- DAZ.online
- DAZ / AZ
- DAZ 24/2018
- Was tun, wenn der ...
Rezeptur
Was tun, wenn der Wirkstoff ausfällt?
Ursachen der Präzipitatbildung und Lösungsstrategien
Ursachen
Ausfällungen durch pH-Verschiebung. Den pH-Wert beeinflussende Substanzen (weitere Wirkstoffe, Pufferkomponenten, Komplex- bzw. Gelbildner etc.), die in der Rezeptur enthalten sind, können zu pH-Wert-Verschiebungen führen, die die Löslichkeit bestimmter Rezepturkomponenten negativ beeinflussen. Im Wesentlichen kommen hierbei zwei Fällungsmechanismen infrage:
- gegenionische Ausfällungen durch Bildung neuer Ionen (z. B. durch Überführung von freien Säuren/Basen in ihre jeweiligen Salze)
- Ausfällungen durch Überführung von Substanzen in Formen, die im betreffenden Medium unlöslich sind (z. B. Freisetzung der in Wasser nicht/schlecht löslichen freien Base aus ihrem gut wasserlöslichen Salz)
Ein anschauliches Beispiel für ein derartiges Phänomen sind Tetracainhydrochlorid-Augentropfen 1,0% (NRF 15.12.). Der pKs-Wert von Tetracainhydrochlorid liegt bei 8,39, sodass 1%ige wässrige Tetracainhydrochlorid-Lösungen im pH-Bereich 4,5 bis 6,5 sauer reagieren. Wird die Zubereitung darüber hinaus mit Borsäure isotonisiert, reagiert die Rezeptur so sauer, dass – nicht nur aufgrund der pH-Aktivität des Wirkstoffs – mit einer vergleichsweise schlechten Lokalverträglichkeit im Auge zu rechnen ist. Um letztere zu verbessern, kann die saure Reaktion durch Zusatz basisch reagierenden Natriumtetraborat-Decahydrats (Borax) teilweise neutralisiert werden. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass Tetracainhydrochlorid oberhalb von pH 7,0 beginnt als freie Base auszufallen (siehe Abb. 1). Dies gilt im Übrigen auch, wenn statt mit Borsäure – wie im NRF vorgesehen – mit nicht pH-aktivem Natriumchlorid isotonisiert wurde. Deshalb, aber auch wegen der Hydrolyseempfindlichkeit von Tetracain, werden Tetracainhydrochlorid-Augentropfen auf etwa pH 6,5 eingestellt, was den optimalen Kompromiss zwischen lokaler Verträglichkeit einerseits sowie physikalischer und chemischer Stabilität andererseits darstellt.
Ausfällungen durch ionische Wechselwirkungen. Tragen ein Wirk- und ein Hilfsstoff derselben Zubereitung entgegengesetzte Ladungen, so kann es zur Bildung von Arzneistoff-Hilfsstoff-Salzen kommen. Dabei sind die einzelnen Komponenten in der Regel zwar weiterhin chemisch nachweisbar, jedoch dissoziieren die Salze großer Ionen häufig nur schwach und sind schlecht löslich.
Dabei sind nicht nur Wirkstoffe von Inkompatibilitäten aufgrund ionischer Wechselwirkungen betroffen. Zum Beispiel kann die freie Konzentration eines ionischen Konservierungsmittels durch Salzbildung mit anderen, entgegengesetzt geladenen Hilfsstoffen unter die minimale Hemmkonzentration sinken, sodass die mikrobielle Stabilität der Zubereitung nicht mehr gewährleistet ist. Für zahlreiche kationische Wirkstoffe sind zudem Wechselwirkungen mit anionischen Hilfsstoffen, Emulgatoren oder Gelbildnern bekannt (siehe Abb. 3), die sich unmittelbar durch ein Brechen der Emulsion oder eine Verflüssigung des Gels zeigen können. Ausfällung oder Auskristallisationen müssen jedoch nicht immer als manifeste Inkompatibilität erkennbar sein, z. B. wenn die Ausfällung nicht spontan auftritt, sondern langsames Kristallwachstum erfolgt, das erst nach Tagen erkennbar wird.
Bei Stoffen deren Löslichkeit nur knapp gegeben ist, können neben kleineren Abweichungen vom geeigneten pH-Wert auch Temperaturschwankungen ausreichen, um eine Trübung oder einen Niederschlag in der vormals klaren Lösung hervorzurufen. Mitunter sind daher Lagerung oder Transport bei zu tiefen Temperaturen für die Ausfällung kritischer Substanzen verantwortlich. Oft, aber nicht immer, kann der Niederschlag durch einfaches Erwärmen wieder aufgelöst werden (siehe Abb. 2).
