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Wirtschaft
2HM-Gutachten fällt wie ein Kartenhaus in sich zusammen
Rechenfehler, falsche Bezugsgrößen und widersprüchliche Aussagen nachgewiesen
Aber eines war sofort klar: Eine systematische Analyse des Gutachtens (d. h. der Vorschläge zur Honorierung in der Wertschöpfungskette) macht nur Sinn, wenn man den Warenströmen folgt, also zunächst die Vergütung des Großhandels, und anschließend – darauf aufbauend – die Honorierung der Apotheken analysiert. Denn mit jeder Veränderung der Großhandelsvergütung ändern sich auch die Einkaufspreise der Apotheken – und damit zwangsläufig die Kalkulationsbasis derselben.
Uwe Hüsgens 15 Seiten umfassendes Gegengutachten mit weiteren Anmerkungen finden Sie auf DAZ.online, wenn Sie in das Suchfeld den Webcode W2YA4 eingeben.
Da eine Änderung der Großhandelsvergütung aber z. B. auch auf den Direktbezug der Apotheken durchschlägt, muss auch dieses Marktsegment bei den Berechnungen Berücksichtigung finden. Warum im vorliegenden Gutachten einerseits eine andere Reihenfolge gewählt wurde, anderseits u. a. der Direktbezug nicht ausreichend Berücksichtigung gefunden hat, erschließt sich nicht. Darum gilt: Wenn man den Gutachtern bei ihren Berechnungen zum Großhandel schon gravierende Fehler nachweisen kann, müssen alle darauf aufbauenden Berechnungen natürlich verworfen werden.
Rechenfehler
Nach Auffassung des Phagro sind Betäubungsmittel (BtM), Kühlartikel und Hochpreíser – mit Blick auf die Distribution – kostenintensive Arzneimittel. Die Gutachter haben diese Einschätzung des Phagro aufgegriffen und dazu eine Befragung unter den Großhändlern durchgeführt. Auf der Grundlage dieser Erhebung haben sie anschließend verschiedene Rechnungen angestellt [Gutachten, S. 176 ff.]: „Unter Einbezug [von] der ermittelten Gewichtungsfaktoren … ergeben sich … gewichtete Packungszahlen. Durch die Gewichtung der Packungszahlen wird in der Summe der Packungen der Mehraufwand berücksichtigt. … BtM-, Kühlprodukte- und Hochpreiser-Packungen erhalten durch die Gewichtung größere Kostenanteile und damit steigt der Rx-Kostenanteil ggü. dem Non-Rx-Kostenanteil.“
Wir haben nachgerechnet – und unsere Rechnung führt zu den in Tabelle 1 aufgeführten Ergebnissen.
„Rx-FAM-Klasse“ |
Rx-FAM in Mio. |
Gew.-faktor |
gew. Rx-FAM in Mio. |
---|---|---|---|
BtM |
13,3 |
5,8 |
77,1 |
Kühlartikel |
40,3 |
3,7 |
149,1 |
Hochpreiser |
2,6 |
4,0 |
10,4 |
Sonstige Rx-FAM |
627,2 |
1,0 |
627,2 |
Summe |
683,4 |
863,7 |
Dass die Gutachter in ihrer Tabelle anstelle von 863,7 Mio. (gewichteten) Packungen 919,9 Mio. (gew.) Packungen ausweisen [Tab. 47, S. 185], liegt offensichtlich daran, dass sie die „sonstigen Rx-FAM“ nicht um die BtM, Kühlartikel und Hochpreiser (in Höhe von 56,2 Mio.) reduziert haben.
Die Abweichung beträgt immerhin 6,1 Prozent.
Andererseits sind auch die Kühlprodukte Non-Rx (mit 3,0 Mio. Packungen) nicht gewichtet worden [Tab. 42, S. 176], so dass sich diese Zahl von 765,0 Mio. Packungen um 7,4 Mio. Packungen auf 772,4 Mio. erhöhen würde.
Falsche Bezugsgrößen verwendet
Für die Berechnung des Herstellerabgabepreises (ApU) des Hochpreiser-Umsatzes des vollversorgenden Großhandels wird im Gutachten auf den „durchschnittlichen ApU Hochpreiser (≥ 1200 Euro ApU)“ für die Jahre 2011 bis 2018 zurückgegriffen (Quelle: GKV GAmSi1). So geben die Gutachter den durchschnittlichen ApU Hochpreiser für 2016 mit 3791 Euro an [Tab. 48, S. 189] und berechnen mithilfe der zugehörigen Zahl an Packungen den Hochpreiser-Großhandelsumsatz.
Wegen der feststellbaren, eklatanten Differenzen der Gutachter-Berechnungen zwischen dem (mittels der Methode der gleitenden Durchschnitte) ausgewiesenen und dem durch Multiplikation ermittelten Gesamtumsatz hat die Vermutung nahegelegen, dass der von den Gutachtern herangezogene „durchschnittliche ApU Hochpreiser“ zu hoch angesiedelt sein könnte.
