phagen-Basis kommen (Abb. 3). |

Literatur

 [1] Wittebole X, De Roock S, Opal SM. A historical overview of bacteriophage therapy as an alternative to antibiotics for the treatment of bacterial pathogens. Virulence, 5 (2014),226-235

 [2] Luria SE, Anderson TF. The Identification and Characterization of Bacteriophages with the Electron Microscope. Proc. Natl. Acad. Sci. U S A. 28(1942),127-130

 [3] Ruska H. Über die Sichtbarmachung der bakteriophagen Lyse im Übermikroskop. Naturwissenschaften 28(1940),45-46

 [4] Wittebole X, De Roock S, Opal SM. A historical overview of bacteriophage therapy as an alternative to antibiotics for the treatment of bacterial pathogens. Virulence 5(2014),226-235

 [5] Drulis-Kawa Z, Majkowska-Skrobek G, Maciejewska B. Bacteriophages and phage-derived proteins – application approaches. Curr Med. Chem. 22(2015),1757-1773

 [6] Chanishvili N. Bacteriophages as Therapeutic and Prophylactic Means: Summary of the Soviet and Post Soviet Experiences. Curr. Drug Deliv. 13(2016),309-323

 [7] Weinbauer G. Ecology of prokaryotic viruses. FEMS Microbiol. Rev. 28(2004),127-181

 [8] Taylor J, Hafner M, Yerushalmi E et al. Estimating the economic costs of antimicrobial resistance Model and Results. http://www.rand.org/pubs/research_reports/RR911.html

 [9] GLASS report. http://www.who.int/glass/en/

[10] LaFee S, Buschmann H. Novel Phage Therapy Saves Patient with Multidrug-Resistant Bacterial Infection. UC San Diego News Center (2017) https://ucsdnews.ucsd.edu/pressrelease/novel_phage_therapy_saves_patient_with_multidrug_resistant_bacterial_infect

[11] Cisek AA, Dąbrowska I, Gregorczyk KP, Wyżewski Z. Phage Therapy in Bacterial Infections Treatment: One Hundred Years After the Discovery of Bacteriophages. Curr Microbiol. 74(2017),277-283

[12] Viertel TM, Ritter K, Horz HP. Viruses versus bacteria-novel approaches to phage therapy as a tool against multidrug-resistant pathogens. J Antimicrob Chemother. 69(2014),2326-2336

[13] Henein A. What are the limitations on the wider therapeutic use of phage? Bacteriophage, 3:2 (2013), e24872, DOI: 10.4161/bact.24872

[14] Lin DM, Koskella B, Lin HC. Phage therapy: An alternative to antibiotics in the age of multi-drug resistance. World J Gastrointest Pharmacol Ther 8(2017),162-173

[15] Gibney E. What to expect in 2018: science in the new year. Nature 553(2018),12-13

[16] Gilbert N. Four stories of antibacterial breakthroughs. Nature 555(2018),S5-S7

[17] Huber I. Potapova, K., Kuhn, A., et al.: 1st German Phage Symposium–Conference Report. Viruses 10 (2018), 158; doi:10.3390/v10040158

Autoren

Prof. Dr. Theo Dingermann ist Senior­professor am Institut für Pharmazeu­tische Biologie an der Goethe-Univer­sität Frankfurt.


Dr. Ilse Zündorf ist dort als akademische Oberrätin tätig.

Institut für Pharmazeutische Biologie, Biozentrum, Max-von-Laue-Straße 9, 60438 Frankfurt/Main

autor@deutsche-apotheker-zeitung.de

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