Handlungsoptionen
Es lässt sich das allgemeine Ziel formulieren, dass Zubereitungen, in denen Rezepturbestandteile ungewollt ungelöst vorliegen sowie unerwünschte Ausfällungen vermieden werden sollten. Doch so unterschiedlich wie die Ursachen, die dem Rezepturproblem zugrunde liegen, sind auch die Lösungsansätze. Bei kritischem Lösungsverhalten muss daher im Einzelfall entschieden werden, welche der nachfolgenden Handlungsoptionen gegebenenfalls infrage kommt.
Wahl alternativer Wirkstoffformen (Salz, Ester). Löst sich eine Wirkstoffbase nur unzureichend in einer wässrigen Zubereitung, stellt sich die Frage: Gibt es möglicherweise Salze oder Ester, die alternativ einsetzbar sind und eine bessere Wasserlöslichkeit besitzen? Existiert eine solche Alternative und spricht auch sonst nichts gegen einen Austausch, kann dieser vorgenommen werden. Allerdings muss dabei aufgrund des unterschiedlichen Molekulargewichts der Substanzen eine Einwaagekorrektur berücksichtigt werden. Zu hinterfragen ist auch, ob die ausgetauschten Stoffe therapeutisch gleichwertig sind: Nicht zulässig wäre beispielsweise ein Austausch der Ester lokal wirksamer Glucocorticoide (z. B. Betamethason-21-valerat) in Dermatika gegen lokal unwirksame, nicht veresterte Formen (z. B. Betamethason).
Der Rezeptur-Retter
Die maßgeschneiderte Rezeptur gehört zum zentralen Repertoire der patientenindividuellen Therapie. Das Finden der geeigneten, wirksamen und qualitativ höchsten Ansprüchen genügenden Formulierung stellt den verordnenden Arzt und auch die herstellende Apotheke vor eine komplexe Aufgabe. Um gegen alle möglichen Probleme, die bei der Erstellung einer Rezeptur auftreten können, gewappnet zu sein, ist im Deutschen Apotheker Verlag ein neues Buch erschienen. Jedes seiner 20 Kapitel widmet sich der Lösung eines möglichen Problems auf dem Weg zur optimalen Zubereitung.
- Ausgehend vom kritischen Punkt werden verschiedene Handlungsoptionen dargestellt.
- Beispiele zeigen, wie aus einer problematischen Verordnung eine plausible Rezeptur wird.
- Eigens für dieses Werk erstellte Fotos veranschaulichen den Unterschied zwischen inkompatiblen und optimierten Rezepturen.
Arbeitshilfen am Ende jedes Kapitels erleichtern die Übertragung der verschiedenen Lösungsvorschläge auf nahezu jede Rezepturverordnung und reduzieren den Rechercheaufwand drastisch.
Andreas S. Ziegler (Hrsg.)
Rezeptur-Retter
Problemrezepturen erkennen – Rezepturprobleme vermeiden
XII, 370 S., 59 farb. Abb., 82 farb. Tab., 19,3 × 27,0 cm, Gebunden, 69,80 Euro, Subskriptionspreis bis 15. September 2018: 55,80 Euro
ISBN 978-3-7692-6828-7
Deutscher Apotheker Verlag 2018
Einfach und schnell bestellen
Deutscher Apotheker Verlag, Postfach 10 10 61, 70009 Stuttgart
Tel. 0711 – 25 82 341, Fax: 0711 – 25 82 290
E-Mail: service@deutscher-apotheker-verlag.de
oder unter www.deutscher-apotheker-verlag.de
pH-Wert-Anpassung. Die Löslichkeit kann auch über den pH-Wert der Zubereitung beeinflusst werden. So können sauer reagierende Substanzen durch eine pH-Wert-Erhöhung besser in polaren Medien gelöst werden. Demgegenüber sind Wirkstoffbasen oft im Sauren besser löslich. Folglich muss in wässrigen Zubereitungen bei zu niedrigem pH-Wert mit dem Ausfallen von Säuren, bei zu hohem pH-Wert mit dem Ausfallen von Basen gerechnet werden (siehe Kasten „Rezepturbeispiel“).