Auf der Suche nach Vergleichswerten für den durchschnittlichen Großhandelsabgabepreis (identisch mit dem Apothekeneinkaufspreis; AEK) von Hochpreisern wurden die entsprechenden Kennzahlen auf der Grundlage der Daten von Insight Health, auf die der Verfasser dieses Beitrags seit Jahren zurückgreifen kann, ermittelt (s. Tabelle 2).
Absatzweg |
durchschnittlicher AEK je Hochpreiser |
Hochpreiser in Mio. Packungen |
||
---|---|---|---|---|
2016 |
2017 |
2016 |
2017 |
|
zulasten der GKV |
3.255 € |
3.259 € |
2,61 |
2,81 |
Privatverordnungen |
2.822 € |
3.027 € |
0,32 |
0,33 |
insgesamt |
3.208 € |
3.235 € |
2,93 |
3,13 |
Quelle: Insight Health und eigene Berechnungen |
Wegen der eklatanten Abweichungen wurde daraufhin beim Träger des renommierten Arzneiverordnungs-Reports (WIdO) der entsprechende Wert für 2016 abgefragt. Die Antwort des Forschungsbereichsleiters Arzneimittel des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) lautete2:
„Zum Stichtag 1.7.2016 betrugen die durchschnittlichen Brutto-Verordnungskosten aller verordneten, rezeptpflichtigen hochpreisigen Fertigarzneimittel mit gelisteten Preisen 3953 Euro, bezogen auf die Apothekenverkaufspreise. Hochpreisig ist definiert gemäß § 2 AMPreisV als ein ApU ≥ 1200 Euro.
Dieser Wert stellt jedoch keinen ‚Preis‘ dar, sondern die durchschnittlichen Kosten, einschließlich Mehrwertsteuer und Versicherten-Zuzahlung, innerhalb des Marktsegmentes mit insgesamt 2043 unterschiedlichen Packungen (PZN) als Quotient aus Summe der Umsätze/Summe der Verordnungen.“
Der Systematik der AMPreisV folgend kommt man nach wenigen Rechenschritten auf einen durchschnittlichen Hochpreiser-Großhandelsabgabepreis für 2016 (Quelle: WIdO) von rund 3217 Euro; der zugehörige durchschnittliche ApU je zulasten der GKV abgegebenem Hochpreiser beträgt in 2016 damit rund 3178 Euro.
Damit ist bewiesen, dass der von den Gutachtern herangezogene durchschnittliche ApU Hochpreiser eindeutig falsch ist! Aufgrund der eigenen, offensichtlich repräsentativen Werte wurden nachfolgend die über das Gutachten ermittelbaren Anteile von Hochpreiser- und Nicht-Hochpreiser-Großhandelsumsätzen 2016 mit den entsprechenden Werten der gesamten potenziell großhandelsfähigen Umsätze insgesamt verglichen (s. Tabelle 3). Achtung: Die Werte aus dem Gutachten (2HM) enthalten nur die Umsätze der Phagro-Mitgliedsunternehmen.
Rx-Umsatz |
2HM |
eigene Berechnungen (Quelle: INSIGHT Health) |
||||
---|---|---|---|---|---|---|
2016 |
2017 |
|||||
in Mio. € |
Anteile in % |
in Mio. € |
Anteile in % |
in Mio. € |
Anteile in % |
|
ApU < 1.200 € |
12.986,2 |
60,1% |
18.643,4 |
66,5% |
18.695,3 |
64,8% |
ApU ≥ 1.200 € |
8.613,3 |
39,9% |
9.399,7 |
33,5% |
10.137,6 |
35,2% |
insgesamt |
21.599,5 |
100,0% |
28.043,1 |
100,0% |
28.832,9 |
100,0% |
Als Zwischenergebnis ist festzuhalten:
1. Der von den Gutachtern für 2016 ausgewiesene Rx-Umsatz des vollversorgenden Großhandels (PHAGRO) macht rund 77 Prozent des potenziell großhandelsfähigen Umsatzes aus.
Es verblieben also rund 23 Prozent an Apotheken-Einkaufsvolumen, das ebenfalls den von den Gutachtern vorgeschlagenen Kalkulationsgrundlagen unterläge.
Damit ist die Aussage „eine Reduktion der Zuschläge des pharmazeutischen Großhandels um ca. 210 Mio. Euro“ [S. 9] natürlich eine Verschleierung der tatsächlichen Auswirkungen der vorgeschlagenen Änderung der AMPreisV. Denn die avisierten Einsparungen würden nicht nur die Großhandelslieferungen (Phagro) nach aktuellem Stand betreffen, sondern alle potenziell großhandelsfähigen Rx-FAM. Wendet man die Berechnungslogik des Gutachtens auf alle Rx-Arzneimittel an, käme man in 2016, auf der Basis der Daten von Insight Health, zu einer Reduktion für die „potenziell großhandelsfähigen Waren“ von rund 370 Mio. Euro (netto).
2. Der im Gutachten für 2016 ausgewiesene (bzw. ermittelte) Hochpreiser-Großhandelsumsatz macht annähernd 92 Prozent des entsprechenden, (auf der Basis der Daten von Insight Health berechneten,) potenziell großhandelsfähigen Gesamtumsatzes aus. Dagegen erreicht der Nicht-Hochpreiser-Großhandelsumsatz nicht einmal die 70 Prozent-Marke.
Das widerspräche der Erfahrung, dass Hochpreiser – wegen der zurzeit relativ günstigeren Einkaufskonditionen – anteilmäßig eher im Direktbezug erworben werden als „Normalpreiser“.
3. Ein weiterer Fehler ist, dass die Gutachter bei den avisierten Einsparungen der Kostenträger (GKV, PKV, Beihilfe) und der Selbstzahler nicht die Mehrwertsteuer berücksichtigen. In der Zusammenfassung des Gutachtens werden „Reduktionen der Kosten für GKV, PKV, Beihilfe und Selbstzahler bei Rx-Arzneimitteln von insgesamt ca. 1,24 Mrd. Euro“ [S. 9] angekündigt. Dieser Betrag ergibt sich als Summe der Einsparungen von etwa 250 Millionen Euro bei Parenteralia, 780 Millionen Euro bei der übrigen Apothekenvergütung und 210 Millionen Euro beim Großhandel. Allerdings entfallen, wie gezeigt, auf die potenziell großhandelsfähigen Arzneimittel Einsparungen in Höhe von mind. 370 Mio. Euro. Die Addition aller vorgeschlagenen Einsparungen, also inkl. der parenteralen Zubereitungen, betrüge demnach nicht 1,24 Mrd. Euro, sondern mindestens 1,4 Mrd. Euro netto. Und dabei wird von den Gutachtern noch die zusätzlich bei den Kostenträgern einzusparende Mehrwertsteuer unterschlagen. Unter Berücksichtigung dieser Steuer beliefen sich die Einsparungen für Kostenträger und Selbstzahler auf rund 1,67 Mrd. Euro (brutto). Die Abweichung betrüge immerhin rund 35 Prozent.
In diesem Zusammenhang darf vermutet werden, dass sich der Direktbezug – bei einer von den Gutachtern vorgeschlagenen Höchstmarge des Großhandels von max. 7,32 Euro je Rx-FAM – für viele Apotheken nur noch in seltenen Fällen lohnen würde, der Großhandel also von dieser Regelung mengenmäßig profitieren würde. Wenn sich ein solcher Direktbezug für Apotheken allerdings lohnen würde, beispielsweise aufgrund außergewöhnlich hoher Preisnachlässe (wie Skonti und Boni), wäre nicht nur die Wirtschaftlichkeit des vollversorgenden Großhandels gefährdet; es gäbe darüber hinaus absehbare Probleme in Bezug auf die Arzneimittel- und Versorgungssicherheit der Bevölkerung.
Unabhängig davon schlüge die Reduktion der Vergütung, egal ob bei den Herstellern oder beim Großhandel vollzogen, auf die Apotheken durch.
Mit Blick auf die falsche Bezugsgröße des „durchschnittlichen ApU Hochpreiser“ bedeutet dies, dass die Basis für alle Rechnungen der Gutachter zum Großhandel – um es freundlich auszudrücken – nicht valide ist.
Alle darauf aufbauenden Berechnungen müssen daher verworfen werden.
Damit konnten den Gutachtern – beispielhaft – sowohl Rechenfehler, die Verwendung falscher Bezugsgrößen als auch falsche Aussagen zu den avisierten Einsparungen nachgewiesen werden. Damit fällt das 2HM-Gutachten wie ein Kartenhaus in sich zusammen.
Konsequenzen
Man könnte auf die Idee kommen, das Gutachten retten zu wollen, indem man die hier nachgewiesenen Fehler korrigiert. Das dürfte kaum gelingen, sind doch längst nicht alle Berechnungen der Gutachter in der vorliegenden Analyse überprüft worden. Vielmehr steht zu vermuten, dass das Gutachten weitere Fehler enthält, auch weil viele Quellen selbst für interessierte Leser nicht zugänglich, und deshalb auch nicht zu überprüfen sind.
Außerdem sprechen viele, auch gravierende methodische Fehleinschätzungen der Gutachter gegen ein solches Unterfangen, denn im Zuge der Analyse, die an dieser Stelle nicht im vollen Umfang veröffentlicht werden kann, konnten den Gutachtern zudem zahlreiche methodische Mängel nachgewiesen werden (Zählweise für Packungen; Verknüpfung von Daten unterschiedlichster Quellen, obwohl die Daten aus nur einer Quelle vorliegen; unschlüssige Daten zu den Lagerbeständen (Phagro); Umlage der Finanzierungskosten auf die Umsätze der Großhändler, offenes Tor für den Versandhandel u. v. m.). Jetzt kann man sich beruhigt(er) auf die Anpassung des Apothekenhonorars konzentrieren. Denn da besteht echter Nachholbedarf. |
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