Rezepturbeispiel
verordnete Rezeptur
Ethacridinlactat-Monohydrat 0,250 g
Lidocainhydrochlorid
(entspricht 0,5 g Base) 0,618 g
Glycerol 85% ad 100,000 g
M. D. S.: dreimal täglich mit einem Wattestäbchen auf die Mundschleimhaut auftragen
Problembeschreibung und Lösung
Das verordnete Rezepturarzneimittel kombiniert das Lokalanästhetikum Lidocainhydrochlorid mit dem ebenfalls lokal wirksamen Antiseptikum Ethacridinlactat-Monohydrat und soll als anästhesierendes Mundantiseptikum eingesetzt werden. Da sich ein Teil Ethacridinlactat-Monohydrat in etwa 15 Teilen Wasser löst, läge Ethacridinlacat in der verordneten Zubereitung vollständig gelöst vor. Der pH-Wert wässriger Ethacridinlactat-Monohydrat-Lösungen liegt – bei Abwesenheit anderer pH-aktiver Komponenten – zwischen 5,5 und 7,0. Auch die Verordnung des sehr leicht in Wasser löslichen Lidocainhydrochlorids erscheint wegen der vergleichsweise geringen Löslichkeit der Base von 0,4% in Wasser auf den ersten Blick sinnvoll. Ethacridinlactat ist mit Chlorid-Ionen jedoch inkompatibel; es würde zu Ausfällungen kommen.
Lidocain-Salze mit anderen Gegenionen als Chlorid stehen derzeit allerdings nicht als Rezepturausgangsstoff zur Verfügung. Alternativ ist lediglich die freie Lidocain-Base erhältlich, die jedoch durch Säurezugabe zügig protoniert und unter Salzbildung in Lösung gebracht werden kann. Hierfür eignet sich beispielsweise Essigsäure, mit der die Zubereitung schwach angesäuert wird (etwa pH 6), sodass bei Einsatz der Lidocain-Base – durch entsprechende Senkung des pH-Werts – mit einfachen Mitteln eine hinreichende Löslichkeit des Wirkstoffs erreicht werden kann.
optimierte Rezeptur
Ethacridinlactat-Monohydrat 0,250 g
Lidocain (Base) 0,500 g
Essigsäurelösung 1% 15,000 g
Glycerol 85% ad 100,000 g
M. D. S.: dreimal täglich mit einem Wattestäbchen auf die Mundschleimhaut auftragen
Alternative Lösungsmittel bzw. Lösungsvermittler. Kann eine Substanz grundsätzlich in Lösung gehen oder ist dies aus galenischen bzw. therapeutischen Gründen sogar dringend erforderlich, besteht gegebenenfalls die Möglichkeit, die Löslichkeit und das Lösungsverhalten der Substanz durch die Auswahl eines geeigneten Lösungsmittels oder Lösungsmittelgemisches zu verbessern.
Gelegentlich werden auch Lösungsvermittler eingesetzt, um die Löslichkeit bestimmter Arzneistoffe in wässrigen Medien zu erhöhen oder Fällungen zu vermeiden. Im Falle von Augentropfen, die Kombinationen von Fluorescein-Natrium mit Lokalanästhetika (z. B. Lidocainhydrochlorid) enthalten, können beispielsweise durch den Zusatz von 1 bis 2% Polysorbat 20 sogar bereits eingetretene Fällungen wieder aufgelöst werden.
Grundlagentausch. Bei halbfesten Zubereitungen ist es mitunter erforderlich die Grundlage auszutauschen, da ionische Hilfsstoffe (meist Emulgatoren oder Gelbildner) enthalten sein können, die Fällungsprodukte mit entgegengesetzt geladenen Wirkstoffmolekülen bilden. Ein Beispiel hierfür ist die Inkompatibilität von Chlorhexidindigluconat und anionischer hydrophiler Creme DAB (siehe Abb. 3). Neben Cetylstearylalkohol ist Natriumcetylstearylsulfat integraler Bestandteil des Mischemulgators Emulgierender Cetylstearylalkohol Typ A, der in anionischer hydrophiler Creme DAB verwendet wird. In Gegenwart von Chlorhexidindigluconat bildet der Sulfatrest des anionischen Emulgators mit dem kationischen Teil des Wirkstoffs ein schwer lösliches Salz, das keine emulgierenden Eigenschaften mehr besitzt. Um diese Inkompatibilität zu vermeiden, muss demnach eine Grundlage mit einem nichtionischen Emulgator gewählt werden, beispielsweise Basiscreme DAC. |
Literatur
Ziegler AS. Rezeptur-Retter: Problemrezepturen erkennen – Rezepturprobleme vermeiden. Deutscher Apotheker Verlag 2018
Neues Rezeptur-Formularium, www.dacnrf.de
Lesen Sie zur Rezeptur außerdem in dieser DAZ-Ausgabe:
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.